Das Werk »13 Minuten im Frühling | Stille« von Alexander Reuber ist in Erinnerung an die Opfer des tödlichen Bombenangriffs auf Olpe vom 28. März 1945 und aller weiteren Angriffe und in Erinnerung an alle Opfer von Kriegen, Terror und Gewaltherrschaft entstanden. Alexander Reuber: »Ich hatte das Glück, in der dunkelsten Zeit Deutschlands und am Tag der fürchterlichsten Katastrophe, die je über meine Heimatstadt hereingebrochen ist, nicht dabei sein zu müssen. Als ich aber begann, meine Komposition zu skizzieren und zu konzipieren, war ich mitten im Geschehen. Es war und ist so, als sei ich dabei gewesen.« ´
Der Komponist
Alexander Reuber wurde 1986 in Olpe geboren und erhielt bereits im Alter von sechs Jahren ersten Trompeten- und Klavierunterricht. Als Trompeter im heimischen Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr aufgewachsen, verbrachte er nach dem Abitur seine Wehrdienstzeit als Musiksoldat im Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg. Hier ist er auch heute hauptberuflich tätig.
Sein Studium im Hauptfach Trompete absolvierte er an der Folkwang Universität der Künste in Essen und schloss es, im Juni 2012, als diplomierter Musiker ab. Bereits ab 2010 hatte er parallel begonnen, »Integrative Komposition« mit Schwerpunkt »Instrumentale Komposition«, zu studieren. Im Sommer 2010 hatte er zudem Gelegenheit, Hans Zimmer in seinem Studiokomplex in Los Angeles besuchen zu können. Eine inspirierende Begegnung. Zimmer ermutigte ihn, sich weiterhin intensiv mit Komposition, Produktion und Verwirklichung eigener Werke und Projekte zu beschäftigen.
Mittlerweile umfasst Reubers kreatives Schaffen einerseits Auftragskompositionen für Sinfonische Blasorchester oder auch Sinfonieorchester, andererseits verantwortet er ebenso professionelle CD-Produktionen für anfragende Orchester, darunter zahlreiche Musikproduktionen für namhafte internationale Musiklabels.

»Atlantis«, im Dezember 2012 in Olpe uraufgeführt, ist sein erstes großes Werk für Blasorchester. Im darauffolgenden Jahr legte er gleich nach mit der Vertonung einer Geistergeschichte aus seiner Heimat, mit der Komposition »Das Waschweib«. Diese fand Aufnahme in die Wertungsspielempfehlungen der Blasmusikverbände. Als Komponist mit zum Beispiel »Trailermusik« oder »KIO on Stage!«, für das Kinderorchester NRW, aber auch als Bearbeiter mit einer Vielzahl von Arrangements, machte und macht er weiter von sich reden. 2023 wurde »13 Minuten im Frühling | Stille« in Olpe uraufgeführt.
Musikproduktionen
Die Bedeutung des Wortes »Musikproduktionen« ist von großer Vielfalt. Dabei geht es nicht nur traditionell um Bühnen- und Konzertwerke, die in Notenform hergestellt und bestenfalls weltweit aufgeführt werden. Da öffnen sich in der wachsenden Medienlandschaft zunehmend ganz neue Perspektiven, die auch im Musikstudio Reuber auf interessierten und fruchtbaren Boden fallen. Er erklärt diesen Teil seiner Kreativität: »In der Regel gibt ein Label den Auftrag zur Produktion eines kompletten Albums. Thematisch gibt es Vorgaben wie zum Beispiel ›Epic Trailer‹, ›Industrial‹, ›Horror‹ etc. In diesen Produktionen werden jedoch keine Noten verlangt.
