Wood | Von Klaus Härtel

Auf der Suche. Der Klarinettist Christoph Zimper

Zimper
Foto: Tim Cavadini

Der Klarinettist Christoph Zimper beschloss 2018, den Orchesterjob an den Nagel zu hängen und stattdessen herauszufinden, wie man in einer eigenen musikalischen Sprache Existenzielles ausdrücken kann. Er wollte die Generation der Millennials, der er selbst angehört, musikalisch hin zu den immerwährenden Fragen des Lebens führen. Zimper legt mit seinem Kompositionsdebüt ein faszinierendes Album vor: eine Messe. Wir haben da ein paar Fragen.

In den Liner Notes des Werks “The Millenials Mass” heißt es: “Die Vision, das Giftthema Glaube zu entgiften und die scheinbar unüberwindbare Kluft zwischen religiösen In­sti­tu­tionen und Menschen zu verringern – ohne zu wissen wie –, ist mir jedoch ein Herzensanliegen.” Warum?

Eine gesund blühende Gesellschaft besteht, denke ich, darin, dass sie alle Stimmen in Balance mit einbezieht: Wissen, Vernunft, Erfahrung, aber auch Intuition und Geist sowie viele wei­tere. Die beiden zuletzt Genannten haben in unserer Kultur bestenfalls eine Nebenrolle. Wir haben uns daran gewöhnt, Politiker und Konzerne zu kritisieren, doch manchmal denke ich, es sind vor allem Kunst und Religion, die sich ihrer Kernverantwortung wieder bewusst werden müssen. Und diese besteht darin, den einzelnen Menschen zu inspirieren, sodass er sich seiner schöpferischen Größe wieder bewusst wird. 

Welche Rolle spielt (oder spielte) Religion in Ihrem Leben?

Die Religion hat mir den ersten Anstoß gegeben, um tief in mir zu wühlen und nach etwas zu ­suchen – je tiefer ich vordrang, desto unwichtiger wurde sie jedoch. Mittlerweile habe ich für mich herausgefunden, dass alles schon da ist, wenn ich mich der Erfahrung hingebe, in jedem einzelnen Moment. Das ist für mich die eigent­liche frohe Botschaft, die es zu verkünden gilt! 

Braucht es – gerade in der heutigen Zeit – so etwas wie Glaube, Liebe, Hoffnung, wie es im 1. Korintherbrief des Paulus heißt?

Es wäre zu einfach, diese Frage mit Ja zu beantworten. Glaube? Glaube basiert letztlich auf Bildern, die der Verstand zeichnet. Erfahrung allerdings ist absolut. Jeder Moment gibt dir genau das, was du brauchst. Mit der Liebe verhält es sich ähnlich. Erkenne die Liebe in der Erfahrung, anstatt dem Verstand zu erlauben, über ihre Bedeutung nachzudenken – was sowieso zum Scheitern verurteilt ist und zwangsweise zu Missverständnissen! Und Hoffnung? Bedeutet sie nicht letztendlich Erwartung? Und bedeutet Erwartung nicht, dass ich enttäuscht bin, wenn nicht eintritt was ich erhoffe? Ich weiß es nicht. 

Wie würden Sie Ihre Musik beschreiben? Was hat Sie zur Komposition inspiriert? Der Aufbau ist ja an den einer liturgischen Messe angelehnt. 

Mein Antrieb war es, meine persönliche spirituelle Reise mit meinem künstlerischen Schaffen zu verbinden. All das in die Liturgie einer Messe zu verpacken fand ich sehr reizvoll, alleine schon, weil das Wort Messe schon so stark polarisiert. Das Wort alleine ist so unhip, dass es beinahe schon wieder hip ist. Doch wenn man fern aller Dogmen, Formen und Geschichten die Botschaft alleine betrachtet sowie deren Bedeutung für das eigene Leben, hat es durchaus Kraft. 

Zu “The Pilgrimage” heißt es: “Etwa einmal im Jahr gehe ich auf Pilgerfahrt, um meinen Geist zu befreien.” Erzählen Sie doch einmal!

