Sein Instrument kreischt und näselt, raut die Töne auf oder verschmiert sie zu Klangbändern. Niemand spielt Blues und Balladen auf dem Saxofon so bewegt und vieldeutig wie Archie Shepp. Am 24. Mai 2017 wird der amerikanische Jazzmusiker und Kulturkritiker 80 Jahre alt.
Die Tradition der schwarzen Musik
Seit vielen Jahren lebt Professor Shepp in Frankreich. Zu Hause in den USA, sagt er, sei der Jazz längst tot, jedenfalls kein lebendiger Teil mehr der afroamerikanischen Kultur und Identität. Und genau darum ging es ihm ja immer: dass Jazz schwarze Musik sei, schwarze Geschichte, schwarze Selbstfindung.
»Die Schwarzen heute haben ein sehr geringes Bewusstsein von ihrer Tradition«, sagt er. »In der Zeit der Sklaverei wurden unsere Spuren mit Macht verwischt. Und es gibt in den USA kein Interesse, die Schwarzen mit ihren Wurzeln in Verbindung zu bringen.«
Aktuellen afroamerikanischen Popkünstlern würde er gerne sagen, dass ihre Musik Teil einer größeren Geschichte sei: »Spirituals, Gospels, all das ist verbunden mit Hip-Hop und Rap. Aber die Schwarzen in den USA wissen das nicht. Sie gehen auf schlechte Schulen mit schlecht ausgebildeten Lehrern. Sie lernen nicht, wer sie sind.
Jemand wie Jay Z hat keine Ahnung von John Coltrane oder Duke Ellington, er war früher ein DrogendealerRapper, und Hip-Hopper werden, so rasch sie können, Teil des Problems. Sie schließen sich der Gesellschaftsschicht an, die sie kritisiert hatten, solange sie noch arm waren.«
Die politische Dimension der Musik
Archie Shepp hat sich sein Leben lang mit Fragen der afroamerikanischen Identität beschäftigt. In den 1960er Jahren galt er als der Intellektuelle unter den Jazz-Avantgardisten, der Engagierte, der Zornige, der Aktivist und Freiheitskämpfer. »Ich war immer ein Rebell«, sagt er. »Ich habe Dinge riskiert, die mich ins Gefängnis hätten bringen können. Ich war ein zorniger junger Mann – heute bin ich ein zorniger alter Mann.«
Die politische Dimension ist ein wichtiger und reflektierter Teil seiner Musik. »Jazz handelt von deiner Umwelt«, sagte er einmal, »der Jazzmusiker ist wie ein Reporter.« In seiner radikalsten Zeit nannte Archie Shepp sein Tenorsaxofon sogar »ein Maschinengewehr des Vietkong«.