Alexander Bader macht alles, was mit der Klarinette denkbar ist: Orchesterspiel als Mitglied der Berliner Philharmoniker, Kammermusik mit dem Scharoun Ensemble, Ausflüge in die Alte Musik, Unterrichten bei der Zermatt Festival Academy. Im Gespräch lässt der vielseitige Musiker seine erfolgreiche Karriere Revue passieren.
Herr Bader, muss man weniger üben, wenn man schon so lange Klarinette spielt?
Das tägliche Üben bleibt normal und sinnvoll. Ein berühmter Geiger sagte: Nach einem Tag Nicht-Üben merkst du es selbst, nach zwei Tagen die Kollegen, und nach einer Woche merkt es auch das Publikum. Man muss auch die Rohre und Blätter in Schuss halten. Wenn man die ein paar Tage nicht spielt, trocknen sie aus. Ich übe möglichst jeden Tag. Das kann aber auch zwischendurch in einer freien Stunde sein, wenn ich die Kinder in die Schule gebracht habe.
Klappt das auch auf Konzertreisen?
Natürlich ist es auf Tournee schwierig, jeden Tag zu üben. Im Hotel will man die anderen Gäste nicht stundenlanger Lärmbelästigung aussetzen. Aber man muss ja in Form bleiben, weil sich sofort die Muskulatur verändert, wenn sie nicht täglich gefordert wird. Bei den Blechbläsern kommt noch dazu, dass man sie besonders deutlich hört. Die Kollegen sind jeden Morgen vor allen anderen in der Philharmonie, um ihre Einspielübungen zu machen. Egal, ob sie Dienst haben oder nicht. Das ist wie Leistungssport. Wie sie das auf Tournee schaffen, ist bewundernswert.
Sie haben Ihre Laufbahn am Klavier begonnen. Wie geschah der Wechsel zur Klarinette?
Bei uns zuhause stand ein Flügel, den ich geliebt habe. Also fing ich als Sechsjähriger mit dem Klavier an; in dem Alter spielt man ja in der Regel noch kein Blasinstrument. Ich wurde mit elf Jahren Jungstudent am Stern-Institut der Universität der Künste in Berlin. Da durfte ich mir ein zweites Instrument aussuchen. Das wurde dann eher zufällig die Klarinette. Ich war eigentlich ziemlich gut am Klavier und habe die Klarinette anfangs nur nebenbei gespielt. Das änderte sich, als ich Manfred Preis als neuen Lehrer bekam, der gerade bei den Berliner Philharmonikern angefangen hatte. Der begeisterte mich so, dass die Klarinette nach und nach zu meinem Hauptinstrument wurde.
Was faszinierte Sie an der Klarinette?
Dass man so viele Möglichkeiten zum gemeinsamen Spiel hat; im Orchester, in der Kammermusik. Das liebe ich bis heute am meisten: großartige Werke gemeinsam mit anderen zum Erklingen zu bringen. Das ist das allerschönste!
Geben Sie auch Soloauftritte?
Wenn es sich ergibt und Anfragen kommen, dann mache ich das gerne. Aber es ist nicht mein erstes Ziel, mich darum zu kümmern, dass ich viele Soloauftritte habe. Ich spiele tatsächlich am liebsten Kammermusik und Orchester.
Im schweizerischen Zermatt haben Sie als Solist mit dem Festivalorchester das Klarinettenkonzert von Aaron Copland aufgeführt.
Das entstand für Benny Goodman. Ich hatte dieses Konzert ausgesucht, weil es mit der Besetzung passte, da es eine Harfenistin gab. Ich hatte das Werk schon mit anderen Orchestern gespielt. Ich liebe diese Kombination aus einem wunderschönen, lyrischen Anfang und dem jazzigem Aufschwung. Es ist ja immer die Frage, wie man das interpretiert: sehr jazzig oder im klassischen Stil.
Wozu neigen Sie?
