Orchestra | Von Johannes M. Langendorf

Big Band der Bundeswehr spielt in voller Besetzung

Big Band der Bundeswehr
Foto: Andrea Gil

On the Road to Swing: Die Big Band der Bundeswehr spielt in voller Besetzung. Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer besucht das erste Autokonzert im Sauerland.

Für Kulturschaffende aller Bereiche wird das Jahr 2020 als das wohl schwerste und denkwürdigste in den Geschichts­büchern vermerkt werden. Von einem Tag auf den anderen war es einer ganzen Berufsgruppe nicht mehr möglich, ihre Leidenschaft zu leben, der eigenen Profession zu folgen und sich mitzuteilen auf die vermutlich persönlichste Art – dem eigenen künstlerischen Wirken. Neben dem kulturellen Lockdown, dessen zeitliche Befristung bislang nicht absehbar ist, brachte die Situation viele Kolleginnen und Kollegen um sämtliche Einnahmen und damit auch um ihre Existenzgrundlage.

Die Musiker des Militärmusikdienstes der Bundeswehr hatten diese Sorgen nicht, waren jedoch ebenfalls gezwungen, ihren Dienst für die gute Sache im Rahmen der unzähligen deutschlandweiten Wohltätigkeitskonzerte einzustellen und sich stattdessen auf Unterstützungsleistungen im Rahmen einer akuten Co­rona-Hilfe für Krankenhäuser und Gesundheitsbehörden bereitzuhalten.

Der Kreativität hat die künstlerische Zwangs­pause keinen Abbruch getan. Im Gegenteil! So veröffentlichte die Big Band der Bundeswehr gerade in dieser Zeit etliche Live-Videos aus dem vergangenen Konzertjahr sowie neue Arrangements und Titel aus dem musikalischen Home­office von beeindruckender Qualität und ern­tete damit viel Beachtung und Anerkennung. Dies hatte zur Folge, dass sich die Idee einer Charity-Homeoffice-CD gerade mitten in der Umsetzung befindet.

Es fehlt bislang der direkte Kontakt zum Publikum

Doch bei allen positiven Impulsen und Ideen, diese Zeit mit Musik, Kreativität und Öffentlichkeit in den sozialen Medien zu füllen, fehlt natürlich das für alle Interpreten wichtigste Element: der direkte Kontakt zum Publikum. Während andere professionelle Bigbands den Livebetrieb in der Konzertsaison für beendet erklärten, suchte die Big Band der Bundeswehr nach Alternativen.

Das Hauptproblem war hierbei, eine Bühne zu finden, auf der alle Musiker den zum Zeitpunkt der Konzertreihe geforderten Mindestabstand würden einhalten können. Da man das Konzept der Autokinos bereits in den Anfängen der Corona-Krise erprobte und genehmigt hatte, suchte man demnach eine Spielstätte , die nicht nur über eine große LED-Wand, sondern auch eine sehr große Bühne und die dazu passende Infrastruktur verfügte.

Beim Sauerlandpark in Hemer wurde das Tourmanagement der Big Band der Bundeswehr fündig. Auf dem ehemaligen Landesgartenschau­gelände steht eine feste Bühne, die durch Öffnungen in beide Richtungen sowohl indoor als auch open air bespielbar ist. Gerade am zumeist viel zu kleinen Backstagebereich sonstiger Bühnen scheiterte die für die Big Band der Bundeswehr so wichtige Idee, mit dem gesamten Orchester spielen zu wollen.

Die an der Bühne befindliche Konzert- und Sporthalle in Hemer wurde nun in ihrer gesamten Fläche zur Garde­robe umfunktioniert und bot zudem noch aus­reichend Waschräume für alle Produktionsbeteiligten. Zwei separate Seitenbühnen ermöglichten nicht nur das problemlose Auf- und Abgehen der Sängerinnen und Sänger der Big Band der Bundeswehr, sondern erlaubten auch Singenmit Abstand, auch ohne weitere Schutzmaßnahmen.

Großer Abstand und zusätzliche Plexiglasscheiben

Insgesamt hatte die Big Band der Bundeswehr eine Hauptbühnenbreite von 14 Metern und eine Bühnentiefe von insgesamt 17 Metern. So konnte im eigens für diese Konzertreihe erstellten Hygiene­konzept festgelegt werden, dass zwischen Trompeten, Posaunen und Saxofonen jeweils ein Abstand von mindestens drei Metern bestehen musste. Zudem wurden zusätzlich Plexiglasscheiben in Spielrichtung vor den jeweiligen Vordermann positioniert. Da bei den Saxo­fonen ein Satzspieler mehr Platz finden musste, wurden hier noch Wände seitlich zwischen den Musikern aufgestellt.

Einer der musikalisch und gleichzeitig organisatorisch entscheidenden Fragen war die Positionierung der Rhythmusgruppe. Diese auf die zweite Seitenbühne zu bringen, hätte wahrscheinlich zu viele Probleme in der gegenseitigen Wahrnehmung der Musiker verursacht und zudem war dies aus Platzgründen kaum möglich. So wurde der fünfköpfige Satz mit einem Abstand von über drei Metern hinter den Bläsern positioniert.

