Orchestra | Von Klaus Härtel

Gründet man trotz oder wegen Corona ein Orchester, Niki Wüthrich?

Wüthrich
Foto: Manuel Bischof

Im Januar gründeten Niki Wüthrich, Katinka Kocher und Stefan Ledergerber den Verein Swiss Symphonic Wind Orchestra. Ihr Ziel: mit einem hochstehenden Orchester sinfonische Blasorchesterliteratur aufzuführen. Das Besondere dabei ist, dass die Formation aus Profimusikern sowie aus ambitionierten Amateurmusikantinnen und -musikanten bestehen soll. Im September gibt es die ersten Konzerte. Wir sprachen mit dem Dirigenten Niki Wüthrich. 

Warum gründet man mitten in der Pandemie ein Orchester? Oder macht man das gerade deswegen?

Musikerinnen und Musiker haben in der Kultur-Lockdown-Situation zwei Möglichkeiten: den Kopf hängen zu lassen und sich über die Einschränkungen zu ärgern oder optimistisch in die Zukunft zu blicken und die frei gewordene Zeit produktiv zu nutzen. Im Glauben daran, dass Orchester­konzerte in der zweiten Jahreshälfte wieder möglich sein werden, haben wir uns für Letzteres entschieden und uns an die Umsetzung der Idee eines semiprofessionellen sinfo­nischen Blasorchesters gemacht. Diese Idee schlummerte schon länger in den Köpfen von Katinka und mir.

Mitte 2020 begannen die Vorplanungen. Was war damals das zeitliche Ziel und mussten Sie diesen Zeitplan pandemiebedingt an­passen?

Von Beginn an war unser Ziel, im Herbst 2021 erste Konzerte spielen zu können. Auch ohne Pandemie ist der Vorlauf von etwas mehr als einem Jahr für die Umsetzung dieses Projekts ambitioniert. Bis jetzt sind wir auf Kurs und auch guter Dinge, dass uns Corona im September keinen Strich durch die Rechnung machen wird.

Bis April können/konnten sich die Musikerinnen und Musiker bewerben. Wie sind hier die Reaktionen der potenziellen Mitspieler? Zaghaft wegen Corona? Oder eher voller Taten­drang – auch wegen Corona?

Wir erhalten von allen Seiten sehr positive, freudige Reaktionen auf das “Swiss Symphonic Wind Orchestra”-Konzept und sind sehr glücklich, dass bereits über 60 Anmeldungen von ambitionierten Musikerinnen und Musikern eingegangen sind. Viele freuen sich nach der langen Corona-Durststrecke wieder enorm aufs gemeinsame Musizieren in einem Orchester. Zudem scheinen wir mit der effizienten, kurzen Projektphase und mit dem Austausch, der zwischen Profis und Amateuren stattfinden soll, eine zeitgemäße Form gefunden zu haben, die viel Zuspruch findet.

Wer wird mitmachen? Profis? Amateure? Kann man schon Namen nennen?

Jedes Register führt eine Profi-Stimmführerin oder ein Profi-Stimmführer an, die weiteren Positionen eines Instruments besetzen ambitionierte Amateurtalente. Nebst den erforderlichen instrumentalen Qualifikationen teilen unsere Musikerinnen und Musiker die Leidenschaft für sinfonische Blasmusik und sind motiviert für den Austausch bzw. das Coaching im Register. Die Amateure können und sollen vom Zusammenspiel mit den Profis auf den Stimmführerpositionen profitieren. Bei den Profis haben bereits sehr renommierte Teilnehmer wie Rita Karin Meier, Solo-Klarinettistin der Oper ­Zürich, oder Seth Quistad, Solo-Posaunist des Tonhalle-Orchesters Zürich, ihre Mitwirkung zugesichert.

Wie ist die Situation in der Schweiz? Kann man schon absehen, wann man wieder musizieren darf?

Der Bundesrat hat angekündigt, ab März im Monats­takt zu lockern. Für die Kultur wurde in Aussicht gestellt, dass ab April wieder Veranstaltungen mit kleinerer Teilnehmerzahl und Schutzkonzept stattfinden dürfen. Zudem sei das Ziel, bis zum Sommer alle Schweizer Impfwilligen geimpft zu haben. Wir glauben daran, dass unser Projekt Ende August bis Mitte September stattfinden kann. Unter welchen Schutzkonzepten und Publikumsrestriktionen ist zurzeit noch nicht absehbar. Auf jeden Fall planen wir auch, eines der Konzerte per Video zu streamen.

Wie ist der derzeitige Zeitplan für das SSWO?

Zurzeit sind wir einerseits daran, die Orchesterbesetzung zu komplettieren. So sind wir insbesondere bei den Klarinetten, der Tuba und in der Perkussion noch auf der Suche nach Mitspielern. Gleichzeitig investieren wir viel Arbeit in die ­Sicherung der Finanzierung des Projekts. Mit einem Gesamtbudget von rund 90 000 Franken (etwa 81 000 Euro, d. Red.)  sind wir dringend auf die Unterstützung der öffentlichen Kulturförderung angewiesen. Des Weiteren soll ein Teil der Projektkosten durch private Förderstiftungen gedeckt werden. Als ergänzendes Standbein freuen wir uns auf Beiträge von privaten Gönnern, die sich für sinfonische Schweizer Blas­musik und deren Vermittlung an ein breites Publi­kum engagieren möchten. Zuletzt streben wir Sponsoring-Partnerschaften mit Unternehmen an, die sich mit unserem Leitbild von Professionalität und Qualität identifizieren können. Wir hoffen, im Verlaufe des Aprils definitiv grünes Licht für die Durchführung der ersten Tournee geben zu können.

Was genau wird dann auf dem Notenpult ­liegen? Worauf dürfen wir uns freuen – und natürlich die Musikerinnen und Musiker?

Programmatisch wird der Fokus beim SSWO auf hochstehende Trouvaillen der sinfonischen Blasorchesterliteratur aus der Schweiz gelegt. Diese Schweizer Werke werden mit internationalen Glanzlichtern des Blasorchesterrepertoires verbunden und zu innovativen, inhaltlich spannenden Programmen kombiniert. Im ersten Konzertprogramm “Divertimento” wird Oliver Waespis gleichnamiges Werk, das als Höchstklasse-Pflichtstück für das Eidgenössische Musikfest
in St. Gallen komponiert wurde, dem Klassiker “Bacchus on Blue Ridge” von Joseph Horovitz gegenübergestellt. Im ersten Konzertteil trifft eine der ersten sinfonischen Schweizer Blas­orchester­kompositionen, die “Titanic” von Stephan Jaeggi, auf eine Uraufführung aus der Feder der jungen, stilistisch sehr vielseitigen Komponistin Sandra Stadler. Denn ein weiteres Ziel des SSWO soll es sein, durch gezielte Vergabe von Auftragskompositionen an Schweizer Komponistinnen und Komponisten das Repertoire kontinuierlich auszubauen.

Konzerte 

Die Konzerte finden an drei Wochenendtagen im September 2021 an drei verschiedenen Orten in der Deutschschweiz statt: am 4.September im Ca­sino Bremgarten, am 5. September im ZKO-Haus in Zürich und am 18. September im Casino Frauenfeld.

sswo.ch