Sich mit der eigenen Atmung und der Atemtechnik zu beschäftigen, ist zwar nicht zwingend erforderlich für das Spielen eines Blasinstruments – schaden kann es aber sicherlich auch nicht. Die Naturwissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin Stephanie Czajka hat nun ein Buch geschrieben, in dem die physiologischen Vorgänge beim Atmen und Stützen verständlich und dicht am Spielgefühl dargestellt sind. Es richtet sich an Laien.
Das Buch beginnt mit Einzelaspekten wie Klangvorstellung, Körpergefühl, Ansatz oder Anatomie. Es behandelt dann zentrale Themen wie Haltung, Einatmung und Stütze. Der dritte Teil enthält Ratschläge zu Schwierigkeiten mit Phrasen oder Stücken, also zu Themen wie Atemrhythmus, Kondition oder Koordination. In 50 Übungen werden abschließend Theorie und Praxis verbunden. Wir sprachen mit Stephanie Czajka.
Stephanie Czajka
ist promovierte Naturwissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin. Als Jugendliche spielte sie intensiv Querflöte. Nach Jahrzehnten begann sie Klarinette zu lernen. Das Gefühl für die richtige Technik hatte sie noch in Erinnerung, aber den Weg dorthin musste sie sich jetzt bewusst erarbeiten. Bei ihrer Suche nach Literatur vermisste sie einen analytischen Blick auf die Atmung. Sie hat daher ihre gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen zu Stütze und Atemtechnik für Bläserinnen und Bläser unter diesem Aspekt geordnet und aufgeschrieben.
Atmen? Kann ich doch längst …, könnte man meinen. Warum ist dieser Denkansatz nicht so ganz richtig?
Dieser Denkansatz ist eigentlich richtig. Das Problem ist nur, dass die natürlichen Bewegungsabläufe aus unterschiedlichsten Gründen auf Abwege geraten können. Das Geschehen ist so komplex und filigran austariert, dass eine kleine Ursache das Gesamtgefüge aus der Bahn bringen kann, wenn nicht rechtzeitig korrigiert wird. Dazu kommt, dass wir das Stützen zwar in der Regel intuitiv lernen und die Abläufe dadurch »natürlich« bleiben. Aber Stützen ist nicht dasselbe wie Alltagsatmung. Je nach Instrument muss mehr oder weniger Druck überwunden werden und wir möchten gleichmäßige Stabilität im Luftstrom. Das muss man schon trainieren und Fehler wirken unmittelbarer als bei einer nicht ganz optimalen Alltagsatmung.
Ist die Antwort darauf die Intention Ihres Buches?
Für jemanden, der Schwierigkeiten hat oder sich verbessern möchte, gibt es verschiedene Herangehensweisen an das Thema Atmung und ich würde immer dafür plädieren, viel auszuprobieren. Was mir fehlte, waren etwas detailliertere physiologische Erklärungen. Meine Intention war es daher, diese analytische Lücke zu schließen, das Thema also gerade nicht ganzheitlich anzugehen, sondern möglichst verständlich darzustellen, wie die einzelnen Körperpartien zur Stütze beitragen, wie Sie das erspüren können und wie die verschiedenen Vorgänge ineinander greifen.
Kann es das Musizieren aber unter Umständen auch »verkomplizieren«, wenn man zu verkopft und theoretisch an die Sache herangeht?
In jedem Fall. Ich würde beim Thema Atmung nie dazu raten, sich erstmal theoretisches Rüstzeug anzueignen und dann loszulernen. Es macht mehr Sinn, erst dann in die Theorie einzusteigen, wenn Probleme auftauchen oder wenn man andere unterrichten möchte. Und selbst für eigene Probleme gibt es außer dem Griff nach einem Buch natürlich immer auch die Möglichkeit, sich atemtherapeutisch betreuen zu lassen oder Kurse zur besseren Körperwahrnehmung zu besuchen.
Es hängt auch davon ab, was für ein Typ ich bin und welches Problem ich habe. Kann ich theoretische Information gut umsetzen und die Auswirkung registrieren ohne mich verrückt zu machen oder komme ich besser klar, wenn ich mich guter Führung anvertraue? Keinesfalls jedoch führt eine gute Analyse zwangsläufig zu mechanischem Spiel. So wie Sie sich auf die Bewegung eines Fingers eine Zeit lang fokussieren, um hinterher flüssiger zu spielen, so gibt es auch bei der Atmung einzelne Parameter, die sich nach isolierter Beobachtung oder Training wieder ins Gesamtgeschehen eingliedern lassen.
Wie gelingt der Spagat zwischen Theorie und Praxis?
