Orchestra | Von Michael Bernhard

Beschallungs­technik: Tipps zur Umsetzung

Beschallungstechnik

Signal-Rausch-Abstand, was ist denn das? Es hat primär nichts mit Trompetern und Alkohol zu tun. Signal-Rausch-Verhältnis, Signal-Rausch-Abstand oder englisch signal-to-noise (S/N), signal-to-noise ratio (SNR) ist eines der wichtigsten Themen in der Beschallungs­technik – viel wichtiger als irgendwelche EQ-Einstellungen, nach denen man gerne fragt. Der Signal-Rausch-Abstand ist technisch das Maß, angegeben in dB, zwischen dem Nutzsignal und dem “Unnutzsignal”, dem Rauschen. Er sagt vereinfacht aus, wie klar definiert ein ­Signal ist, wieviel das Nutzsignal lauter ist als Rauschen. Um ein Signal “nutzen” zu können, muss es um ein gewisses Maß, einen gewissen Pegel lauter sein als alle anderen, im Zusammenhang unerwünschten Signale. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, ist das Signal nicht wahrnehmbar. Es geht im Rauschen unter. In der Übertragungstechnik kann man diesen Signal-Rausch-Abstand messen. 

Weiterhin gibt es noch Signalpegel, die absolute Grenzen darstellen. Das kann etwa die Hörschwelle sein. Es gibt so leise Geräusche, die unser Gehör nicht mehr wahrnimmt, und es gibt so laute Geräusche, dass sie uns Schmerzen verursachen oder dem Gehör schaden. Der Unterschied zwischen dem leisesten wahrnehmbaren und lautesten verarbeitbaren Signal ist der Dynamikumfang.

Man kann nicht die komplette Dynamik auf Vinyl bannen

Ein professionelles Orchester erreicht einen Dynamikumfang von 70 dB. Das lauteste Forte­fortissimo ist also 70 dB lauter als das leiseste Pianopianissimo. Das ist der Grund, warum man die Dynamik der Schallplatte für zu gering empfunden hat – etwa 50 bis 60 dB. Man kann nicht die komplette Dynamik auf Vinyl bannen. Ent­weder verursachen die zu lauten Stellen ein Loch in der Platte oder die leisesten sind nicht mehr zu hören, weil sie im Rauschen verschwinden. Man muss also bei der Aufnahme den Dynamik­umfang einschränken. Dies war ein Grund für die Entwicklung der CD.

Aus musikalischer Sicht wird leider die mögliche Dynamik der CD (von theoretisch möglichen
96 dB) nie ausgenutzt. Das ist zwar einerseits schade, hat aber unter anderem den Grund, dass lautere Musik im Vergleich scheinbar besser klingt als leisere. Im Falle der CD könnte man als Konsument nachregeln, aber im Vergleich “verliert” die leisere Scheibe. Weiterhin sind die wohl meisten Hörerinnen und Hörer, vielleicht im Gegensatz zu früher, Nebenbei-Konsumenten. Das heißt: Man hört Musik, während man kocht oder während der Autofahrt. Dabei konkurriert die Musik mit vielen Nebengeräuschen. Ist die Dynamik nicht technisch vermindert, muss man dauernd nachregeln, weil die leise Stelle im Motorlärm untergeht und die laute Stelle viel zu laut ist – zumal das Störgeräusch selbst ja auch nicht konstant ist. Solche CDs sind bestimmt bekannt. Im ruhigen Wohnzimmer auf einer guten HiFi-Anlage gehört, wäre dagegen eine Aufnahme mit mehr Dynamik wünschenswert, um die Si­tuation ähnlich wie im Konzertsaal erleben zu können.

Es geht um den SNR vor dem Mikrofon und nach dem Lautsprecher

Was hat das jetzt alles mit Beschallungstechnik zu tun? Die Elektroniker unter uns wissen, dass der SNR auch für alle technischen Geräte angegeben wird. Zu klein angelegte Spannungen verschwinden im Rauschen, zu große “überfahren” das Gerät und es kommt zu Verzerrungen. Da kommt beim Mischpult der aus meiner Sicht wichtigste Regler Gain ins Spiel (das wird aber Thema eines späteren Artikels).

In diesem Artikel soll es eher um den SNR vor dem Mikrofon und nach dem Lautsprecher ­gehen. Denn was Nutzsignal und was Unnutz­signal ist, liegt immer im Auge des Betrachters. Und hier kommt der oben genannte Trompeter ins Spiel. Aus seiner Sicht ist sein Signal sein gespieltes Signal. Das Signal der Holzbläser ist aus Trompeters Sicht das Unnutzsignal. Die Holz­bläser werden das genau umgekehrt sehen. 

