Brass | Von Kristin Thielemann

Danke, Tom Crown! Ein Nachruf

Tom Crown
Tom Crown mir seiner Frau Donna (Foto: www.tomcrownmutes.com)

Wohl kaum ein Blechbläser – oder natürlich eine Blechbläserin –, der oder die nicht einen Tom-Crown-Dämpfer besitzt. Doch wer war Tom Crown? Wer war der Mann, der diese Dämpfer erfunden hat und dessen Name gut lesbar auf dem Em­blem mit der Krone prangt? Ein Nachruf

“Das ist ein echter Tom-Crown-Mute!”, sagte mein erster Trompetenlehrer und hielt mir den edel glänzenden Dämpfer hin, den ich ehrfürchtig betrachtete. Diesen Dämpfer, den ich auch heute noch besitze und zu dem im Laufe der Jahre gut 25 weitere ­Dämpfer auch anderer Marken hinzugekommen sind, spiele ich immer noch gerne, wenn es sehr hell und stark gedämpft klingen soll. Er stimmt gut, das Instrument spricht trotzdem leicht an und der Ton trägt perfekt. Jedes Mal, wenn ich ­diesen Dämpfer gespielt habe, habe ich mich ­gefragt, wer sich wohl hinter diesem Namen ­verbirgt.

Im Jahr 2003, als ich Trom­­peterin im Orchester der Deutschen Oper Berlin wurde, lernte ich Arno Lange kennen, der diesen Namen zum allerersten Mal für mich mit Inhalt füllte. “Mit Tom Crown habe ich in den 1970er Jahren für zwei Jahre die Stelle getauscht”, berichtete der damals frisch pensionierte Trom­peter. “Tom war für zwei Jahre hier an der ­Deutschen Oper und ich spielte für ihn in Chi­cago.”

Noch heute könnte ich mich ohrfeigen, dass ich mich vor lauter Ehrfurcht Arno Lange gegenüber, dem Autor des “Goldenen Buchs”, dem Probespielheft für die Trompete, nicht getraut habe, nachzufragen. Doch die Gelegenheit sollte noch kommen. 

Tom Crown plauderte munter über seine Zeit in Europa

Im Jahr 2021 hatte ich ein kleines Ehrenamt inne: Zum Gedenken an Edward H. Tarr führte ich auf Wunsch der Witwe Irmtraud Tarr die ­kurzen “Tarr-Memorial-Interviews”, die über die Website www.edward-tarr.com einzusehen sind. Hier kommen Freunde und Weggefährten des Trompeters, Herausgebers und Musikwissenschaftlers zu Wort, die in den etwa zehn Minu­ten langen Clips über ihre Freundschaft zu Edward H. Tarr berichten. Auf Irmtraud Tarrs Wunschliste der Interviewkandidaten stand Tom Crown ganz oben. So schrieb ich ihm eine Mail auf Englisch, schilderte mein Anliegen und schlug ein Treffen via ZOOM vor. Den ZOOM-Link setzte ich gleich mit in den Text ein und fragte vorsichtig nach einem Terminvorschlag. 

Tom Crown
Tom Crown im ZOOM-Gespräch mit Kristin Thielemann

Ich war überrascht, als nur wenige Stunden später auf dem Handy die Nachricht »Tom Crown hat dein Wartezimmer betreten” aufpoppte. Also fuhr ich den Computer hoch und war mehr als überrascht, wen ich dort kennenlernen durfte: Tom Crown, zu diesem Zeitpunkt 91 Jahre alt, lächelte verschmitzt durch seine dicken Brillengläser in die Kamera. “Hello. Guten Tag! Gerne können wir auf Deutsch sprechen!” Ich muss gestehen, dass ich so aufgeregt war wie vor meinem ersten Date! Doch Tom nahm mir dieses Lampenfieber und plauderte munter über seine Zeit in Europa. Wir stellten fest, dass wir neben Friedemann Immer noch einige weitere gemeinsame Bekannte hatten, vor allem ältere und mittlerweile bereits pensionierte Orchestermusiker der Deutschen Oper Berlin.