Ich persönlich sehe das eher klassisch. Es ist ja kein Jazz. Und ich bin kein Jazzmusiker. Das Jazzige ist schon hineinkomponiert; in die Rhythmen, die offensichtlich nicht klassisch gemeint sind.
Sie haben Ihr Konzertexamen bei Wolfgang Meyer gemacht. Wie hat dieser bekannte Musiker Sie beeinflusst?
Er war einfach ein unglaublicher Klarinettist und konnte mit Leichtigkeit alles spielen, wobei andere sich die Finger brechen. In der persönlichen Begegnung war er eher distanziert; daran musste ich mich erst gewöhnen. Große Weisheiten brachte er mal eben so im Nebensatz unter.
Erinnern Sie sich an ein Beispiel?
Wie viele Studenten hatte ich die Tendenz, alles mit einem besonderen Ausdruck zu unterlegen und besonders intensiv, sehr laut oder sehr leise, zu spielen. Ich werde nie vergessen, wie er mir einmal sagte: „Das ist toll. Du spielst immer etwas ganz Besonderes. Aber kannst du auch mal ganz normal spielen!“ Klar, die Extreme wirken ja nur im Verhältnis zu einer Normalität.
Wolfgang Meyer war es auch, der mich zur Beschäftigung mit historischen Klarinetten inspirierte. Das machte mir immer mehr Spaß. In jener Zeit ist die Alte-Musik-Szene aufgeblüht. Da gab es für mich viele Möglichkeiten zu spielen.
Wie lange hat die Alte Musik eine Rolle für Sie gespielt?
Etwa zehn Jahre habe ich das sehr intensiv betrieben; unter Thomas Hengelbrock mit dem Balthasar-Neumann-Orchester; und auch unter Nikolaus Harnoncourt, an dessen Aufnahme des Mozart-Requiems ich beteiligt war. Ich habe die Alte Musik schweren Herzens aufgegeben, als ich bereits bei den Berliner Philharmonikern war und mein drittes Kind geboren wurde. Mit der größer werdenden Familie ließ sich das nicht mehr vereinbaren. Ich habe alle historischen Klarinetten verkauft, damit ich keinen Rückfall kriege …
Wäre ein Rückfall denkbar, wenn die Kinder aus dem Haus sind?
Ich bin jetzt Mitte Fünfzig. Da möchte ich mir mehr Zeit für Privates und für mich selbst nehmen und nicht das Leben noch weiter beschleunigen, was ja in unserem Beruf immer passiert, wenn man nichts bewusst dagegen tut. Deshalb würde ich nicht wieder anfangen, historisch zu spielen.
Empfinden Sie die historischen Instrumente als Mängelwesen oder Bereicherung?
Natürlich stößt man auf Widerstände, die man beim modernen Instrument nicht hat. Man ist permanent gezwungen, die verschiedenen Klänge der einzelnen Töne bläserisch und intonatorisch in eine Linie einzubinden. Das sind Herausforderungen, die sich sonst nicht so direkt stellen. Für mich hat sich dadurch auch für das moderne Spiel sehr viel verändert. Auf jeden Fall war es eine Erweiterung des musikalischen und instrumentalen Bewusstseins.
Wie erinnern Sie sich an Ihre Zeit als Erster Solo-Klarinettist an der Komischen Oper Berlin?
Das war eine sehr schöne Zeit, weil 2002 gleichzeitig Kirill Petrenko als Dirigent dort anfing. Unsere erste gemeinsame Premiere war „Die verkaufte Braut“ von Smetana, was für einen Bläser auf einer Probespiel-Stelle ganz schön aufregend ist. Im Orchester der Komischen Oper habe ich viel gelernt; die haben einen tollen Holzbläsersatz.
Wie haben Sie sich das Opernrepertoire angeeignet?
Im Repertoirebetrieb gab es kaum Proben. Ich habe mir die dicken Partituren, eine nach der anderen, vorgenommen, mir die Werke allein erarbeitet, und bin dann ins kalte Wasser gesprungen. Für meine persönliche Entwicklung war das ein wichtiger Schritt, der mir dann auch half, den letzten Sprung zu den Berliner Philharmonikern zu machen.
