Brass, Orchestra, Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Aspekte der Raumakustik – Reflektoren und Absorber

Goldener Saal
Der "Goldene Saal" im Wiener Musikverein gilt als einer der akustisch besten Säle. Foto: Bwag/Wikimedia

Wann ist die Akustik „gut“? Was muss man bauseits beachten und wie geht man als ­Musiker damit um? Da gibt es Unterschiede. Professionelle Konzertsäle etwa haben eine Nachhallzeit von knapp unter zwei Sekunden, eine sogenannte „halbtrockene Akustik“. Meditative, modale Klänge können mehr Hall vertragen – wie etwa ein spät­romantisches Orgelkonzert in der Kirche. Schnelle Tonfolgen mit rasch wechselnden Harmonien – eine Bebop-Improvisation im Jazzclub – wollen dagegen nur wenig Hall.

Bis zum Jahr 1900 hat man sich über die Akustik von Konzertsälen wenig Ge­danken gemacht. Konzertbauten waren meist auf einfache Weise konstruiert, also quaderförmige, schmale Gebäude mit hoher Decke. Die Innenausstattung entsprach dem Geschmack der Zeit, besaß also verspielte Ver­zierungen, Vorsprünge an den Seitenwänden und viel Plüsch und Schmuck. Kurioserweise waren diese Konventionen für die Konzertakustik nahezu ideal. Der „Goldene Saal“ von 1870, das Konzerthaus des Wiener Musikvereins, gilt noch heute als einer der akustisch besten Konzertsäle der Welt. 

Kirchen und Kapellen eignen sich weniger fürs Konzerterlebnis

Dass andere Räume – etwa Kirchen und Kapellen – fürs Konzerterlebnis weniger gut geeignet sind, betonte der Architekt Henry Matthews schon 1826. Er erkannte, dass dort neben dem Direktschall eine Menge Schallreflexionen von den Wänden zu hören sind: „Das ist das Prinzip, das die Klarheit des Schalls in Kirchen, Kapellen und allen großen Gebäuden zerstört.“

Einer der Ersten, die physikalische Erkenntnisse gezielt für die Konzertsaal-Akustik nutzten, war Wallace Clement Sabine (Foto). Wegen der schlechten Raumakustik im Hörsaal des damals neu erbauten Fogg-Museums in Cambridge (Boston) zog man 1895 den Harvard-Professor zurate. Später hat Prof. Sabine die Grundlagen der Raumakustik formuliert und dabei Parameter wie Nachhallzeit und Schallabsorption geschaffen. Sein Fachwissen kam auch dem Bau der Boston Symphony Hall (1900) zugute, zu deren Vorbildern unter anderem der Wiener Musikverein zählte. 

Obwohl man seither über Raumakustik viel gelernt hat, gab es auch später immer wieder ­große Ent­täuschungen bei Saal-Neubauten. Ein echtes Akustik-Desaster war die Philharmonic Hall im Lincoln Center in New York (1962): Der Innenraum wurde 1976 komplett abgerissen und durch ein neues Konzept ersetzt (heute: David Geffen Hall). Auch der neue Plenarsaal des Bundestages in Bonn (1992) war akustisch katastrophal. Es dauerte über ein Jahr, bis das Fraun­hofer-Institut für Bauphysik die Akustik nachträglich optimiert hatte. 

Prinzipien der Raumakustik

In einem Konzertraum trifft der Schall (die Musik) auf Wände, Gegenstände und Personen. ­Dabei wird er reflektiert von glatten, harten ­Flächen. Er streut (diffundiert) durch unregel­mäßige Oberflächen. Und er wird absorbiert von weichen Materialien. Erreichen die Schallreflexionen unser Ohr nur wenige Hundertstelsekunden nach dem Direktschall, empfinden wir sie als einen „Hall“, der den Direktschall verstärkt. Erreichen sie uns aber später, haben sie einen störenden Echoeffekt. 

Deshalb ist es wichtig, dass der Konzertraum enge (nahe) Seitenwände besitzt, die die erste Schallreflexion schnell und ungehindert an unser Ohr bringen. Die Akustiker beschreiben die ­ideale Raumform als „Schuhschachtel„. Ist der Raum dagegen weit, leer und schmucklos – etwa eine große Kirche oder eine Messehalle –, bekommen wir Echos und einen langen Nachhall. Die Töne „hängen“ dann längere Zeit in der Luft und kollidieren mit den nachfolgenden Tönen. Der Kölner Dom zum Beispiel soll eine Nachhallzeit von bis zu 13 Sekunden haben: Da wird die diffizile Kontrapunktik einer Bach’schen Orgelfuge unweigerlich zum dissonanten Klangbrei.

Durch asymmetrische Raumgrundrisse mit Vorsprüngen, Kanten, Nischen, nicht parallel ge­führten Wänden, Wölbungen nach innen usw. werden die Schallreflexionen gestreut und gleichmäßig verteilt. Je unregelmäßiger die Wände, desto besser die Diffusion – so werden Interferenzen und Flatterechos vermieden. Um den Nachhall dann zu verkürzen, helfen so­genannte »Absorber« aus schallschluckendem Material, etwa Vorhänge und Teppiche.

Auch gepolsterte Sitze und die Kleidung des Publikums dienen als Schallabsorber. Wird der Schall allerdings zu stark verschluckt, kann die Akustik hallfrei, trocken und tot wirken. Nach einem Soundcheck im leeren Saal gibt es dann oft eine böse Überraschung, wenn das schallabsorbierende Publikum die Plätze füllt. Es gilt also immer, den Mittelweg zwischen zu viel und zu wenig Hall zu finden. 

