Gehörschutz bei Musikern ist nach wie vor ein heikles Thema, denn trotz umfangreichem Informationsmaterial und guten Präventionsmöglichkeiten bleibt er unbeliebt. Aber Gehörschutz ist wichtig, denn eine einmal erworbene Schädigung ist unheilbar! Um dem Thema konkret zu begegnen, ist dieser Artikel im Q & A-Format (Frage und Antwort) gehalten und greift die häufigsten Fragen aus der Praxis auf.
Stimmt es, dass Musiker häufiger unter Gehörschäden leiden als Nicht-Musiker?
Nach dem heutigen Stand der Dinge kann man das immer noch nicht exakt bejahen oder verneinen. Wirft man einen Blick in die Studienlage stellt man fest, dass die Ergebnisse trotz zahlreicher Untersuchungen nicht einheitlich sind. Es wird von erheblichen, wahrscheinlichen, möglichen oder gar keinen Schädigungen durch klassische Musik oder Popmusik berichtet. Dies hängt damit zusammen, dass es im Musikbetrieb kaum möglich ist, standardisierte Untersuchungsbedingungen zu schaffen. Der Schalldruckpegel am Ohr des einzelnen Musikers kann schon von einem Pult zum anderen beträchtlich variieren. Hier spielen Abstand und Winkel zu lauten Instrumenten (beispielsweise dem Blech) sowie die Raumakustik eine große Rolle, ob jemand ein erhöhtes Erkrankungsrisiko hat.
Weiterhin ist auch die Dauer der Beschallung ausschlaggebend. Das heißt, ein Profi, der 30 Jahre oder mehr im Orchester verbracht hat, hat ein höheres Risiko, einen Gehörschaden zu erleiden, als ein Amateur, der nur einmal in der Woche zwei Stunden Probe hat. Dies ist auch
an den Zahlen der Versicherungen abzulesen, die belegen, dass Lärmschwerhörigkeit die häufigste Berufskrankheit unter professionellen Musikern ist.
Man liest ja oft, ein Orchester sei so laut wie ein startendes Flugzeug. Stimmt das wirklich?
Diese Vergleiche rühren daher, dass man versucht, den Menschen die Messeinheit für den Schalldruckpegel, Dezibel (dB), verständlicher zu machen. Denn wer kann sich schon konkret etwas darunter vorstellen, wenn es heißt, dass ein großes Sinfonieorchester stellenweise 110 dB erreichen kann. Schreibt man jedoch hinzu, dass sich ein startendes Flugzeug oder eine Motorsäge auch in diesem Bereich befindet, kann eine Relation hergestellt werden. Dies betrifft auch die Angaben zu einzelnen Instrumenten (“eine Flöte ist 90 dB laut”). Diese vergleicht man gerne mit durchschnittlichen Schallpegeln des täglichen Lebens, zum Beispiel dem Straßenverkehr mit 80 dB oder einer Unterhaltung mit mehreren Personen mit ungefähr 70 dB.
Allerdings hinken diese Vergleiche sehr, wenn man sie im Detail betrachtet. Erstens definiert man häufig nicht den Abstand von der Schallquelle zum Ohr und zweitens kommt es immer darauf an, in welchem Raum das Ereignis stattfindet.
Dennoch leistet diese plakative Vorgehensweise einen hilfreichen Beitrag zur Prävention, denn erst durch die direkten Vergleiche ist vielen Musikern überhaupt klargeworden, dass sie ihr Gehör schützen sollten.
Auch wenn es einen großen psychologischen Unterschied zwischen Musik und Lärm gibt, für das Ohr ist der Schalldruckpegel relevant. Lärm ist Schall, der als Belästigung und Störung empfunden wird und dadurch eine Gesundheitsgefährdung darstellt. Das ist bei einem Flugzeug eher der Fall als im Orchester. Aber auch wenn man den Schall im Orchester als Wohlklang empfindet, kann er doch bei dauerhafter Exposition das Gehör schädigen, ohne dass es der Musiker merkt.
Muss man das ganze Thema Gehörschutz so ernst nehmen? Es gibt doch schließlich Hörgeräte…
Zum Glück ist die Technik inzwischen so weit fortgeschritten, dass Hörgeräte immer besser werden. Allerdings wird ein Hörgerät nie das eigene Ohr ersetzen können. Vor allem bei der Lärmschwerhörigkeit, die eine Folge von zu langer, hoher Schallexposition ist, ist die Hörgeräteversorgung oft schwierig.
