Orchestra | Von Renold Quade

BPO: Das Balkan Paradise Orchestra

Balkan Paradise Orchestra
Foto: Pierre Smeijers

Die Musikerinnen des Balkan Paradise Orchestra (BPO) eint die Leidenschaft für die Rhythmen und die Tonfärbungen der Musiktradition des Balkans.  Sie sind wendig auf ihren Instrumenten. Sie sind eine Band, die voller Energie Partyfeeling, Lebensfreude und den Wunsch zu tanzen unmissverständlich hervorruft. Anfang 2015, zunächst auf den Straßen Barcelonas gelebt, erprobt und schließlich definitiv geboren, heute ein Konzert- und Show-Act, der sowohl auf schicken Bühnen, wie auch schlicht auf der Straße funktioniert. Ihr Credo: “Musik ist unsere Möglichkeit uns auszudrücken. Mit ihr fühlen wir uns lebendig. Sie bewegt uns und wir versuchen, all diese Emotionen auch auf andere zu übertragen.”

Balkanmusik

“Balkanmusik” mit wenigen Worten kurz zu beschreiben ist ein Ding der Unmöglichkeit. Klar, sie stammt aus Südosteuropa. Sie zeichnet sich, besonders aus zentraleuropäischer Sicht, durch komplexe Rhythmusgeflechte und melodisch und harmonisch über Dur und Moll herausgehende Färbungen aus.

“Balkan” ist übrigens ein türkisches Wort und bedeutet so viel wie “schroffe Berge”. Blickt man zurück bis ins Mittelalter, so findet man, sowohl in der Kunstmusik als auch in der Volksmusik, byzantinische, griechische und osmanische Wurzeln. Das im Ursprung in diesen Regionen zu verortende Tonsystem “Maquam” weist sicher melodisch auch ein Stück weit den Weg. Die Tatsache, dass die türkischen Militärkapellen der Janitscharen mit Blechinstrumenten die rein von Trommeln und Doppelrohrbläsern (Oboen) dominierten Ensembles ergänzten, lässt zudem erahnen, wie die “Balkanmusik” sich auch instrumentenspezifisch weiterentwickeln konnte. Heute wird sie vielbeachtet zum Beispiel in Serbien, Bulgarien und Rumänien weitergepflegt. Die Welle der “Weltmusik”, eine ganz natürliche, immerwährende Strömungsentwicklung, wenn experimentierfreudige Musikerinnen und Musiker  aller Kontinente voneinander erfahren, hat der Balkanmusik etwa im Jazz oder mit anderen Folklorezumischungen (zum Beispiel Flamenco) weitere Facetten der Erneuerung eröffnet. 

Die Band

Innovativ und frech, das waren sie schon immer und das öffnete ihnen die ersten Türen. Mit ihrem frischen Wind begeisterten sie Publikum und Fachwelt gleichermaßen. So gewannen sie 2015 aus dem Stand den “Taller de Músics Barcelona Award”, der ihnen ihren ersten Videoclip ermöglichte. Es folgte 2017 mit dem “Carrer s´Amorebieta-Excanto” im Baskenland ein weiterer Erfolg. 2018 wurde ihnen der Preis für das beste Folk-Album der “Enderocks Awards” per Volksabstimmung zugesprochen. Und von der “Catalan Academy of Music” organisiert, 2019 der Alicia Revelation Award. Zwischenzeitlich waren die ersten beiden CDs aufgenommen und auch die Pandemie hat die Damen natürlich nicht ausbremsen können. Mit “Games Sessions” und “Odissea” nutzten sie die Zeit, um mit unterschiedlichen Produzenten neue Erfahrungen und Inspirationen zu sammeln. Nun, in 2022, läuft ihre Tournee “BPOmega” (BPΩ TOUR), mit dem Anspruch Magnetismus (B), Kraft (P) und großer Ausdauer (Omega) zu verbreiten.

Eva und Laura

Gesprochen habe ich zunächst mit der Klarinettistin Laura Lacueva. Sie nahm sich am Rande eines Konzertes in Düren ein wenig Zeit, um mich ein in die Geheimnisse des Ensembles einzuführen. “Vor sieben Jahren beschlossen drei von uns, alle große Fans der Musik der ‘Balkan Fanfaren’, in Barcelona ein Projekt mit befreundeten Musikern zu starten. Sie waren schon lange fasziniert von der Energie, vom Groove, von den rhythmischen Hakenschlägen dieser Musik. Vom charakteristischen Klang der Bläser mit ihrer Brillanz und Ornamentik. Und vom technischen Können das man benötigt, um komplexe Melodien in schwindelerregendem Tempo so klingen zu lassen, als ob es ganz einfach wäre.” Zu Beginn spielten sie, quasi als Coverband, traditionelle Balkanmelodien und Titel von Bands wie Goran Bregovic, Marko und Boban Markovic, Fanfare Ciocarlia, Taraf de Haïdouks oder Emir Kusturica.

