Der NDR nannte ihn kürzlich einen „angehenden Star in der Klassikwelt“, er arbeitete bereits mit dem Dirigenten Sir Simon Rattle, spielte schon in der Carnegie Hall in New York und wurde mit dem „Fanny-Mendelssohn-Förderpreis“ geehrt: der Fagottist Emanuel Blumin-Sint. Wir sprachen mit dem 20-Jährigen über die familiäre Liebe zur Musik, Werke für Fagott und – natürlich – auch über den Großvater aus „Peter und der Wolf“…
Mit seinem Debüt-Album Leading Bassoon (Label EsDur) demonstriert Emanuel Blumin-Sint die vielfältigen Möglichkeiten des Fagotts und erweitert das Repertoire und die Spieltechnik. Es ist sein großer Wunsch, das Fagott als führendes Solo-Instrument zu etablieren.
Mit neun Jahren haben Sie das Fagott als Ihr Instrument gewählt? Was faszinierte Sie damals besonders am Fagott? Und wie konnten Sie diese Faszination bewahren?
Zuerst habe ich verschiedene Instrumente ausprobiert. Ich habe Blockflöte gespielt und Saxofon ausprobiert. Während meiner Schulzeit in Dublin musste ich die Tin Whistle spielen, was schrecklich war, weil alle in der Klasse das gleichzeitig und zwar sehr falsch gespielt haben.

kurz& knapp
- Aufstieg eines jungen Fagottisten: Emanuel Blumin-Sint gilt als aufstrebender Star der Klassikwelt, hat bereits mit Sir Simon Rattle gearbeitet, in der Carnegie Hall gespielt und den Fanny-Mendelssohn-Förderpreis erhalten.
- Vision für das Fagott: Mit seinem Debütalbum Leading Bassoon zeigt er die Vielseitigkeit des Fagotts und setzt sich dafür ein, es als Soloinstrument populärer zu machen.
- Werdegang und Motivation: Geprägt durch eine musikalische Familie, entdeckte er früh seine Leidenschaft für das Fagott und verfolgt das Ziel, das Instrument aus der Rolle des »Großvaters« aus Peter und der Wolf zu befreien.
Aber in der Zwischenzeit blätterte ich immer wieder bei den Konzerten meiner Mutter um. Meine Mutter spielte unter anderem mit dem hervorragenden Solo-Fagottisten der Staatskapelle Berlin, Mathias Baier, und ich wurde sehr neugierig. Das Fagott hat einen großen Tonumfang und einen tiefen und warmen Klang, was mich fasziniert hat. So probierte ich mit 9 Jahren dann das Fagott aus und habe gleich, wegen meiner großen Hände, mit dem großen professionellen Fagott anfangen können. Nicht, wie es für Kinder oft empfohlen wird, mit einem kleiner gebauten Anfänger-Modell.
Wenn die Mutter und die Großmutter professionelle Pianistinnen sind – ist dann die musikalische Karriere vorprogrammiert?
Nicht unbedingt. Ich kenne einige Musiker, die ganz offen sagen: Meine Kinder machen zum Glück keine Musik! Für mich persönlich klingt das etwas außerirdisch, denn sowohl meine Mutter, als auch meine Großmutter Mara Mednik, die leider im März 2024 gestorben ist, haben in mir die Begeisterung und die Liebe zur Musik geweckt. Meine Mutter sagte immer »Musik ist unsere Religion«, und ich glaube, sie hat Recht.
Warum sind Sie dann aber Fagottist und nicht Pianist geworden? Man kennt das im Sportbereich – Söhne und Töchter werden oft mit den Eltern verglichen, wenn die auch Spitzensportler waren. Ist das auch ein Grund, ein anderes Instrument zu wählen?
