“Der hat vergeben das ewig’ Leben, der nicht die Musik liebt und sich beständig übt in diesem Spiel.” Das ist zumindest mal eine Ansage, der keine engagierte Musikerin und kein engagierter Musiker prinzipiell widersprechen würden. Sie wurde schon im ausgehenden Mittelalter von Valentin Rathgeber getroffen und musikalisch in ein schlichtes, empfindsames Lied gekleidet. Des Weiteren schrieb er auch Lieder wie “Alleweil ein wenig lustig, alleweil ein wenig durstig”, oder “Narren sollen ewig Leben, kanns was Schöneres geben als so ein rechter Narr”. Aus diesen und weiteren Thematisierungen volkstümlicher Freuden jener Zeit entstand schließlich eine vierbändige Sammlung abwechslungsreicher Lieder, für und aus dem Volk, die erste Akzente in der fortschreitenden Entwicklung unseres Volksgutes setzte. Kurt Rehfeld nahm sich dieses Materials an und schuf daraus eine kleine Suite für Blasorchester. “Altes”, damals neu eingewandet, schafft somit auch heute noch lebendige Erinnerung.
Der Komponist
Johann Valentin Rathgeber, am 3. April 1682 in Oberelsbach geboren und am 2. Juni 1750 im Kloster Banz verstorben, ist als Benediktinermönch, aber besonders als solcher in seiner Eigenschaft als Komponist, Chorleiter und Organist, in die Geschichte eingegangen. Sein Vater, selbst Organist in seinem Geburtsort, unterwies seinen sechsten Sprössling als erstes in Sachen Musik, bevor Valentin die Lateinschule besuchte und 1701 an der Universität Würzburg Rhetorik, Mathematik und Rechtswissenschaften studierte. Erst später wechselte er zur Theologie.
Im Jahre 1704 hatte er seine erste Anstellung als Schulmeister und Organist am Juliusspital in Würzburg, im Jahre 1707 übernahm er die Stelle des Musikers und Kammerdieners beim Abt des Klosters Banz. Noch im gleichen Jahr wurde er Novize im dort ansässigen Benediktinerorden, wurde schließlich Diakon und erhielt im Dezember 1711 die Priesterweihe. Seitdem war er aktiver Organist, Chorleiter und Prediger und wurden schließlich Regens im Kloster Banz, in dem er bis an sein Lebensende tätig war.
Valentin Rathgeber wird als ein vielseitiger und produktiver Komponist beschrieben, der wohl vor allem auch die praktischen Erfordernisse der Musikausübung in den Pfarreien des ländlichen Raums nie aus dem Blick verlor. Das verhalf ihm zu hohem Ansehen im süddeutschen Raum. Sein Schwerpunkt lag definitiv auf der geistlichen Vokalmusik, aber er schuf auch Weltliches. Das Oeuvre umfasst mehrere hundert Opuszahlen, vor allem Messen, Hymnen, Arien, Litaneien, Requien, Magnificats, Offertorien, sowie Instrumentalkonzerte.
Sein “Augsburger Tafel-Confect” – ein die “Ohren vergnügendes und Gemüth ergötzendes Tafel-Confect” – ist eine Liedersammlung, aus der, im Nachgang zur »Tafelmusik der Hauptspeise«, zur Nachspeise musiziert werden sollte. Er veröffentlichte sie in drei Büchern (Trachten) 1733, 1737 und 1739, Johann Caspar Seyfert fügte 1746 ein viertes Buch hinzu.
Der Arrangeur
Kurt Rehfeld, 1920 in Aufhausen (Kreis Aalen) geboren, 2011 in Creglingen (südlich von Würzburg) verstorben, erhielt mit 8 Jahren ersten Geigenunterricht. Später kamen dann Klavier und Klarinette hinzu. Zudem war er der Musiktheorie “in der Praxis” sehr zugetan, und das mehr und mehr, während er als junger Musiker ab 1935 als Kopist beim Süddeutschen Rundfunk von anderen Komponisten und Arrangeuren immer wieder mit “Anschauungsmaterial” versorgt wurde.
Nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft in England kehrte er 1947 nach Baden-Württemberg zurück und arbeitete alsdann umtriebig als Dirigent, Komponist und Arrangeur, unter anderem wieder als freier Mitarbeiter beim Süddeutschen Rundfunk. Er schrieb Hörspielmusiken, Bearbeitungen für Schallplatteneinspielungen (Montanara-Chor oder Kurpfalz-Chor) und Orchesterstücke und wirkte auch als Dirigent des Stuttgarter Radiosinfonieorchesters. Zudem leitete er das »Orchester Kurt Rehfeld«, sowie die »Stuttgarter Blasmusik« beim SDR und schrieb dementsprechend gerne für konzertant spielende Blasorchester. Dabei spiegeln seine Werke immer wieder seine Vorliebe für gehobene Unterhaltungsmusik wider.
Den Sinn für die Praxis und das Herz fürs Volksgut scheinen somit beiden, Komponist Rathgeber in der ausgehenden Barockzeit und Arrangeur Rehfeld in der jüngsten Vergangenheit, mit in die Wiege gelegt.
Die Idee
Über fünfzig Lieder, zählt man die »Tracht« von Johan Caspar Seyfert mit hinzu, umfasst das Augsburger Tafelkonfekt. Es blickt dem Volk auf’s Maul, in die Seele, hält ihm gar einen Spiegel vor. Da ist viel Erzählstoff vorhanden. Waren das nun nur damals die “kleinen Dinge des Lebens” oder ist es genau genommen heute immer noch so, oder zumindest so ähnlich? Menschliches wird uns wohl nie fremd sein und so wählte Kurz Rehfeld fünf charakteristische Lieder mit charakteristischen Textideen aus, die er zu einer Suite zusammensetzte. Er nahm sie aus ihrem mittelalterlichen Schoß, ließ ihnen, wenn auch mit einem anderen Medium, einem Blasorchester, durchaus ihren Charakter und begann aber zudem damit zu »spielen«, zu spielen in der Stilistik der konzertant unterhaltenden Ideen der siebziger Jahre.
Der Ablauf
Satz 1: Alleweil ein wenig lustig
Zu Beginn der ersten Strophe heißt es: »Alleweil ein wenig lustig, alleweil ein wenig durstig, alleweil ein wenig Geld im Sack, alleweil ein wenig Schnupftabak, allzeit so so.« In drei Strophen beschreibt er die einfachen Freuden, Hoffnungen und Wünsche des »kleinen Mannes« jener Zeiten. Wirthausfreuden, Verdrängung der finanziellen Sorgen und eine optimistische Sicht auf Alltag, Liebe, Leib und Leben.
Nach gleichsam sanften, aber auch durchaus knackigen Bordunklängen in Bass, Posaunen und Pauken, präsentieren die Klarinetten bei 1 im unisono den fröhlich, tänzerischen A-Teil des Liedes. Die Wiederaufnahme in 2, die Querflöten führen, die Klarinetten stellen den Bordun und die Triangel verfeinert, folgt auf dem Fuße. Die periodische Anlage ist jeweils zehntaktig, begründet in der alten Zeiten gern gepflegten Praxis, sich eine kleine Wiederholung (zwei Takte, Echo) eines Motivteiles innerhalt der Melodie zu gönnen. Ab 3 übernimmt nun das Blech mit gleicher Substanz, wahrnehmbar fülliger, aber diesmal um (die besagten) zwei Takte verkürzt. In 4 die Hölzer dito. In 5 dann der B-Teil, mit Schlusswendung auf zwölf Takte verlängert. Hier dominiert das Blech über acht Takte bei angereicherter Harmonik, die Schlusswendung erklingt dann wieder im vollen Tutti.
In den Abschnitten 6 bis 9 beginnt ein Durchführungsteil, der mit der Motivik des Liedes munter spielt. Angeführt zunächst vom Waldhorn, später von den Trompeten, dialogisieren Holz und Blech, führten die Motive eng zueinander und bemächtigen sich einer deutlich farbigeren Harmonik, die nicht mehr der Ursprungszeit zuzuordnen ist. Ein da capo 1 – 5 rundet die etwa drei Minuten des ersten Satzes mit ritardando ab.
