Brass, clarino.test | Von Martin Hommer

Bestnoten im Sagenbereich – Jestädt-Flügelhorn »Erlkönig«, Modell 36

Daniel Ackermann

Der Erlkönig ist ein Mythos. Und zwar in vieler­lei Hinsicht. Der Erlkönig per se ist als König der Elfen natürlich eine ­mytho­logische Gestalt. Goethes Ballade vom Erlkönig ist ebenfalls ein Mythos: Quelle schlafloser Nächte für unzählige Schüler, die die acht Strophen auswendig lernen (und vor der Klasse rezitieren) müssen und natürlich Teil des großartigen Erbes deutschsprachiger Lyrik und ein Juwel im deutschen Sprachschatz. Und auch Autofreunde bekommen glasige Augen, wenn sie an einen Erlkönig denken. Denn als Erlkönige werden neue Autos bezeichnet, die – meist mit einem Tarnanstrich versehen – Testfahrten »im echten Leben« absolvieren. Bernd Jestädts Flügelhorn hat ebenfalls das Zeug, ein Mythos zu werden. Und sei es »nur« als best­bewertetes Instrument in der clarino.test-Geschichte.

Es ist zugegebenermaßen schwierig, glaubhaft über ein Instrument zu schreiben, das in (fast) allen Bereichen die Bestnote erhalten hat. Ein Testbericht mit einem solchen Ausgang wird dann schon mal ins Reich der Sagen verwiesen. Vielleicht rührt auch daher die Typenbezeichnung »Erlkönig«. Anders als der geneigte Leser oder Hörer die Gestalt in Goethes Ballade wahrnehmen mag – als kindermordendes Ungeheuer nämlich –, ist der Erlkönig in erster Linie der König der Elfen. Elfen sind Naturgeister und werden (etwas verkürzt dargestellt) in zwei Arten unterschieden: Lichtelben und Schwarzelben. Sie verkörpern also die helle, freundliche und die dunkle, die Schattenseite der Natur. Wenn heute von Elfen die Rede ist, denkt man meist an die guten, freundlichen Natur­geister und hat ein Bild von fröhlich musizierenden und tanzenden kleinen halbtransparenten Wesen im Kopf.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der »Erl­könig« aus dem Hause Jestädt ist weder halb- noch ganztransparent, sondern ein soli­des Stück deutscher Instrumentenbaukunst, das in vielen Stunden von Hand hergestellt wird. Entprechend gut fällt das ­Urteil des handwerklichen Testers aus. »Ein wildes Teil«, entfährt es dem Blechblas­instru­mentenbaumeister spontan, als das Etui ­geöffnet wird. Und in der Tat: Der erste visuelle Eindruck des »Erlkönigs« mag etwas erschrecken. Die spezielle Oberflächenbehandlung gibt dem Instrument eine antike Anmutung. Das ist übrigens keinesfalls zu verwechseln mit »lässt das Instrument alt aussehen«, denn die Oberfläche des »Erl­königs« dürfte eher pflegeleicht und haltbar sein: Es kann kein Lack und keine Versilberung verkratzt werden. Für Freunde der ­perfekten (und gewohnten) Optik ist der »Erl­könig« aber auch mit lackierter oder versilberter Oberfläche erhältlich. Aber das zeichnet Naturgeister ja auch aus: Sie sind immer in der Lage, sich ihrer Umwelt anzupassen.

Die Idee, die Vorzüge der landläufig als »amerikanisch« bekannten Bauart eines Flügelhorns mit den Vorzügen einer Drehventilmaschine zu kombinieren, ist nicht ganz neu. Schon mehrere Hersteller haben diesen Ansatz vor allem bei Trompeten verfolgt. Die Vorzüge der Bauart liegen vor allem in der Ergonomie des Instruments. Die linke Hand des Spielers hat nur das Gewicht des Instruments zu tragen. Es wirken keine Drehkräfte auf die Hand, und die rechte Hand ist auch nicht damit beschäftigt, den ausladenden rechten Teil des Instruments zu halten. Sie kann sich ganz auf das Greifen konzentrieren und ermüdet bei der ­technischen Arbeit nicht so schnell. Hier wiederum kommen die Vorzüge der Drehventilmaschine zum Tragen. Die Wege des Druckwerks sind in aller Regel kürzer als bei Périnetventilmaschinen, und Verfechter der Bauweise sind der Meinung, dass Tonwechsel präziser ausgeführt werden können. Ein Hauptunterschied in der Bauweise liegt auch in der Lage der Maschine: Périnet­ventilmaschinen werden erst nach dem ­ersten Bogen von der Luft erreicht, während die Drehventilmaschine ­bereits nach wenigen Zentimetern in der Mitte des Mundrohrs eingebaut ist. Für viele Blechbläser ist dies der Grund für den fetteren Klang eines In­stru­ments mit Drehventilmaschine.

Der »Erlkönig« führt nun diese Vorteile in einem Flügelhorn zusammen. Flügelhörner klingen ohnehin schon weicher als Trompeten und der Klang wird nun bauartbedingt noch etwas kerniger und fetter. Tester Da­niel Ackermann ist voll des Lobes über den Klang des »Erlkönigs« und würde das Flügelhorn selbst am ehesten im Jazzbereich einsetzen. »Aber der ›Erlkönig‹ ist durch seine Spieleigenschaften sicher in allen Musik­richtungen einsetzbar!«, findet Ackermann. Denn alle Spieleigenschaften sind gleichermaßen ausgezeichnet: Bereits beim ersten Ton fühlt sich der erfahrene Spieler auf dem Instrument wohl. Durch die große Bohrung bringt der Spieler viel Luft im Instrument unter, durch die spezielle Bauart des »Erl­königs«, der Jestädts »Sinus-Line« entstammt, hat der Spieler dennoch einen angenehmen Blaswiderstand.