Nein. Denn natürlich saß auch ich schon sehr früh am Flügel. Aber dass ich Pianist werden sollte, stand nie zur Diskussion. Ich spielte nie viele Stunden, und war mit vielen anderen Dingen beschäftigt. Ich sang im Chor und wollte Pilot werden. Mein Klavierspiel hatte auf ganz normalem Weg angefangen. Alle in meiner Familie spielen Klavier, mein Bruder, der gerade sein erstes Staatsexamen in Jura abgelegt hat, kann sehr gut improvisieren. Mein Vater spielt auch und meine Mutter ist Konzertpianistin. Das Klavierspiel war etwas ganz Normales, was eben zum Leben dazu gehört. Ich spiele zwar jeden Tag Klavier, es sind zurzeit aber eher Partituren von verschiedenen Symphonien, die ich vom Blatt lese.
Mit 9 war ich mehrmals in einem Flugsimulator und konnte eine große Verkehrsmaschine schon alleine »landen«. Aber so, wie meine Größe und meine großen Hände mir bei der Musik sehr geholfen haben, so ist es andererseits bei einer Größe von 1,95 fast unmöglich, Berufspilot zu werden. Aber ich hoffe, dass ich eines Tages als Amateurpilot ein Flugzeug in die Luft bringen werde. Beide Berufe haben eines gemeinsam: Das Gefühl des Fliegens!
Ab wann wussten Sie, dass sie Musik beruflich machen würden?
Meine Eltern konnten auf mich nie schimpfen. Ich war zu stur, es hat kaum etwas gebracht. Ich machte meine Ohren zu und sagte, die tun weh. Im Gegensatz zu meinem Bruder, der musikalisch sehr begabt ist, aber nicht wirklich wollte und erst nach vielen Überredungen, die manchmal 2 Stunden dauerten, dann endlich 30 Minuten Geige spielte, konnte man bei mir so nichts erreichen. Mein Bruder schaffte es mit diesen 30 Minuten üben sogar erfolgreich bis zum Bundeswettbewerb »Jugend musiziert«, hörte aber dann doch auf und begann ein Jurastudium. Klavier spielt er immer noch. Ich dagegen kann mir ohne die Musik und ohne das Fagott mein Leben nicht vorstellen.
Und wann kristallisierte sich »Solist« heraus?
Ich habe schon seit Anfang an gefühlt, dass das Fagott als Soloinstrument sehr vernachlässigt wird. In der Barock- und Klassikzeit war es jedoch ein solistisches Instrument. Vivaldi hatte ganze 40 Fagottkonzerte geschrieben – man vermutet, dass er in eine Fagottistin verliebt war. Mozart wohl 5 Konzerte, von denen bedauerlicherweise 4 als verschollen gelten. So habe ich mir das Ziel gesetzt, das Fagott solistisch zu zeigen und als Soloinstrument populärer zu machen.
Wann hat das letzte Mal jemand gefragt: »Sie spielen Fagott? Und was machen Sie beruflich?«
Ich glaube, das passiert immer wieder vielen Musikern, unabhängig vom Instrument. Besonders in den USA wird das berufliche Leben von Musikern anders angesehen als in Deutschland. Da kann es schon passieren, wenn man erzählt, dass man abends ein Konzert spielt, dass man dann hört: Was machen Sie dann tagsüber, beruflich?
Wie war die Zusammenarbeit mit Valentin Silvestrov für Ihr Album? Was bedeutet Ihnen die Widmung?
Den ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov kenne ich seit meiner Kindheit in Dublin. Meine Mutter spielte seine Werke oft in ihren Konzerten und so hatte ich auch einmal die Gelegenheit, ihn bei uns zu Hause persönlich kennenzulernen. In all diesen Jahren hörte ich immer wieder seine Musik, und nachdem Silvestrov mit seiner Familie 2022 wegen des Krieges aus der Ukraine geflohen war, kam er gleich zu uns nach Berlin. Ich spielte ihm auf dem Fagott vor und er gab zu, dass er das Fagott nie als ein Solo-Instrument angesehen hatte. Und so, also extra für mich, entstand sein wunderbares Stück »Hymne«, sein erstes und bisher einziges Stück für das Fagott. Mit dem zusätzlichen Effekt, dass ich mich mit auf dem Klavierpedal gehaltenen Akkorden quasi selber begleite. Dieses Stück widmete er mir und beschreibt es selber als »my best work written in recent years«. Für mich war das genau der Beweis dafür, dass ich Silvestrov überzeugen konnte, dass Fagott ein tolles Instrument ist.
