News | Von Klaus Härtel

capella wave kit 2.0 – Noten aus Audio-Aufnahmen und Wave-Bearbeitung wie noch nie

Das Beispiel

Wie die Umsetzung funktioniert, wollen wir im folgenden an dem Beispielsong "Go" aus dem Album "The Simple Life" von Josh Woodward (http://www.joshwoodward.com) untersuchen. Dieser Song ist frei verfügbar; er steht unter der Creative Commons-Lizenz CC BY (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/).

Tonteppich weben

Los geht’s: Der Assistent von capella wave kit leitet uns Schritt für Schritt durch die Aufgaben. Zunächst gilt es, die gewünschte mp3-Datei auszuwählen. Die Audio-Daten in dieser Datei "knackt" capella wave kit ohne Murren auf – es stellt also die enthaltenen Töne auf einer Piano-Walze dar, wie man es sonst nur von Midi-Editoren kennt. Dieses Bild nennt sich der Tonteppich. Die Berechnung für diesen Song (03:46 min) benötigt auf einem heute üblichen Rechner ca. 1 1/2 Minuten, auf älteren Modellen muss man schon etwas länger warten (einige Minuten).

Automatisch liefert capella wave kit die Tonart des Songs dazu, welche – das zeigen Tests mit verschiedenen Songs – meistens korrekt ist. Hier entscheidet sich capella wave kit für H-Dur – das stimmt.

Taktstriche

Ohne Taktstriche keine Noten – teilt uns der Assistent mit. Das ist verständlich, muss capella wave kit ja schließlich wissen, welcher Ton später ein Achtel oder Viertel werden soll, es benötigt also einen metrischen Rahmen.

Nachdem wir den Takt manuell nach Gehör (hier 4/4) eingestellt haben, fordert uns capella wave kit auf, die ersten beiden Taktstriche des Stücks zu setzen. Das kann der Benutzer wahlweise manuell erledigen, indem er sich am Tonteppich orientiert und die Taktstriche per Tastendruck an der Cursorposition einfügt. Die andere Möglichkeit ist, den Beat (während des ersten Takts) beim Vorspielen auf der Tastatur mitzuklopfen.

Nachdem die ersten beiden Taktstriche gesetzt sind, führt capella wave kit diese selbstständig fort, wobei es sich am Musikinhalt orientiert, also auch gewisse Temposchwankungen mitmacht. Das funktioniert bei diesem Song wunderbar, allerdings nicht bei allen. In jedem Fall sollte man daher die gesetzten Taktstriche stichprobenweise kontrollieren und manuell korrigieren – das geht intuitiv mit einer akustischen Metronomfunktion. Wenn auch solche Korrekturen bei fast jedem Song nötig sind, so halten sie sich doch in engen Grenzen.

Erkennung im Großen und Ganzen

Bei komplexem Musikmaterial (z.B. Band) ist die Absicht, jeden einzelnen Ton zu isolieren und originalgetreu zu notieren, sogar für geübte Musiker ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen. Aus diesem Grund verfolgt capella wave kit 2.0 neben der Ton-für-Ton-Erkennung den neuen Ansatz einer ganzheitlichen Erkennung: Statt jeden einzelnen Ton des Originals zu notieren, wird eine originalgetreue Notation nur für die Melodie- und die Basslinie durchgeführt. Die restlichen Töne werden im Rahmen einer harmonischen Analyse zusammengefasst und als Begleitung in veränderbarer Form ausgesetzt. Vorteil dieses Ansatzes ist, dass die notierte Begleitung gezielt vom Benutzer für verschiedene Ensembles und Schwierigkeitsgrade angepasst werden kann, und zwar unabhängig vom Original.

Die Begleitung

Nachdem wir die ganzheitliche Erkennung gestartet haben, hören und sehen wir das Ergebnis der erkannten Noten. In einer Leiste sind die Akkordsymbole zu sehen, die capella wave kit analysiert hat. Dieses harmonische Ergebnis ist erstaunlich robust – in unserem kompletten Song lassen sich die fehlerhaften Takte an einer Hand abzählen!

Und tatsächlich können wir mit wenigen Mausklicks das Ensemble, für das Noten erzeugt werden, ändern. Besonders gefällt hierbei, dass sich jede Änderung direkt in Echtzeit auswirkt und von capella wave kit im Midi-Klang vorgespielt wird – nur ein Klick, und aus der begleitenden Gitarre ist beispielsweise ein ganzes Orchester geworden. Allerdings darf man von den größeren Ensembles (Band, Orchester) keine Wunder erwarten: Die Töne des Originals werden mehr oder weniger "irgendwie" auf die einzelnen Instrumente verteilt, und die Begleitung klingt daher mitunter ein wenig mechanisch.

