Orchestra | Von Manuel Epli

33 Tipps für die Probenarbeit (1)

Probenarbeit
Wenn der Taktstock oben ist, gibt es keine Ansage mehr (Foto: stokkete – stock.adobe.com

Ein Dirigent wird mit dem Alter immer besser, sagt man. Erfahrung macht da einiges aus. Doch natürlich gibt es trotzdem zahl­reiche Tipps und Tricks, wie man seine Probenarbeit verbessern beziehungsweise effektiver gestalten kann und welche Faktoren ein Miteinander erleichtern. „Aus der Praxis und für die Praxis“ nennt der Dirigent Ma­nuel Epli seinen Ansatz. Im Sommer 2019 fand bereits sein viertes Seminar zum Thema „Probenmethodik und Orchesterführung“ statt. Epli hat die wichtigsten Inhalte zusammengefasst. 

Dieser Artikel gliedert sich in drei Teile, Teil 1 behandelt die Tipps 1 bis 11. Die Tipps 12 bis 22 folgen, die Tipps 23 bis 33 ebenso.

1. Spiele das Werk nicht immer von vorne

Viele Dirigenten machen den Fehler, dass sie ein Werk immer wieder von vorne anfangen zu proben. Wenn das Werk beispielsweise fünf Abschnitte hat, sieht das Ergebnis oft so aus:

  • Abschnitt 1: zu 100 Prozent erarbeitet
  • Abschnitt 2: zu 90 Prozent erarbeitet
  • Abschnitt 3: zu 75 Prozent erarbeitet
  • Abschnitt 4: zu 50 Prozent erarbeitet
  • Abschnitt 5: zu 20 Prozent erarbeitet

Mache also nicht den Fehler und starte immer wieder von vorne, sondern starte bei der Erarbeitung auch mal in der Mitte des Werks oder probe vom Schluss aus in Richtung Anfang. Diese Methode macht dein Orchester nicht nur flexibel, sondern du stellst damit auch noch sicher, dass du die vorhandene Probenzeit gleichmäßig auf alle Abschnitte verteilst und kein Abschnitt zu wenig erarbeitet wird.

2. Langweile das Orchester nicht mit Einspielübungen

Als Jugendlicher habe ich viel in anderen Orchestern ausgeholfen. In 95 Prozent dieser Orchester gab es das Ritual des gemeinsamen Einspielens. In all diesen Orchestern sind immer Musiker zu spät gekommen. Wenn ich den Dirigenten nach deren Gründe für das verspätete ­Erscheinen in der Probe gefragt habe, gab es als Antwort immer: „Die müssen länger arbeiten.“ Wenn ich die zu spät gekommenen Musiker gefragt habe, war die Antwort fast immer: „Wir haben keine Lust auf diese langweiligen Einspielübungen.“

Einspielübungen sind weder aus fachlicher Perspektive noch zur Steigerung der Motivation sinnvoll – die Musiker wollen schließlich Musik machen, wenn sie in die Probe kommen. Sie wollen gute Stücke spielen und dabei etwas lernen. Ich habe noch nichts gefunden, was man dem Orchester nicht anhand eines Stücks vermitteln könnte und wozu man eine Einspielübung bräuchte. Also: Klingend B-Dur hoch und runter kannst du einmotten, das neue Choralheft auch. Dein Orchester wird dadurch keinen Zacken besser. Die Musiker sollen sich mit individuellen Einspielübungen einblasen und dann geht es pünktlich mit einem coolen Stück los. Fertig.

3. In jeder Probe muss jeder Satz mindestens einmal alleine gespielt haben

Feedback ist das Frühstück der Champions. Um sich weiterentwickeln zu können, brauchen deine Musiker regelmäßiges und fundiertes Feedback. Arbeite mit deinem Orchester so, dass ­jeder Satz in jeder Probe mindestens einmal ­alleine gespielt hat. Wenn du deine Partitur gut vorbereitet hast, ist es leicht eine Stelle auszuwählen, die zum Beispiel für die Trompeten besonders interessant ist. 

Mache nicht den Fehler, mit deinem Orchester nur im Tutti zu arbeiten. Musiker lieben das Tutti, sie können sich darin hervorragend ver­stecken. Wenn du mit deinem Orchester auf der Satz­ebene probst, wirst du Dinge hören, die du im Tutti niemals wahrgenommen hättest. Darum lieben wir Dirigenten die temporäre Reduktion der Besetzung in einer Probe. Erfolgreiche Dirigenten arbeiten mit ihren Orchestern sehr kammermusikalisch und richten daher in jeder Probe mindestens einmal den Fokus auf jeden Satz.

