Szene, Wood | Von Klaus Härtel

Asya Fateyeva und das klassische Saxofon

Ja, Hamburg hat jetzt eine neue, eine wirklich beeindruckende Sehenswürdigkeit: Die Elbphilharmonie, Kurz: Elphi. Doch Hamburg hat natürlich noch mehr zu bieten: Asya Fateyeva etwa. Die klassische Saxofonistin erobert gerade die Konzertsäle der Welt. Wir trafen sie in Hamburg – natürlich in der Elbphilharmonie.

Hamburg

Es ist kühl in Hamburg. Windig. Beim Aussteigen aus dem Flieger in Fuhlsbüttel klatscht der Regen seitlich an die Fenster der Gangway. Ob das schon das berühmte Schietwetter ist? Der Hamburger wird vermutlich müde lächeln.

In der S-Bahn ist das Wetter auch nicht besser. Alles grau irgendwie. Selbst als eine osteuropäische Folklorecombo die Waggons entert und mit Saxofon und Melodica das mexikanische Volkslied »La Bamba« anstimmt, starren alle äußerst angestrengt in ihre Smartphones. Ob sie googlen, dass der Song nach Ritchie Valens auch schon mal von Neil Diamond und James Last gecovert wurde? Keine Ahnung. Aber der Spuk ist auch recht schnell vorbei.

An den Landungsbrücken spuckt die S-Bahn die Fahrgäste und die Combo aus. An der Elbe regnet es immer noch. Der Regenschirm ist aufgespannt. Man muss ihn seitlich gegen den Wind stemmen, damit er nicht umklappt. Rechts nimmt man noch kurz das Museumsschiff Rickmer Rickmers wahr. In der Ferne sieht man bereits die Elbphilharmonie liegen. Schon von weitem erahnt man Großes.

Man vergisst den Regen, läuft dem Konzerthaus entgegen – und kommt ihm doch nicht näher. Noch mal ein paar Treppenstufen hoch, über eine Brücke. Noch eine Brücke. Und dann ragt sie tatsächlich vor einem auf. Elphi! Sie ist fast 800 Millionen Euro schwer – und wirklich beeindruckend. 110 Meter ragt sie in die Höhe.

Der Unterbau aus Ziegel, Resten eines alten Kaispeichers, der Oberbau ein Kunstwerk aus Glas, Stahl und Beton. Die Schlange am Eingang lässt erahnen, dass die Fertigstellung lang ersehnt wurde. Die Leute stehen an, um Einlasskarten für die Plaza zu ergattern. Im Vorfeld kann man online für zwei Euro reservieren. Die Kosten müssen ja wieder reingeholt werden.

Asya!

Warten. Im windgeschützten Bereich hält man nach der Gesprächspartnerin Ausschau. Sie hatte im Vorfeld schon gesagt, dass die Parkplatzsuche etwas dauern könne, sie habe erst kürzlich ihren Führerschein gemacht. Die Frage, ob man die Saxofonistin erkennen wird, erübrigt sich, als sie um die Ecke biegt. Asya!

Asya Fateyeva lächelt und winkt. Ist »Asya« eine Kurzform von Anastasia? Oder bedeutet ihr Name tatsächlich »die von Osten kommende«, »aufgehende Sonne«? Fragen, die man dann doch nicht stellt. Die 26-Jährige fängt sofort an zu plaudern. Es sprudelt aus ihr heraus.

Schon in der »Tube«, der 82 Meter langen, leicht gewölbten Rolltreppe quer durch das Gebäude, die die Besucher zum Panoramafenster mit Hafenblick trägt, erzählt sie von ihrem Auftritt, den sie kürzlich auf der Plaza anlässlich der Eröffnung hatte. Den fröhlichen Lärm der Reisegruppe der Kita »Schmusebacke« nimmt man fast nicht wahr.

Im Ostteil des Gebäudes befindet sich »The Westin Hamburg«, ein Hotel mit 244 Zimmern und Suiten, Restaurant, Bar, Wellness- und Konferenzbereich. In der »Bridge Bar« gibt es »Schwarze Johannisbeere und Hibiskus Früchtetee« und Cappuccino. Der Blick über den Hafen ist imposant. Vor den Fenstern versperren gelegentlich Besucher die Sicht darauf.

Doch wir sind nicht hier, um die Schiffswerft »Blohm+Voss« zu bestaunen oder das Stage Theater am Hafen, in dem das Rekordmusical »König der Löwen« gegeben wird. Wir sprechen über Musik. Asya Fateyevas Augen strahlen, sie erzählt begeistert und hört neugierig zu.

Wer ist diese Frau eigentlich, die ein einwandfreies Deutsch spricht und trotzdem den osteuropäischen Akzent und den bisweilen französischen Einschlag nicht verleugnen kann? Klingt charmant.

