Brass | Von Klaus Härtel

50 Jahre German Brass

German Brass
Foto: Gregor Hohenberg

Helmut Schmidt ist Bundeskanzler, Richard Nixon US-Präsident, ABBA singen mit “Waterloo” den Hit des Jahres und der 13-jährige Uwe Füssel, der gerade angefangen hat Posaune zu lernen, hört in Berlin das allererste Konzert des Deutschen Blechbläserquintetts. Es ist das Jahr 1974. 50 Jahre später spielt Uwe Füssel immer noch Posaune. Auch bei German Brass – unter diesem Namen ist das Ensemble, das er damals als Teenager hörte, heute weltweit bekannt. 

Das Jubiläum von German Brass markiert ein beeindruckendes halbes Jahrhundert künstlerischer Exzellenz in der Welt der Blechbläserensembles. Seit seiner Gründung vor 50 Jahren ist das Ensemble zu einem Aushängeschild der deutschen und internationalen Musikszene geworden. Mit seinem unverwechselbaren Klang, seiner Fähigkeit, die Grenzen des klassischen und modernen Repertoires zu überschreiten, und seiner außergewöhnlichen Bühnenpräsenz hat German Brass nicht nur die Herzen der Musikwelt erobert, sondern auch Generationen von Musikern inspiriert.

Die Erfolgsgeschichte von German Brass ist nicht nur ein Zeugnis der künstlerischen Leistungen, sondern auch der Beständigkeit und der besonderen Dynamik, die zwischen den Mitgliedern des Ensembles herrscht. Der Spaß am Musizieren, die tief verwurzelte Freundschaft und die unbedingte künstlerische Unabhängigkeit sind die Fundamente, auf denen das Ensemble aufgebaut ist. In einem Interview mit Wolfgang Gaag, Uwe Füssel und Stefan Ambrosius sprechen sie über die Anfänge, die Herausforderungen, denen sie sich stellen mussten und die Höhen und Tiefen, die sie gemeinsam erlebt haben. Dabei wird deutlich, dass es in erster Linie die gemeinsame Leidenschaft für die Musik ist, die German Brass zu dem gemacht hat, was es heute ist: ein musikalisches Phänomen.

Die Anfänge und der Spirit der Gründung

Die Geschichte von German Brass beginnt bescheiden, aber mit einem klaren Ziel vor Augen: Spaß an der Musik und die Freude am gemein­samen Musizieren. Ursprünglich als Quintett gegründet, war das Ensemble zunächst nicht auf langfristigen Erfolg ausgelegt. »Es war einfach Spaß, zusammen Musik zu machen«, erinnert sich Wolfgang Gaag. Die ersten Auftritte fanden in kleinen Kirchen und auf weniger glamourösen Bühnen statt, doch bereits bei einem der frühen Konzerte zeigte sich das Potenzial des Ensembles. Das Publikum reagierte begeistert, und die Musiker erkannten, dass sie etwas Besonderes geschaffen hatten.

Dass Kammermusik für Blechbläser erst erfunden werden musste, kann man sich nach einem halben Jahrhundert German Brass kaum noch vorstellen. Tatsächlich aber sind es die Musiker des Geman Brass-Gründungsensembles »Deutsches Blechbläserquintett«, die sich 1974 – zunächst noch zu fünft und nach britischem Vorbild von Philip Jones – als Pioniere dieses musikalische Terrain erobern und den Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte schreiben.

Erweiterung auf zehn Musiker vor 40 Jahren

Mit der legendären Bachplatte im Jahr 1985 wird die Besetzung auf zehn Musiker erweitert – und German Brass in dieser Besetzung mit seinem einzigartigen Klangideal zum Erfolgsmodell geformt. Als German Brass schon 25 Jahre lang national und international wie kein zweites Brass-Ensemble konzertiert und Kritiker wie Publikum begeistert, beschreibt Gründungsmitglied und ehemaliger Mitspieler Enrique Crespo die von Beginn an zugrunde liegende Ästhetik des Ensembles: »Unserer Instrumente sollten weich klingen, sie sollten voll klingen, und das war natürlich mein Bestreben, German Brass in Richtung Orgel zu bewegen.«

Die ersten Erfolge waren der Anstoß, das Projekt ernsthafter zu verfolgen. Allerdings blieb das grundlegende Ziel immer das gleiche: Es sollte nicht um Ruhm oder kommerziellen Erfolg gehen, sondern um die Freude am Musizieren. »Der Spaß war und ist bis heute das Herzstück unserer Arbeit«, betont Tubist Stefan Ambrosius. Diese Philosophie hat German Brass über die Jahrzehnte begleitet und ihnen ermöglicht, mit Leichtigkeit und Begeisterung neue musikalische Herausforderungen anzugehen.

