Seit über 40 Jahren dirigiert Angela Groh im Rhein-Main-Gebiet in Rodgau, Seligenstadt und Mainhausen verschiedene Kinder-, Jugend- und Erwachsenenorchester sowie Bläserklassen in Schulen und Musikvereinen, wofür sie unter anderem 2003 den Kulturpreis der Stadt Rodgau erhielt.
Bläserklassen für Erwachsene
Mit den Erfahrungen als Leiterin verschiedener Bläserklassen im Kinder- und Jugendbereich in einem schulischen Umfeld gelang es ihr, bei verschiedenen Musikvereinen junge Musiker zu Orchestern zu formieren und ganz besonders auch erwachsene Anfänger zu begeistern. So gründete sie 2005 nicht nur das erste hessische Erwachsenen-Anfängerorchester mit dem Namen „Vielklang“, sondern hat inzwischen zwei weitere Orchester mit erwachsenen Musikern ins Leben gerufen. Eines davon besteht aus Eltern der Freien Schule Seligenstadt-Mainhausen und nennt sich „na’sgehtdoch“.
Die Konzeption der ersten Erwachsenen-Bläserklasse
Bei einem Vortrag während des 1. Internationalen Blasmusik Kongresses 2018 in Neu-Ulm mit dem Titel „Konzeption einer Erwachsenen-Bläserklasse am Beispiel des Musikvereins Nieder-Roden“ konnte Angela Groh die Entstehung der ersten Erwachsenenbläserklasse darstellen. Alles begann damit, dass viele Eltern von Bläserklassenkindern in ihrer Jugend die Idee vom aktiven Musizieren hatten, es aber aus vielen Gründen nicht verwirklichen konnten.

Mit den eigenen Kindern vor Augen und Ohren flackerte dann der verloschene, aber immer noch glimmende Funke wieder auf, denn mit den Fortschritten ihrer Kinder wurde ein Wunsch immer stärker, nämlich: Das würde ich auch gerne einmal probieren. Lockere Gespräche verschiedener Eltern zwischen Tür und Angel während des Bringens oder Abholens der Kinder führten relativ schnell zu der Erkenntnis: Ich bin nicht alleine mit dieser Idee, sondern es gibt viele Eltern, die mitmachen würden. Schließlich wurden die informativen Gespräche erweitert durch gezielte Werbung in der Presse, auf der Vereins-Webseite und durch Flyer, mit denen zu einem Informationsabend eingeladen wurde.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans hinterher!
Das in den Köpfen herumgeisternde falsche Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, das eine negative Sicht auf die Lernfähigkeit im Alter impliziert, deutete man kurzerhand in „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans hinterher!“ um. Damit berücksichtigte man neuere Erkenntnisse der Lernforschung . Später half auch, dass die am Ort ansässige Freie Musikschule Rodgau wegen ihres 25-jährigen Jubiläums den bekannten und etwa 25 Kilometer von Rodgau entfernt geborenen Neurowissenschaftler und Psychiater Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer einlud, der auf unterhaltsame Weise neue Erkenntnisse der Hirnforschung über das Glücksgefühl Musik erläuterte und den Stellenwert musikalischer Bildung hervorhob.
Kein Tag wie jeder andere: Freitag, der 7. Oktober 2005
Das Konzept der „Bläserklasse für Erwachsene“ wurde den 22 erschienenen interessierten Musikern dann am ersten Infoabend (7. Oktober 2005) vorgestellt. Dabei gab es erste Rhythmusübungen auf Flaschen, Strohhalmen und Schlauchstücken, die alle als positive Selbsterfahrung werteten. Anschließend vereinbarte man sofort ein weiterer Abendtermin für das Ausprobieren der Instrumente und ergänzte diese Information durch Pressemitteilungen und Flyer.
Während dieser Folgeveranstaltung waren erfahrene Musiker aus den Vereinsorchestern und professionelle Lehrer aus der Musikschule dabei. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass alle Interessierten auch wirklich alle Instrumente ausprobierten. Und das unabhängig vom vorher geplanten Wunschinstrument. Danach wurden sofort auf dem ausgewählten Instrument (zugegeben… meist nur auf dem Mundstück) Rhythmen gespielt. So wurde die abstrakte Idee eines gemeinsamen Orchesters direkt spürbar.
