Orchestra | Von Klaus Härtel

9 Fragen an die Dirigentin Sandra Settele

Sandra Settele

Im vergangenen Jahr war die Tuba das Instrument des Jahres, weshalb wir in jeder Ausgabe einen Tubisten befragt haben. 2025 ist „die Stimme“ das Instrument des Jahres – und da haben wir uns gedacht, befragen wir doch die Dirigenten. Das soll nicht zwingend bedeuten, dass Dirigenten zu viel reden, aber sie haben sicher was zu sagen… Diesmal fragen wir Sandra Settele, unter anderem Verbandsdirigentin des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes.

Als Einstieg, kurz gefragt: Was ist eigentlich so faszinierend am Dirigieren?

Es sind verschiedene Aspekte, die das Dirigieren interessant machen:
Zunächst einmal erfordert Dirigieren jede Menge Wissen und Technik. Das innere Bedürfnis, sich immer mehr Wissen anzueignen und verschiedene Techniken gezielt anzuwenden hört ein Leben lang nicht auf.
Sehr spannend ist auch der Prozess, Musiker/innen durch ein Werk zu führen, Freiheiten geben, kreativ gestalten, sodass neue musikalische Momente entstehen können. Höhepunkte entstehen lassen, wo Dirigent/in und Musiker/innen »eins« sind.
Dirigieren ist auch wie guter Sport – körperlich und mental.
Vor allem möchte ich meine Musiker/innen für die Musik begeistern, Spielfreude wecken, um gemeinsam Musik zu gestalten und zu erleben. Nur dann wird die Musik auch Emotionen wecken, und darum geht es doch hauptsächlich: »Menschen emotional berühren und mit Musik Verbindungen schaffen«.

Wie bereiten Sie sich auf eine Probe oder Aufführung vor?

Bevor ich ein Stück zum ersten Mal anspiele, recherchiere ich alles über den Komponisten, Hintergründe des Werks, Bedeutung des Titels… Anschließend analysiere ich das Werk musikalisch (meine Interpretation, Rhythmus, Charakter, Phrasierung, Artikulation…), harmonisch, schlagtechnisch… Wenn es beispielsweise eine Transkription ist, höre ich originale Aufnahmen an und informiere mich über den Ursprung. Das Werk klingt in meiner Vorstellung mit meiner musikalischen Interpretation. 

Für jede Probe werden ein Plan erstellt und Ziele definiert, was ich pro Werk und insgesamt in dieser Probe erreichen möchte. Ohne Zeitmanagement geht es natürlich nicht. 

In jeder Probe werden neue Prioritäten definiert. Die definierten Ziele sind vielseitig und auf kurz-, mittel- und langfristiger Ebene angelegt. Kurzfristige Ziele sind etwa: ich möchte heute bei einem neuen Stück am Rhythmus arbeiten und schwierige rhythmische Passagen einstudieren. Mittelfristige Ziele sind zum Beispiel, wenn ich ein Orchester neu übernehme, dass meine Klangvorstellung direkt umgesetzt wird und mein Dirigat sich in Klang, Dynamik, Rhythmik, Artikulation… widerspiegelt. Langfristige Ziele wären, dass sich verschiedene Abläufe, meine Klangvorstellungen automatisieren und kurze Anweisungen zum Ziel führen. 

Trotz Plan ist es natürlich immer wichtig flexibel zu bleiben. Wir arbeiten mit Menschen und da kommt es nicht selten vor, dass Musiker/innen unerwartet fehlen oder Pläne aus anderen Gründen verändert werden müssen.

Auch der menschliche Aspekt ist wichtig. Alle Register sollten gleichermaßen gefördert und gefordert werden. Sollten vereinzelt Musiker/innen musikalische oder persönliche Probleme haben, werden diese ebenfalls Teil meiner Arbeit und meiner Gedanken sein.

Wie gehen Sie mit technischen oder musikalischen Schwierigkeiten während der Probe um? Wie arbeiten Sie an Klangfarben, Intonation, Rhythmik?

Ebene 1 sind Rhythmus und richtige Töne, ein stabiles Haus benötigt ein stabiles Fundament.
Von Anfang an wichtig sind richtige Tempi und Übergänge. Nicht direkt am Übergang zu einem neuen Teil stoppen. »Im Tempo steckt alles«, schwierige Passagen können langsamer einstudiert werden, allerdings immer im gewünschten Charakter.
Klangfarben kreieren, Artikulations- und Intonationsarbeit greifen oft ineinander. Auch »Rhythmus« ist Teil der Intonationsarbeit. Wenn notierte Notenwerte vertikal und horizontal nicht exakt ineinandergreifen, kann keine 100prozentige Verschmelzung der Klangfarben erzielt werden. Schwierige Rhythmen können vielseitig einstudiert werden durch Body-Percussion, singen, klatschen etc.
Vertikal harmonisches Wissen und Hören sowie die horizontale Melodieführung – »vorher wissen was nachher kommt«. Diese Aspekte trainiere ich auch mit gezielten Einspielübungen. Artikulation ist dabei auch ein wichtiger Aspekt, die genaue Vorstellung über die Intensität und Luftgeschwindigkeit, um bestimmte Klangeigenschaften zu erzielen.

Die Vorstellung einer Klangpyramide hilft ebenfalls, einen stabilen und ausgeglichenen Aufbau vom tiefen Blech bis zu den hohen Holzbläsern zu schaffen und hilft eine gute Balance zu finden.

Ebenfalls wichtig für mich ist die Klangvorstellung eines Sinfonieorchesters oder die Klangwelt einer Orgel, deren Klangfarben die Imitation eines großen Orchesters darstellt.