Die Signale sortieren

Aufgabe der Dirigentin bzw. des Dirigenten ist es, die Signale zu sortieren und ins richtige Verhältnis zu setzen – möglichst so, dass alles ausgewogen klingt, also die richtigen Signale zur richtigen Zeit aus dem Rauschen hervorkommen. Idealerweise hat sich diese Überlegungen vorher schon der Komponierende oder der Arrangierende gemacht. Die Dirigentin bzw. der Dirigent wird also an der Dynamik des Orchesters und der einzelnen Register feilen und für sein Orchester passende Änderungen am Ar­range­ment machen (Stellen ausdünnen, leiser oder lauter spielen lassen). Zugute kommt ihm dabei, dass es im Probenraum grundsätzlich zunächst leise ist.

Das heißt, die notierte Dynamik ist in Richtung »piano« voll ausschöpfbar und in erster Linie durch die Qualität der Musizierenden beschränkt. Man kann nicht unendlich leise spielen, zumindest nicht in allen Lagen. Ist dieser Raum auch passend zum Ensemble eingerichtet, akustisch optimiert mit passender Nachhallzeit über den kompletten Frequenzbereich, sollte auch die notierte Dynamik nach oben, also Richtung “forte”, voll ausnutzbar sein. Solange es noch schön klingt – wieder abhängig von der Fähig­keit der Musizierenden –, sollte man fast be­liebig laut spielen können (fast, nicht unendlich, liebe Trompeter!).

Herausforderung im Live-Betrieb

Zurück zum Orchester. Es hat geübt und sitzt im Konzertsaal. Das Publikum ist sehr leise und gespannt. Wenn das Orchester nicht spielt, herrscht ein Schalldruck von ca. 35 dBSPL. dBSPL ist kein Verhältnis, es ist ein absoluter Schalldruckpegel (SPL = Sound Pressure Level). Umgangssprachlich ist genau das der Wert, wenn wir von “dB” im Sinne von Lautstärke reden. Damit also die leiseste Orchesterstelle noch gehört wird, muss sie lauter gespielt werden als diese 35 dBSPL. Da der Schalldruck­pegel mit dem Abstand abnimmt, muss die Pianissimo-Stelle sogar wesentlich lauter sein als diese 35 dBSPL, sodass sie auch in der hintersten Reihe noch wahrgenommen werden kann. Diese 35 dBSPL sind bei unserer Betrachtung also das Rauschen und das Orchester ist das Nutzsignal.

Das Publikum in der ersten Reihe hat ein besseres SNR als das in der letzten, da es das Orchester im Verhältnis zu diesem Rauschen lauter hört. Nehmen wir an, es hört das Orchester mit 40 dBSPL, also 5 dB über Rauschen. Jetzt kommt die Fortissimo-Stelle und wenn wir davon ausgehen, dass das Orchester wirklich 70 dB Dynamik hat (wir wissen nicht, ob es auch leiser als 40 dBSPL spielen könnte – es muss ja aber über “das Rauschen” kommen), erreicht es in der ersten Reihe einen Schalldruck von 110 dBSPL. Das ist absoluter Disco- oder Presslufthammerpegel, aber im Rahmen eines Konzerts kurzzeitig bestimmt eine tolle Erfahrung für das Publikum.

Beschallungs­technik

Michael Bernhard 

Jahrgang 1977, ist sozusagen am Mischpult der “Original Hochland Blasmusik” aufgewachsen. 1997 hat er sich mit “BEMI Tontechnik” selbstständig gemacht und sich auf Blasmusikbeschallung spezialisiert. Aktuell arbeitet er unter anderem mit “Alpenblech” und dem “Orchester Hugo Strasser“. Er war Mitglied im Technikerteam vom “Woodstock der Blasmusik” und hatte schon viele Bands, Kapellen und Orchester aller Genres “am Pult”. In seiner Freizeit spielt er Flügelhorn im Musikverein Markt Rettenbach.

www.bemi.net

Das Orchester setzt auf Beschallungstechnik

Am nächsten Tag spielt das Orchester nicht mehr im leisen Konzertsaal, sondern beim Volksfest im Festzelt. Der Publikumsgeräuschpegel ist 85 dBSPL. Das Orchester muss also auf jeden Fall lauter spielen, um noch über dieses “Rauschen” zu kommen. Auf Dauer sind auch die 110 dBSPL in der ersten Reihe nicht haltbar, das heißt, das Orchester muss immer lauter sein als 85 dBSPL, kann und soll aber auch nicht dauerhaft 110 dBSPL liefern. Der Dynamikbereich ist allein dadurch schon auf maximal 25 dB eingeschränkt. Da die akustischen Eigenschaften eines Zelts eher nicht denen eines Konzertsaals entsprechen, setzt das Orchester auf Beschallungstechnik.