Das Saxofon: Liebe auf den ersten Ton

Geboren ist sie 1990 in Kertsch auf der Krim. Noch gut erinnert sie sich an die salzige Luft, die sie geschmeckt hat, wenn sie als Kind die Musikschule direkt an der Küste besuchte. Ihr erstes Instrument war das Klavier, das sie im Alter von sechs Jahren zu spielen lernte. Mit zehn Jahren entdeckte Asya Fateyeva das Saxofon für sich.

Eigentlich wollte ihr Vater, ein ehemaliger Fußballprofi, seine Versäumnisse als junger Instrumentalist nachholen, doch sofort begeisterte sie sich für den warmen Klang: »Ich war beim ersten Ton verliebt und hatte das Glück, gleich eine hervorragende Lehrerin zu finden!« In Simferopol brachte Lilija Russanowa ihr die Tradition der französischen Saxofon-Schule nahe.

Von der Krim ging’s dann gen Moskau, wo die Saxofonistin am berühmten Gnessin-Institut bei Margarita Shaposhnikova lernte. Als Asya Fateyeva 14 war, siedelten ihre Eltern mit beiden Töchtern nach Hamburg über. »Die ersten sechs Monate war ich an einer speziellen Schule, um vor allem erst einmal Deutsch zu lernen.« Aber sie war ja in Deutschland, um ihr Saxofonspiel voranzubringen. »Also habe ich mich in Hamburg umgeschaut, was es hier gibt – und musste erkennen: Nichts!« Asya Fateyeva lacht.

Klassisches Saxofon existierte in der Hansestadt schlichtweg nicht. Der »normalen« Schule konnte der damalige Teenager wenig abgewinnen: »Für alles mögliche musste man sich mit Entschuldigungsbriefen befreien lassen.« Vom Gnessin-Institut kannte die Saxofonistin das nicht. »Alles drehte sich um die Musik. Mathematik und das alles waren Nebenfächer.«

Heute versteht die 26-Jährige das besser. »Ich bin nun seit zwölf Jahren in Deutschland und kann das Sicherheitsdenken nachvollziehen. Vielleicht noch mehr, wenn ich irgendwann selbst Kinder habe. Aber als ich damals über Alternativen zur Musik nachgedacht habe, gab es da keine!«

Studium bei Daniel Gauthier

Also zog Asya Fateyeva zwei Jahre später weiter nach Köln, wo sie als Jungstudentin bei Daniel Gauthier studieren konnte. Der Frankokanadier war (und ist) eine Institution des klassischen Saxofons. Er erhielt im Jahr 1997 die erste Professur für klassisches Saxofon in Deutschland.

Mit 16 zog Asya bei Daniel Gauthier und seiner Frau als Pflegetochter ein, damit sie in Köln die Schule beenden konnte. »Dass ich heute Deutsch mit französischem Akzent spreche, hat in dieser Zeit seinen Ursprung.« Mit 17 konnte Asya Fateyeva ihr reguläres Saxofon-Studium an der Hochschule für Musik in Köln aufnehmen.

Von Köln aus folgten Studienaufenthalte in Paris, Lyon und Montpellier, wo sie wichtige Impulse aufnahm. »Wenn die USA für das Jazz-Saxofon zuständig sind, dann ist für uns ›Klassiker‹ Frankreich ein absolutes ›Muss‹.« Denn dort schließlich wurde das Instrument erfunden und von Komponisten wie George Bizet und später Maurice Ravel als klassisches Instrument etabliert.

Die CD: Bachiana

Für ihre aktuelle Einspielung hat Asya Fateyeva allerdings nicht »die Franzosen« gewählt, sondern keinen geringeren als den großen Johann Sebastian Bach. Und soviel vorweg: Bach hätte dieses fabelhafte Album gut geheißen.

Die Wahl-Hamburgerin beschäftigt sich seit ihrer Klavierjugend mit Bachs Wirken, mit ihrem jetzigen Instrument hat sie dabei allerdings, im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen, ein Handicap – Originalwerke des Meisters aus Thüringen liegen für Saxofon nicht vor. Auf »Bachiana« zeigt sie sich daher nicht nur als Virtuosin ihres Instruments, sondern ebenso als begabte Arrangeurin.

Bachs Musik sei »einfach immer da« gewesen. »Bachs universelle Sprache kennt keine Grenzen, und wenn man mit seiner Musik in Berührung kommt, glaubt man, etwas von der Unendlichkeit zu spüren«, meint Asya Fateyeva. Johann Sebastian Bach ist Musikern und Musikliebhabern weltweit ein Säulenheiliger.

