Orchestra, Schwerpunktthema | Von Stefan Fritzen

Bewertung in der Musik

Kaum ein Musikthema wird in der Gesellschaft und in Fachkreisen so leidenschaftlich diskutiert wie die Festlegung auf »gut oder schlecht, richtig oder falsch« bei der Interpretation eines Musikstücks.

Hörbewertungen als persönliche Meinung

Dabei sind angesichts des unermesslichen Formenreichtums und des generellen interpretatorischen Charakters von Musik solche Attribute a priori fragwürdig, da Hörbewertungen immer von den persönlichen Hörbedürfnissen, dem musikalischen Bildungsgrad, aber auch von augenblicklichen Stimmungen des Hörers abhängen, also einen höchst persönlichen Charakter besitzen.

Deshalb sage ich immer zu kritischen Hörern nach einem Konzert: »Sagt nie: ›Das war schlecht und taugt nichts‹, sondern sagt: ›Mir hat es nicht gefallen‹ und versucht, eure Meinung zu begründen.« Andacht und Ehrfurcht vor den kreativen Leistungen Dritter verdienen immer unsere Achtung!

Musikkritik ist so alt wie die Kunst der Interpretation überhaupt. Kritische Betrachtung dient generell der Beurteilung einer Handlung oder eines Gegenstandes auf der Grundlage allgemeiner und akzeptierter Maßstäbe. Auch Musikkritik ist demnach eine »Grundfunktion der denkenden Vernunft« (siehe auch Anne-Barb Hertkorn).

Wenn es gut war, war es schlecht? Der Kritiker als »famoses Haus«(nach Wilhelm Busch)

Im landläufigen Verständnis bezeichnet Kritik vor allem die Würdigung oder Beanstandung von Sachverhalten oder Tatbeständen insbesondere in der interpretierenden Kunst. Damit wird aber bereits das Subjektive und Vorgefasste eines Kritikers in der Einschätzung von Kunst in allen ihren qualitativen Nuancen mit eingeschlossen und seiner einflussnehmenden Stellung als Lobbyist bestimmter Überzeugungen oft Vorschub geleistet.

Trotzdem müssen wir akzeptieren, dass individuelle Niveauvorstellungen immer legitim sind. Vieldeutigkeit ist ein Wesensmerkmal großer Kunst und ihre Adepten sollten immer in weiten formalen und inhaltlichen Dimensionen denken.

Nichtsdestotrotz besitzen wir auch objektivierbare Kriterien bei der Gestaltung von Musik. Ein Legato ist ein Legato – viele Instrumentalisten können dieses gar nicht mehr richtig ausführen. Zu laut ist zu laut, eine unlogische Phrasierung bleibt eine solche und falsche Töne sind falsche Töne.

Ohne Radio und ohne Massenkonsum

Ab dem 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die »Kunst der Musikbewertung« stürmisch, da die Entwicklung vielfältigster Musikrichtungen immer umfangreicher wurde und sich auch die Kunst des Instrumentalspiels ständig vervollkommnete. Um neue Musik in der Öffentlichkeit zunächst überhaupt wahrnehmen zu können, hatte die schriftliche Erwähnung und Bewertung der Werke und Komponisten in der Presse ausgesprochen multiplikative Funktionen.

Dabei waren die Kritiker oft überhaupt keine Musiker und schrieben in der Zeitung über Rübenzucht genauso wie über Konzerte und Theateraufführungen. So haben zum Beispiel die Schriftsteller Mark Twain oder George Bernard Shaw zum Teil unglaublich witzige und pointierte Musikkritiken verfasst, die noch heute auch aus literarischer Sicht lesenswert sind.

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