Das Endprodukt ist immer ein Soundfile. Man erarbeitet als Komponist hier also keinen Notentext, sondern arbeitet direkt am Sound. Die finalen Dateien landen dann in einem Katalog des Labels, in dem sich Produzenten, Veranstalter, etc. für ihre Zwecke Musik aussuchen und sich entsprechend lizensieren lassen können. Es kann also sein, dass Musik aus diesem Angebot bei einer Kinofilm-Vorschau, in einer Fernseh-Dokumentation oder einem großen Live-Event zum Einsatz kommt.«
Die Idee
Das Werk »13 Minuten im Frühling | Stille« erinnert an den verheerenden Bombenangriff auf die Stadt Olpe am 28.März 1945. Es beschäftigt sich dabei in erster Linie mit Gedanken und Gefühlen der Menschen, vor, während und nach dem Bombenangriff. Eine intensive Musik, die sich auch Zeit nimmt, den Zustand einer lokal vermeintlich intakten Gesellschaft und deren Veränderung durch nationalsozialistische Einflüsse, bis hin zum Zusammenbruch jeglichen zivilen Lebens, zu thematisieren. Sie scheut nicht den Versuch, inneren Zustände verzweifelter und in sich zerrissener Menschen kompositorisch auszudrücken.
Unsicherheit, Zweifel, Respekt
Alexander Reuber hatte zunächst große Bedenken. Wie könnte er als junger Mensch, der die sogenannte Gnade der späten Geburt schon in der zweiten Generation erfahren durfte, diese Ereignisse künstlerisch ausdrücken? Angemessen und vor allem ohne Anmaßung. Er hatte schließlich die damalige Zeit und den furchtbaren Angriff selber nicht miterlebt. Beim Studium der Stadtgeschichte und der überlieferten Aussagen von Zeitzeugen wurde ihm schnell klar: Es kann nicht auf eine bloße Schilderung der Katastrophe hinauslaufen. Die Konzentration kann nicht auf der bildhaften Klangdarstellung der Ereignisse liegen, sie muss vielmehr in ureigener Weise versuchen, tief in die Emotionen der Menschen jener Zeit zu blicken.
Sein Ringen, ob es richtig war, sich dieser Aufgabe zu stellen, ließ ihn nie los. Natürlich bedrückend für ihn waren auch immer wiederkehrende Selbstzweifel, die sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzten: »Wie wäre es mir gelungen, mich in dieser Zeit der Diktatur, des staatlichen Terrors und der Menschenverachtung zu positionieren?« Letztlich wurde die ständige Auseinandersetzung mit diesen vielen Fragen sein Antrieb, das Werk zu entwickeln und zu vollenden.
Gedanken zum Kompositionsstil
Und wie denkt ein Komponist unserer Tage, der einerseits traditionell mit beiden Beinen in der Welt der großen konzertanten Blasorchester zu Hause ist und der andererseits mit den Techniken moderner, Tonstudio geprägter, Soundkompositionen vertraut ist? »Interessante Frage. Die Herangehensweisen zu komponieren sind, abgesehen vom kompositorischen Handwerk, natürlich auch für mich grundverschieden. Derweil eine Musikproduktion schon während des Kompositionsprozesses klangästhetische Arbeit erfordert, kommt es beim klassischen Notensatz eher darauf an, einen Notentext so zu verfassen, dass er möglichst eindeutig meine Klangvorstellungen wiedergibt.
Diese Klangvorstellungen müssen ja schließlich durch Dritte noch umgesetzt werden. Hier bekommt das Aufspüren von Weichenstellungen zu klangästhetischen Fragen und zur Interpretation erst viel später tragende Bedeutung. Somit stellt sich beim traditionellen ›Aufschreiben‹ von Musik also eher die Frage: wie notiere ich etwas, damit es, nachher durch Dritte umgesetzt, möglichst genau meiner Klangvorstellung entspricht. Das ist manchmal fast schon eine psychologische Frage. Nach meinem Empfinden bereichern sich beide Arten des Komponierens natürlich positiv. Aber, das ist sicher durchaus immer der Fall, wenn man interdisziplinär arbeitet.«
Musik und Zahlensymbolik
Das Werk ist formal in fünf Abschnitte eingeteilt. Dabei ist diese Einteilung lediglich ein grobes Gerüst. Die Aufbaudetails genauer betrachtend, verbirgt sich da aber viel mehr. Kennzeichnender Weise u. a. auch eine wohl durchdachte Zahlensymbolik. Es war Alexander Reuber wichtig, die Initialen der Katastrophe in seiner Komposition verborgen zu hinterlegen, um damit den Zeitpunkt des alles verändernden Ereignisses quasi in die Musik einzubrennen.