Unabhängigkeit als Schlüssel zum Erfolg

Ein entscheidender Faktor für die Langlebigkeit und den kontinuierlichen Erfolg von German Brass ist die bewusste Entscheidung, ihre künstlerische Unabhängigkeit zu wahren. Von Anfang an haben die Musiker den Druck vermieden, sich kommerziellen Zwängen zu unterwerfen oder sich dem Musikmarkt anzupassen. Sie wollten ihre eigenen künstlerischen Entscheidungen treffen, frei von äußeren Einflüssen und Vor­gaben.

Diese Unabhängigkeit ermöglicht es ihnen, Programme und Projekte auszuwählen, die sie wirklich interessierten. »Es war eine bewusste Entscheidung, nicht jedes Konzert annehmen zu müssen«, erklärt Ambrosius. Durch diese künstlerische Freiheit können sie Konflikte und Spannungen vermeiden, die entstehen könnten, wenn finanzielle oder kommerzielle Zwänge im Vordergrund stünden. »Das war eine gute Voraussetzung, um zusammenzubleiben«, fügt Uwe Füssel hinzu. Diese Entscheidung für Unabhängigkeit hat sich als weise erwiesen, denn sie ermöglichte es dem Ensemble, sich über die Jahre hinweg treu zu bleiben und künstlerisch weiterzuent­wickeln.

Das Gleichgewicht zwischen Hauptberuf und Ensemble

Eine weitere besondere Herausforderung für die Mitglieder von German Brass war die Entscheidung, das Ensemble nicht zu ihrem Hauptberuf zu machen. Die Musiker sind gleichzeitig als Orchestermusiker, Solisten oder Professoren an Musikhochschulen tätig. Diese Doppelbelastung bringt auch heute noch natürlich einige Schwierigkeiten mit sich, insbesondere was die Zeitplanung und die Koordination der Termine betrifft. Dennoch war es eine bewusste Entscheidung, die es German Brass ermöglichte, die Freude am Musizieren aufrechtzuerhalten.

»Wir haben keine schlechten Jobs, und hätten wir alles aufgegeben, wäre der Druck größer geworden«, denkt Füssel. Durch die Berufe außerhalb des Ensembles können die Musiker ihre finanzielle Unabhängigkeit bewahren und den Spaß an German Brass aufrechterhalten, ohne den Druck, das Ensemble als Haupteinnahmequelle betrachten zu müssen. Diese Balance ermöglicht es, sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren und das Ensemble als einen Ort der künstlerischen Freiheit und des persönlichen Ausdrucks zu erleben.

Die Dynamik innerhalb des Ensembles

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die besondere Dynamik innerhalb des Ensembles. Die Mitglieder von German Brass verbindet nicht nur die gemeinsame Liebe zur Musik, sondern auch eine tiefe Freundschaft und gegenseitiger Respekt. Diese freundschaftliche Atmosphäre ist ein entscheidender Bestandteil der Arbeitsweise des Ensembles.

Die Auswahl neuer Mitglieder oder Aushilfen erfolgt daher nicht nur auf Basis ihrer musikalischen Fähigkeiten, sondern auch auf Grundlage der menschlichen Kompatibilität. »Das private und kollegiale ist mindestens genauso wichtig wie das Musikalische«, betont Stefan Ambrosius. Diese enge persönliche Verbindung sorgt dafür, dass das Ensemble auch nach Jahrzehnten noch harmonisch zusammenarbeitet und sich gegenseitig inspiriert.

Die regelmäßigen Proben und Auftritte sind nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein soziales Ereignis. »Wir treffen uns, um an neuen Projekten zu arbeiten, aber auch, um uns aus­zutauschen und Zeit miteinander zu verbringen«, erzählt Füssel. Und fügt lachend an: »Stefan sehe ich in manchen Phasen häufiger als meine Familie!« Diese Atmosphäre aber ist ein wesentlicher Grund dafür, dass das Ensemble auch nach 50 Jahren noch so gut funktioniert.

Die künstlerische Vision und Programmgestaltung

Die künstlerische Vision von German Brass ist geprägt von Offenheit und Experimentierfreude. Das Ensemble hat sich nie auf ein starres Repertoire festgelegt, sondern entwickelt sich ständig weiter. Die Programme von German Brass umfassen eine beeindruckende Bandbreite, von klassischen Werken über moderne Arrangements bis hin zu weltmusikalischen Einflüssen. Besonders stolz ist das Ensemble auf seine zahlreichen Arrangements, die eigens für die Besetzung von German Brass geschrieben wurden. Diese Arrangements verleihen den Konzerten des Ensembles eine besondere Note und machen sie zu einem unverwechselbaren Erlebnis für das Publikum. »Wir legen großen Wert darauf, Arrangements zu spielen, die das Publikum so fesseln, dass es das Original vergisst«, erklärt Stefan Ambrosius.