Ist das Ohr dauerhaft hohen Schallpegeln ausgesetzt, knicken die Haarzellen im Innenohr ab wie Getreide nach einem Gewitter. Dadurch verlieren sie ihre Schwingungsfähigkeit und Schallwellen können nicht mehr weitergeleitet werden. Einmal zerstörte Haarzellen regenerieren sich nie mehr und lassen sich auch durch Medikamente oder Therapien nicht wieder hergestellen. Das heißt, eine Lärmschwerhörigkeit ist zum jetzigen Zeitpunkt noch irreversibel.
Der Hörverlust bei der Lärmschwerhörigkeit ist häufig mit einem Tinnitus und einer Hyperakusis gekoppelt. Hyperakusis bedeutet, dass man einerseits in den hohen Frequenzen schlecht bis gar nichts mehr hört, die tiefen, noch hörbaren Frequenzen aber überlaut wahrnimmt. Ein Tinnitus zeichnet sich durch die Wahrnehmung eines Rauschens, Brummens oder von Tönen aus. Für Patienten mit Lärmschwerhörigkeit, Tinnitus und Hyperakusis ist die Hörgeräteversorgung eine große Herausforderung und meistens, vor allem für Musiker, unbefriedigend. Daher hilft hier nur die Prävention durch geeigneten Gehörschutz!
Bei der Altersschwerhörigkeit, die aufgrund des allgemeinen Verschleißes auftritt, leisten Hörgeräte gute Dienste. Da bei der Altersschwerhörigkeit die Hörfähigkeit kontinuierlich abnimmt und auch nicht unbedingt mit Begleiterscheinungen gekoppelt ist, kann der Schall auf allen Frequenzen durch das Hörgerät verstärkt werden und zu einem durchaus zufriedenstellenden Ergebnis führen.
Wenn es mir zu laut wird, stopfe ich mir etwas Taschentuch in die Ohren. Ist das nicht auch ausreichend?
Ganz klar, nein! Taschentücher, Zigarettenpapierchen und Wattebäusche sind eine absolute Notlösung, wenn man nichts dabei hat und mit zu hoher Lautstärke, zum Beispiel bei einer Veranstaltung, nicht gerechnet hat. Aber absolut keine professionelle und langfristige Lösung.
Für ausübende Musiker kommt eigentlich nur ein individuell angepasster Gehörschutz, eine sogenannte Otoplastik (“Elacin”) infrage. Dieser Gehörschutz passt perfekt in den eigenen Gehörgang und ist mit austauschbaren Filtern versehen, sodass man zwischen 5, 10 und 15 dB Reduktion auswählen kann. Merkmal einer Otoplastik ist die lineare Dämmung, bei der hohe und tiefe Frequenzen möglichst gleichmäßig herausgefiltert werden, damit wenig Klangverzerrung stattfindet. Auch gibt es bestimmte Modelle für Bläser und Sänger, bei denen es nicht zum sogenannten Okklusionseffekt kommt, der wiederum den Klang verzerren würde.
Als Konsument vor allem elektronisch verstärkter Musik oder in Situationen, bei denen es nicht auf klangliche Details ankommt, eignet sich ein allgemeiner Lamellengehörschutz (“Tannenbäumchen”). Die Dämmleistung ist hoch, aber Klang und Sprache kommen trotzdem ausreichend durch.
Schaumstoff- oder Silikonpfropfen, die preisgünstig in der Drogerie erhältlich sind (“Ohropax”), dämmen auch ausreichend, sind aber zum Musikhören oder -machen nicht geeignet. Sie finden eher im Hotel, Flugzeug oder beim Heimwerken Verwendung.
Unser ganzes Orchester hat einen Gehörschutz bekommen, aber eigentlich benutzt ihn niemand. Auch meiner liegt nur im Instrumentenkoffer herum.
Die schlechte Akzeptanz von Gehörschutz unter Musikern ist leider ein Problem. Laut Umfragen geben nur sechs Prozent der Orchestermusiker an, regelmäßig Gehörschutz zu verwenden. Die Schwierigkeit liegt natürlich in der veränderten Klangwahrnehmung. Musiker möchten ihr Produkt Musik so unverfälscht und klar wie möglich hören. Daher muss man das Spielen mit Gehörschutz üben.