Deshalb die Frage: Bach auf dem Saxofon – darf man das? Mit dieser Frage ist die Saxofonistin schon öfters konfrontiert worden, nicht erst wegen der neuen CD. »Die Leute sind skeptisch«, weiß Asya Fateyeva und bringt sogar Verständnis dafür auf. Umso mehr versucht sie, die Skeptiker zu überraschen, was ihr wirklich eindrucksvoll gelingt.

Asya Fateyevas Bach-Spiel besticht durch Natürlichkeit und Authentizität, vor allem aber mit der Variabilität ihres Instruments, mit dem sie mühelos den Geist der Kompositionen Bachs umsetzt. Auf »Bachiana« interpretiert sie sowohl das ursprünglich für Cembalo komponierte »Concerto in g-Moll« als auch das »Violinkonzert in a-Moll« und das Doppelkonzert für Violine und Oboe, in welchem sie durch den Geiger Erik Schumann unterstützt wird.

Bach zur Seite steht übrigens Heitor Villa-Lobos. Dessen »Fantasia« für Sopransaxofon und Kammerorchester ist eines der bekanntesten Werke des brasilianischen Komponisten. Inspiriert durch Bach entstand auch Villa-Lobos’ Zyklus der »Bachianas Brazileiras«, aus welchem Nummer 5 den Weg auf die CD fand. Das Württembergische Kammerorchester Heilbronn mit seinem Dirigenten Ruben Gazarian ist Asya Fateyeva stets ein stilsicherer und ausdrucksstarker Partner. »Bachiana« überzeugt und überrascht – für Bach- und für Saxofon-Fans gleichermaßen.

Das klassische Saxofon

Das Saxofon scheint längst im Klassikbetrieb angekommen zu sein – und doch muss sich Asya Fateyeva gelegentlich darüber ärgern, dass ihr Instrument noch immer nicht uneingeschränkt für voll genommen wird. »Ich will, dass das Saxofon mehr Aufmerksamkeit erlangt!« Die Musikerin wird energisch.

Und sie weiß, dass sie nicht nur beim Publikum auf Skepsis stößt. »Selbst viele Musiker wissen ja nicht, was das Saxofon für Möglichkeiten hat. Ich muss meine Kollegen überzeugen. Viele haben irgendwo studiert, wo es kein Saxofon gab. Die haben das nie erlebt.« Asya Fateyeva zuckt mit den Schultern. Nein, sie resigniert nicht, aber sie weiß, dass noch viel Arbeit vor ihr liegt. Und natürlich gibt es heute sehr viel mehr Originalliteratur. Auch gegen Arrangements und Transkriptionen sei ja überhaupt nichts einzuwenden.

Der Jazz sei er ihr nie wirklich nahe gewesen, erzählt sie. »Was die Ästhetik angeht, bin ich ›Klassikerin‹.« Es liegt ihr allerdings fern, den Jazz zu verteufeln. Früher war sie da kompromissloser: »Ich musste mich immer abgrenzen und war tödlich beleidigt, wenn jemand mit Jazz ankam. Ich war da stur. Heute sehe ich das ein bisschen lockerer.

Ein Großteil des Repertoires des 20. Jahrhunderts ist ja jazzbeeinflusst. Das ist toll, eine Bereicherung. Aber ich mag die Klassik.« Sie spiele auch Neue Musik und arbeite gerne mit Komponisten zusammen. »Das ist sehr spannend! Diese Entwicklung von Musik. Die Idee ist in der Luft und man versucht, sie einzufangen und zu fassen.«

Am 1. April wird die 26-Jährige mit dem Sinfonischen Blasorchester Norderstedt auftreten und dort ein Werk von Wolf Kerschek aufführen. Das Original existiert für Trompete und Orchester und wurde von Matthias Höfs (German Brass) eingespielt. Das Arrangement für Saxofon und Blasorchester ist nun etwas völlig anderes. »Nicht musikalisch natürlich«, erklärt Asya Fateyeva, »aber die Farben sind andere«. Wolf Kerschek hat das mit Begeisterung gemacht, obwohl er zuerst zögerte und seinen »Berg von Arbeit« präsentierte.

Lehren und Lernen

Seit 2014 unterrichtet Asya Fateyeva an der Musikhochschule Münster klassisches Saxofon. Für ihre Schüler und Studenten hat sie sich von der, wie sie es nennt, »russischen Pädagogik« abwenden müssen. »In Russland war es üblich, dass man Schüler hart kritisiert und auch mal laut wird.«

In Deutschland funktioniere das nicht. »Die machen sofort zu. Zurzeit habe ich einen russischen Studenten. Da krame ich wieder in alten Erinnerungen und kann Vollgas geben.« Die Saxofonistin lacht laut – vorstellen kann man sich das irgendwie nicht. Ihr Unterricht sei eine Mischung aus allem, was sie so erlebt habe. »Und auch ich lerne ja immer weiter.«

Lernen wird sie hoffentlich ihr ganzes Leben, meint sie. Diese Neugierde scheint ihr in die Wiege gelegt zu sein. »Ich bin so ein Typ«, zuckt sie mit den Schultern. Diese Neugier, dieser Ehrgeiz, diese Art, unbedingt etwas zu wollen, haben Asya Fateyeva schon sehr früh sehr erfolgreich werden lassen.

