Weihnachtskonzerte sind in der Regel mehr als nur „ein Konzert“. Dass man mit Musik zu jeder Zeit Stimmungen auffängt und unterstreicht, ist ganzjährig nicht nur Teil, sondern ganz selbstverständlich wichtige Funktion unseres Tuns. Weihnachten hat man es dann in der Regel gerne etwas beschaulicher, sucht Ruhepunkte, reflektiert und erinnert, lässt vielleicht sogar Besinnung zu und zelebriert auffällig bewusst Friede, Harmonie und Zufriedenheit – im Gedenken an Christi Geburt. Für mich hat Jan Hadermanns Zusammenstellung viel Potenzial, dies für Musiker und Publikum erlebbar zu machen.
Der Komponist
Jan Hadermann wurde im Jahre 1952 im belgischen Reet, unweit von Antwerpen, geboren. Sein Vater, ein Geiger, brachte ihn zur Musik und gab ihm ersten Unterricht. Den führte er an der Musikakademie in Hemiksem auch am Klavier fort und studierte schließlich Musikpädagogik und Komposition am Lemmensinstitut in Mechelen und Löwen. Den Fächern Musiktheorie, Kontrapunkt und Fuge gehörte seine größte Aufmerksamkeit. Seine Studien in Komposition erweiterte er schließlich noch am Königlich Flämischen Musikkonservatorium in Antwerpen.

Neben seinen freien Tätigkeiten als Dirigent, Workshop-Dozent, Jurymitglied und Komponist für Klavier, Sinfonieorchester, Kammerorchester, Chor, elektronische Musik und Blasorchester führte ihn sein beruflicher Weg als Dozent in den 70er Jahren wieder zurück ans Lemmens Institut in Löwen. Und darüber hinaus auch an die Royal School for Carillon „Jef Denijn“ in Mechelen, die die Kunst des „großen, vollchromatisch spielbaren Glockenspiels“ in Türmen und eigens errichteten Bauwerken pflegt. Mitte der 90er Jahre trat er als Gastdozent, unter anderem für Theorie, auch am Königlich Flämischen Musikkonservatorium in Antwerpen wieder in Erscheinung.
Die 90er Jahren waren seine aktivste Zeit in der Blasorchesterszene. Diese wurde unter anderem mit einem SABAM-Preis, einer Auszeichnung durch die belgische Vereinigung von Autoren, Komponisten und Verlegern, gekrönt. In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger um ihn geworden.
Die Idee
Das Medley „A German Christmas“ hat Jan Hadermann im Jahre 1997 geschrieben. Der Anlass dafür war ein ganz praktischer, nämlich ein Weihnachtskonzert im deutschsprachigen Teil Belgiens. Er verarbeitet darin drei bekannte Weihnachtslieder. Die Verlagsinfo verspricht: „Diese romantische und zugleich einfache, schnörkellose Musik eignet sich gut für alle Blasorchester.“
Der Aufbau
Hörner und vornehmlich tief gehaltene Hölzer nehmen sich einleitend zunächst über vier Takte des Kopfmotivs von „O Tannenbaum“ an, bevor das Orchester sich zum Tutti aufbaut und in weiteren vier Takten die Posaunen das Kopfmotiv von „Süßer die Glocken nie klingen“ zitieren lässt. Nach einem Crescendo hin zu Takt 7 und einem Decrescendo zurück zu Takt 9 haben wir eine Grundstimmung gefunden und freuen uns auf das, was da noch kommen wird – im übertragenen Sinne „aufs Christkind“.
O Tannenbaum
Für viele sicher ein „Lied der Lieder“. Es veranschaulicht Weihnachten mit einem traditionellen Symbol von Hoffnung, Beständigkeit, Trost und Kraft: der Tanne. Diese wird festlich geschmückt und zum „Weihnachtsbaum“ veredelt.
Das Lied fußt auf einer Volksweise, die zurück ins 16. Jahrhundert reicht. Sie wurde von Melchior Franck wohl erstmals in einem Quodlibet (ein meist scherzhaftes Musikstück, welches sich aus einer Aneinanderreihung von unabhängigen Melodien ergibt) zitiert. Im 18. Jahrhundert war die Melodie auch als „Lied von Zimmermannsgesellen“ populär und fand in der Form „Lauriger Horatius“, gesungen von deutschen Studenten, den Weg in die USA, wo sie aus studentischem Umfeld Einzug in die Hymne des US-Bundesstaates Maryland erhielt. Im 19. Jahrhundert war sie auch als „schlesisches Lied“ verbreitet. Und in England singt man heute dazu auch die Hymne der Labour Party (unter roter Fahne) oder die des FC Chelsea (unter blauer Fahne).