Mit Klangfarben zu experimentieren und Farben zu schaffen, ist Teil meiner Interpretation eines Werkes. Die Verschmelzung der Klangfarben ist ebenso Intonationsarbeit. Mit gut konditionierten Orchestern arbeite ich überwiegend mit Klangfarben und meiner musikalischen Interpretation.

Auf was legen Sie beim Einspielen in der Probe wert?

Meine Methoden sind vielseitig. Klangarbeit geschieht durch Singen – den eigenen Körper als Instrument spüren. Das Instrument ist die Verlängerung.
Ich lege sehr viel Wert auf Luftführung, Atmung, verschiedene Ausführungen wie buzzern, singen, harmonisches Denken trainieren, Artikulationsübungen oder schöne Choräle spielen. Die Schlagzeuger sollten ebenfalls eingebunden werden.

Gut trainierte Orchester spielen sich auch selbst ein, da kann das gemeinsame Einspielen auch verkürzt stattfinden.

Wie bauen Sie eine gute Kommunikation mit Ihrem Orchester auf?

Ein authentisches Auftreten ist mir sehr wichtig. Das ist eine gute Basis.
Durch mein erstes Studium zum Kommunikationswirt weiß ich, dass Kommunikation sehr vielseitig ist und nicht nur verbal stattfindet. Auf verbaler Ebene sollte sie immer respektvoll aber auch direkt und klar sein; eine Mischung aus Interaktion und Information ans Orchester.
Ich verwende gerne Metaphern, genauso wichtig sind aber klare Anweisungen.
Non-Verbal setze ich meinen gesamten Körper ein. Mimik und Gestik sind genauso wichtig und können viele Worte ersparen. Auch ein Zusammenspiel aus Gestik und verbaler Kommunikation kann Automatismen zur Non-Verbalen Kommunikation fördern.

Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Temperamenten innerhalb des Orchesters um?

Zu kritischen Musiker/innen sollte man den Kontakt suchen und Probleme hinterfragen. Oft gibt es ganz andere Gründe, außerhalb des Vereins. Gemeinschaft und teambasiertes Management sind sehr wichtig. Möglichst viele Aufgaben sollten verteilt werden, vor allem an junge Mitglieder.
Wichtig: Ruhe bewahren aber auch mal deutlich werden, jedoch immer respektvoll.
Klare Linie fahren mit klaren Regeln gemeinsam mit der Vorstandschaft.

Was tun Sie, wenn etwas während einer Aufführung nicht wie geplant läuft?

Wenn es Kleinigkeiten sind, einfach weglächeln und nie vor dem Publikum zeigen.
Wenn ich allerdings ein Stück starte und unvorhersehbare Dinge im Orchester oder im Publikum passieren, würde ich abbrechen und neu beginnen.

Welche drei Ratschläge würden Sie jungen Dirigentinnen/Dirigenten mitgeben?

Ruhe bewahren bei schwierigen Situationen mit Musiker/innen!
Immer hervorragend vorbereitet in die Probe gehen!
Eventuell ein musikalisches Team bilden, um nicht alle Entscheidungen allein treffen zu müssen!

Wie stellen Sie ein Konzert-Repertoire zusammen?

Ein roter Faden ist wichtig, die Stücke sollten zueinander einen Bezug haben. Dies kann außermusikalisch erfolgen, kompositorisch oder stilistisch (jedoch nicht zu viele verschiedene Stile wählen).
Außerdem sollte die Reihenfolge der Stücke eine bestimmte Dramaturgie beinhalten. Welche Stücke eignen sich für den Anfang? Wo beginnt der Spannungsbogen, und wo endet er? Baue ich eine Pause ein? Wann? Diese sollte nicht zu lang sein und nach der Pause sollten keine zu einfachen Stücke gespielt werden.
Wo setzte ich bestimmte Akzente? Besondere Solisten? Hauptwerke?
Wie (mit welchen Emotionen) schicke ich das Publikum in die Pause oder nach Hause?

Eine rein musikalische Gesamtzeit von 60 Minuten sollte nicht überschritten werden.

Für die Auswahl meiner Stücke hab ich verschiedene Listen angelegt, die ich im Laufe der Jahre erweitere und sich immer wieder verändern. Bevor ich mich für ein Stück entscheide, studiere ich die Partitur im Detail, ob es für das jeweilige Orchester mit der vorhandenen Besetzung möglich ist. Das Publikum spielt dabei natürlich auch eine Rolle, wobei immer der Aspekt mitschwingt, dass man ein Publikum auch langsam (Schritt für Schritt) in neue musikalische Sphären bewegen kann und erziehen kann. Auch ein Kriterium sind pädagogisch wertvolle Stücke, Leistungsträger (die meist als Hauptwerke und in einer höheren Kategorie ausgewählt werden) und Spaßstücke.

Sandra Settele

geboren in Kempten im Oberallgäu, begann ihre musikalische Ausbildung an der Querflöte, später folgte das Klavier. An der Berufsfachschule für Musik in Krumbach machte sie eine Ausbildung mit Hauptfach Querflöte und Ensembleleitung. Mit 23 Jahren übernahm sie ihren ersten Musikverein. Es folgte der Studiengang Dipl. Kommunikationswirtin/Marketing in München.Ab 2017 absolvierte sie den Studiengang Metafoor bei Alex Schillings und Rob Goorhuis mit den Hauptfächern Blasorchesterleitung und Komposition. Ab 2021 ab studierte sie Blasorchesterleitung und Komposition bei Thomas Ludescher am Konservatorium Claudio Monteverdi in Bozen. 

Derzeit leitet Sandra Settele verschiedene Musikvereine, unterschiedlicher Leistungsstufen im Allgäu-Schwäbischen Musikbund. Im März 2024 wurde sie zur Verbandsdirigentin des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes gewählt.

Foto: Melanie Fielenbach