Satz 2: Narren sollen leben
In der ersten Strophe heißt es zusammengefasst: »Narren sollen leben, kanns was Schöneres geben, als so ein rechter Narr zu sein, das weiß doch jeder, der ist gar nicht übel dran.« Drei Strophen erhöhen augenzwinkernd Buntheit und Wesen der Narratei, »Narro, narrabimus«.
Schellen, Tambourin und hohes Holz beginnen mit einem freudig lustigen Ostinato. Sie etablieren somit einen speziellen tänzerischen Grundgedanken, der diesen Satz durchaus in Gänze bestimmt. Die »Melodie« beginnt ab 1 und wird quasi, in kurze Motive gestückelt und mit kleinen Pausen versehen, vom Blech eingeflochten. In 2 wird die pulsierende Grundidee im sequenzierenden zweiten Teil der Melodie zunächst ein wenig beruhigend durchbrochen, in der Schlusswendung wird die treibende Energie aber wieder bestimmender. In den folgenden Teilen 3 – 5, von B-Dur, über D-Moll unterwegs nach F-Dur, folgt ein munteres Spiel mit den Motiven. Ab 6 ist F-Dur in einem Überleitungsteil erreicht und bereitet das da capo, nun wieder in B-Dur, in der Einleitungsmotivik vor. Dieser Satz endet nach gut zweieinhalb Minuten.
Satz 3: Der hat vergeben
Von der edlen Musik. “Der hat vergeben das ewige Leben, der nicht die Musik liebt und sich beständig übt in diesem Spiel. Wer hier auf Erden will selig werden, der kann erreichen hie durch Musik ohne Müh sein letztes Ziel.” So der Beginn der ersten Strophe. Zwei weitere folgen, die die Musik und ihre Wirkung auf Seele, Geist und Gemüt loben.
Ohne lange Umschweife beginnt dieses zweiteilige Lied sofort mit dem A-Teil. Das Holz, in eher mittiger Lage, trägt das sanfte melodische Geschehen, wohl begleitet von nicht minder sanften Klängen der tiefen Blechbläser. Der B-Teil des Liedes erfährt klangsteigernd einen Tonartwechsel von Eb nach Bb und verleiht der Szenerie auch durch den kammermusikalisch, kanonischen Einsatz der Blechbläser eine erneuernde Wirkung. Sein Wiederaufgriff in 3 zieht im Tutti erneut wiederum andere anregende Register. In 4 ein kurzer, verspielter Überleitungsteil, der kammermusikalisch zunächst in Trompeten und Posaunen (Tenorhorn, Bariton), dann in Klarinetten, eingangs nur von Horn und zur Schlusswendung auch von den restlichen Tenor-Basslagen begleitet, schließlich wieder modulierend zu Bb-Dur führt. Mit zweimaligem Aufgriff des A-Teiles, klanglich sich zum Tutti hin steigernd, endet dieser Satz nach ca. 3 Minuten.
Satz 4: Summirum, Summarum
»Summirum, summarum, ich lieb dich nicht! Geh pack dich, du Stoffel, und scher dich nach Haus, ein Bauer, wie du bist, der ist mir ein Graus. Ich hab’ meine Nase nach Höherm gericht! Summirum summarum, ich liebe dich nicht!« Drei Strophen beschreiben aus Damensicht, zusammenfassend, die eindeutige Ablehnung eines Mannes.