Andere Texte zur Melodie gedichtet
Wegen der großen Bekanntheit des Liedes wurden immer wieder auch andere Texte zu dieser Melodie gedichtet. Bekannt wurde nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1918 beispielsweise folgende Version: „O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in’ Sack gehaun. Er kauft sich einen Henkelmann und fängt bei Krupp in Essen an.“
Der heutige Text stützt sich auf Quellen, die bereits zwischen 1550 und 1580 folgende Zeilen enthalten: „O Tanne, du bist ein edler Zweig, du grünest Winter und die liebe Sommerzeit. Wenn alle Bäume dürre sein, so grünest du, edles Tannenbäumelein.“ Daraus entstand Anfang des 19. Jahrhunderts in Westfalen auch das Volkslied „O Tannenbaum, du trägst ein´ grünen Zweig“, jedoch mit einer anderen Melodie. August Zarnack schrieb 1819 über die uns heute geläufige Melodie ein tragisches Liebeslied, das den Tannenbaum als sinnbildlichen Gegensatz zu einer untreuen Geliebten sieht. In dessen zweiter Strophe heißt es: „O Mägdelein, o Mägdelein, wie falsch ist dein Gemüte.“ Zum Weihnachtslied wurde es, nachdem der Leipziger Lehrer Ernst Anschütz 1824 die erste Strophe beibehielt und die restlichen durch andere ersetzte, in denen nur noch vom Baum die Rede ist.
Von der Überleitung unterbrochen
Unisono und dolce präsentieren zunächst die Trompeten den viertaktigen A-Teil, sanft begleitet vom übrigen Blech. Die Klarinetten und Querflöten, sanft begleitet vom übrigen Holz und tiefem weichen Blech, führen in ihrer Chorklangfarbe den B-Teil ein, der A-Teil folgt wieder im Blech-Chor. Wer vielleicht gerade darüber nachdenkt, die nächste Strophe mitsingen zu wollen, wird von der Überleitung („sub. con moto“, ähnlich der Einleitung) unterbrochen. Nach vier Takten findet man sich in einem „tranquillo“ wieder, wo nun (der Stimmbezeichnung nach) ein solistisches Bariton das zweite Mal die Melodie aufgreift.
Die Klarinetten, zunächst lediglich begleitend mit einen ruhigen, aber unterschwellig durchaus für Eigenwert werbenden Harmonieblock, übernehmen in Teilen im B-Teil klangsteigernd zusätzlich melodiöse Mitverantwortung. Alles klingt sehr sanft und friedlich, lädt vielleicht sogar zu einem „inneren Mitsummen“ ein.
Der nun abschließende A-Teil nimmt die Hörner, neben den bereits vorhandenen Bässen, in harmonischer Funktion mit dazu. Und das hohe Holz lässt das Szenario im gedeckten Forte final und festlich aufblühen. Eine achttaktige Überleitung, die sich fast in vollem Umfang der Ideen aus der Einleitung bedient, beschließt den ersten Abschnitt der dreiteiligen Liedsammlung mit einer Fermate.
Alle Jahre wieder
Der Text von „Alle Jahre wieder“ wurde 1837 von Wilhelm Hey verfasst. Er war zu diesem Zeitpunkt Pfarrer, Superintendent und Bezirksschulinspektor in der Nähe von Erfurt. Zudem machte er sich als Fabeldichter einen Namen. Er galt als vehementer Vertreter menschzugewandter Theologie, weas ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg einbrachte. Aus seiner Feder stammt auch der Text zu „Weißt du wieviel Sternlein stehen“. Die heute geläufigste Vertonung von „Alle Jahre wieder“ wird Friedrich Silcher zugeschrieben. Lokal existieren aber auch noch andere Melodien zum Text.
Mit vier Glockenschlägen, auf Zählzeit vier angeschlagen und sich dann über je zwei Takte auspendelnd, moduliert das Arrangement überleitend von F-Dur nach C-Dur. Und gibt in einem Blechsatz für Trompeten, Horn, Posaunen und Bariton einen ersten schlichten Blick auf „Alle Jahre wieder“. Den zweiten Aufgriff ergänzen die hohen Hölzer. Wieder durchbrechen zwei Glockenschläge die Stimmung. Und führen nochmals modulierend zu einer kanonischen Verarbeitung der kurzen Melodie, beginnend im Horn, gefolgt von Oboe (Querflöte) und Bariton, während die Schlagwerker mit Triangel und Glockenspiel ostinat stabilisieren und verzuckern. In Takt 83 nimmt das Blech kurz Anlauf, um einem Auftakt in ein großes Orchestertutti von Forte zu Fortissimo zu führen. Ein Decrescendo mit dem Material der beiden letzten Takt beruhigt schnell und es wird klar, dass das noch nicht der Schluss war.
Süßer die Glocken nie klingen
Der Theologe und Pädagoge Friedrich Wilhelm Kritzinger, Lehrer und Leiter der Droyßiger Anstalten, einem Seminar zur Ausbildung von Lehrerinnen in Sachsen, dichtete die Verse. Das Lied wurde 1866 in seinem „Weihnachtsbüchlein für Schule und Haus“ veröffentlicht. Eine Melodie war ihm schon vor der abschließenden Textfindung im Ohr. Kritzinger unterlegte seinen neuen Text ausdrücklich dem Volkslied „Seht wie die Sonne dort sinket“, welches in den 1840er Jahren aus Thüringen und Schlesien überliefert war. Wie in den damaligen Zeiten nicht ungewöhnlich, gab es bei Volksliedern immer wieder lokale Textvarianten.