Da wäre zum Beispiel das Datum: 28. März: zwei – acht – drei. Diese Initialen sind rhythmisch und harmonisch an mehreren Stellen im Werk untergebracht. So findet sich das Datum zunächst einmal als reines Zeitmaß der ersten drei Abschnitte des Werkes wieder: Die Sätze eins bis drei dauern zwei, acht und drei Minuten. »Für mich lag es besonders bei diesem Werk auf der Hand, etwas aus den Ziffern des Datums der Katastrophe zu machen. 28.3., also die Ziffern 2, 8 und 3 ergeben in der Quersumme 13. 13 Minuten lang dauerte der Angriff.
Ich habe die Zahlenkombination dann sowohl als Grundlage für die Form, für rhythmische Strukturen, wie auch für die Harmonik genutzt. So wiesen mir die Zahlen »28.3.1945« beispielsweise unter anderem den Weg zur Erstellung einer Skala. 2 steht für eine kleine Sekunde, 8 steht für eine Quinte, usw. Dies lässt sich dann sowohl melodisch, wie auch harmonisch verwenden. Aus diesen Zahlen lassen sich aber z. B. auch rhythmische Figuren erstellen. Im Prinzip basiert das gesamte Stück, horizontal und vertikal, auf den Ziffern des Datums der Katastrophe.«

Auch das Jahr 1945 hat er durch eine mathematisch schlüssige Formel hinterlegt: »Bezüglich der Form war meine Idee, die »Katastrophe«, also die 3, den dritten Satz, zu spiegeln. Aus einer Katastrophe resultiert ein menschliches Trauma. Die zweite Hälfte des Werkes, also ab Satz vier mit dem Abschnitt »Trauma«, habe ich, formal gesehen, in das Verhältnis 1:9:4:5 gebracht. Somit kann die gesamte Großform als 28.3.1945 interpretiert werden. Bei Werken größeren Umfanges finde ich es immer hilfreich, sich über die Form und Struktur sehr früh im Kompositionsprozess klar zu sein. Dies, um einerseits während des Schreibens den Fokus und die Orientierung zu behalten und andererseits natürlich, um einen dramaturgischen Bogen gezielt gestalten zu können.«
Der Aufbau
Diese Musik erzählt definitiv eine Geschichte, auch wenn es dabei nicht um rein plakative Darstellungen aktionsgeladener Handlungen handelt. Gefühle erzählen wahrhaftig auch Geschichten. Im Folgenden zitiere ich frei aus der Werkbeschreibung von Michael Ohm und ergänze mit Zitaten und Hinweisen.
1. Satz: Adagio
Die ersten Takte im Adagio sind geprägt von einer dunklen und scheinbar nicht erklärbaren Vorahnung. Aus der Ferne erklingt ein Trompetenmotiv. In der Kombination mit der darunter
liegenden ruhig stehenden Basslinie mutet die Einleitung als eindringliche Mahnung an, als Ermutigung, dass der Lauf der Geschichte noch verändert werden könnte. Doch die Mahnung
bleibt unerhört. Gnadenlos verkünden die tiefen Register des Orchesters, dass die diabolischen Kräfte des herrschenden Zeitgeistes sich nicht mehr aufhalten lassen.
2. Satz: Leben
Der zweite Teil des Werkes widmet sich dem Leben der 1930er Jahre in Olpe. Der Fokus richtet sich auf die beschauliche kleine Stadt, umgeben von der romantischen Landschaft des Sauerlandes. Es herrscht reges Treiben. Menschen begegnen sich. Die Atmosphäre wird durch Fröhlichkeit bestimmt. Auf den Schützenfesten und im Karneval wird gelacht und getanzt. Ein Capriccio der Glücksgefühle. Die Olper Bevölkerung liebt auch ihre kirchlichen Hochfeste. Ein prächtiger Bläsersatz kündet von der ehrfürchtigen Atmosphäre in den Gotteshäusern. Doch allmählich schwindet das unbefangene Leben. Immer weiter frisst sich der Einfluss der Nationalsozialisten in die Stadtgesellschaft. Wieder ist eine ferne Trompete als eindringliche Mahnung zu hören.