Schon recht bestimmend, wenn auch mit feiner dynamischer Abstufung, beginnt dieser Satz im zügigen Dreiermetrum. Bei 1 setzt in den Trompeten der A-Teil ein, eigentlich viertaktig, aber, und das auch in der Wiederholung, am Schluss um zwei Takte erweitert um eine durchaus drängende Schlusswendung (Hölzer), die sich als Substanz der bereits gehörten Einleitung entpuppt. In 2 beginnt recht strahlend (im „vollen Blech ohne Horn“), forte und piano, der im Prinzip viertaktige B-Teil, dem sich im Tutti ein zunächst offensichtlich ebenfalls viertaktiger C-Teil anschließt. Der aber wird ab 3 um weitere sechs Takte erweitert. Die Zusammenfassung der im Text bemängelten negativen Eigenschaften des Mannes scheint auch musikalisch-emotional mehr Raum zu benötigen. In 4 und 5 das muntere Spiel der Motivverarbeitung in Manier der vorangegangenen Sätze und ab 6 die Wiederaufnahme des A-Teils, erweitert um eine Schlussgruppe. Schnell verfliegen knapp 2 Minuten.
Satz 5: Es kam ein Laus
“Es kam ein Laus aus Niederland, der Schneck fängt an zu rennen. Das Rathaus hat heut Hochzeit g’macht, sein Turm beginnt zu niesen. Das Ei hat übers Huhn gelacht, der Fuchs will’n Jäger schießen.” Vier Strophen ausgemachten Unsinns, die mit »Unmöglichkeiten« ausgelassen erheitern.
Nach fragender Einleitung, in Form eines kurzen Dialoges von tiefem Blech und hohem Holz, sind es zunächst bei 1 die Trompeten und dann bei 2 die hohen Hölzer, die frisch, frech und unbekümmert die kleine erzählende Melodie vorstellen. Eine harmonische Rückung, beginnend zwei Takte vor 3, aus der Substanz der Einleitung, lässt dann das nicht nur wegen der Taktwechsel burleske Motivspiel, mal schelmisch, mal ernst, mal keck, mal einfach nur verspielt durch die komplette Partitur wandern. Ab 7 wird es, durchaus ironisch zu sehen, final feierlich. Ab 8, zum Ausklang dieser gut 2 Minuten, aber dann auch wieder erfrischend quirlig.
Instrumentation
Knapp zwei bis knapp drei Minuten spielt er jeweils mit der Melodie eines Liedes, so dass die fünf Sätze insgesamt auf gut zwölf Minuten kommen. Rehfeld geht die Sache häufig eher verspielt und kammermusikalisch an. Meist im Wechselspiel von Holz und Blech kommen die jeweilig ausgesuchten gemischten Chöre zu charaktervollem Einsatz. Ein gelegentlich volles Tutti wirkt nie überladen.
Eingestuft wurde das Werk in die Oberstufe. Begründet sicherlich durch einzelne technisch und artikulationstechnisch pfiffige Passagen, aber sicher auch vor allem ob seiner strukturellen Anlage im Wechselspiel der Instrumentengruppen und ihrer daraus resultierenden Zusammenhänge. Spieltechnisch unlösbare Aufgaben stellen sich eher nicht. Umsicht und aufeinander reagieren in absolut klaren Verhältnissen macht den Witz des Arrangements aus. Die Instrumentation berücksichtigt, ohne Instrumente zu exponieren, die Möglichkeiten der Besetzung eines in den siebziger Jahren gut ausgebauten Blasorchesters.
Fazit
Lieder leben nun mal zu einem großen Teil von Texten. Und Texte blühen zudem einmal mehr auf, wenn ihnen eine passende Melodie die Hand reicht. Eine Suite, die sich rein instrumental der beiden Ausgangsideen zuwendet, reißt somit eine dritte Ebene an, die Wort- und Musikwitz in Personalunion präsentiert.
Kurt Rehfeld agiert reizvoll auf kleinem Raum und schafft witzige musikalische Momente. Da kann etwas zum Beispiel zu Beginn mittelalterlich anmuten, sich dann aber mehr und mehr unterhaltend zeitgenössisch verspielen.
Ohne Frage wird eine launige Anmoderation, die auf die Keckheit der Texte hinweist, die Ohren der Zuhörer klug in die richtige Richtung lenken und das Gesamtpaket somit sinnvoll aufwerten. Knapp 50 Jahre hat dieses Arrangement auf dem Buckel und es atmet den Stil seiner Zeit. Ich habe es für mich gerne wiederentdeckt und habe Freude an seinem Charme und seinem Charakter.