Tontechniker schaffen es mit viel Aufwand, durch Einsatz einer her­vor­ragen­den PA-Anlage, das ganze Zelt gleich­mäßig zu beschallen (es ist ja nur ein Gedankenspiel …). Das Orchester freut sich und spielt ein wunderbares “piano”. Leider geht es im Publikumslärm unter, die Tontechnik gibt ihr Bestes, steuert nach, macht lauter. Die Musik kann im ganzen Zelt gehört werden, alles ist wunderbar. Technisch gesehen hat die Tontechnikerin bzw. der Tontechniker den SNR durch Anheben der Lautstärke also verbessert bzw. erst geschaffen. Ohne dies wäre die Musik im Publikumslärm verschwunden. 

Die Tontechnik kann nichts machen, außer schnell leiser drehen…

Nehmen wir an, die Musik ist an der leisesten Stelle der Beschallung, also ganz hinten, nur genau gleich laut wie das Publikum (SNR = 0). Kaum hat die Tontechnik das erreicht, geben die Musizierenden Gas und spielen voller Freude ein sattes Doppelforte. Selbst wenn das nur 30 dB lauter wäre als die vorherige leise Stelle, dreht sich mindestens die Hälfte der Leute, die, die vorn sitzen, mit bösem Blick zur Tontechnik. Die kann aber leider gar nichts machen, außer schnell leiser drehen (es gibt, wie bei der CD-Produktion im Studio, siehe oben, technische Möglichkeiten zur automatischen Begrenzung – aber auch die haben Nachteile und technische Grenzen; ein Thema für weitere Artikel).

Ob technisch oder manuell, die Tontechnik “zerstört” die Dynamik des Orchesters. Abhilfe schafft nur, miteinander zu sprechen und letztendlich die Dynamik des Orchesters an sich einzuschränken. Es wird sich herausstellen, dass eine musikalische Dynamikstufe komplett reicht; alles zwischen Mezzoforte und Forte ist sinnvoll, alles was leiser oder lauter ist, nicht. Nehmen sich das Musizierende, Dirigierende und Techniker zu Herzen, ist der erste Schritt erreicht.

Schlecht für die Technik der Naturklang des Orchesters selbst

Schlecht für die Technik ist, dass aus ihrer Sicht leider auch der Naturklang des Orchesters selbst »Rauschen« ist. Damit sie arbeiten kann, muss der Schalldruck der Beschallungsanlage mindestens gleich laut, eher lauter sein als das Publikum und das Orchester selbst (wir wissen, dass sich dieses Verhältnis, ebenso wie das Verhältnis zum Publikumslärm, durch den Abstand gegebenenfalls ändert). Auch nach oben sind der Lautstärke Grenzen gesetzt, weil einer Be­schallungs­anlage ganz schnell die Reserven ausgehen und es insgesamt “einfach zu laut” wird.

In dem Fall muss man versuchen, den Natursound des Orchesters durch Absprachen leiser zu bekommen und die Mischung entsprechend anzupassen, das heißt, auf Übertragung »zu lauter« Instrumente sogar komplett zu verzichten. Ist das Publikum 85 dBSPL laut und bei 95 dBSPL beschweren sich die Leute über zu hohe Lautstärke (weil man sich ja gar nicht mehr unterhalten kann), wird der Grat zur Übertragung zum Beispiel des Gesangs plötzlich sehr schmal. Im echten Beschallerleben hat man die hier angenommenen 10 dB übrigens nie…

Das “böse Rauschen” der lauten Trompeten

Es kommt noch schlimmer: Genau wie das Si­gnal der lauten Trompete im Mikrofon der leisen Flöte “böses Rauschen” ist und dazu führt, dass man die Flöte nicht “über die Trompeten” bekommt, egal wie laut man sie macht, ist auch das Signal der Beschallung im Mikrofon selbst unerwünscht. Denn es passiert genau dasselbe wie im geschilderten Fall von Flöte und Trom­pete: Man kann den Gesang nicht mehr aus dem Rauschen herausbekommen, wenn vom Gesangsmikrofon eben dieses Rauschen (Orchester, Publikum und Beschallungsanlage) einge­fangen wird. Das SNR vor dem Mikrofon ist zu schlecht.

Abhilfe schafft nur, das Problem direkt an seiner Quelle zu lösen. Die Störer müssen leiser werden, das Nutzsignal lauter. Also muss das Orchester leiser spielen, die Sängerin lauter singen und das Abstandsverhältnis optimiert werden. Das erreicht man durch den Mikrofonabstand, näher zum Nutzsignal (Gesang/Solo) und weiter weg vom Unnutzsignal (Orchester), grundsätzlich Mikrofon näher zum Mund. Außerdem ist die Mikrofonauswahl wichtig, vor allem die Auswahl der richtigen Richtcharakteristik. 