Ausprobieren! Atmung und Stütze können für Laien durchaus so etwas wie eine Blackbox sein. Mal geht es besser, mal schlechter. Von außen ist nichts zu erkennen und das Innenleben zu erspüren, zu objektivieren und in Worte zu fassen, ist gar nicht so einfach. So lässt sich der Prozess aber nicht steuern, wird abhängig von der Tagesform und es ist unklar, warum es gerade besser oder weniger gut klappt. Mit meinem Buch habe ich versucht, Ideen zu liefern, was man ausprobieren und wie man in sich hineinspüren kann.
Damit möchte ich allerdings nicht die Erwartung wecken, dass nur der richtige Schalter bedient werden muss und schon läuft es. Beim Stützen greifen viele verschiedene Mechanismen ineinander, wird ein Fehler falsch kompensiert, kann das eine Abwärtsspirale in Gang setzen, neben dem Urfehler entstehen weitere falsche Angewohnheiten. Das Körpergefühl muss dann insgesamt neu erkundet und justiert werden. Umgekehrt hat diese Komplexität aber auch ihr Gutes, denn »die Antriebe sind wechselbar«. Sie können also von verschiedenen Seiten versuchen, wieder ins Gleis zu kommen, viele Wege führen nach Rom: spielen Sie, lesen Sie, lassen Sie sich therapeutisch helfen. Wichtig ist nur, dass sie nicht mal hier, mal da im Nebel stochern, dass Sie ein feines Gefühl für Ihren Körper entwickeln und dass Sie über den Klang kontrollieren können, ob das gerade Ausprobierte eine Verbesserung bringt oder ob es kontraproduktiv ist.
Über die “Stütze” kursieren viele Definitionen, Halbwahrheiten, Irritationen. Können Sie kurz erklären, was Ihre Definition dazu ist?
Ich vermute, Sie zielen mit Ihrer Frage nicht darauf ab, wozu die Stütze gut ist, sondern was die Stütze ist. An dem Begriff stören sich tatsächlich einige Autoren, weil sie finden, er klinge zu sehr nach statischem Halten. In der Literatur ist beispielsweise auch die Rede von aktivem oder reguliertem Ausatmen oder von »elastischer Querspannhalte«. Ich finde, der Begriff »Stütze« ist kurz, knackig und weit verbreitet und bin deshalb dabei geblieben. Aber tatsächlich sollte man nicht an einen Gewichtheber unter einer Langhantel denken. Stützen ist ein dynamischer Vorgang: Sie brauchen zwar Kraft, damit das Zwerchfell nicht wie bei der normalen Ausatmung zurückschnellt und die Luft unkontrolliert aus dem Körper strömt. Diese Kraft darf aber nicht eingefroren werden, das Zwerchfell muss schwingen können und die Luft soll fließen, nur etwas kultivierter und steuerbar. Grob gesagt ist das so etwa wie der Unterschied zwischen einem Geysir und einem Wasserspiel im Park.
Wie individuell ist Atmung? Gibt es bestimmte »Atemtypen«? Oder gibt es auch Dinge, die bei jedem gleich sind?
Es gibt diese Theorie, dass Menschen sich je nach Zeitpunkt ihrer Geburt in sogenannte »Einatmer« (lunarer Typ) und »Ausatmer« (solarer Typ) unterscheiden. Ich bin in dieser Frage ambivalent und möchte mich daher nicht näher dazu festlegen. Ich bin mir aber sicher, dass die Grundzüge des Atemgeschehens eine Frage von Physiologie, Chemie und Physik und daher bei allen Menschen gleich sind: der Atemimpuls hängt ab vom Kohlendioxidgehalt im Blut, das Zwerchfell kann die Luft besser steuern als der Brustkorb, ein starrer Oberkörper blockiert die Atmung, das Zwerchfell braucht nach jedem Atemzug Entspannung.
Nicht gleich hingegen ist, wie etwas im Körper wahrgenommen wird. Was dem einen intuitiv gelingt, woran er gar keinen Gedanken zu verschwenden braucht, muss ein anderer sich vielleicht erst mit besonderer Aufmerksamkeit erarbeiten. Es kann also schon sein, dass zwei verschiedene Menschen unterschiedlichen Rat brauchen. Der eine hat vielleicht zu wenig Körperspannung und sollte erst einmal zu Kräften kommen, ein anderer aber setzt schon viel zu viel Kraft ein, noch mehr wäre schädlich. Ich würde immer erstmal derartige Gegebenheiten ergründen und falls nötig verändern, bevor ich zu sehr in die Details der Atemtypen einsteige. Aber es gibt Berichte von Musikern oder Musikerinnen, die gute Erfahrungen mit dem Fokus auf dem Atemtyp gemacht haben.
Welche Art Übungen empfehlen Sie generell? Oder muss jeder “seine eigenen” Übungen finden?