Welche besonderen technischen Herausforderungen stellt Paganinis Caprice Nr. 5 auf dem Fagott dar?
Ich will mit der Paganini-Caprice zeigen, dass das Fagott auch ein technisch virtuoses Instrument sein kann und diesbezüglich gleichwertig neben den anderen stehen kann.
Spontan würde man denken, dass es für das Fagott nicht so viel Repertoire gibt, dass man als Solist damit reüssieren kann. Vermutlich sind Sie anderer Meinung…?
Es werden immer wieder neue Werke entdeckt. Erst vor circa 30 Jahren wurde zum Beispiel das Fagottkonzert von Rossini gefunden. Zu den etwa 40 Konzerten von Vivaldi kommen vielleicht mit der Zeit auch noch weitere dazu? Da hoffe ich dann doch sehr, dass man vielleicht noch ein Tschaikowsky- oder Brahms Fagott-Konzert findet. (lacht)
Welche Ziele haben Sie für die Zukunft des Fagotts als Soloinstrument?
Das Fagott als Soloinstrument und in der Kammermusik ist leider immer noch eher unterrepräsentiert. Aber was muss man machen, damit das Instrument populärer wird und endlich die wichtige Rolle bekommt, die es schon längst verdient? Das Fagott bedient im heutigen Sinfonieorchester viele wichtige Funktionen. Aus Mozarts Opern ist es kaum wegzudenken, und dann gibt es noch die vielen charismatischen Soli von Strawinsky, Schostakowitsch, Tschaikowsky… Ich liebe es, im Orchester zu spielen, aber ich habe noch einen anderen Traum: Eine Solo-Karriere mit dem Fagott zu machen, nicht um der Karriere willen, sondern um dieses Instrument noch bekannter und populärer zu machen!
Sind Auftritte in den renommierten Konzertsälen wie der Elbphilharmonie schon Zeugnis dafür, dass Sie dem Ziel näherkommen?
Im November 2024 spielte ich mein Solo-Debüt in der Carnegie Hall. Das war ein tolles Erlebnis! Solche Auftritte, wie in New York oder in der Berliner Philharmonie geben mir natürlich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.
Wäre es auch ein Ziel, dass niemand mehr anmerkt: Fagott? Das ist doch der Großvater aus »Peter und der Wolf«!
Vor einiger Zeit hatte ich ein Konzert in den Niederlanden. Das Konzert lief gut und das Publikum war begeistert. Für viele war dieses Konzert das erste Mal, dass sie jemals bewusst das Fagott an sich, und nun sogar als Soloinstrument, gehört hatten. Nach dem Konzert kam die Veranstalterin auf die Bühne und sagte zum Publikum: »Wie schön war es doch, nach so einer langen Zeit endlich mal wieder… eine Oboe zu hören.«
Leider kennt jeder Fagottist diese Situation. Und auch jeder Fagottist kennt die Bemerkung bezüglich »Peter und der Wolf«. Das aber, ehrlich gesagt, finde ich nun fast doch wieder schön, beweist es doch wenigstens ein Minimum an Musikkenntnis bei der fragenden Person. Andererseits: Ärgerlich finden es viele Fagottisten dann doch, weil: Mit der Reduktion des Fagottklanges auf Charakteristika wie: altväterlich, skurril, schrullig ist dem Fagott nicht wirklich geholfen. Wir wollen gleichberechtigt neben anderen Instrumenten stehen, weil ja längst bewiesen ist, dass das Fagott ja auch viel, viel mehr Klang-Facetten zu bieten hat, als nur den ewigen Großvater!