Es dauert ungefähr ein halbes Jahr, bis man zuverlässig einschätzen kann, wie man für das Publikum oder im Orchester klingt, wenn es sich für einen selbst mit Gehörschutz in einer bestimmen Art und Weise anhört. Man muss lernen, eine Relation zwischen dem, was man hört und dem Ergebnis “draußen” herzustellen. Das ist machbar und notwendig, denn nur ein regelmäßig verwendeter Gehörschutz erfüllt seinen Zweck.
Regelmäßig muss allerdings nicht dauerhaft bedeuten. In einem guten Saal mit einem Programm, das nicht unbedingt laut ist, muss man nicht ständig mit Gehörschutz spielen. Wichtig ist der situative, aber regelmäßige Einsatz zum Beispiel vor lauten Stellen und vor allem für die Spieler, die vor den Trompeten oder dem Schlagwerk beziehungsweise neben der Piccoloflöte oder Es-Klarinette sitzen.
Ist die Fortefortissimo-Stelle vorüber, kann man den Schutz wieder rausnehmen. Auch im Konzert kann man das sehr unauffällig für das Publikum machen und man sieht in zahlreichen Videos von renommierten Sinfonieorchestern, wie die Musiker den Schutz vor lauten Stellen anwenden. Je nach Besetzung, Genre oder Epoche (Popularmusik, Neue Musik) kann es jedoch sein, dass man ein gesamtes Programm mit Gehörschutz spielen muss.
Wer nun trotz Übens überhaupt nicht mit einer Otoplastik zurechtkommt, profitiert von Plexiglasscheiben, die vor den (Blech-)Bläsern stehen. Hier muss man darauf achten, dass der Winkel so eingestellt ist, dass der Schall nicht reflektiert wird. Sehr individuell einstellbar sind Modelle wie die “Hearwig”, bei der sich der Spieler vor- und zurücklehnen kann, je nachdem, wieviel Schutz er wünscht.
Beim Hörtest wurde bei mir eine C5-Senke festgestellt. Was ist das genau und muss ich mir Sorgen machen?
Eine C5-Senke bedeutet die Absenkung der Hörkurve im Audiogramm beim C5 oder bei einer Frequenz um 4000 Hz. Es ist ein charakteristisches Zeichen für eine Lärmschwerhörigkeit. Aufgrund der Anatomie der Hörschnecke werden die Haarzellen bei langjähriger Schallexposition im Bereich von 4000 Hz zuerst zerstört. Daher fängt die Taubheit auch in diesem Bereich an und kann sich dann weiter in noch höhere (“Hochtontaubheit”) oder tiefere Frequenzen ausbreiten. Im täglichen Leben macht sich der Verlust der Hörfähigkeit im Bereich C5 vor allem dadurch bemerkbar, dass man Gespräche bei Hintergrundgeräuschen schlecht oder nicht mehr versteht, da die leisen Konsonanten vom Umgebungslärm überdeckt werden.
Da die Schädigungen der Haarzellen nicht reversibel sind, sollten Betroffene auf jeden Fall einen Gehörschutz tragen, um das Ausbreiten der Lärmschwerhörigkeit zu verhindern.
Nach einem Rockkonzert haben mir drei Tage lang die Ohren geklingelt. Habe ich nun schon einen Gehörschaden?
Einmaliger, zeitlich begrenzter Lärmexposition wie ein Rockkonzert oder auch nach einem Lärmtrauma, das heißt einem unerwarteten, plötzlichen lauten Schall, verletzt die Haarzellen zwar, schädigt im Allgemeinen aber nicht dauerhaft. Die Betroffenen können über ein paar Tage ein Pfeifen wahrnehmen und einen vorübergehenden Hörverlust in dem Sinne erleiden, dass sich alles dumpf und wie durch Watte anfühlt. Die Therapie besteht aus Ruhe, damit sich das Ohr erholen kann. Eine hyperbare Sauerstofftherapie sollte zusätzlich verabreicht werden.
Selbstredend sollte man bei regelmäßigem Besuch lauter Veranstaltungen dann in Zukunft einen Gehörschutz tragen.
