Wood | Von Klaus Härtel

Die Steinzeitflöte

In der Nähe von Ulm fand man in Höhlen die ältesten Reste von Musikinstrumenten: Flöten aus Vogelknochen und Mammutstoßzähnen.

Das Höhlensystem der Schwäbischen Alb und die ältesten Artefakte des Homo sapiens

Die Schwäbische Alb – ein Mittelgebirge von rund 200 Kilometern Länge mit einer Gipfelhöhe von bis zu 1000 Metern. Es gibt dort sehenswerte Karstlandschaften, durchlöchert von fantastischen Höhlen, Senken und Tälern. Man kennt nicht weniger als 2500 Höhlen "auf der Alb", rund ein Dutzend davon zählen zu den absoluten Touristenattraktionen Süddeutschlands.

Das größte Höhlensystem der Schwäbischen Alb (und das zweitgrößte Deutschlands) ist die Blauhöhle. Sie beginnt im Blautopf, einem sagenumwobenen grünblauen Quellsee. Das dort entspringende Flüsschen Blau und die Stadt Blaubeuren sind nach ihm benannt.

In 21 Metern Wassertiefe entdeckten Taucher in den 1960er Jahren im Blautopf den Zugang zu diesem Höhlensystem, das nur Forscher betreten. Es liegt teils unter, teils über Wasser und umfasst eine Gesamtlänge von mindestens 13 Kilometern.

Nicht weit vom Blautopf entfernt, an den Hängen des Achtals, findet man das Geißenklösterle, den Hohlen Fels und den Sirgenstein – drei von sechs kleinen Höhlen, die im Sommer 2017 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurden.

Denn in diesen sechs Höhlen – die anderen drei liegen etwa 30 Kilometer entfernt – wurden nicht nur Knochenreste steinzeitlicher Jagdtiere entdeckt (Höhlenbär, Hyäne, Rentier, Wollnashorn, Mammut u. a.), sondern auch die ältesten Artefakte des Homo sapiens: Werkzeuge, Schmuck und Figuren aus Stein, Knochen, Geweih und Zähnen.

1990 sind erstmals auch Reste von Knochenflöten aufgetaucht – zunächst in der Geißenklösterle-Höhle, dann auch im Hohlen Fels und in der Vogelherd-Höhle im Lonetal. Bis heute wurden an diesen Fundstellen insgesamt 24 Steinzeitflöten nachgewiesen. Sie sind die ältesten erhaltenen Musikinstrumente – Dokumente der Menschwerdung. Vor rund 40 000 Jahren benutzte der frühe moderne Homo sapiens (der "Cro-Magnon-Mensch") diese Höhlen als Unterschlupf.

Steinzeitflöten aus Vogelknochen…

Die 1990 zuerst gefundene Flöte ("Geißenklösterle 1") konnte aus 20 Fragmenten zusammengesetzt werden. Das Instrument ist aus dem Knochen eines Singschwans gefertigt, genauer gesagt: aus seiner Flügelspeiche ("Radius").

Die Flöte ist 12,65 cm lang, hat drei Grifflöcher und konnte wohl auch überblasen werden. Der Tonbereich lag vermutlich in der drei- und viergestrichenen Oktave. Die Grifflöcher sind nicht gebohrt, sondern kunstfertig eingeschabt, um saubere Lochkanten zu erhalten.

Aus der Speiche eines Gänsegeiers gefertigt wurde eine Flöte, die 2008 im Hohlen Fels gefunden wurde ("Hohler Fels 1"). Von diesem Instrument ist ein 21,8 cm langes Stück erhalten, das vier Grifflöcher besitzt – das Stück endet an einem fünften Loch, wo es abgebrochen ist. Am oberen Ende sieht man eine angeschrägte Kerbe, die das Anblasen der Flöte erleichtert.

Bruchstücke anderer Flöten verraten, dass neben den Speichen der Vögel auch die Ellen für die Flötenherstellung verwendet wurden. Vogelknochen bieten sich hierfür an, da sie von Natur aus hohl sind.

… und aus Mammut-Elfenbein

Es fanden sich aber aus demselben Zeitalter auch Reste von Flöten aus massivem Mammut-Elfenbein. Ein solches Instrument ("Geißenklösterle 3") konnte 2003 aus 31 Fragmenten rekonstruiert werden.

Der steinzeitliche Flötenbauer hatte offenbar ein Stück aus dem Mammut-Stoßzahn herausgebrochen, zu einem Stab geformt und diesen dann der Länge nach gespalten. Er höhlte die zwei Hälften aus und schabte die Grifflöcher ein. Danach hat er die beiden Teile des Stabs wieder miteinander verklebt und verschnürt – mit Birkenpech und Tiersehnen.

Das gefundene Instrumentenstück ist 18,9 cm lang und hat noch drei Grifflöcher und eine Anblaskerbe. Es heißt, diese Flöte sei in Terzen gestimmt. Ein moderner Nachbau des Modells tönt erstaunlich laut und wohlklingend. Aufnahmen davon kann man im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren hören. Motto: "Wo der Mensch wurde".