Ist man z.B. als Gitarrenspieler nur an den Akkorden interessiert, hat man bereits jetzt, was man will: Eventuell noch kleine Korrekturen, dann das Ergebnis als capella-, MusicXML- oder Midi-Datei exportieren, ausdrucken – und fertig.

Der Bass

Die Extraktion der Basstöne aus dem Original klappt weitgehend problemlos – besonders wenn wie hier ein recht klarer Bass vorliegt. Allerdings ist dabei zu beachten, dass für ein korrektes Ergebnis teilweise noch manuelle Justierungen durchgeführt werden müssen – wie Tonhöhenbereich und Rhythmus. Dies ist aber auch hier dank der direkten Rückmeldung in Echtzeit kein Problem. Bei unserem Song "Go" können wir capella wave kit durch gezielte Anpassung der erlaubten Rhythmik dazu veranlassen, den vorhandenen "Walking Bass" korrekt wiederzugeben.

Die Melodie

capella wave kit ist in der Lage, Gesangstöne von anderen zu unterscheiden und automatisch der Melodie zuzuordnen. Auch das funktioniert bei unserem "Go"-Beispiel recht ordentlich. Bei anderen Songs ist das Ergebnis teilweise schlechter, aber noch brauchbar. In keinem Fall darf man allerdings erwarten, im Notenbild ein druckreifes Ergebnis zu bekommen, aus zwei Gründen: Zum einen schleichen sich oft Halbtonfehler ein – was man aber nicht unbedingt dem Programm vorwerfen kann, denn ein Blick in den Tonteppich legt offen, dass Gesangstöne tatsächlich oft Schlenker in benachbarte Halbtöne aufweisen: Da ist es schwierig zu beurteilen, was gewollt ist und was nicht. Zum anderen kann das Programm keine Silben auf gleicher Tonhöhe unterscheiden, so würde beispielsweise bei dem Wort "al-le" ein langer Ton notiert werden, den man nachträglich manuell trennen muss.

Nacharbeit ist bei der Melodie also in jedem Fall nötig; diese geht aber mit dem integrierten Midi-Editor leicht von der Hand. Die Harmonie- und Basserkennung ist durchaus stabiler als die Melodieerkennung; das mag mit den Schwierigkeiten bei Gesangsstimmen zusammenhängen.

Ist das alles?

Weil capella wave kit die Tonstruktur von Audio-Dateien "aufknacken" kann, ist mit dem selben Programm noch etwas ganz anderes möglich: Die Veränderung einzelner Töne im originalen Klang. Das heißt, Sie können im Tonteppich die Lautstärke oder Tonhöhe einzelner Töne gezielt bearbeiten, wobei der Rest so bleibt, wie er ist. Das geht sogar bis hin zu automatischen Skalenveränderungen – zum Beispiel Wechsel von Dur nach Moll.

Die Anwendung reicht so von der Korrektur falscher oder unsauberer Töne bis hin zur Verfremdung oder Umgestaltung z.B. der Melodiestimme in einem Trompetenkonzert. Auch für didaktische Zwecke sind diese Funktionen bestens geeignet – kann man doch in jeder Aufnahme auf einfache Weise den Aufbau ihrer Akkorde demonstrieren, indem man im Tonteppich einzelne Akkordtöne heraushört: Dazu legt man über einen Ton einfach mit der Maus eine entsprechende "Box", die diesen Ton in der Lautstärke hervorhebt.

Auch hier gilt, dass man keine Wunder erwarten darf; je nach Musikmaterial funktionieren die tonbasierten Eingriffe mal sehr gut, mal werden Artefakte hörbar. Aber prinzipiell gelingt der Zauber immer.

Fazit

capella wave kit 2.0 ist tatsächlich eine große Hilfe beim Übertragen von Musik (Pop-Songs) in Noten – sowohl für den musikalischen Anfänger, der Schwierigkeiten hat, selbstständig Harmonien herauszuhören, als auch für den Musik-Profi, um mal schnell zu einem brauchbaren Klavierauszug oder Leadsheet zu kommen. Man darf keine Wunder erwarten, aber wenn man sich in das Programm einarbeitet, wird man auf seine Kosten kommen. Auch die Funktionen zur tonbasierten Wave-Bearbeitung sind in jedem Fall interessant.

Auf der Internetseite des Herstellers (http://www.capella.de/capella_wave_kit.cfm) gibt es eine Demoversion, mit der man das Programm mit eigenem Musikmaterial testen kann (Bearbeitungszeit eingeschränkt auf 40 Sekunden; kein Speichern); man muss also nicht die Katze im Sack kaufen.

In der Demoversion und auf der Homepage finden sich Musikbeispiele, darunter auch Beispiele zu dem hier verwendeten Song "Go". Außerdem empfehlen wir jedem die Filme unter http://www.capella.de/Videos.cfm, die eine sehr verständliche Einführung in die Bedienung des Programms bieten.