Orchestra | Von Stefan Kollmann

20 Tipps für eine solide, permanent bessere Klangentwicklung

Eines der wahrscheinlich bekanntesten Zitate des unvergessenen Stardirigenten Herbert von Karajan lautet: „Orchester haben keinen eigenen Klang; den macht der Dirigent.“ Deshalb ist es so wichtig, dass Dirigenten sich permanent um den Klang beziehungsweise um dessen Verbesserung und Entwicklung kümmern und daran arbeiten. Eine permanente „Klangarbeit“ ist nicht nur möglich, sondern sie ist auch die notwendige Grundlage für eine erfolgreiche Orchesterarbeit und letztlich auch die Basis für die Entwicklung einer guten Klangvorstellung aller Orchestermusiker. 

Klangstärke, Klangteppich, Klangideal, Klangvielfalt, Klangwelten, Klangschulung, Klangfarben, Klangausgleich etc. – Nikolaus Harnoncourt sprach sogar von „Klangrede“. All diese Begriffe zeigen die Bedeutung und das Spektrum eines optimalen Orchesterklangs sowie die Notwendigkeit, dass Dirigenten sich diesem umfangreichen Thema permanent stellen. Hinzu kommen selbstverständlich auch die Aspekte der Sitz­ordnung und des Raumklangs.

Natürlich sind ­diese „20 Tipps“ nicht vollständig, sie können aber zumindest dazu anregen, sich erneut oder weiterhin mit diesem wichtigen und äußerst spannenden Thema motiviert zu beschäftigen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass bereits diese Tipps helfen können, den Klang eines Orchesters zu verbessern.

Balance

  1. Das Blech (oftmals besonders die Trompetengruppe beziehungsweise die Flügelhörner und Kornette) soll, bildlich formuliert, wie hinter einem dünnen Vorhang spielen. Kontrollieren Sie den Klangausgleich.
  2. In Tuttipassagen sollten Blech und Schlagzeug besser eher »meno forte« spielen, wobei das Schlagzeug fast immer eine Klangergänzung zum restlichen Orchester sein soll oder eine ­Verzierung, idealerweise ein sensibler Verstärker (siehe Hören, Punkt 3).
  3. Die Mittel- und Bassstimmen (Tuba und tiefes Holz) sollten mit den Klarinetten den Klang und die Balance bestimmen. Deshalb müssen diese Stimmen (besonders die Bassstimmen) die treibende Kraft im Orchester sein.
  4. Die tiefen Stimmen in den einzelnen Registern sollten für eine gute Balance zahlenmäßig überlegen sein. Sorgen Sie für diese Aus­ge­wogenheit!
  5. Achten Sie darauf, den ganzen Raum mit großem Klang zu füllen, insbesondere mit obertonreichen Akkorden und guter Intonation. Kontrollieren Sie dabei auch die Verteilung der Akkordtöne, damit ausgewogen Grundtöne, Terzen etc. vorhanden sind und ein ausbalancierter Klang entstehen kann.

„Die Tuba ist eines der obertonreichsten Blasinstrumente. Auf ihr müssen Klang, Balance und Intonation aufgebaut werden!“

Thomas Doss

Atmung

  1. Geben Sie in jeder Probe Hinweise für die Verbesserung der Atmung; fordern und fördern Sie gemeinsames oder organisiertes Atmen.
  2. Weisen Sie darauf hin, dass die Luft den Ton trägt. Deshalb sollen die Musiker versuchen, mit einem möglichst üppigen Luftpolster (siehe Artikulation, Punkt 3) zu spielen.
  3. Achten Sie darauf, dass intensiv und gut abgestützt geatmet wird, aber ohne Verkrampfungen oder Einengungen.
  4. Helfen Sie, auf eine gute Haltung und offene Atmung zu achten, damit sich ein guter Klang entwickeln kann.
  5. Intensivieren Sie die Beachtung einer ausgereiften, phrasenorientierten Atmung und motivieren Sie zu einem kontrollierten und effizienten Luftverbrauch.

„Je ausgeglichener der Luftstrom beim Spielen eines Tones fließt, desto deutlicher hört man die Teil- und Obertöne.“

Thomas Doss

Artikulation

  1. Die Artikulation sollte sehr weich, auf Luftpolster aufgebaut, mit wenig oder manchmal keiner Zunge, insgesamt eher breit ausgeführt sein.
  2. Beachten Sie, dass keine zusätzlichen Be­tonungen gespielt werden und im Holzregister fast durchweg weich und rund (zum Beispiel den Streicherklang imitierend) artikuliert wird.
  3. Motivieren Sie ihre Musiker dazu, die Ab­schluss­töne immer mit viel Klang und federnd zu spielen (siehe Atmung, Punkt 2 „Luftpolster“). Staccato-Anweisungen sind eher durch Portato zu ­ersetzen, um quasi wie ein „Orchesterpedal“ einen Nachklang zu erzeugen, ähnlich einer ungedämpften Pauke, bei der ein Nachklang mit natürlichem Decrescendo entsteht.
  4. Regen Sie dazu an, darauf zu achten, dass bei unterschiedlicher Stilistik auch unterschiedlich artikuliert wird.
  5. Achten Sie, beispielsweise bei der Melodiegestaltung, auf eine Ausgewogenheit der je­wei­ligen Register bezüglich Artikulation, Vibrato und der Spielweise.