Der Bühnenplan mit großen Abständen und Plexiglasscheiben

Hilfestellung bei der Ermittlung der Abstände unter den Musikern gab es von der Universität der Bundeswehr in München und dem dort am Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamikzustände tätigen Prof. Christian J. Kähler. Er hatte sich in einer Studie mit dem Thema Aerosolbildung und der daraus resultierenden Gefahr einer Ansteckung mit Covid-19 bei Bläsern befasst. Auch dank seiner Arbeit war es den zuständigen Behörden vor Ort möglich, eine posi­tive Entscheidung für die dreitägige Konzertreihe zu fällen. Die notwendigen und schnellen Sondergenehmigungswege innerhalb der Bundeswehr waren dem vorangegangen.

Bereits einstudiertes Repertoire

Weitere wichtige Bausteine des Hygienekonzepts waren die separate Anreise aller Musiker mit dem eigenen Pkw sowie der Verzicht auf das sonst gemeinschaftliche Abend­essen vor und die Hotelübernachtung nach dem Konzert. Da der Probensaal der Big Band der Bundeswehr in Euskirchen zu klein für vorherige Proben unter Corona-Auflagen war, griff der Bandleader auf bereits einstudiertes Repertoire zurück.

Immerhin hatte das Orchester in diesem Jahr das Glück – einen Tag vor dem Verbot aller Groß­veranstaltungen –, ein einziges Konzert in großer Besetzung geben zu dürfen. “Die Band arbeitet auf einem sehr hohen musikalischen Niveau, da reichte mir zur Auffrischung ein ausführlicherer Soundcheck vor dem Konzert”, so der Band­leader Timor Oliver Chadik. “Und heute freue mich sehr darüber, endlich mal wieder mit allen zusammen Bühnenluft schnuppern zu können.”

Doch gerade diese Luft war mitunter gewöhnungsbedürftig. Mit einem Konzert auf einer derart großen Bühne und der aus Corona resultierenden besonderen Aufstellung und Abstands­regelungen gab es für das Ausnahmeorchester auch in der nahezu 50-jährigen Geschichte keine Erfahrungswerte. Erschwerend kam hinzu, dass man die in den Autos sitzenden Zuschauer kaum wahrnehmen konnte, sondern eher das Gefühl hatte, man spiele auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums.

Glücklicherweise durften die Besucher zwischen den Songs als Beifallersatz sowohl Lichthupe als auch die teilweise ohrenbetäubende normale Hupe betätigen. Dass durch diesen Umstand am Ende einige Fahrzeuge fremdgestartet werden mussten, nahmen die Zuschauer gelassen. »Ich bin glücklich, die Big Band der Bundeswehr wenigstens einmal in diesem Jahr gehört zu haben. Und so schlecht waren die Bedingungen für uns Zuschauer ja gar nicht. Autoradio an und einfach sitzenbleiben in den eigenen bequemen Autositzen«, meinte ein Zuschauer, der eigens aus dem zwei Stunden entfernten Lübbecke angereist war.

Schwierige Interaktion mit dem Publikum hinter Autoscheiben

Gerade während der Sommer-Open-Air-Tour leben die Konzerte der Big Band der Bundeswehr mit mehreren tausend Zuschauern von der unmittelbaren Interaktion mit dem Publikum. Dieses steht dicht vor der Bühne und der sogenannte und vielzitierte Funke springt ohne Probleme über. Bei den Autokonzerten sah man hinter den Windschutzscheiben nur sehr schlecht die Zuschauer und konnte kaum deren unmittelbare Reaktion feststellen.

Das spontane Lachen als Reaktion auf einen Scherz in der Moderation fehlte ebenso wie der aufbrandende Applaus nach Soloparts, das Lachen oder spontane Tanzen, das rhythmische Mitklatschen der Zu­schauer, das Schwenken der Feuerzeuge oder das Mitsingen – Interaktion und Kommunikation ist durch Autoscheiben hindurch nur schwer umzusetzen.

Doch die Dankbarkeit überwiegt bei der Big Band der Bundeswehr. Die Swingformation mit Sonderauftrag hat als einziges Orchester mit viel Aufwand und trotz etlicher zusätzlicher Hygienemaßnahmen in voller Besetzung im Livebetrieb gespielt. Diese Botschaft kam offenbar auch bei Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Kartenbauer gut an. Mit einem für alle Beteiligten völlig unverhofften Überraschungsbesuch brachte sie am ersten Konzertabend der Big Band ihre Wertschätzung entgegen.

Der Reinerlös der Konzerte kam der Sparkassenstiftung Hemer, die mit dem Geld durch Corona in Schwierigkeiten geratene Vereine unterstützt, sowie dem Bundeswehrsozialwerk, das sich für unschuldig in Not geratene Soldaten und deren Familien einsetzt, zugute.

So sollte diese Reihe nicht nur ein Hoffnungsschimmer für alle Musiker sein, sondern auch als ein Statement gegen einen Virus verstanden werden, der derzeit das musikalisch-öffentliche Leben so stark beschneidet. Dass Musik eben nicht Luxus, sondern Lebensmittel ist, mussten alle in den vergangenen Wochen schmerzlich feststellen. Die Big Band der Bundeswehr versucht auf ihre ganz persönliche Weise, die Zeit bis zu einem uneingeschränkten und unbeschwerten Wiedersehen zu überbrücken. Autokonzerte können dabei ein wenig helfen.

Im Vorfeld hatten wir uns mit Timor Chadik und Johannes Langendorf unterhalten.