Typen von Raum

Wer in der Fußgängerzone musiziert, stellt sich gerne vor eine Hauswand, denn die Wandreflexion des Schalls erhöht die Lautstärke. Wichtig ist dabei, dass man nahe an der Wand bleibt, damit keine Echos entstehen. Eine verbesserte Variante des Wandeffekts liefert die Schallmuschel im Musikpavillon. Auch bei der Muschel legen die Akustiker heute Wert auf unregelmäßige ­Formen. Statt der perfekten geometrischen Rundung bevorzugen sie zusammengesetzte Oberflächen – das verhindert die Fokussierung der Reflexionen auf bestimmte Frequenzen. 

Problematisch sind Konzerte in großen Mehrzweckhallen, bei deren Bau akustische Fragen meistens wenig berücksichtigt werden. Bei Sport- oder Messehallen ist oft schon der Au­ßen­schall nur unzureichend abgedämmt, denn Autohupen stört nicht beim Basketballspiel. Eine weite, kaum mit Besuchern gefüllte Halle mit ungepolsterten Plastiksitzen kann zur akustischen Katastrophe werden. Ist die Akustik zu hallig, sollte man absorbierende und reflektierende Auskleidungen verlangen, zum Beispiel Kissen, Teppiche, Vorhänge, Reflektorplatten, Deckensegel oder hölzerne Stellwände. Auch das Schließen oder Öffnen angrenzender Räumlichkeiten kann der Verbesserung der Akustik dienen. 

Hall im schalltoten Raum

In der Regel ist es leichter, einen halligen Raum „trockener“ zu machen, als einem schalltoten Raum Hall zu verleihen. Wenn mehr Hall gewünscht wird, etwa bei sehr großen Ensembles, bieten professionelle Säle zuweilen variable Wände oder die Möglichkeit, Echokammern zu öffnen. Notfalls aber hilft die Elektronik nach.

Man erzeugt dann über Lautsprecher eine ­starke, künstliche erste „Schallreflexion“, die um ca. 30 Millisekunden verzögert dem Direktschall folgt (zum Beispiel dank Delay-Prozessoren). Die Lautsprecher sollten auf oder neben der Bühne stehen, um beim Hörer Richtungs-Irritationen zu vermeiden. Der elektrisch verstärkte Schall muss in dieselbe Richtung abstrahlen wie der Direkt­schall und darf nicht auf die Mikrofone treffen. 

Akustik des Tonstudios

Im Aufnahmeraum von Tonstudios gelten im Grunde dieselben akustischen Prinzipien wie im Konzertsaal. Für große Ensembles ist eine halbtrockene Akustik von knapp unter 2 Sekunden Nachhallzeit ideal. Kleinere Ensembles und Sprecher brauchen deutlich weniger Hall. Der Aufnahmeraum sollte asymmetrisch gebaut und ­gefüllt sein. Ein unregelmäßiges Verhältnis der Raumproportionen (Höhe, Breite, Länge) zueinander hilft, Flatterechos und fokussierte Frequenzen zu vermeiden. 

Zur Reflexion, Streuung und Absorption des Schalls im Tonstudio empfehlen sich Stellwände, Holzverkleidungen, Dämmstoffe, Schäume oder Textilien. Das Material wird möglichst vielfältig gewählt, um alle Frequenzen gleichmäßig zu erfassen. Für Bassfrequenzen, die oft länger nachhallen, gibt es spezielle Bass-Absorber, sogenannte Bass-Fallen, die man am besten in den Raumecken anbringt.

Echokammern für die Raumakustik

Dagegen bieten sehr ­kleine Räume häufig zu wenig Hall. Um die Akustik halliger zu machen, haben manche Studios ebenfalls Echokammern oder enorm hohe Raumdecken. Notfalls hilft auch hier die Elektronik nach und liefert einen synthetischen Hall. 

Bei der Tonaufnahme im Studio ist die Raumakustik natürlich nicht alles – die Mikrofonierung ist mindestens ebenso wichtig. In welchem ­Abstand und Winkel zum Blasinstrument das Mikro­fon (oft ein Clip) positioniert wird, wie viel Luft- und Mechanikgeräusch aufgenommen werden soll, ob mehr der direkte oder mehr der diffuse (umgebende) Schall eingefangen wird – das sind entscheidende Fragen. 

Der legendäre Ton-Ingenieur Rudy Van Gelder, der wahrscheinlich mehr Jazzbläser aufgenommen hat als irgendjemand sonst, hat den Bau seiner Studios in Hackensack (1946) und Englewood Cliffs (Foto) (1959) penibel geplant – kapellen­artig mit hoher Decke und viel Holzverkleidung. »Sein« Sound – diese spezielle Mischung aus Dynamik und „Space“ – wurde legendär. Meh­rere Stunden verwendete er auf die Vorbereitung einer Aufnahmesession, akribisch platzierte er die Kabel, die Mikrofone, die Stühle und die Aschenbecher. Getränke und Speisen waren bei ihm nicht erlaubt, er selbst trug im Studio stets Handschuhe. Kein Musiker durfte die Mikrofone auch nur berühren.

Der Kölner Dom soll eine Nachhallzeit von 13 Sekunden haben. (Foto: Roland Unger (CC BY-SA 3.0)