Die Voraussetzungen zur weiteren Teilnahme waren die Mitgliedschaft im Musikverein und dass Unterricht genommen werden musste. Ob in der Musikschule, bei einem Privatlehrer, Einzel-, Doppel- oder Gruppenunterricht, war freigestellt. Jeder konnte sich selbst ein passendes Konzept suchen. Und jeder brauchte ein eigenes Instrument, das neu oder gebraucht, sehr preiswert oder auch sehr teuer sein konnte. Natürlich wurde die Expertise des Vereins im Bereich der Instrumentenbeschaffung und bei der Suche nach geeigneten Lehrern aktiv angeboten und auch genutzt. In den ersten drei Jahren war der Vereinsbeitrag etwas höher. Die Proben fanden je eine Stunde pro Woche statt, zu Beginn ohne Vorkenntnisse.
Der erste öffentliche Auftritt
Mittlerweile wurde es Anfang November und das erste Weihnachtslied lag auf den Notenständern. Ein halbes Jahr später wurde bei vereinsinternen Veranstaltungen wie Grillfest oder Kirchweih bereits der erste öffentliche Auftritt absolviert. Mit diesen Erfolgen stieg das Selbstvertrauen und man plante das erste eigene Konzert.
Allen Musikern war bewusst, dass die aktuellen musikalischen Fertigkeiten noch nicht dem Klang eines lange Jahre zusammenspielenden Orchesters entsprechen. Nur aufgrund der Orchesterqualität könnte also ein Saal nicht komplett gefüllt werden. Also plante man ein passendes Rahmenprogramm mit Partnern und tatsächlich, es sprudelte nur so von Ideen wie zum Beispiel ein Auftritt mit Chor, Schauspieler, Tänzer, Handwerkern, Köchen, Autoren. Entsprechend der jeweiligen Partner wählte man dann bei der Konzertplanung, die Kompositionen aus.
Nach den ersten öffentlichen Auftritten und Pressemeldungen kamen auch Quereinsteiger hinzu. Also ehemalige Hobbymusiker, die in ihrer Jugend ein Instrument gespielt hatten und jetzt, in einem anderen Lebensabschnitt, wieder anfangen wollten. Und es gab auch Musiker, die ein Zweitinstrument entspannt und innerhalb einer Gruppe lernen wollten. Sowohl Quereinsteiger als auch die Lerner von Zweitinstrumenten waren sehr motiviert und leistungsstark, sodass sie bald als Registerführer ihr Wissen weitergeben konnten.
Professionelle Besprechungen und Probenwochenenden
Da unter den Musikern auch Psychologen, Personalentwickler und Systemberater vertreten waren, wurden Orchesterbesprechungen mit modernen und bewährten Konferenzmethoden durchgeführt. Dabei wurden Fragen nicht nur gestellt, sondern gemeinsam sinnvoll, nachvollziehbar und dokumentierend bearbeitet. Darunter zum Beispiel:
- Wer sind wir?
- Was wollen wir?
- Wohin soll sich das Orchester entwickeln?
Als wichtiger Teil der positiven Gruppendynamik wurden jährliche Probenwochenenden mit zwei Übernachtungen durchgeführt. Dabei gab es nach dem Abendessen Konzertplanungsrunden mit wechselnden Arbeitsgruppen.
Balance ist wichtig
Im Laufe der Jahre stellte sich heraus, dass ein Gefühl für die Entwicklungsgeschwindigkeit einer Erwachsenengruppe sehr wichtig ist. Die fragile Balance zwischen schnellem Fortschreiten und bedächtigeren Entwicklungsmöglichkeiten musste in fast jeder Probe neu justiert werden. Für viele Musiker ist es wichtig, dass man sie ihrem Leistungsanspruch entsprechend, fordert. Ein weites Feld tut sich hier auf, denn um sich bei einem Auftritt nicht unvorbereitet zu fühlen, muss auch die Möglichkeit geboten werden, sich ausreichend Zeit für langsames Üben zu nehmen.