Im Januar 1933 übernahmen die Nazis die Macht.
Ein fanfarenartiges Motiv kündigt den Wandel an. Aufregung, Durcheinander, Chaos. Gewohnte Strukturen lösen sich auf. Die menschenverachtende Ideologie der Nazis vergiftet nach und nach alles, was bis dahin so liebens- und lebenswert war. Ein gefühlskaltes Marschmotiv, zunächst laut polternd, dann subito leise, wie auf Zehenspitzen, zeigt, wie perfide der Wandel um sich greift. Das Regime schleicht sich in arglistiger Art und Weise in die Gesellschaft ein. Symbolisiert durch einen Marsch, der immer drohender und stärker wird, bis er schließlich in das widerlich hämische Gelächter der Nazischergen übergeht.
Im November 1938 wurden auch in Olpe jüdische Bürgerinnen und Bürger vertrieben und verschleppt. Deren Hab und Gut wurde zerstört.
Sofort folgt der fatale, kollektive Schulterschluss. Nicht alle, aber viele Menschen verschließen die Augen vor den Geschehnissen, wollen nichts gesehen und bemerkt haben. Vermeintliche, trügerische Normalität setzt ein. Die Menschen versuchen, ihr unbefangenes Leben zu wahren. Doch das kann nicht mehr gelingen. Das lebensfrohe Capriccio wird durch eine Folge düsterer Akkordeinschübe getrübt. Die Risse in der Gesellschaft sind auch in der Komposition deutlich hörbar.
Einige Monate später, nach vielen menschenverachtenden Ereignissen, bricht der Zweite Weltkrieg aus.
Wir springen zeitlich zum Vorabend des katastrophalen Bombenangriffs. Ein letzter lyrischer Moment. Eine Mutter bringt ihr verängstigtes Kind zu Bett und erzählt ihm eine beruhigende Gutenachtgeschichte. Die düstere Vorahnung schwebt im Hintergrund.
3. Satz: Katastrophe
Der Angriff vom 28. März 1945
Die Sirene warnt die Menschen, jedoch nicht laut und schrill, sondern leise und dunkel im Hintergrund. Eindringlich im Hintergrund, als wolle sie die Menschen umso flehentlicher warnen. Doch der Alarm kommt spät, zu spät. Viele schaffen es nicht mehr in die Schutzräume. Unmittelbar nach der Alarmierung, schlagen die ersten Bomben ein. Die nächsten 13 Minuten werden zur Ewigkeit. Die Menschen in den Bunkern versuchen, sich Mut zu machen und singen den Choral »Maria, breit´ den Mantel aus«. Motivsegmente dieser Melodie, wie schon im anfänglichen Adagio vom Klavier gespielt, tauchen im Werk immer wieder auf. Verborgen färbend als durchschimmernde Tonfolge, oder, als kurz aufblitzendes Bruchstück.
Die Komposition verzichtet bewusst darauf, den Einschlag der Bomben und Geschosse, das Bersten der Mauern, die wild lodernden Feuer oder die Angstschreie der Menschen tonmalerisch abzubilden. Stattdessen möchte sie beschreiben, was sich im Inneren der Menschen abgespielt haben mag. Sie wählt dazu Strukturmerkmale eines Tanzes, eines verstörenden Tanzes, eines Todestanzes. Panik, Fassungslosigkeit, Todesangst lähmt die Menschen. Rationales Handeln ist kaum noch möglich. Die Gedankenwelt verliert ihre Ordnung und löst sich ins emotionale Chaos auf. Endlich, der Angriff ebbt ab. Ruhe, trügerische Ruhe. Schon nach kurzer Zeit kommen die Flieger zurück. Alles beginnt von vorne. Erneut setzt Todesangst ein und treibt die Menschen in Gefühlswelten, über die Grenzen des Vorstellbaren hinaus.