Monitoring erforderlich

Damit sich Solisten, Sängerinnen und Sänger ­hören, wird neben der Beschallung für das Publikum auch Beschallung auf der Bühne – Monitoring – erforderlich. So wird ein Zusammenspiel überhaupt möglich. Auch das Monitoring ist aus Sicht des Mikrofons eine weitere unerwünschte Quelle, also ein weiterer Störer. Das führt so weit, dass über zu lautes Monitoring sich das SNR nochmals verschlechtert und es zur Rückkopplung kommt.

Zusammenfassung: Eine erfolgreiche Beschallung hängt primär vom Verständnis eben dieses Signal-Rausch-Abstandsproblems vor dem Mi­krofon durch Musizierende, Dirigierende und Technik sowie einem guten, angepassten Ar­range­ment ab. Richtig eingesetzte Technik hilft bei der Be­hebung der Probleme, aber an der Physik können wir nichts ändern. Geht Kompromisse ein!

Beschallungstechnik

Glossar 

Im Text werden Begriffe eher populärwissenschaftlich verwendet. Gemeint ist Folgendes:

Signal, Nutzsignal: das Signal, das am betrachteten Ort im Zusammenhang gewünscht ist

Rauschen, »Unnutzsignal«, Krach: das Signal, das am betrachteten Ort im Zusammenhang unerwünscht ist

Signal-Rausch-Abstand, Signal-Rausch-Verhältnis, signal-to-noise, signal-to-noise ratio, S/N, SNR: das sich am betrachteten Ort im Zusammenhang ergebende Verhältnis (in dB) von Signal und »Unnutzsignal«

PA: Beschallungsanlage für das Publikum

Monitoring: Beschallungsanlage für die Aufführenden und die Bühne. Ein guter Monitorsound ist erforderlich für eine gute Performance. Was als guter Monitorsound ­empfunden wird bzw. erforderlich ist, ist individuell unterschiedlich. »Viel Monitor« führt zu einem guten Emp­finden bei der Künstlerin bzw. beim Künstler (»ich komme an«), aber ebenso zu Krach (für andere »ich bin zu leise«, »ich höre mich nicht«) und zu einem schlechten SNR. Es sollte, gerade bei verschiedenen Monitorwegen, genau überlegt werden, wer was wirklich braucht und was nicht.

Rückkopplung: kennt jeder Techniker als »größten Feind«. Es pfeift. Sie kommt zustande, wenn an einem Mikrofon das (in diesem Fall Unnutz-)Signal der Beschallung (PA oder Monitoring) mindestens so laut wieder beim Mikrofon ankommt, dass es zur Selbstoszillation kommt, also gleich laut oder lauter wie das Nutzsignal, SNR ≤0.

Schalldruckpegel: ein technischer Wert für Lautstärke

Gain, Verstärkung: eine Anhebung eines Signals um ein bestimmtes Verhältnis. Der Gain-Regler am Mischpult ­regelt die Verstärkung des Eingangssignals. Er dient dazu, dieses Signal so weit anzuheben, dass es gut verarbeitet werden kann. Er wird so eingestellt, dass das Eingangs­signal ausreichend über dem technischen Rauschen (hier ist erstmals wirklich von SNR die Rede) des Mischpults liegt, aber das System nicht übersteuert. Grundsätzlich macht man mit dem Gain-Regler alle Eingangssignale gleich laut.

Hörschwelle: der Schalldruckpegel, der vom Gehör ge­rade noch wahrgenommen werden kann. Individuell unterschiedlich sowie alters- und frequenzabhängig.

Dynamik, Dynamikumfang: der Unterschied zwischen leisestem und lautestem Signal. Er ist je nach Umfeld anzupassen, technisch, am besten jedoch über die Spiel­weise und ein entsprechendes Arrangement.

Richtcharakteristik: Eigenschaft eines Mikrofons, Signale aus unterschiedlichen Richtungen unterschiedlich laut zu übertragen. Die meisten eingesetzten Mikrofone haben eine Nierencharakteristik. Signale »von hinten«, also 180° gegen die Haupteinsprechrichtung, werden am leisesten übertragen. Supernierencharakteristik bedeutet, dass Signale aus 120° am leisesten übertragen werden. Durch passende Auswahl kann ein Unnutzsignal so unterdrückt werden. Die Richtcharakteristik ist rotations­symmetrisch, frequenzabhängig und wird nur eingehalten, wenn der Mikrofonkorb nicht zugehalten wird. Also: Mikrofon nur am Griff anfassen.