Orchestra | Von Enjott Schneider

blasinstrumente in der filmmusik – über stereotype assoziationen zu emotionen

Es gehört zum Grundzug des klassischen Scorings, dass in Art der Leitmotivik den wichtigsten Personen oder Stimmungen eines Films definierte Klangfarben zugeordnet werden – elektronische Sounds, instrumentale Mischfarben oder einzelne Instrumente. Das geschieht meist unmerklich, aber oft mit instrumentatorischer Virtuosität wie etwa in John Williams’ Introduktion zum ersten Harry-Potter-Film »The Philosophers Stone«: Nach nächtlich-leisen Celestaklängen (die das Ohr höchst sensibel disponieren) erzeugen gedämpfte Streicher eine geheimnisvolle Märchenatmosphäre, dann wird zur magischen Verwandlungsszene (aus einer Katze wird eine Professorin) der Chorklang eingeführt, darauf erscheint das Hauptthema zunächst in einer rätselhaften (weil schwer zu ortenden Mischung) aus Englischhorn, Altquerflöte und Solocello, dann in der klareren Version mit vier Hörnern, bei der liebevoll-zärtlichen Übergabe des Babys dominiert eine Oboenversion, gefolgt vom süßen Abschiedsschmerz, den der Flötensatz ausdrücken darf.

Besonders eindrucksvoll und erinnerbar sind jene Filmmusiken, bei denen einer bestimmten Instrumentalfarbe plastische Dominanz zukommt. Allerdings findet man hier Blasinstrumente recht selten: mit größter Häufigkeit führt hier das Soloklavier, dann folgen Gitarren in ihren verschiedensten Ausprägungen, dann Solocello, Solovioline, Akkordeon. Erinnert sei hier an das Klavier in »Das Piano«, in »Die Firma«, in »Cinema Paradiso«, an das Solocello in »Himmel über Berlin«, in »Herbstmilch«, in »Tiger & Dragon« (von Yo Yo Ma wunderbar gespielt), an die Solovioline in »Schindlers Liste« (von Itzak Perlman gespielt), an das Akkordeon in »Il Postino«. Wird jedoch die Klangfarbe von Blasinstrumenten als dominante Farbe eingesetzt, so scheinen die Filme besonders plastisch und individuell zu werden. So prägt zum Beispiel die Trompete Jean-Claude Petits Score zu »Cyrano von Bergerac«, James Horners Score zu »Legenden der Leidenschaft« oder Nino Rotas Thema zu »Godfather«. Der Panflötenklang machte »Cockeye’s Song« in der Musik Ennio Morricones zu »Es war einmal in Amerika« (gespielt von Gheorghe Zamfir) ebenso unverwechselbar wie das Traurigkeitsthema von Klaus Doldinger zur »Unendlichen Geschichte« (gespielt von Giuseppe Solera). Prägend auch die Klarinettenfarbe für Caroline Links Film »Jenseits der Stille«, »Gabriels Oboe« innerhalb Morricones Score zu »Mission«, die irische Tin Flute in James Horners Score zu »Titanic«, der armenische Duduk in Hans Zimmers Score zu »Gladiator« (eine richtiggehende »Duduk«-Manie weltweit auslösend).

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