Ich denke, jeder muss seine eigenen Übungen finden. Natürlich können alle Übungen für jeden nützlich sein, aber es ist ja auch eine Zeitfrage. Als Laie bin ich oft schon froh, wenn ich Zeit zum Üben mit dem Instrument finde. Tägliche Körperübungen machen Sinn, wenn ich an bestimmten Problemen arbeite oder wenn ich spüre, dass mir etwas besonders guttut. Es kann aber auch schon helfen, ab und zu mal zu einem Seminar zu gehen, um das Körpergefühl zu erkunden und neue Bewegungsmuster kennenzulernen.
Wichtig ist, immer mit voller Aufmerksamkeit dabei zu sein und in sich hineinzufühlen, statt einfach nur gedankenlos irgendwelche Anleitungen abzuarbeiten. Es ist auch wichtig, ein Gespür dafür zu bekommen, wann es hilfreich ist, lange konsequent bei einer Übung zu bleiben, um den Fortschritt abzusichern und bestenfalls zu automatisieren und wann es Zeit für neue Ideen und Versuche ist. Kopf und Körper lieben Abwechslung, und wenn Sie an einer Stelle Fortschritte gemacht haben, verstehen Sie vielleicht plötzlich ein altes, anderes Problem besser.
Sollte man Atemübungen in den Übe-Alltag integrieren? Wie funktioniert das am besten?
Mit Atemübungen ohne Instrument ist das so eine Sache. Sie können helfen, wenn sie wirklich richtig durchgeführt werden. Ein Gespür für die Wechselwirkung von Stütze und Ansatz bekommen Sie so allerdings nicht. Wer mit dem Instrument übt, kann über den Klang kontrollieren, ob er auf dem richtigen Weg ist. Wer ohne Instrument übt, trainiert womöglich etwas, das er später nicht braucht oder was sogar stört.
Mit Instrument machen Sie Atemübungen eigentlich automatisch immer dann, wenn der Fokus beim Üben nicht auf der Technik, sondern eben auf der Atmung und der Luftführung liegt. Das oft unbeliebte Aushalten langer Töne zum Beispiel ist ja nicht nur gut für den Ansatz, sondern eben auch für die Stütze. Langweilig wird es nur, wenn es kopf- und gefühllos abgearbeitet wird. Muss man sich gerade nicht um Finger, Rhythmus, Notenwerte kümmern, kann die Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt werden: auf die Haltung, den Beckenboden, den Oberkörper, den Ansatz, auf Kraft und auf Entspannung, auf Stabilität im Luftstrom, auf meditatives Loslassen und Nachspüren… Auch mit einem einzigen Ton kann man also schon ganz ordentlich beschäftigt sein, und wer dabei auf Klang und Körpergefühl achtet, wird es zwischendurch trotz allem immer wieder auch genießen.
Für wen ist das Buch gedacht?
Ich würde gerne zuerst die Frage beantworten, für wen das Buch nicht gedacht ist, nämlich für Kinder und Jugendliche sowie für Anfänger jeden Alters. Zu Recht weisen einige Autoren daraufhin, dass es sehr kontraproduktiv sein kann, die nötigen Bewegungsabläufe von vorneherein zu hinterfragen. Die körperliche Intuition funktioniert von alleine in der Regel gut, solange darauf geachtet wird, dass sich keine Fehler einschleichen und dass der Ansatz stimmt.
Ich hatte beim Schreiben vor meinem geistigen Auge auch keine professionellen Solisten oder Ensemblemusiker, sondern Laien und deren Lehrerinnen und Lehrer. Das ist das Umfeld, in dem ich Erfahrungen habe, und außerdem gehe ich bei professionell praktizierenden Musikern davon aus, dass sie entweder keine Hilfe brauchen oder aber einen anderen Zugang zu Hilfe bekommen.
Mein Anliegen war es, die Erklärungsschwierigkeiten beim Thema Stütze zu verringern. Ich habe versucht, die physiologischen Vorgänge verständlich und dicht am Spielgefühl zu beschreiben, so dass Ratsuchende ihrem Körper und Atem auf die Spur kommen können. Lehrerinnen und Lehrern kann es helfen, die eigene Intuition analytisch zu erkunden. Vom eigenen Spielgefühl zu abstrahieren kann helfen, Fehler bei anderen zu erkennen und Worte für das wirklich sehr komplexe Geschehen zu finden.
Sie sind Naturwissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin – welche Auslöser gaben Flöte und Klarinette für dieses Buch?
In meiner Jugend habe ich sehr intensiv Querflöte gespielt und dann nach jahrzehntelanger Pause begonnen, Klarinette zu lernen. Wie sich richtiges, beglückendes Spiel anfühlt, hatte ich zwar noch in Erinnerung, aber den Weg dorthin musste ich mir bewusst erarbeiten. So habe ich viel ausprobiert, gelesen und schließlich beschlossen alle diese Informationen zu sortieren und aufzuschreiben.