4. Kombiniere die verschiedenen Probenarten

Das Geheimnis einer erfolgreichen Vorbereitung auf ein Konzert liegt in der sinnvollen Kombination der verschiedenen Probenarten. Viele Dirigenten arbeiten nur mit Tutti-Proben. Daneben gibt es aber noch Register-, Satz-, Stimm- und Einzelproben. Die Einzelproben finden zu Hause statt und dienen dazu, dass jeder Musiker den Notentext so sicher beherrscht, dass eine darauf aufbauende Probenart mit anderen Musikern überhaupt sinnvoll ist (Probe ≠ gemeinschaft­liches Üben der Technik bzw. Suchen der richtigen Töne). Danach schließen sich Stimmproben an (zum Beispiel in großen Sätzen wie den Klarinetten). Ich habe mit meinem Orchester jahrelang sehr erfolgreich mit dem folgenden System gearbeitet:

5. Finde sinnvolle Einstiege

Achte darauf, dass du an sinnvollen Stellen aus- und einsteigst. Brich nicht mitten in einer ­Phrase ab, sondern an ihrem Ende. Plat­ziere dann deine Korrekturanweisung und wähle auch wieder eine sinnvolle Stelle für den Wiedereinstieg. Dafür bietet sich der Beginn einer Phrase oder eines neuen Abschnitts an. Basis dafür ist eine gute Analyse der Form. Ich arbeite seit vielen Jahren nach dem Prinzip der Taktgruppenanalyse von Hans Swarowsky, dem langjährigen Professor für Dirigieren an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Wenn du deine ­Partitur so vorbereitest, findest du immer gute Aus- und Einstiegspunkte.

6. Sprich klar, deutlich und laut

Es geht beim Proben nicht nur um das, was du sagst, sondern natürlich auch darum, dass die Ansage beim Orchester akustisch ankommt. ­Dirigenten unterschätzen gerne die Distanz zwischen dem Pult und der letzten Reihe im Schlagwerk. Du kannst ein ruhiger Typ sein – das ist völlig in Ordnung. Wenn du vor dem Orchester stehst, musst du aber in eine andere Rolle schlüpfen und klar, deutlich sowie ausreichend laut sprechen. Oft reicht es schon, den Mund „richtig aufzumachen“ und nicht mit der Partitur zu sprechen.

7. Rede so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich

Gute Dirigenten sind wortkarg. Musiker gehen nicht in eine Probe, weil sie eine Geschichte hören wollen. Es soll ja tatsächlich Dirigenten geben, die vor der Erarbeitung eines neuen Werks beginnen, zuerst einmal einen 15- minütigen Vortrag über dessen Entstehungsgeschichte zu halten. Musiker wollen Musik machen und spielen. Darum: Rede in Proben so wenig wie möglich! Ich arbeite seit vielen Jahren mit Gegensatzpaaren: zu hoch oder zu tief, zu früh oder zu spät, zu schnell oder zu langsam, zu breit oder zu kurz usw. Man kann damit sehr schnell ­vieles auf den Punkt bringen und in jedem Fall 90 Prozent des ­Inhalts einer Probe transportieren – für die restlichen 10 Prozent kann es sein, dass du andere Konzepte brauchst. Vermeide es, zu viel und zu lange zu reden. In der Kürze liegt die Würze.

8. Führe Rituale ein

Menschen suchen Orientierung und Halt – dies gilt natürlich auch für Musiker. Rituale sind hier sehr wichtig, da sie Struktur und Ruhe im Arbeitsprozess schaffen. 

Ein Beispiel: Konditioniere dein Orchester zum Beispiel darauf, dass es losgeht, wenn der Taktstock oben ist. Wie schaffst du das?

  • Wenn der Taktstock oben ist, gibt es keine Ansage mehr.
  • Fange sofort an, wenn der Taktstock oben ist.

Wenn du das konsequent machst, werden deine Musiker innerhalb kürzester Zeit lernen, dass sie bereit sein müssen, wenn der Taktstock oben ist.

9. Halte dich an Absprachen

Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn die Probe nach dem Probenplan um 22 Uhr aufhört, ist um 22 Uhr auch Schluss. Nicht um 22.05 Uhr, um 22.10 Uhr oder um 22.15 Uhr, sondern pünktlich um 22 Uhr. Wenn du fünf Minuten früher fertig bist, ist das kein Problem. Nur eben nicht später. Wenn wir von unseren Musikern Verlässlichkeit haben wollen, dann müssen wir diese Eigenschaft auch selbst vorleben.

10. Verinnerliche den Dreiklang des Erfolgs: Kennen, Können und Tun

Ein Beispiel: Es nutzt nichts, zu wissen, dass es Standardsituationen der Orchesterschulung gibt. Du musst die Standardsituationen auch auswendig beherrschen, damit du in der Probe sicher mit ihnen arbeiten und dein Orchester effektiv voranbringen kannst. Der finale Schritt zum Erfolg besteht dann darin, dass du in der Probe auch mit den Standardsituationen arbeitest.

11. Definiere deine persönliche rote Linie

Was passiert, wenn du einen Musiker das erste Mal am Handy erwischst? Was passiert, wenn er das zweite Mal am Handy ist? Mein Tipp ist: Überlege dir für diese und ähnliche Situationen im Vorfeld, wie du handeln kannst und definiere für dich deine eigene „rote Linie“. Hier gibt es kein „richtig“ oder „falsch“ – wichtig ist nur, das du für dich selbst Klarheit schaffst und dann auch konsequent handelst.

Hier geht es zu Teil 2 und Teil 3.

Manuel Epli studierte Dirigieren am Vorarlberger Landeskonservatorium sowie an der Kunst- und Musikhoch­schule von Arnheim, Enschede und Zwolle (Niederlande). In Salzburg schloss er sein Dirigierstudium mit dem Master of Arts ab.  

Bis vor kurzem war Manuel Epli musi­kalischer Leiter der Bläserphil­harmonie der Stadt Blaustein. Er unterrichtet ­heute als Studienrat an der Friedrich-List-Schule Ulm.

manuelepli.de