4. Satz: Trauma
Der Angriff ist vorbei. Entwarnung. Stille. Eine Stille, in der sich sofort und unmittelbar Traumen ausbilden, ausgelöst durch die vergangenen 13 Minuten. Die Stille wird im Werk nun nachspürbar, gar hörbar gemacht, abseits aller bisherigen Klangbilder.
»Ich empfand es in diesem Abschnitt als notwendig, die klassische, konventionelle Tonsprache zu verlassen, um den Kontrast zum ersten Teil möglichst groß gestalten zu können. Gerade hier möchte ich die Hörer in eine völlig andere Klangwelt entführen, die in Gänze losgelöst ist von Parametern wie Struktur und Metrik. Natürlich mit dem Ziel, wiederum eine neue Emotionsebene anzustoßen. Ich habe mich dazu entschieden, verschiedene Perkussions-Instrumente mit Gongreibern spielen zu lassen.
Die Notation konnte hier nicht in klassischer Art und Weise erfolgen, da der von mir gewünschte Klang durch fortwährende, kontinuierliche Bewegungen erzeugt werden muss. Die Notation musste also aleatorisch, respektive grafisch, erfolgen. Die Musiker können hier innerhalb bestimmter Vorgaben frei agieren. In Hinblick auf die Thematik des Abschnitts empfand ich es durchaus passend, als Komponist ein wenig Kontrolle über die Musik abzugeben. Raum zu lassen für den Moment. Raum zu lassen, um bewusst die ansonsten so klare Trennung aufzuheben, die traditionell zwischen dem Komponisten, dem Interpreten und den Zuhörern herrscht.«
Wie in Trance bewegen die Menschen sich durch die Straßen. Fassungslos und innerlich noch benommen sehen sie die Toten und Verletzten auf den Straßen und in den brennenden Hausruinen. Angehörige, Freunde, Nachbarn, Bekannte. Traumatische Eindrücke, die die Überlebenden unweigerlich durch ihr gesamtes weiteres Leben begleiten werden.
Selbstzweifel keimen auf. Warum wurden die Mahnungen der Vergangenheit, hier wieder symbolisiert durch die Trompete aus der Ferne, ignoriert? Erinnerungsfetzen an glückliche Tage und Ereignisse flackern auf, und verschwinden sofort wieder. Die Menschen realisieren, dass ab jetzt nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.
5. Satz: Adagio
Der fünfte Teil des Werkes reflektiert die Ereignisse aus zeitlich distanzierter Ebene. Die Musik führt uns, mit heutigentags wieder vertrauteren Klängen, in die Gegenwart zurück. Nachfolgende Generationen mögen sich definitiv angesprochen fühlen. Aussagen von Zeitzeugen, gesprochen von mehreren Protagonisten, ergänzen hier nun die Musik. Eine eindeutige und unmissverständliche Botschaft an uns alle: Eine solche Katastrophe darf sich niemals wiederholen.
Final erklingt das eindringliche Plädoyer des damaligen Olper Pastors Franz Menke: »Dieser Tag darf nicht in Vergessenheit geraten. Er muss uns ein Tag wehmütigen Gedenkens, ein Tag ernster, heilsamer Besinnung sein und bleiben bis in die fernsten Zeiten«. Seine Worte sind ruhig unterlegt mit aufsteigenden Dur- und Moll-Akkorden. Sie klingen einerseits dunkel, strahlen andererseits aber auch Zuversicht aus. Die Klänge haben bewusst keinen tonalen Zusammenhang zum davor gehörten. Sie sind klingendes Sinnbild einer Transformation.
Der leise und dissonante Schlussakkord mahnt, dass Erinnerungen und Lehren ständig im Bewusstsein wachgehalten werden müssen. Danach Stille. Eine finale Aussage der Komposition, die nicht sorglos beruhigen möchte. Es liegt an uns allen auf die vornehmsten Ideale der Menschheit zu schauen und sie zu achten. Frieden, Freiheit und Menschenwürde.