Eigene Arrangements

“Später schrieben wir dann auch erste einige Arrangements. In diesen mischten wir die Balkantraditionen mit anderen Musiktraditionen, die wir auch lieben und die uns auch wichtig sind. Mit dabei waren iberische Melodien oder Themen mit arabischen und afro-lateinischen Rhythmen. Übrigens, die Musik des Balkans hat auch einige gemeinsame Elemente mit Flamenco und Klezmer-Musik. Die phrygische Dominant-Tonleiter zum Beispiel wird in all diesen Musikrichtungen häufig verwendet. Es hat sich für uns sehr bewährt, traditionelle Melodien aus Katalonien, Galizien oder Valencia mit Balkan-Grooves zu kombinieren. In einigen unserer Titel kann man daher auch zum Beispiel typische Flamenco-Kadenzen hören. Unser Ziel ist es nicht, traditionelle Balkanmusik zu machen, sondern die Musik des Balkans als Referenz und Inspiration zu nehmen und etwas Neues zu schaffen, indem wir verschiedene Genres und Stile mischen.”

Die Ideenschmiede: komponieren, bewahren, erneuern, umdenken

Somit war schnell klar, dass für ihr zweites Album “Odissea” neu komponierte Stücke am Start waren. Sie mischten fleißig ihre eigenen Ideen mit den Einflüssen aus dem hier und jetzt und vergaßen dabei eben nie, was ihr Ausgangspunkt war und ist: die Klänge Osteuropas. “Unser kreativer Prozess ist nicht immer derselbe. Manche von uns bringen Melodien, Grooves oder Arrangements notiert mit zur Probe und dann arbeiten wir daran. Manchmal spielen wir einen neuen Song mit fast allem, was ursprünglich notiert war. Und manchmal bauen wir ihn noch weiter aus oder erfinden wir das Arrangement ganz frei heraus aus zum Beispiel nur einer Melodie und einem Bass.”

“Wir lassen dabei aber immer auch Freiräume, um improvisieren zu können. So können wir bei jeder Aufführung immer wieder frisch kreativ sein und immer mit dem Publikum zu interagieren. Ja, es ist auch für uns immer wieder interessant und motivierend zu sehen, wie die Musik durch verschiedene Ideen entsteht. Und gleichzeitig ist es nicht einfach, weil viele von uns unterschiedliche Einflüsse, Hintergründe und Erfahrungen haben. Aber gerade das bereichert unsere kreativen Möglichkeiten enorm.”

Berta und Alba

Für die EP “Game Sessions” war die federführende Idee, einige Songs ihres Albums “Odissea” zu remixen und wieder mit ganz anderer urbaner Musik zu mischen. “Dafür luden wir unterschiedliche Sänger und Produzenten ein, um neue Inspiration zu bekommen und auch für uns Unbekanntes zu entdecken.” 

Die Musik des BPO ist hauptsächlich instrumental, aber im Wechsel der Musikerinnen gibt es auch Gesangsparts, die weitere Färbungen erzeugen. “Wir experimentieren immer weiter und suchen nach unserem eigenen Sound.” Und dann fällt immer wieder dieser Satz: “… ohne die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass wir von der Balkanmusik ‘grundinspiriert’ sind. Aber wir sind auch von anderen modernen Künstlern wie Lucky Chops beeinflusst, von Caravan Palace, von Meute und von viele lateinamerikanische Künstler wie Juan Luis Guerra oder Rubén Blades.”

Hyperaktiv, energiegeladen und fröhlich

“Anfangs haben wir viel häufiger als Straßenband gespielt. Wir haben uns frei bewegt und hatten immer Spaß daran, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Das ist natürlich auch heute noch so. Aber nach und nach konzentrieren wir uns mehr auf die Herausforderungen unserer Bühnenshow. Unser ganzes Projekt wuchs auf allen Ebenen und so beschlossen wir, auch unsere Bewegungen stärker zu choreografieren. Auf der Bühne sind wir hyperaktiv, energiegeladen und fröhlich. Wir legen sehr viel Wert auf Bewegung und deren Inszenierung zur Musik. Wir wollen auf der Bühne Energie, Lust am Tanzen und ganz viel Spaß leben und vermitteln, ohne Angst davor, was das Publikum vielleicht darüber denken wird.”

Ständige Bewegung fordert eine große Fitness und das Geschick, in jeder Körperstellung sicher Töne produzieren zu können. Das scheint quasi mühelos zu gelingen. Dabei hilft ihnen ein gutes Gespür für intelligente Choreographie, die nicht fordert, dass alle zur selben Zeit den Ball zu einhundert Prozent in der Luft halten müssen. “Unsere Musik ist im Allgemeinen im mittleren und schnellen Tempo und somit immer tanzbar. Wir achten sehr auf die Details und prüfen jeden Moment den wir gleichzeitig spielen und tanzen, damit der Klang unserer Instrumente nicht beeinträchtigt wird. Wir bereiten unsere Live-Show mit einem Tänzer und Choreographen vor. Der hilft uns, die Positionen und Choreographien auf der Grundlage unserer eigenen Bewegungsideen zu finden. Das ist sehr wichtig, denn die Bewegung darf nicht von außen aufgezwungen wirken, sondern sie ist etwas Natürliches, etwas dass aus uns selbst fließt und wir spüren, dass es zu uns als Gruppe gehört.”

