Brass | Von Hans-Jürgen Schaal

Das Blechbläserquintett. Das Stichwort

Canadian Brass
Canadian Brass (Foto: Nina Yoshida Nelsen)

Schon im 19. Jahrhundert wurde gelegentlich für diese Besetzung komponiert – doch als Standardformat ist das Blechbläserquintett noch erstaunlich jung. 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sind die ersten festen Ensembles in dieser Instrumentierung entstanden, und da natürlich in den bläserverrückten USA. Als absolute Pionierformation gilt das New York Brass Quintet, das der Trompeter Robert Nagel (1924 bis 2016) im Jahr 1954 gegründet hat. Für dieses En­semble schrieben zum Beispiel Malcolm Arnold und Gunther Schuller 1961 ihre ersten ­Quintette – sie gehören bis heute zum Kern­repertoire für diese Besetzung. Das erste Vollzeit-Ensemble soll das Annapolis Brass Quintet gewesen sein, das von 1971 bis 1993 Bestand hatte und unter anderem das Brass Quintet ­Festival in Baltimore gegründet hat. Als das ­führende Blechbläserquintett Europas gilt Stockholm Chamber Brass, aktiv seit 1988.

In den meisten Fällen entstehen Quintett-­Ensembles im Kontext eines Sinfonieorchesters, wo die Blechbläserinnen und Blechbläser ohnehin häufig zusammen proben. Auch Workshops oder Colleges bilden eine gute Startbasis. In den USA bringen die ­Universitäten ständig neue Blechbläserquintette und andere Bläserformationen hervor. Auch Canadian Brass (1970), das American Brass Quintet (1960), das Chicago Brass Quintet (1963) oder Empire Brass (1972) waren unter den frühen ­Ensemble-Gründungen. Die Formation Canadian Brass ging aus dem ­Toronto Symphony Or­ches­tra hervor und ist das wohl erfolgreichste Blechbläserquintett der Welt. Sein Repertoire umfasst mehr als 600 ­Stücke zwischen Barock und Jazz. Der Komponist Arthur Frackenpohl hat etliche historische Werke für Canadian Brass bearbeitet. 

Im Blechbläserquintett ist die höchste Stimme doppelt besetzt

Das American Brass Quintet war langjähriges Ensemble “in residence” an der Juilliard School. “Newsweek” nannte das Quintett die “Hohepriester des Blechs”. Es spielt ausschließlich Werke, die original für diese Besetzung ge­schrieben wurden und hat etliche Kompositionen uraufgeführt, darunter das “Brass Quintet” von ­El­liott Carter (1974) und das “Brass Quintet No. 2” von Gunther Schuller (1993). Empire Brass wiederum hatten ihre Basis ursprünglich an der Universität von Boston und im Musik­zentrum von Tanglewood. Legendär wurde der Tubist der Formation, Sam Pilafian (1949 bis 2019) – er wirkte auch in vielen Jazz- und Rockproduktionen mit. 

Wie beim Streichquartett ist im Blechbläserquintett die höchste Stimme doppelt besetzt. Zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba bilden die Standard-Instrumentierung. Auf der Bühne ist die Tuba meist zentral in der Mitte (hinten) positioniert. Die Trompeten übernehmen entweder die Außenposten (vorne rechts und vorne links) oder beide sind auf einer Seite zusammen. Die häufigsten Alternativ-Instrumente im Blechbläserquintett sind Piccolo-Trompete, Kornett, Flügelhorn, Eufonium, Tenorhorn, Baritonhorn und Bassposaune. Das American Brass Quintet zum Beispiel spielt grundsätzlich mit Bassposaune statt Tuba. 

Über Genregrenzen hinaus

Von Beginn an war das “Brass Quintet” eine Spielart von Kammermusik, die über Genre­grenzen hinausblickt. Die meisten Ensembles bewegen sich mit ihrem Repertoire in vielen Stilen und Epochen. Ein Schwerpunkt ist häufig die Musik der Renaissance: Schon Monteverdi, Gabrieli, Gesualdo oder Pachelbel schrieben gerne für Blechbläser. Ein anderer Schwerpunkt sind die Choräle von Johann Sebastian Bach, die bereits im 19. Jahrhundert für Blechbläserbesetzungen entdeckt wurden. Aber auch die Bläsertraditionen des Jazz im 20. Jahrhundert sind – vor allem in den USA – ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Blechbläserquintette. Daneben wurden unzählige Werke ohne einen originalen Bläserbezug für die Quintett­besetzung transkribiert oder arrangiert. Außerdem gab man Hunderte von seriösen Original-Kompositionen in Auftrag. Zu den namhaftesten Komponisten für Blech­bläser­quintett gehören Milton Babbitt, Luciano Berio, Elliott Carter und Witold Lutoslawski.

Bisher erschienen: “Stichwort Rohrblatt-Trio“, “Stichwort Saxofonquartett“, “Stichwort Marsyas” und “Stichwort Tristantrompete”, “Stichwort Naturtonreihe”, Stichwort Saxofonkonzert, Stichwort Sarrusofon, Stichwort Gucha, Stichwort Jazzsolo, Stichwort Orgel, Stichwort Posaune, Stichwort Multiphonics