Ein neues Erwachsenenorchester und ein Dirigenten-Tandem
Nach neun Jahren hatte sich das Orchester in der Szene etabliert und der Wunsch nach einer weiteren Orchestergründung mit neuen Erwachsenen wurde laut. Denn die jugendlichen Bläserklassen des Vereins wurden immer wieder neu gegründet und entsprechend wurden auch die Wünsche der Eltern, selbst ein Instrument zu erlernen, immer wieder aktuell. Das neue Orchester nannte sich „Furios & Atemlos“.
Dieses wurde mit erheblich weniger Werbeaufwand während eines Jugendkonzerts ins Leben gerufen, denn während des Konzerts trugen sich nach einer kurzen Ansage bereits 25 Interessierte in die bereitliegenden Listen ein. Nach fünf Jahren fusionierten beide Erwachsenen-Bläserklassen und bildeten ein neues Orchester mit dem Namen „Klangfarben“. Auch dieses Orchester leitet Angela Groh in einem Dirigenten-Tandem.
Die Motivation
Gefragt nach ihrer Motivation, antwortet sie: „Es ist eine wirklich große Freude, erleben zu dürfen, wie Musik Menschen jeden Alters begeistern und ihr Leben positiv verändern kann. Und es ist auch ganz wunderbar, wenn im Lauf der Jahrzehnte immer wieder neue Freundschaften durch die Musik entstehen und alte gepflegt werden!“
Neben der musikalischen Leitung war und ist es für Angela Groh auch ein wichtiges Ziel, junge Dirigenten und erwachsene Anfänger-Dirigenten gezielt zu fördern. Das hat auch schon mehrmals sehr gut funktioniert. Vor vielen Jahrzehnten zum Beispiel bei Timor Chadik, dem jetzigen Chef der Big Band der Bundeswehr: Er durfte schon in ganz jungen Jahren zum ersten Mal mit einem Taktstock vor dem von Angela Groh geleiteten Blockflötenorchester stehen. Man sieht und hört also mittlerweile auf der ganzen Welt… Es hat sich gelohnt!
Stockhausen und die Bläserklassen
An der Freien Schule Seligenstadt-Mainhausen etablierte Angela Groh im Jahr 2000 bereits eine Bläserklasse für Schüler der Grundschule. Als ausgebildete Montessori-Pädagogin entwickelte sie dazu auch passende Lernmaterialien für den praktischen und musiktheoretischen Unterricht.
Eine kreative Kooperation über Ländergrenzen hinweg führte dann einige Jahre später zum ersten großen Kompositionsauftrag, mit dem es der hessischen Bläserklasse zusammen mit der rheinland-pfälzischen Streicherklasse der Grundschule Boppard Buchholz (Leitung: Gerlind Hentschel) gelang, den 1. Preis beim Bundeswettbewerb zum Tag der Musik des Deutschen Musikrats 2009 zu gewinnen.
Das Projekt hieß „Stockhausen for Kids – Musikalische Begegnung zwischen Komponist und Grundschülern“. Die Musik komponierte Markus Stockhausen, der bei der Uraufführung auch dirigierte. Diese erste Aufführung seines 30-minütigen Werks „Olivers Abenteuer“ fand mit mehr als 50 Grundschulkindern in der Kirche St. Pankratius in Boppard-Herschwiesen statt, einen Tag später dann mit Standing Ovations in der großen Einhard-Basilika in Seligenstadt.

Dadurch konnte man – eine seltene Möglichkeit – Streicher- und Bläserklasse zu einem Sinfonieorchester zusammenführen und Kinder mit der emotional ansprechenden Musik eines anerkannten zeitgenössischen Komponisten bekannt zu machen.
Auch im Regelschulbereich an der Heinrich-Böll-Schule, einer integrierten Gesamtschule für die Klassen 5 bis 10 im hessischen Kreis Offenbach mit etwa 600 Schülern, gelang es Angela Groh während ihrer zehnjährigen Tätigkeit als Musiklehrerin, Zeichen zu setzen. Neben ihrer Tätigkeit als Dirigentin der Bläserklassen entwarf sie das Konzept „Aktiver Musikunterricht für alle Schüler*innen der fünften und sechsten Klassen“, das seither dort umgesetzt wird. Mithilfe von Sponsoren wurden für alle Schüler Instrumente gekauft, die jeweils zwei Jahre in der Mittelstufe gespielt werden können.