In der Ukraine stand sie schon ein halbes Jahr nach Unterrichtsbeginn auf großer Bühne. Die Liste ihrer Auszeichnungen und Stipendien ist lang: »Jugend musiziert« 2006, Deutscher Musikwettbewerb 2012, Adolphe-Sax-Wettbewerb 2014, ECHO Klassik 2016. Harte Arbeit? Sie lacht. »Es ist wohl ein bisschen von allem.«

Dann wird sie ernst. »Nur eins ist es nicht: Zufall!« Natürlich brauche man gelegentlich Glück, aber entscheidend sei einfach, »dass ich da nicht aus meiner Haut kann. Ich will das unbedingt. Ich kann nicht anders. Die Musik ist meine Art, mich auszudrücken.« Wichtig sei es, etwas zu sagen zu haben und es ausdrücken zu können – und dass man die Leute berührt.

Bei aller Musik sei es trotzdem wichtig, auch mal abzuschalten. Diese Phasen muss man planen – »wenngleich das Planen nicht zu meinen Stärken gehört«, seufzt die Saxofonistin. »Jeder kennt die Geschichten, wenn alles wichtig ist, nur das Üben nicht. Da werden dann erst mal Fenster geputzt.«

Asya Fateyeva ist mit einem Pianisten verheiratet. Nicht einfach, da die Musik aus den täglichen Unterhaltungen herauszuhalten. »Ich habe mir als Jugendliche immer geschworen, dass mein Mann nie Saxofonist sein wird. Es war eine Horrorvorstellung für mich, abends nur über Blätter zu sprechen.« Sie lacht. »Positiv ist bei uns, dass wir zwar über Musik sprechen können, aber nicht müssen. Musik ist ja nicht nur unser Beruf, sie ist unser Leben.«

Musik und Sprache

Asya Fateyeva spricht mehrere Sprachen fließend. Wenn man Deutsch, Französisch, Englisch und Russisch beherrscht, erleichtert das natürlich die internationale Kommunikation. Vor allem aber glaubt sie, »dass das zum ›Wesen‹ eines Musikers dazugehört«.

Ob Musiker per se weltoffener sind, vermag sie nicht zu beurteilen. »Aber wenn man Musik macht, eröffnen sich einfach sehr viele Möglichkeiten. Das gilt für Profis und Amateure gleichermaßen, für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Man lernt sich kennen, nimmt manche Dinge anders wahr und ermöglicht sich selbst andere Blickwinkel.«

Mit Musik habe man Kanäle zur Verfügung, die allein mit Sprache nicht denkbar wären. »Wenn man blockiert ist, öffnet uns die Musik. Es ist sehr empfehlenswert, Musik zu machen.« Asya Fateyeva lacht, weil sie gerade so missionarisch klingt. Leider wisse heutzutage immer noch nicht jeder, wie wichtig Musik ist.

Plötzlich wird einem wieder bewusst, dass man in der Elbphilharmonie sitzt. Diese dürfe kein »Elfenbeinturm« werden. »Die Elbphilharmonie darf sich die Chance nicht entgehen lassen, sich zu öffnen. Das Publikum ist ja da, schon wegen des Gebäudes.« Man dürfe es nur nicht »erschrecken«.

Musik ist lebendig

Musikvermittlung sei toll. »Ich habe das selbst schon miterlebt und so viel gelernt! Die Frage ist ja berechtigt: Warum muss ein klassisches Konzert immer so statisch und so ernst sein? Man darf ja nicht mal husten! Es muss lebendiger werden!«

Innovative Programme und großes Können zeichnen Asya Fateyevas Konzerte aus. Persönliche Highlights? »Es gab viele schöne Konzerte, deren Gelingen von vielen Faktoren abhängt. Wirklich ›magische Momente‹ sind schwer zu erreichen.« Man arbeitet und übt und probt – aber das sei eben doch anders als der Ernstfall.

»Diese paar Sekunden, in denen es magisch wird, in denen alles miteinander verschmilzt – das passiert nicht sehr oft.« Diese Spannung, dieses Knistern, diese Emotionen – das ist es ja, was wirklich erlebte Musik ausmacht. Auf der Bühne und im Publikum.

www.asyafateyeva.com