Als ich 23 Jahre alt war und mich in einer persönlichen Krise befand, wanderte ich auf dem spanischen Jakobsweg – meine erste Pilgerreise! Seitdem hat das Pilgern einen festen Platz in meinem Leben. Es reduziert alles auf die unmittelbare Erfahrung im gegenwärtigen Moment. Du gehst, du atmest, das war’s! Nach einigen Tagen oder Wochen hört der Verstand auf zu plappern und du öffnest dich mehr und mehr den Sensationen des Augenblicks. Detoxing für den Geist! 

Sie sind Solokünstler, Kammermusiker, Professor für Klarinette an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Kom­ponist genreübergreifender Stücke sowie künstlerischer Leiter des Weißensee Klassik Festivals. Wie sehr muss man auch Organisationstalent sein, um dies alles unter einen Hut zu bekommen?

Meine Freunde würden lachen, wenn man mich als Organisationstalent bezeichnen würde! Tatsächlich ist es so, dass das Nichtstun einen besonders großen Stellenwert in meinem Leben hat. Es ist vielleicht sogar die produktivste aller Phasen, denn Nichtstun ist nicht gleich Nichtstun. Aus ihm entspringen die Ideen für Kom­po­sitio­nen, tiefe Erkenntnisse für mein Spiel oder Visionen für neue Konzertformate für das Festival. Somit ist die halbe Arbeit schon getan! 

Gibt es bei Ihrer “Job-Beschreibung” auch eine “Lieblingstätigkeit”. Als was stellen Sie sich vor, wenn man Sie fragt: Was machen Sie beruflich?

Es ist die gegenseitige Ergänzung der Tätig­keiten, die ich so liebe. Das Musizieren ist die perfekte Abwechslung zum Unterrichten und umgekehrt. Das Komponieren hingegen ist eine kreative Spielwiese für den Geist und mit dem Kuratieren des Festivals kann ich meine Lust zu Gestalten ausleben. Was ich beruflich mache? Bei uns gibt es im Volksmund die Bezeichnung “Gschaftlhuaba”. Das trifft es wohl am besten! 

Von 2012 bis 2018 waren Sie Soloklarinettist des Mozarteumorchesters Salzburg. Warum sind Sie das nicht mehr?

Meine Zeit im Mozarteumorchester war eine wundervolle. Ich hatte großartige Kollegen und war Teil eines fantastischen Klangkörpers, mit dem ich unvergessliche Momente erleben durfte, musikalisch sowie persönlich. 

Meine Entscheidung zu kündigen war kein Schritt weg vom Orchester, sondern ein Schritt hin zur freischaffenden Kunst, zu einem neuen Profil als Künstler und natürlich zur Professur an der MDW. 

Im Jahr 2017 sind Sie der erste Professor für Klarinette in der über 200-jährigen Geschichte der Wiener Universität geworden, der nicht aus den Reihen der Wiener Philharmoniker stammt. Wie kam es dazu? Und wie waren die Reaktionen?

Für eine Professur gibt es ein langwieriges Be­rufungsverfahren, dass aus einer künstlerischen und einer pädagogischen Präsentation besteht sowie aus einem Interview. Offenbar ist mir das gut gelungen. 

Was die Reaktionen angeht weiß man als Be­troffener immer am wenigsten, denn man kriegt nur die positiven Reaktionen mit. Meine Be­rufung war sicher eine gewisse Richtungsentscheidung, die manche gut finden und andere nicht. Schlussendlich liegt es an mir und was ich daraus mache. 

Corona hat immer noch vieles im Griff. Was sind Ihre kurz- und mittelfristigen Pläne und was steht auf der Agenda, wenn »das alles« mal vorbei ist?

Ich freue mich riesig, in diesem Interview erstmals öffentlich erwähnen zu dürfen, dass ich ab 2023 die Intendanz für ein neu gegründetes Festival für innovative Konzertformate übernehmen werde. Noch dazu in meiner Fast-Heimatstadt Wiener Neustadt. Diese Aufgabe ist mir ein echtes Herzensanliegen, auf die ich mich riesig freue!