Die Ansprache des »Erlkönigs« ist dem Praxistester eine glatte »1« wert, ebenso wie der häufig heikle Bereich der Intonation. Schlechte Töne, also solche, bei denen der Spieler kraftaufwendige Korrekturen vornehmen muss, sind für Daniel Ackermann schlicht nicht zu erkennen. Die Maschine ist leichtgängig und ermöglicht auch schnelle Läufe präzise auszuführen – ein Traum für Daniel Ackermann: »Der kurze Druckweg sorgt für Agilität und Spielfreude auch in schnellen Passagen.« Auch die Register­koordination ist mit dem »Erlkönig« sehr gut auszuführen: Man kommt ohne großen Aufwand über die Lagenwechsel hinweg und hat dabei einen immer gleichen, stabil fetten Klang.

Die Ausstattung des »Erlkönigs« kann sich sehen lassen. Mit drei verschiedenen Mund­rohren bzw. Stimmstiften ist der Spieler auf quasi jede sich ergebende Spielsituation vorbereitet und kann Klang und Anspracheverhalten entsprechend anpassen. Der »Erlkönig« verfügt über einen Trigger am 3. Ventilzug, mit dem der Spieler bei »langen« Tönen jederzeit korrigieren kann. Der Kugelkopf, der die Schubstange mit dem Zug verbindet, kann schnell und einfach abgezogen werden, falls der Zug einmal ganz aus dem Instrument genommen werden soll. Zwei traditionelle Wasserklappen sorgen für eine zuverlässige Entwässerung, während ein Ring für den rechten Daumen und ein Haken für den rechten kleinen Finger sowie ein Ring für den linken Zeigefinger für die perfekte Ergonomie sorgen. Die Druckplatten sind sehr fingerfreundlich und geben dem Spieler ein gutes Gefühl. Auch die Fingerstützen, die das Mundrohr und die Maschine verbinden, tragen zur guten Haptik des »Erlkönigs« bei. Ohne diese wäre längeres Spiel auf dem Flügelhorn wohl eine eher schmerzhafte Angelegenheit. Aber bei Jestädt wird offenbar auf jedes Detail geachtet.

Die sonstige Ausstattung ist ganz auf den Klang ausgerichtet: Massive Stützen sorgen nicht nur für die nötige statische Stabilität des Instruments, sondern geben dem »Erlkönig« auch den gewünschten »heavy«-Klang. Auch die Schraubdeckel der Ventil­zylinder sind knapp doppelt so schwer wie vergleichbare Deckel und könnten durchaus als »Heavy-Caps« durchgehen.Die handwerkliche Verarbeitung des »Erlkönigs« lässt keine Wünsche offen. Die Lötstellen sind sauber ver- und nachbearbeitet, die Stützen aus eigener Herstellung perfekt angepasst. Der Gestellbock, der bauart­bedingt am Schallstück angelötet ist, ist perfekt an die konische Verlaufsform an­gepasst und trägt zur angenehmen Hand­habung bei. Das Schubgestänge mit seinen Minibal-Gelenken entspricht dem aktuellen Stand der Technik und ist sorgfältig ge­bogen und verarbeitet: Da wackelt nichts, nichts hat zuviel Spiel und nichts hat unerwünschten Kontakt (etwa die Schubstangen mit dem Schallstück). In den Ventildeckeln finden sich kleine Spitzschrauben, die nötigenfalls für die Feinjustierung des Höhenspiels in den Ventilen sorgen können. Lediglich der 1. Ventilzug geht etwas streng, aber das ist kein wirkliches Problem.FazitDer »Erlkönig« ist ein sagenhaftes Instrument. Er hat nichts Bedrohliches an sich wie die Figur in Goethes gleichnamiger Ballade.

Ganz im Gegenteil. Er ist wahrlich ein königliches Instrument und ganz dem Licht zugewandt. Er glänzt in allen Bewertungsbereichen mit Bestnoten und bringt den Praxistester zum Schwärmen. Das Design ist zweifelsohne außergewöhnlich, aber in allen Teilen stimmig. Wer anstatt der »Antik-Lackierung« des Testmodells eine traditionelle Lackierung oder Versilberung wünscht, kann diese beim Hersteller so ordern. Die handwerkliche Verarbeitung ist sauber und lässt keine Wünsche offen. Instrumentalisten, die das Besondere lieben, sollten den »Erlkönig« beim nächsten Instrumentenkauf in Erwägung ziehen. Das abschließende Urteil des Praxistesters mag dabei als klarer Hinweis auf die Qualität und Eigenschaften des »Erlkönigs« gelten: »Ein Top-Horn!«

Der Tester


Mit neun Jahren begann die Laufbahn des Daniel Ackermann. Später studierte er in Mainz, Köln und Luxemburg, unter anderem bei Malte Burba, Friedemann Immer und Matthias Höfs. Er sammelte solistische Erfahrungen und wurde Mitglied des Landes-Jugend-Ensembles für Neue Musik Rheinland-Pfalz. Seit 2000 ist Ackermann in verschiedenen Orchestern tätig und beschäftigt sich da­rüber hinaus intensiv mit Neuer Musik sowie Swing, Jazz und Soul.

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