Brass | Von Malte Burba

Beginnt man den Ton mit geschlossenen oder mit geöffneten Lippen?

Malte Burba

Aus der Fülle der Fragen, die Malte Burba immer wieder erreichen, greifen wir jeden Monat einige heraus, die alle interessieren könnten. Im aktuellen Beitrag geht es um geöffnete oder geschlossene Lippen, um Doppelzungenstöße sowie das Platzieren nach der Zahnspange. Wenn Sie eine Frage haben, die Malte Burba auf dieser Seite beantworten soll, dann mailen Sie an: burba(at)brawoo.de

Meine Tonanfänge in der Mittellage funktionieren nicht so, wie ich es will. Es ist (bei normaler Artikulation) nahezu immer ein  Stimmbandverschluss dabei. In der tiefen Lage habe/hatte ich das Problem nie, daher habe ich versucht, das Gefühl und die Technik von der tiefen Lage auf die Problemzone zu übertragen. Nun fiel mir eines auf: In der tiefen Lage spiele ich die Töne mit (locker) geschlossenen Lippen an, in meiner Pro­blem­zone glaube ich von den Lippen her offen zu sein. Frage: Beginnt man den Ton mit geschlossenen oder mit geöffneten Lippen?

Die physikalische Definition ist: Ein Ton beginnt mit dem Lippenverschluss, auf den periodisch weitere folgen. Auch wenn vorher Luft fließen sollte, beginnt der Ton trotzdem erst mit dem ersten Verschluss. Es ist also, wie Sie selbst schon gemerkt haben, kompletter Unfug, mit offenen Lippen beginnen zu wollen. Folglich wird Ihre eingeschlagene Strategie schon bald den gewünschten Erfolg bringen.

Ich habe mich seit Jahren gefragt, wieso Doppelzungenstöße anstrengender sind. Hier mein Lösungsansatz: Der Anstoß be­nötigt insgesamt mehr Energie als ge­hal­tene Noten. Wenn nun eine Schülerin bzw. ein Schüler mit Doppelzunge beginnt, macht sie/er insgesamt mehr Stöße in kurzer Zeit als je zuvor. Deswegen werden sie anfangs völlig platt. Klingt das plausibel?

Das ist zwar eine hübsche Hypothese, aber ich kenne noch ein gutes Dutzend andere. Immer wieder interessant an dieser Kolumne und irgendwie auch voller Konträrfaszination ist für mich, mit welcher Hartnäckigkeit viele Leserinnen und Leser Probleme genauestens analysieren wollen, ohne dass diese Analysen irgend­einen positiven Nutzen für ihr Vorankommen auf dem Instrument haben. Sehr oft reicht es doch und ist immens zeitsparend, wenn man sich mit Problemen nicht lange aufhält, sondern aus dem Problem die richtige Schlussfolgerung zieht, also sein Verhalten anpasst, und das vor allem dann, wenn es ein systemimmanentes Problem zu sein scheint, das mit Ihrer Expertise nichts zu tun hat. Klartext: Anfangs einfach nicht zu lange Doppel-/Triolenzunge üben bzw. üben lassen (Pragmatischer Opportunismus, Clarino 3/2015).

Ein Schüler, 17 Jahre alt, kam von 10 bis 15 Jahren gut voran, Tonumfang bis c³, übte etwa dreimal in der Woche, bekam dann 15 Monate eine feste Spange, die zunächst Schwierigkeiten machte, am Ende spielte er aber sicher und frei. Jetzt ist die Spange raus und plötzlich nach der Sommerpause platziert er sehr stark. Was soll ich machen?

Ich kann Ihnen leider den Vorwurf nicht ersparen, dass Sie schon lange zuvor als Lehrer den entscheidenden Fehler gemacht haben, indem Sie die unbedingte Notwendigkeit des täglichen Übens nicht penetrant genug eingefordert haben. Das Platzieren nach den Ferien kommt eigentlich fast immer nur dann vor, wenn man ein paar Wochen nicht oder nur schlecht geübt hat und daraufhin Probleme mit der Höhe konstatiert. Durch erzwingendes Probieren entdeckt man, dass die hohen Töne zunächst leichter kommen, wenn man im Roten einsetzt und damit fängt dann das richtige Desaster erst an. Im Fall Ihres Schülers kommt wahrscheinlich noch dazu, dass nach der wiedergewonnenen Freiheit ohne „Schneeketten“ das Bedürfnis erstarkt ist, sofort uneingeschränkt und mit voller Leistungsfähigkeit loslegen zu können, was die Überforderungssituation des Ansatzes beschleunigt hat. Wie Sie mit Ihrem Problemschüler konkret verfahren, müssen wir allerdings jenseits dieser öffent­lichen Seite klären (Platzieren, Clarino 10/2012).