Ich spiele Klarinette im Blasorchester und habe immer schon richtig Angst, wenn Fortissimo notiert ist und das Blech loslegt. Ich habe zwar nach der Probe keine Ohrenschmerzen, aber immer Kopfschmerzen und einen verspannten Nacken. Wie hängt das zusammen?
Muskuläre Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich haben ihre Ursache hauptsächlich in einer fehlerhaften Körperhaltung. Aber auch eine zu hohe Lautstärke kann Muskelverspannungen hervorrufen, weil man sich unbewusst gegen den Lärm schützen möchte und dadurch die Schultern hochzieht und den Kopf in den Nacken nimmt. Das nützt dem Ohr aber leider gar nichts, da es ja von der gleichen Schallintensität getroffen wird, ganz gleich, ob die Schultern oben oder unten sind.
Interessanterweise besitzt das Ohr einen eigenen Schutzmechanismus gegen zu hohe Schalldruckpegel, den sogenannten Stapediusreflex. Der Stapediusmuskel im Mittelohr kontrahiert sich reflexartig bei Schalldruckpegeln um die 70 bis 95 dB und verkantet den Steigbügel. Dadurch wird nicht der gesamte Schalldruck ins Innenohr übertragen, sondern zu einem Teil reflektiert.
So schützt sich das Ohr selbst vor Schädigungen durch zu hohe Schalldruckpegel. Allerdings funktioniert dieser Reflex nicht dauerhaft und reicht auch bei zu hoher Lautstärke nicht aus, sodass der Körper mit Mechanismen wie Muskelanspannung durch hochgezogene Schultern reagiert. Möchte man sein Gehör nicht in Gefahr bringen, schafft auch hier nur ein Gehörschutz Abhilfe. Man verliert die “Angst” vor den lauten Stellen und kann entspannt bleiben.
In meinem Unterrichtszimmer in der Musikschule hallt es sehr laut. Vor allem die hohen Töne auf der Flöte sind für mich schwer erträglich. Was kann man da tun?
Angestellte haben im Rahmen des Arbeitsschutzes Anrecht auf Schutzmaßnahmen. Denn laut der Lärmschutzverordnung muss Gehörschutz ab einer bestimmten Schalldruckpegelbelastung zur Verfügung gestellt werden oder sogar verpflichtend getragen werden.
Hier kommt es auf die Lärmdosis pro Tag oder pro Woche an. Bei einer Tagesexposition von 80 dB oder mehr beziehungsweise einem Spitzenschalldruckpegel von 135 dB oder darüber muss der Arbeitgeber einen Gehörschutz zur Verfügung stellen. Bei einer Tagesexposition von 85 dB oder mehr beziehungsweise einem Spitzenschalldruckpegel von 137 dB ist das Tragen eines Gehörschutzes verpflichtend.
Orchester und Musikschulen müssen daher ihren (Fest-)Angestellten Vorsorgeuntersuchungen und Schutzmaßnahmen anbieten und genehmigen. Zuvor werden Messungen im Unterrichtsraum durchgeführt, um die exakte Belastung zu ermitteln. Man berechnet die Schallexposition über den Tag und die gesamte Woche.
Ist die wöchentliche Expositionszeit in der Norm und werden die Schwellenwerte nur bei den hohen Tönen oder im Fortefortissimo überschritten, können auch bauliche Maßnahmen, die die Reflexion reduzieren, gute Erfolge bringen. Mit etwas Glück reicht da schon ein dicker Vorhang, der vor eine “knallige” nackte Wand gezogen wird, oder schallabsorbierendes Material, das an der Decke angebracht wird.
Sind nur bestimmte Frequenzen schwer erträglich, muss der Lehrer darüber hinaus sehr genau auf seine Position zum Schüler, zum Instrument und zu einer reflektierenden Wand achten, damit er sich nicht unnötigerweise dem direkten Schall aussetzt.
Wo kann ich Literatur und weitere Informationen zum Thema bekommen?
In der Österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin (ÖGfMM) stellt die AG Hörgesundheit eine umfangreiche Literaturliste und eine Linksammlung kostenfrei zur Verfügung (oegfmm.at/arbeitsgruppen/ag-hoergesundheit). Hier findet man noch mehr Tipps für die musikalische Praxis und wissenschaftliche Artikel sowie viele Informationen, die nicht nur für einen selbst, sondern auch in der Argumentation mit Kollegen und Arbeitgebern hilfreich sind.