In einer war auch von einer Glocke die Rede, was Kritzinger unter Umständen als Anregung gedient haben mag. Der Bekanntheitsgrad vom nunmehr neuen „Süßer die Glocken nie klingen“ erhöhte sich schnell und spätestens ab den 1890er Jahren war das Lied in vielen Gebrauchsliederbüchern etabliert. Es verbreitet durchaus eine hoffnungsvolle, gar heilsame Stimmung. Der Glockenklang steht dabei als Symbol für Friede, Freude und wohlige Weihnachtsstimmung.
Nach dem Abschwellen der kurzen Überleitung staut sich in Takt 93 ein langer Ton in den Hölzern. Dieser ist schon im 6/8-Takt notiert. Aus der fließenden Viererbewegung wird nun eine triolisch unterteilte Zweierbewegung. Gedämpfte Trompeten (Glockenspiel), gefolgt von Hörnern, imitieren Geläut und zelebrieren wohl organisiert einen diffus anmutenden Glockenklang. Ab Takt 98 übertragen sie ihre viertaktige Idee nach Es-Dur und ab Takt 102 ist Raum für ein solistisches Bariton, das dolce die Melodie präsentiert. Den Part der begleitenden Glocken übernehmen nun, in rhythmisch einfacherer Variante, die Saxofone. Dunkle, warme Klarinetten bilden einen harmonischen Teppich.
Hörner, Posaunen und hohe Hölzer lassen den Glockenturm aufleben
Ab Takt 110, mit einem Takt Anlauf, übernehmen die Hölzer den B-Teil des Liedes. Im Blech erklingen derweil in Hörnern und Posaunen Glockenimitate zur rhythmischen und harmonischen Stütze. In der Schlusswendung ab Takt 114 schaltet sich dann wieder des Bariton ein. Geschickt umspielt von harmonisch ausgesetzten Klarinetten, und führt hin zu einer dreitaktigen, erneut modulierenden Überleitung, in der Hörner, Posaunen und hohe Hölzer den Glockenturm noch einmal aufleben lassen.
Ab Takt 129 übernehmen die Trompeten unaufdringlich, aber strahlend die Führung. Sie sind eher unauffällig begleitet von Akkorden in Posaunen und Hörnern und leichten Umspielungen in Klarinetten und Bariton. Den Wiederaufgriff des B-Teils nutzt Hadermann, um die Partitur weiter anzufüllen und zur Schlusswendung hin ein volles Fortissimo im Tutti aufzubauen. Auf seinem Höhepunkt, der sich im Rallentando dynamisch abschwächt, wechselt er ins Metrum des ¾-Taktes, um noch einmal im Geiste der einleitenden Glockenklänge ein abschließendes „ausläuten“ des Werkes anzugehen. Wieder vor dem eigentlichen Grundschlag beginnend beruhigt sich das Arrangement, wie in den Takten 21 bis 25 schon einmal zelebriert, und führt molto allargando in eine Fermate im Pianissimo.
Instrumentation
Das Werk ist in Schwierigkeitsgrad 3 angesiedelt und bietet viele Möglichkeiten, farbig zu orchestrieren. Richtig schön wird’s halt, wenn alle Instrumentenoptionen besetzt sind, aber sinnvolle Vertreterinstrumente sind immer klug ausgewiesen. Wie immer bei solchen sicherlich klangorientierten Werken zahlt sich Luftführung und Artikulationsfreudigkeit aus. Kleine rhythmische Nuancen in der Anlage der Begleitstimmen lassen die Sätze immer lebendig wirken. Die rhythmische Durchdringung des „Glockenturms“ ist sicherlich auch eine lohnende Aufgabe. Neben dem stimmungsvollen Abspielen von Weihnachtsliedern ist in diesem Arrangement auch Potenzial für Orchesterschulung.
Fazit
Das Werk ist eigentlich mehr zum Zuhören konzipiert, weniger zum Mitsingen. Durch Überleitungen, Modulationen und wechselnde Instrumentationen erleuchten die einfachen Melodien in einem anderen Licht und bieten neben Wiedererkennungswert auch viel Abwechslung.
In diesen Zeiten sind Konzerte und das Mitsingen ja sowieso eine heikle Sache. Die aktuellen Entwicklungen gilt es absolut ernst zu nehmen. Es gibt aber mittlerweile sicherlich Erkenntnisse, die ein Konzert unter Berücksichtigung verschiedener Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen ermöglichen. Sollte ihnen ein schönes Konzept für einen musikalischen Weihnachtsgruß gelingen, so kann mit diesem Arrangement auch ohne „Stadiongesang“ ein Wir-Gefühl entstehen, indem sie die Zuhörer einladen, gerne innerlich mit zu summen. Das Publikum wird die Stellen schon finden.