Eine ganze Region am Start
Da ist nicht nur ein Komponist, der Informationen, Rückhalt und Mut suchte und sich dann intensiv eingearbeitet hatte. Zu diesem Thema ließ sich, quer durch alle Generationen, eine breit aufgestellte Olper Zivilgesellschaft aktivieren und interessieren. Nicht nur im Sinne eines reinen Gedenkens zum Abschluss des Projektes, sondern auch schon im Vorfeld mit vorbereitenden, stützenden und zutragenden Schritten, die ein Zustandekommen eines kreativen Entstehungsprozesses erst ermöglichten.
Da ist Michael Ohm, langjähriger Vorsitzender des Musikzuges der Freiwilligen Feuerwehr Olpe und langjähriger Leiter des Kulturamtes der Stadt Olpe. Mittlerweile befindet er sich im Ruhestand. Er engagiert sich heute als Ehrenvorsitzender und Archivar und war und ist ständiger Begleiter.
Da ist ein Stadtarchiv, dass offen und umfassend einen guten Zugang zu den Zeitdokumenten ermöglichte und half, die für die Gesamtproduktion benötigten Exponate angemessen präsentieren zu können.
Da ist ein im Altersdurchschnitt doch recht junges Orchester. Beeindruckend, was sowohl musikalisch, als auch emotional hier geleistet wurde. Gespräche mit Musikerinnen und Musikern, quer durch alle Altersstufen, belegen auch hier einen enormen identitätsstiftenden Prozess. Zunächst, bei beginnender Probenarbeit, ohne Frage mit zögerlicher Unsicherheit, die aber schnell wechselte zu innerlicher Bewegtheit und gipfelte in höchster Konzentration und Identifikation in der Konzertsituation.
Und da ist ein Publikum, Menschen »wie du und ich«, die mit Spannung darauf warteten, was da denn nun auf sie so zukommen würde. Sie wurden mit einem Werk konfrontiert, dass zunächst schon rein zeitlich knapp 30 fordernde Minuten beansprucht und in der Tonsprache definitiv nicht von der Stange ist.
Fazit
»Mir war es grundsätzlich sehr wichtig, die »Täter-Opfer-Frage« nicht zu stellen, kein »Statement« zu setzen, sondern zu erzählen und zu beschreiben. Ohne Wertung. Das Stück endet dementsprechend. Es entlässt den Hörer in Stille. Es gibt keine abschließende Aussage oder gar »Absolution«, sondern überlässt den Hörer sich selbst«, so Alexander Reuber mit einem zusammenfassenden Rückblick.
Kunst und Musik sind, ob wir sie bewusst wahrnehmen oder auch nicht, omnipräsent in unserem täglichen Leben. Kunst und Musik bilden sich dabei aber sicher nicht ein, gar das Weltgeschehen prioritär beeinflussen zu können. Zugegeben, sie werden besonders bewusst mit herangezogen, wenn es gilt zu reflektieren. Die Palette der Aufgabenstellungen reicht dabei ganz allgemein vom rein funktionalen Ornat bis hin zum künstlerischen Situationskommentar.
Was aber immer von Kunst und Musik erwartet und gewünscht wird, und was in der Realität definitiv auch immer stattfindet, das ist eine emotionale Berührung, eine Stimmungsintensivierung, die häufig mehr als nur rein atmosphärische Wirkungen erzeugt. Musik fasst an, sie macht nachdenklich, traurig, sie tröstet und sie kann auch euphorisch stimmen. Nein, sie liefert keine Sachargumente. Sie setzt aber Impulse, um Problematisches ggf. weitreichender einordnen zu können. Vielleicht wäre es übrigens auch mal ein guter Hinweis an Entscheidungsträger, sich vor Entscheidungsfindungen einen Rat bei Kunst und Musik einzuholen. Hier könnten, nicht nur im Sinne von »reflexiv nachgedacht«, hier könnten gar, im Sinne von »perspektivisch vorausgedacht« wertvolle Impulse hilfreich werden.

Hören & Sehen
- Die Uraufführung vom 26. März 2023 in der St.-Martinus-Kirche in Olpe kann man via YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=QE7LSZHteJU&t=49s) sehen und hören.
- Das Werk wird am Wochenende 29. / 30. März 2025, aufgrund der großen Resonanz, in Olpe erneut aufgeführt.