Gemeinsam lachten wir über seine Anekdoten aus der Ber­liner Zeit, aber wir fachsimpelten auch über Bach-Trompeten, Barocktrompeten, Mundstücke und Dämpfer. Er erzählte, wie er seinen ersten Tom-Crown-Mute baute. An der Wand seines Zimmers in einem Altenheim der Millionen­metro­pole Chicago waren mehrere Trompeten zu sehen und zu jeder von ihr wusste er eine Geschichte zu erzählen. 

“Wer interessiert sich schon für mich und mein Leben?” “Oh, ich denke sogar sehr viele!” 

Ich war schwer beeindruckt von einem Menschen, der mit über 90 Jahren immer noch fließend ein gut verständliches Deutsch, Italienisch und Französisch sprach. “Jede Woche treffe ich mich mit italienischen Barocktrompetern auf ZOOM. Gabriele Cassone hat es zeitlich so organisiert, dass ich dabei sein kann.”

In diesem ersten Gespräch kamen wir natürlich nicht dazu, das “Tarr-Memorial-Interview” auf­zunehmen, aber es folgten weitere Treffen auf ZOOM, in denen wir uns manchmal bis zu drei Stunden unterhielten. Ich am späten Abend bei einem Glas Wein in meinem Musikstudio am Südufer des Bodensees, Tom bei einer Tasse Kaffee oder Tee am Nachmittag in den USA. 

Irgendwann wagte ich es dann zu fragen: “Wie wäre es, wenn du nicht nur mir etwas aus deinem Leben erzählst, sondern wir es aufnehmen und der ‘Nachwelt’ zur Verfügung stellen?” Ich hätte es als junge Trompeterin wahnsinnig spannend gefunden, wenn mir einer der “Großen” via Video aus seinem Leben berichtet. Doch Tom war nicht so leicht zu begeistern: “Wer interessiert sich schon für mich und mein Leben?” “Oh, ich denke sogar sehr viele!” 

Also “zoomten” wir weitere Abende und Tom erzählte und erzählte. Über seine Studienzeit, wie er seine Schwierigkeiten mit dem Spiel im hohen Register in den Griff bekommen hatte, wie aus einem talentierten Studenten ein Profimusiker wurde, über seinen Unterricht bei Renold Schilke und Arnold Jacobs und natürlich über die Erfindung seines Dämpfers. 

Kaum eine Blechbläserin oder ein Blechbläser kennt den Tom-Crown-Dämpfer nicht.

Wegen seiner geringen Sehkraft von nur noch fünf Prozent war es nicht einfach für ihn, auf ­seinem Computer Fotos zu finden, mit denen ich den Clip ergänzen konnte. Auch dank der ­Hilfe von Freunden kam doch noch etwas zusammen. Kleinigkeiten am fertigen Video mussten noch geändert werden, dann war er mit seiner “Video-Autobiography” zufrieden. 

Die Interviews und Gespräche hielten ihn “auf Trab”

Anfang Juli 2021 erreichte mich dann die Nachricht, dass es ihm gesundheitlich schlechter ging und er eine Woche im Krankenhaus verbracht hatte. Schon länger wusste Tom Crown, dass er krebskrank war, doch in unseren Gesprächen war er immer positiv gestimmt und blendete seinen Gesundheitszustand oft aus. Häufig sprach er davon, dass seine Treffen auf ZOOM mit den italienischen Barocktrompetern, mit Friedemann Immer und mir ihn “auf Trab” halten würden. Nach seinem 92. Geburtstag am 9. Juli 2021 ging es für ihn gesundheitlich rapide bergab. Mehrmals wechselte er im Altenheim die Ab­teilung und somit auch die Telefonnummer. Auch sein Computer wurde in seinen neuen Zimmern nicht immer sofort wieder aufgestellt, sodass unsere Treffen seltener wurden. 