„Die Register müssen die Klänge und Klangfarben voneinander übernehmen und dabei auf die Balance achten.“

Sergiu Celibidache

Hören

  1. Die einzelnen Register müssen lernen, auf­einander zu hören! Hinhören und reagieren, das macht den Orchesterklang aus!
  2. Achten Sie intensiv auf die Mischklänge, damit alle Klangfarben wahrgenommen werden können und der Klang immer moduliert und abwechslungsreich gestaltet werden kann.
  3. Gestalten Sie ein Orchestercrescendo bzw. ein Orchesterdecrescendo immer kontrolliert und motivieren Sie Ihre Musiker zum genauen Hinhören. Bei einem Orchestercrescendo beispielsweise hört man bei einer Unterbesetzung des Holzregisters ab Mezzoforte oftmals nicht mehr viel vom Holzbläserklang. Deshalb gilt als Orientierung: Erst wenn das Holz in seinem tragfähigen Forte angelangt ist, sollte das Blech (und Schlagzeug) das Crescendo übernehmen, um gemeinsam mit dem Holz ein ausgewogenes, optimal ausbalanciertes Orchestercrescendo zu gestalten. Tragen Sie durch permanentes Training dazu bei, hier eine neue, ausgewogene Klangqualität entstehen zu lassen.
  4. Kontrollieren Sie immer, was in der Partitur Hauptsache und Nebensache ist und helfen Sie den Musikern, das zu hören. Besser ist es, die einzelnen Stimmen »flirten« miteinander als untereinander zu konkurrieren. Erklären Sie, an welcher Stelle es in der Partitur musikalisch zusammenhängende und bedeutende Querverbindungen, Schattierungen, Andeutungen, Imitationen, Echowirkungen etc. (in den einzelnen Stimmen beziehungsweise Registern) gibt. Suchen Sie ­danach und helfen Sie den Musikern, diese und andere wichtige Details hörend zu ent­decken. Beachten Sie dabei auch, dass zum ­Beispiel dynamische Abstufungen oft abhängig von der Satzfolge eines Stücks sein können (ein Forte im ersten Satz muss nicht die gleiche Intensität im zweiten oder dritten Satz haben).
  5. Achten Sie auf gute Literatur für Ihre Holzbläsergruppe, insbesondere für die Klarinetten. Je besser und leichter sie in ihren guten Tonlagen spielen können, desto entspannter und steuer­barer wird ihr Klang und umso besser ihre Intonation.

„…bis an den Rand des Kraters müssen wir gehen! Die totale Hingabe eines jeden Einzelnen macht den Unterschied für eine wirklich gute Aufführung!“

Nicolaus Harnoncourt

Stefan Kollmann

Kollmann Klang

studierte Orchestermusik im Hauptfach Posaune (Nebenfach Gi­tarre) an der Musikhochschule des Saarlandes mit dem Abschluss „Diplom-Orchestermusiker“ und Dirigat für Blasorchester am ­Conservatoire de Muziek in Maastricht bei Sef Pijpers, ergänzt durch Privatstudien bei Alex Schillings. In seiner Tätigkeit als Dirigent verschiedener Orchester konnte er hervorragende Erfolge bei Wettbewerben (unter anderem Deutscher Or­chesterwettbewerb, Welt-Jugend-Musik-Festival ­Zürich, WMC Kerkrade, Deutscher Auswahlorchester-Wettbewerb etc.) erzielen. Stefan Kollmann ist Chefdirigent des SJBO Karlsruhe und der Eifelphilharmonie. Dabei verfolgt er stets das Ziel, „die Freude an der Musik mit pädagogischer Fantasie intensiv und nachhaltig zu vermitteln“.  Von 1991 bis 1997 war Stefan Kollmann Bundesdirigent im Bund Saarländischer Musikvereine (BSM) und insbesondere verantwortlich für die Ausbildung der Nachwuchsdirigenten beziehungsweise für die Organisation und Durchführung der Wertungsspiele. Mittlerweile ist er beratendes Mitglied im Musikbeirat des BSM und als Dozent beziehungsweise Mentor bei den C-Lehrgängen aktiv.