Moderne Bühnentechnik

Während ihrer Performance gibt es kaum Stille. Ganz sparsam setzt man im Konzert hier und da von außen zugesteuerte synthetische Klangflächen mit ein. Diese überbrücken einerseits, andererseits füllen sie an besonders sensiblen Stellen das Klangbild schlicht ein wenig an. Alles live und ohne doppelten Boden. Moderne Bühnentechnik hat heutzutage nicht nur zum Beispiel beim In-Ear-Monitoring ihre Berechtigung. 

Olivia und Maria

“Wir haben uns entschieden, für ausgesuchte Stücke einige Sequenzer hinzuzufügen, damit unsere Musik Sub-Bass-Frequenzen und ergänzende Synthesizer-Beimischungen hat. Diese kleinen Details geben den Songs in bestimmten Momenten ergänzende Farbe und einen breiteren und kräftigeren Sound. Unsere Schlagzeugerin spielt grundsätzlich auf einem ganz normalen Schlagzeug. Zudem aber auch auf einem Drum-Pad und unser Tontechniker fügt an ausgesuchten Stellen einige Effekte wie Verzögerungen oder Oktaven hinzu. Der resultierende Sound ist für uns sehr organisch. Diese kleinen Effekte machen den Gesamteindruck ein bisschen breiter und geben an den gewünschten Stellen einen elektronischen, zeitgenössischen Touch.”

Nach dem Konzert treffe ich die Musikerinnen zum Essen. Einerseits kehrt so langsam Ruhe in die Gruppe, sie sind sicher auch ein wenig müde nach einem langen Tag der um 6 Uhr in Barcelona begann und nun so gegen 22 Uhr in Düren so langsam endet. Andererseits bleiben sie aber auch quirlig und wir plaudern sehr engagiert über dies und das. Der Geist, der sie eint und zusammenschweißt, der verlässt sie auch jetzt nicht.

Frauenband

Die Band besteht ausschließlich aus Frauen. Mehr oder weniger zufällig wuchs das zu einer bewussten Entscheidung. Am Anfang waren es tatsächlich drei Musikerinnen, die die Idee zu dieser Gruppe hatten. Andere Kolleginnen fühlten dann wohl ähnlich und wollten mitmachen, der Gruppe etwas Gutes tun. So kamen nach und nach alle Frauen zusammen. Die Band wuchs ganz natürlich so wie sie ist.  Und man beschloss, dass es genauso sein soll.

Maria und Eli

“Ja, gehe in die Musikhochschulen und du findest viele junge Frauen, die ihre Instrumente studieren. Aber wenn man dann die Besetzungen der professionellen Ensembles, Orchester und Bands anschaut, stellt man fest, dass die große Mehrheit von Männern besetzt ist. Das ist definitiv so in unserer Gesellschaft. Deshalb ist es für uns auch wichtig, uns als Frauenorchester sichtbar zu machen. Unser Part ist nicht der einer Muse, wir sehen uns als Künstlerinnen. Das ist selbstverständlich aber auch keine Neuigkeit mehr. Wir stellen gerne unter Beweis, dass Musik nicht deshalb so klingt, weil sie von Frauen gemacht wird. Sondern wegen der musikalischen Einflüsse, die wir als Künstlerinnen ihr geben. Damit wollen wir auch Referenzen schaffen, damit Mädchen Perspektiven sehen, sich selbst als Musikerinnen – nicht nur als Sängerinnen – zu sehen und auf großen Bühnen tolle Musik zu spielen.”

Organisation

“Auf der organisatorischen Ebene versuchen wir, so gleichberechtigt wie möglich zu arbeiten. Wir wollen uns alle so wohl wie möglich fühlen! Und so das Gefühl haben, dass das Projekt von uns allen getragen wird. Aus diesem Grund müssen wir viel miteinander besprechen und beraten und uns in kleineren Teams organisieren, um all die Arbeit, die hinter den Kulissen stattfindet und die die Leute normalerweise nicht sehen, zu leisten. Angefangen von proben und komponieren, über Überlegungen zur Garderobe, zum Image, zur Gestaltung der Shows, Organisation der Reisen und Transporte bis zu Aufnahmen von Videoclips und die Arbeit in den sozialen Netzwerken.”

“Entscheidungen werden so manchmal auch langsamer getroffen. Aber wir glauben an Teamarbeit und lernen jeden Tag, uns besser zu besser zu managen. Wir reisen viel zusammen und sind eine kleine Familie, mit ihren besten und schlechtesten Momenten, aber mit dem Wunsch weiter zusammen zu wachsen, Hindernisse zu überwinden und uns auf allen Ebenen zu verbessern.”

Núrua und Mila