Am Dienstag, den 23. November, erreichte ich ihn das letzte Mal telefonisch. Er sprach Deutsch. Sehr leise, aber verständlich. “Ich glaube, ich sterbe jetzt bald.” Immer wieder schlief er während des Gesprächs kurz ein. “Bist du noch da?”, fragte er, wenn er wieder wach wurde. Es war für mich eines der schwersten Telefonate meines Lebens. Immer wieder dachte ich, dass es nun vorbei wäre, aber dann kam seine Stimme wieder. Mir liefen die Tränen übers Gesicht. Aus dem Emblem mit der Krone auf meinem Dämpfer war ein Freund geworden.

Was sagt man in einem letzten Moment zu einem Menschen, dem man noch niemals die Hand gehalten hat, der einem aber sein ganzes Leben erzählt hat, mit dem man viele Abende der letzten Monate verbracht hat und der einem ans Herz gewachsen ist? “Weißt du, Tom, wenn du im Himmel bist, dann wartet dort Donna auf dich. Und Ed Tarr und viele, viele Freunde. Du wirst dort alle wiedertreffen. Und eines Tages werde ich auch dazukommen. Also stellst du ­bitte schon mal die Flasche Sekt kalt, wenn du dort angekommen bist!”

An diesem Tag verabschiedeten wir uns und ich versprach, mich am darauffolgenden Dienstag, den 30. November, am frühen Abend wieder bei ihm zu melden. Die letzte Novemberwoche des Jahres 2021 verging schleichend und mit den Gedanken war ich oft bei Tom Crown. Als ich wie verabredet am 30. November die amerikanische Nummer wählte, ging dort niemand ans Telefon. Später erfuhr ich, dass Tom eine halbe Stunde zuvor verstorben war. 

Tom Crown verstarb am 30. November

Einige Tage darauf erreichte mich ein Nachruf per Mail, geschrieben vom Tom-Crown-Mute- Geschäftsführer Bill Camp: 

Gordon Thomas Crown, 92, aus Plymouth Place La Grange Park IL, verstarb am 30. November 2021 nach einem Krebsleiden.

Tom wurde am 9. Juli 1929 geboren. Er absolvierte die South Shore High School und studierte anschließend Musikpädagogik und schloss das Roosevelt University-Chicago Musical College mit einem Bachelor- und einem Master-Abschluss ab.

Seine Karriere als Musiker begann, als er nach der High School in das Chicago Civic Symphony Orchestra aufgenommen wurde. Nach seinem College-Abschluss trat er dem Grant Park Symphony Orchestra bei und erhielt so seine erste richtige Anstellung. Bald darauf war er Mitglied des WGN Radio TV Orchestra und wurde dann zur US-Armee eingezogen. Er spielte acht Monate lang mit dem 7th Army Symphony Orchestra, das in Deutschland stationiert war, und wurde dann ehrenhaft entlassen. Tom kehrte nach Chicago zurück und war Mitglied des WGN-Orchesters, wo er in den nächsten zehn Jahren im ­Bozo-Zirkus und in verschiedenen Formationen der WGN-Tanzkapellen spielte. 1964 wurde er Mitglied des Chicago Lyric Opera Orchestra, wo er 30 Jahre lang spielte.

Im Jahr 1959 heiratete er Donna Frank. Sie unternahmen viele aufregende Reisen nach Eu­ropa, Lateinamerika und Japan. Im Jahr 1969 gründeten Tom und Donna die Tom Crown Mute Company.

Seine liebevolle Frau Donna Crown verstarb im Oktober 2020.

Obwohl wir gerne einen Gedenkgottesdienst in Toms Namen abhalten würden, wurde ausdrücklich darum gebeten, keinen Gottesdienst abzuhalten. 

Die Video-Autobiography

Hier nun die gut halbstündige “Video-Autobiography”, die im Frühling 2021 aufgenommen wurde. Ich hoffe, dass alles in Tom Crowns Sinne zusammengeschnitten ist und wirklich eine Flasche Sekt kalt steht, wenn ich ihn eines Tages wiedersehe: