Wenn der Schweizer an die Heimat denkt, kommt ihm möglicherweise das Alphorn in den Sinn. Denn das Alphorn gilt als ein Nationalsymbol der Schweiz. Aber auch in Österreich und den bayerischen Alpen sind Alphörner verbreitet. In der Werkstatt von Benedikt Kloiber entstehen neben Holzlöffeln, Trommelschlegeln und Schallstücken für Blechblasinstrumente auch diese großen Instrumente. Besonders stolz ist Kloiber dabei auf sein selbst entwickeltes Isarwinkler Alphorn.
Mit leuchtenden Augen steht Benedikt Kloiber, hauptberuflich Drechsler und Schreiner, in seinem Ausstellungsraum zwischen seinen Schätzen aus Holz. Der beruhigende Geruch des natürlichen Werkstoffs durchflutet den Raum und die gesamten Werkstätten drum herum.
Benedikt Kloiber hatte nie vor, sich einer Sparte zu widmen, in der die Zahl der Instrumentenbauer noch immer überschaubar ist. „Durch einen speziellen Kundenwunsch und schlussendlich durch eine konkrete Anfrage bin ich zum Alphornbau gekommen.“ Ein befreundeter Flügelhornhersteller gab Kloiber die Aufgabe, ein Schallstück aus Holz zu bauen. Das Ergebnis sollte ein Soloinstrument werden – und war letztendlich ein sehr gelungenes Experiment. Kloiber, der selbst Klarinette spielt, fügt schmunzelnd hinzu: „Ich habe mich gefreut, dass nun auch die Blechbläserinnen und -bläser aufs Holz kommen.“ Weitere Bestellungen folgten und bis heute sind fünf Flügelhörner verkauft. Diese finden ihren Einsatz in der Tanzlmusi, beim Weisenblasen und als besonderes Soloinstrument. Die erste Bestellung kam aus der Schweiz.
Ein Alphorn? Erst lehnte Kloiber ab
Nach diesem Projekt wurde er von dem gleichen Kollegen, der übrigens selbst Alphornbläser ist, angefragt, ob er sich vorstellen könne, Alphörner zu bauen. Kloiber, der ein solches Instrument bis dahin noch nie aus der Nähe gesehen hatte, winkte anfangs ab und betonte, für so etwas fehle ihm die Zeit. Erst als tatsächlich ein Kunde mit dem konkreten Wunsch auftauchte, packte Benedikt Kloiber die Motivation und er ließ sich auf dieses weitere Abenteuer ein. Sogleich holte er sich Rat bei einem befreundeten und professionellen Waldhornbauer der Firma Meinl, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich seine CNC-Fräsmaschine elektrisch wartete. Gleichzeitig wälzte er Fachbücher und es entstanden erste Zeichnungen und Entwürfe. Kloiber sagt: „Es war ein Geben und Nehmen und somit die beste Gelegenheit, mir eine Grundlage zu schaffen, um das Projekt vernünftig und strukturiert anzugehen.“
Die besondere Herausforderung im Alphornbau ist es, eine gute Intonation zu gewährleisten. Zwar sind die Schweizer sogar ein bisschen stolz auf ihr „Alphorn-fa“ – obwohl es schwer zu spielen und zu intonieren ist –, doch Kloiber ging einen anderen Weg. Genau an dieser Stellschraube wollte er drehen: „Mir war schon klar, dass man im Instrumentenbau seit Jahrzehnten an diesen Themen arbeitet. Genau deshalb war es für mich ein besonderer Ansporn. Schließlich gibt es beim Alphorn durch die fehlenden Ventile nur eine Rohrlänge.“
Wie bei allen anderen Blechblasinstrumenten stellt das Mundrohr den entscheidenden Faktor zur guten Intonation dar. Sehr oft ist es auch so, dass man die Intonation dem jeweiligen Spieler bzw. der jeweiligen Spielerin anpassen kann. Je nach Stimme kann man die Intonation auf die Lage der Spielerin oder des Spielers abstimmen. Wer in der hohen Lage spielt, legt in der tiefen Lage weniger Wert darauf und umgekehrt. Das kann man sich beim Alphorn erlauben. Und für diejenigen, die alle Lagen spielen können, ist ein spezielles Mundrohr als Allrounder-Lösung verfügbar.
Ein spezieller Stimmzug ist hier die Lösung
Mit einem Adapter gelingt es, das Instrument einen Ton tiefer zu stimmen. Somit ist es in Es spielbar und in F. Das System ähnelt dem einer Piccolo-Trompete. Mit unterschiedlichen Adaptern und Mundrohren lässt sich die gewünschte Stimmung erzeugen und bietet gleichzeitig die Möglichkeit des Intonierens. Durch einige Versuche bezüglich der Veränderung der Mensur ist das Isarwinkler Alphorn in sich sehr stimmig. Mit Buchsen, die mit Messing auf Messing verbunden werden – um zu vermeiden, dass das Holz beim Spielen aufquillt und damit nicht mehr beweglich sein würde –, ist auch in der Verbindung der einzelnen Stücke eine gute Lösung gefunden. Zusätzlich entwickelte Kloiber einen Adapter, um unterschiedliche Mundstücke verwenden zu können. So kann das gewohnte Hornmundstück oder ein passendes, aus Birne gefertigtes verwendet werden.
Während Kloiber beim Flügelhorn Hartholz, in diesem Fall Esche, verwendet hat, ist es beim Alphorn mit einer minimalen Wandstärke von fünf bis sechs Millimetern möglich, weiches Holz wie Fichte einzusetzen. Früher wurden tatsächlich krumme Bäume zur Herstellung der Instrumente benutzt. Damals war aber auch der Grund der Nutzung ein anderer. So fungierten Alphörner damals als Signalinstrument und dienten weniger dem musikalischen Vergnügen. Das mag auch der Grund sein, warum selbst heute noch die fertigen Alphörner traditionell mit einer Art Bast umwickelt werden, um eventuell undichte Stellen auszugleichen. Dies ist heute allerdings nicht mehr notwendig, weil die Produktion eine andere geworden ist.
Das Alphorn ist anfangs eckig
Im ersten Schritt wird das Innenleben des Schallstücks in zwei Teilen herausgefräst und geschliffen. Anschließend werden die Teile zusammengefügt. Mit Klebeband fixiert, wird die Länge überprüft, anschließend kann ein erster Klangtest durchgeführt werden. „Ich bin so weit fit, dass ich das als Holzbläser ausprobieren kann und für den Test auf Herz und Niere hole ich mir entsprechend versierte Musiker, die ihr gnadenloses Urteil fällen dürfen.“ Anschließend werden die Teile zusammengeleimt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Alphorn außen noch eckig, doch die Fräsung für die Buchsen muss schon passgenau sein. Die äußere Oberfläche wird dann routinemäßig gedrechselt.
Um die Stimmung korrigieren zu können, sind die Übergänge zum Schallstück entscheidend. Außerdem übernimmt das Mundrohr die Hauptfunktion in Sachen Intonation. Jeder Stamm klingt anders, die Klangfarbe variiert. Jedes Instrument ist individuell. So ausgeprägt ist das sonst nur im Bau von Streichinstrumenten der Fall. Schon im Lager werden die Hölzer auf Gummipuffer abgelegt und abgeklopft. Das ist die erste Klangprobe. Es sind gewaltige Unterschiede vorhanden. „Feinjährige Hölzer sind besonders schön. Je langsamer der Baum gewachsen ist, umso schöner ist der Klang.“
Nach dieser Erkenntnis erschloss sich Kloiber kein Vorteil durch das Umwickeln des schönen Holzes. Auch bei jedem anderen Blechblasinstrument ist es nicht üblich, »unnötige« Dinge am Instrument zu befestigen, weil dadurch der Klang zum Negativen verändert wird. Deshalb entschied sich Kloiber dazu, auf diese Umwicklung zu verzichten: „Es wäre viel zu schade, die Seele des eigentlichen Klangs damit zu ersticken.“
Die Seele des Klangs
Um diese Seele auch äußerlich zur Geltung zu bringen, schenkt der Drechselmeister grundsätzlich auch der Optik besonderes Augenmerk. So ist von Beginn an größte Sorgfalt gefragt. Der Anspruch ist es, dass das Holz in der Länge in der Maserung zusammenpasst. So wird suggeriert, dass der Stamm wieder ein Ganzes wird. „Es darf von Beginn an nichts vertauscht werden oder sonst etwas passieren.“ Dementsprechend ist bereits das Innenfräsen spannend. Anschließend muss das Holz grundiert und gut geölt werden, damit es die Feuchtigkeit nicht so stark annimmt. Mit dieser Ölung ist das Alphorn in der Regel gut gesättigt. Nacharbeiten sind kaum notwendig. „Es reicht, wenn man nach einiger Zeit mal einen Öllumpen durchzieht, das war’s!“
Wichtig ist, dass die Oberfläche des Instruments abgeschlossen ist. Das Öl soll etwas abhärten und nicht nur ins Holz einziehen, sondern außen eine Fläche bilden. Lack wäre dafür ungeeignet. Solange der Werkstoff offen gelagert wird, muss man sich auch keine Gedanken um Schimmel oder Ähnliches machen. Holz atmet. Holz ist hygroskopisch. Es nimmt Feuchtigkeit auf und gibt sie wieder ab. Und weil das so ist, hatte Kloiber einen weiteren Grund gefunden, das Alphorn nicht zu umwickeln.
Das erste Alphorn
Wegen dieser oft üblichen Umwicklung haben die meisten Alphörner am Übergang zwischen Unterstück und Schallstück, an dem auch die Verleimung ist, einen Holzring. Auch wenn Kloibers Instrument nicht umwickelt ist, hatte er diesen hinteren Ring bei seinem ersten Alphorn ausprobiert und nach der Klangprobe just wieder abgeschliffen. „Es hat den Klang kaputt gemacht.“ Da dort jedoch eine Furche entstanden war, befestigte er den Ring wieder mit einem elastischen Kleber. Dadurch konnte das Horn dann frei schwingen. „Das waren wichtige Erfahrungen“, gesteht er. Da er sich aber grundsätzlich entschied, die Umwicklung nicht einzusetzen, benötigte er auch diesen Ring als Abschluss nicht und behielt den offenen und schönen Klang.
Zu seiner bisherigen Kundschaft zählen die unterschiedlichsten Menschen. Sieben Alphörner gingen derweil an Tenoristen, Posaunisten und an pure Anfänger. Auch andere Blasmusikerinnen und -musiker erfüllten sich während der Corona-Situation ihren lang gehegten Wunsch. „Mit dem Alphorn gelingt es wunderbar, Abstand zu halten“, erklärt Kloiber augenzwinkernd. Nach einem TV-Beitrag ging sogar eine Bestellung aus Ungarn bei ihm ein – die bislang größte Entfernung. Violinist Ernő Sebestyén, ehemaliger 1. Konzertmeister beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, bestellte sich für seinen Lebensabend in seiner ungarischen Heimat ein Exemplar mit Violinschlüssel in Zwetschgenholz.
Grundsätzlich findet Kloiber die Bemalung der Hörner, wie man sie häufig sieht, nicht notwendig: „Es ist zu schade, die mühsam zusammengefügte symmetrische Maserung damit zu verdecken.“ Die Arbeitszeit für ein Instrument liegt heute schätzungsweise bei etwa 40 bis 65 Stunden.
Das Besondere im Individuellen
Die größte Herausforderung – damals wie heute – ist die Auswahl des Holzes. Bis der erste Zuschnitt erfolgt, wird das Holz mehrmals in die Hand genommen. „Es ist jedes Mal aufs Neue aufregend und spannend vor dem ersten Schnitt, der alles Weitere unumkehrbar werden lässt“, so Kloiber.
Die Auswahl des Holzes ist entscheidend. Die Schönheit und Glückseligkeit findet Benedikt Kloiber in seiner Arbeit: „Wenn ich an den Instrumenten arbeite, dann gehe ich darin völlig auf und bin ganz in meinem Element. Versunken in diese Arbeit denke ich an nichts anderes als an dieses Alphorn und was es ist und wird. Das ist gut, weil man begreift, dass man genau da ist, wo man sein möchte. Das bedeutet Berufung für mich.“
Seine ersten beiden Alphörner erklangen gemeinsam bei einem Trio am Kochelsee: „Als ich diesen Klang zum ersten Mal in dieser wundervollen Kulisse erleben durfte, lief es mir eiskalt den Rücken rauf und wieder runter. Für mich war das überwältigend, Gänsehaut pur! Die Dimension der Wahrnehmung war für mich der Wahnsinn. Normalerweise ist es als Schreiner gut, wenn man von seinen Werkstücken nichts hört – keine quietschende Tür oder so etwas. Beim Alphornbau ist das Gegenteil der Fall. Es hat mich sehr berührt, meine selbst gebauten und entwickelten Alphörner zum ersten Mal zu erleben.“
Benedikt Kloiber arbeitet für sein Leben gern. Im doppelten Sinne: Von der Urne, die Kunden schon zu Lebzeiten für sich bestellt haben, bis hin zur Wickelablage; etwas fürs Leben von Anfang bis zum Ende – und mit dem Alphorn ist nun auch etwas für die Seele dazugekommen.