Wie kam es dazu?
Es wurde eine Stelle bei den Berliner Philharmonikern frei, was ja in der Bläsergruppe nur alle zig Jahre passiert. Und ich war gerade noch in einem Alter, wo man es versuchen kann. Während meines Studiums in Berlin hatte ich das Orchester unter Karajan und anderen großen Dirigenten häufig gehört. Einer der fünf Klarinettisten in diesem Orchester zu sein – das war schon in der Jugend ein Traum für mich. Ich sagte mir: Wenn du es nicht wenigstens probierst, wirst du dich später ärgern. Aus heutiger Sicht war es für mich genau das Richtige.
Zumal Sie im Scharoun Ensemble auch Ihrer Leidenschaft für Kammermusik nachgehen können.
Als eines der ältesten Ensembles der Berliner Philharmoniker spielen wir regelmäßig in einer Kammermusikreihe. Eine Zeitlang hatten wir auch eine schöne Reihe in der St. Matthäus-Kirche neben der Philharmonie. Dafür sind dann die Gelder weggebrochen. Wir hoffen, dass wir das wieder aufnehmen können.

Vor Corona hatten wir mehr Aktivitäten; zum Beispiel eine Akademie im Penderecki-Centrum in Polen. Die haben da ein wunderbares Musikzentrum hingestellt, mit einem tollen Saal für 600 Besucher. Man kann dort auch Aufnahmen machen. Es gibt Probenräume und Zimmer zum Wohnen. Das ist wunderbar!
Welche Rolle spielt die Akademie des Scharoun Ensembles beim Musikfestival im Schweizerischen Zermatt in Ihrem Jahresablauf?
Das Festival im September ist für uns eine feste Größe geworden. Ich war schon 17-mal dabei. Unsere Saison beginnt mit einer Konzertreise. Danach ist das Ankommen in Zermatt immer auch ein Heimkommen. Auch während Corona hat das Festival dank eines strengen Hygienekonzepts stattgefunden. 2020 haben wir zwar nur zehn Akademisten eingeladen. Aber das war im Bereich der Jugendorchester das Einzige, was überhaupt stattfand. Gustav Mahler Jugendorchester, European Union Youth Orchestra … Alles andere wurde abgesagt. Unsere Bewerberzahlen haben sich dadurch vervielfacht. Und das ist auch so geblieben.
Zermatt liegt auf über 1600 Metern Höhe. Wie macht sich das beim Spiel bemerkbar?
Jeder, der sich hier bewegt oder wandern geht, kann eine Kurzatmigkeit feststellen. Daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Aber die Rohre oder Blätter schwingen hier nicht richtig. Material, das ich anderswo benutze, kann ich hier nicht spielen, weil es viel zu viel Widerstand hat. Noch dazu hatten wir diesmal extrem trockenes Wetter, was die Blätter auch beeinflusst. Da kämpft man erst mal eine Weile. Dieses Phänomen lässt sich aber auch schon in Salzburg oder Madrid feststellen.
Wie gehen Sie damit um?
Ich bringe Material mit, das im normalen Alltag zu leicht wäre und zu wenig Widerstand hätte. Zur Sicherheit habe ich auch sehr altes Material dabei, das auch schon leicht ist. Und ganz Neues, das man zur Not bearbeiten kann. Das gewöhnt man sich im Tournee-Alltag an.
Sie haben vier Kinder. Frauen werden ja gern nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefragt.
Meine Frau ist auch Musikerin.
Also, wie stemmen Sie das, bei derart familienunfreundlichen Arbeitszeiten?
Man muss sich gut organisieren und trotzdem flexibel bleiben – das kennt aber jeder, der mehrere Kinder hat. Wir haben großes Glück, weil beide Großeltern in der Nähe leben und die Kinder während einer Konzerttournee gern ein paar Tage aufnehmen.