Die Programmgestaltung ist ein dynamischer Prozess, bei dem alle Mitglieder des Ensembles ihre Ideen einbringen können. »Es wird ganz demokratisch das gespielt, was Matthias Höfs arrangiert«, erklärt Wolfgang Gaag augenzwinkernd, was Gelächter hervorruft. Und er präzisiert: »Matthias Höfs und bis vor kurzem Alexander Erbrich-Crawford schreiben und arrangieren Stücke, und diese würden ihre Arbeit nicht vorstellen, wenn sie nicht überzeugt wären, dass es gute Stücke sind.« German Brass bleiben jedoch ihrem Kernkonzept treu und hechten nicht jedem Trend hinterher. Stefan Ambrosius nennt als Beispiel die Filmmusik von »The Incredibles«: »Eh wir auf den Zug aufspringen, gibt es vermutlich schon vier Teile dieses Animationsfilms…« Er lacht. 

Zukunftsausblick und das Vermächtnis von German Brass

Mit Blick auf die Zukunft zeigt sich German Brass optimistisch und voller Tatendrang. Die Musiker haben weiterhin große Pläne und möchten auch in den kommenden Jahren musikalisch aktiv bleiben. Ein besonderes Projekt für die Zukunft ist die Aufnahme eines neuen Albums mit Werken von Richard Strauss, das bereits in Planung ist. 

Das Ensemble möchte auch weiterhin seine kreativen Ideen umsetzen und neue musikalische Wege beschreiten. Trotz der zunehmenden Konkurrenz durch zahlreiche junge Blechbläserensembles bleibt German Brass einzigartig. Ihre Authentizität, ihre außergewöhnlichen Arrangements und ihre unverwechselbare Klangfarbe heben sie von anderen Ensembles ab. Die Musiker schätzen den engen Kontakt zu ihrem Publikum und entwickeln sich musikalisch ständig weiter, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen. »Wir spielen so lange, wie es uns Spaß macht«, erklärt Uwe Füssel und bringt damit auf den Punkt, was German Brass ausmacht: die unerschütterliche Freude an der Musik. Diese Freude, gepaart mit der unermüdlichen künstlerischen Neugier und der engen Verbindung zwischen den Musikern, wird dafür sorgen, dass German Brass auch in den kommenden Jahren seinen Platz an der Spitze der internationalen Musikszene behaupten wird.

German Brass ein Beweis für die Kraft der Freundschaft

Das 50-jährige Jubiläum von German Brass ist nicht nur ein Beweis für den unermüdlichen musikalischen Erfolg des Ensembles, sondern auch für die Kraft der Freundschaft, der Zusammenarbeit und der kreativen Unabhängigkeit. Die Musiker von German Brass haben es geschafft, über fünf Jahrzehnte hinweg ihre Leidenschaft für die Musik zu bewahren und dabei immer neue künstlerische Wege zu beschreiten. Ihre Unabhängigkeit, sowohl im künstlerischen als auch im organisatorischen Sinne, hat es dem Ensemble ermöglicht, sich frei zu entwickeln und authentisch zu bleiben. Matthias Höfs, der 1985 sein erstes Konzert mit German Brass spielt und bis heute dabei ist, sagt: »Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolgs von German Brass darin, dass wir den vielseitigen Geschmack unseres Publikums gerne aufgreifen. Bei uns findet jeder seine Favoriten. Wir selbst suchen uns diese Vielseitigkeit, die uns einfach Freude macht.«

Die Musiker von German Brass zeichnen sich durch ihre Offenheit gegenüber verschiedenen musikalischen Stilen und Arrangements aus, was ihnen erlaubt, ein breites Publikum zu begeistern und stets neue künstlerische Herausforderungen anzunehmen. Ihre einzigartigen Arrangements und die Vielfalt ihrer Programme machen jedes ihrer Konzerte zu einem besonderen Erlebnis. Auch nach fünf Jahrzehnten steht German Brass nicht still. 

Die Musiker planen weiterhin aufregende Projekte, wie die Aufnahme eines neuen Albums und spannende Konzertprogramme, die sowohl klassische Werke als auch moderne und populäre Musik umfassen. Sie sind sich bewusst, dass sie nicht nur ein Ensemble sind, sondern auch ein Vorbild für nachfolgende Generationen von Musikern. Die Musiker hoffen, mit ihrer Arbeit und ihrer Hingabe auch in Zukunft junge Talente zu inspirieren.

Overtures 

Einen Vorgeschmack auf die Jubiläumstour verspricht das Album »Overtures«, das beim Label Berlin Classics veröffentlicht ist: Eine Sammlung fulminanter Ouvertüren, die eigens für German Brass meisterhaft adaptiert wurden. Viele Komponisten schreiben ihre Ouvertüren erst nach Fertigstellung des Hauptwerks. So entsteht die Ouvertüre zu Wolfgang Amadeus Mozarts Zauber­flöte erst kurz vor der Uraufführung. Das Markenzeichen dieses Stücks sind die zu Beginn ertönenden imposanten Posaunenakkorde. Für Mozart ein Grund, warum die Ouvertüre »mit so vielen beifall« ankommt. Für German Brass eine Einladung sich mit dem Werk näher zu beschäftigen. Neben Mozart erklingen hier Verdi, Rossini, Gluck, Weber und Schostakowitsch.