Brass, Orchestra | Von Stefan Fritzen

Das hohe Blech: Klanglicher i-Punkt im Orchester

Trompeten gehören zu den Blechblas­instrumenten, die ihrerseits zu den Aerophonen zählen. Dieser Begriff ist aus dem Griechischen “Luft” und “Klang” zusammengesetzt; sie sind also “Luftklinger”. Dieser Name bezieht sich auf die Hornbostel-Sachs-Systematik. Der Musikethnologe Erich Moritz von Hornbostel (1877 bis 1935) hatte im Jahr 1914 eine umfassende Ein­teilung und Systematisierung sämtlicher Musikinstrumente vorgenommen. Diese musikwissenschaftliche Auflistung gilt auch heute noch als Schlüsselwerk der In­strumenten­kunde. 

Tonerzeugung bei Blechblas­instrumenten

Die Trompeten gehören zu den sogenannten Polsterzungeninstrumenten. Die Töne entstehen primär durch die Lippenschwingungen des Bläsers, der dadurch einen ­unmittelbaren Einfluss auf die klanglichen Möglichkeiten seines Instruments nehmen kann. Zu den Polsterzungeninstrumenten gehören sämtliche Blechblasinstrumente, aber auch etwa der Zink und das Alphorn.

Arthur H. Benade schreibt in “Die Physik der Musikinstrumente”: “Ein Trompetenton entsteht durch eine Wechselbeziehung zwischen den schwingenden Lippen des Bläsers und stehenden Wellen in der Luftsäule im Instrument. Solche Wellen kommen dadurch zustande, dass ein Teil der Schallenergie am Schallbecher des Instruments (um 180 Grad, der Verfasser) reflektiert wird.” Zwischen Anblasluft und der Luftsäule im Mundstück des Instruments ent­stehen Druckschwankungen, die eine unwillkürliche Lippen­vibration begünstigen.

Der Mediziner Götz Methfessel schreibt: “Voraussetzung für die Entstehung von Tönen auf Blasinstrumenten ist die Umwandlung mechanischer in akustische Energie. Der menschliche Organismus ist dabei die Energiequelle. Der als Energieträger wirkende Luftstrom wird von der Atemmuskulatur und dem Zwerchfell erzeugt und von der Mund-, Gesichts- und Halsmuskulatur (orofazialer Bereich) gesteuert und geformt. (…) Wird die vom Luftstrom getragene Energie in akustische Energie umgewandelt, so entstehen periodische Schwingungen im Blas­instrument, die als Ton abgestrahlt werden.”

Der Ansatzdruck des Instruments auf die Lippen soll möglichst gering sein

Die Lippen wirken wie ein sich permanent öffnendes und schließendes Ventil. Die Schwingungen sind weitgehend unwillkürlich und werden durch elastische Rückstellkräfte der Weichteilmuskulatur (Lippenmuskulatur) begünstigt. Bei tiefen Tönen kommt es zu “horizontalen und vertikalen Schwingungen eines breiten Lippensegments”. (Methfessel) Der Bläser empfindet diesen Zustand subjektiv als Dehnung der Mundmuskulatur. Bei hohen Tönen erfolgt eine “Verkürzung des (…) Lippenrandsegments durch inten­sive Horizontalspannung”. Auch bei dynamischen Abstufungen verändert sich das schwingende Lippensegment bei gleichbleibender Schwingungszahl. Im Forte vergrößert sich die Schwingungsamplitude der Lippen. Auch diese Veränderung wird vom Bläser als Dehnung der Lippenmuskulatur empfunden. 

Der Ansatzdruck des Instruments auf die Lippen soll möglichst gering sein, um die Schwingungsfähigkeit der Mundmuskulatur nicht zu beeinträchtigen, die Lippenverschieblichkeit über die Zahn­reihen hinweg zu erhalten und die Innervation der Lippen nicht durch überstarken Druck zu schädigen oder mechanisch zu ver­letzen. Voraussetzung für Spieltechnik und Qualität des Tones sind Körperhaltung, Atemführung, flexible Lippenspannung, äußere Lippenform, Neigungswinkel des Instruments in Korrelation zur ­sagittalen Stufe zwischen Ober- und Unterkiefer, Zahnstellung, Kieferform und Inzisallinie (Unterkante der Zahnreihen) sowie ­Größe und Form des Mundstücks.

“Schon mit dem Bau der chinesischen Mauer…”

Trompetenähnliche Blasinstrumente wurden bereits im Altertum benutzt. Als Signal- oder Rufinstrumente fanden aus Metall ge­baute sogenannte “Trompeten” schon vor etwa 3500 Jahren in Ägypten Anwendung. Man vermutet auch, dass die alttestament­liche jüdische Chazozra mit den ägyptischen Instrumenten bautechnisch verwandt war und ähnlich eingesetzt wurde. Auch die griechische Salpinx gilt als Vorläufer unserer Trompeten. Sie wird bereits in Homers “Ilias” erwähnt, bestand aus Metall und besaß Mundstücke aus Knochen.

Entsprechungen findet die Salpinx im “Lituus” der Etrusker und der römischen “Tuba”. Die Rohrlänge bei allen diesen Instrumenten entsprach etwa 80 bis 120 Zentimentern. Der Klang dieser Instrumente wird als laut und durchdringend beschrieben und war durchaus geeignet, Angst und Schrecken bei den Menschen hervorzurufen. Deshalb wurden sie verstärkt beim Militär oder bei Wagenrennen eingesetzt. Im europäischen Norden verwendeten die Kelten das sogenannte Carnyx und die Germanen die bronzene Lure. Beide Instrumente besaßen bereits eine gekrümmte Form, deren Vorbilder Tierhörner und gebogene Mammutstoßzähne waren. 

Die Fähigkeit, Rohre zu biegen, wurde bereits in der Antike kultiviert. Unbekannt ist allerdings, ob die Biegetechniken von Rohren aus Metall im Mittelalter neu erfunden werden mussten oder ob die mittelalterlichen Instrumentenmacher auf antike Traditionen zurückgreifen konnten. Erst etwa im 14. Jahrhundert sind ge­bogene Formen ikonographisch bei uns nachzuweisen. (Die Ikonographie umfasst die Inhaltsdeutung oder Bildbeschreibung alter Bildwerke.) 

Der Name “Dromette” findet sich erstmals im Jahr 1470 in einem schriftlichen Dokument im sächsischen Pirna. Martin Luther verwendete den Begriff “Dromete” in ­seiner Bibelübersetzung zum Propheten Je­saja 18,3. Als einmal gewundenes Rohr ­bildete sich im späten Mittel­alter die Lang­trom­pete heraus. Diese wurde bis ins späte 18. Jahrhundert als sogenannte Barocktrompete verwendet. Sie blieb zunächst auf die Naturtöne beschränkt. Eine komplette Tonskala konnte erst im Clarinregister geblasen werden. Das Clarinblasen in sehr ­hohen Lagen galt in der Musikwelt als hohe Kunst. 

“Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen” (BWV 215)

Einer der ersten großen Trompeter war Gottfried Reiche. Er inspirierte mit seiner Kunst des Trompeteblasens Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) zu seinen virtuosen Trompetenpartien. Reiche wurde 1667 als Sohn eines Schuhmachers in Weißenfels geboren. Er starb 1734 in Leipzig. Eine Legende berichtet, dass er einen Tag nach einer Aufführung der halsbrecherischen Trompetenpartie oben genannter Kantate vor seinem Haus einen Schlaganfall erlitt und sofort verstarb. Über die näheren Umstände seines Todes berichtete die Leip­ziger Chronik von Johann Riemer: Reiche sei “im StadtPfeiffer Gäßgen ohnweit seiner Wohnung vom Schlag gerühret worden, daß er niedergesuncken, und todt in seine Wohnung gebracht worden. Und dieses soll daher komen seÿn, weil er Tages vorhero beÿ der Königl. Musique wegen des Blasens große strapazzen gehabt, und auch der Fãckel Rauch ihm sehr beschwerlich gewesen.”

Gottfried Reiche genoss in Leipzig allerhöchstes Ansehen als Trompeter und Komponist. Er war ein enger Freund Bachs. ­Seine privilegierte Stellung in der Stadt brachte Reiche auch einen gewissen Wohlstand ein. Seine Honorare überstiegen die seiner Kollegen um ein Vielfaches. Im Jahr 1706 wurde Reiche zum Leipziger Stadtpfeifer ernannt. Dieses Amt war mit be­sonderen Vergünstigungen verbunden. Er hatte freie Wohnung, höheres Gehalt und durfte zu vielen Gelegenheiten musizieren, die anderen Musikern verwehrt blieben. Um es mit heutigen Worten auszudrücken: Er durfte eigentlich unbegrenzt “muggen”. 1719 wurde Gottfried Reiche zum Senior Stadtmusicus ernannt. 

Niedergang und Neuerblühen

Mit dem Übergang von der Barockmusik mit ihren polyphonen Strukturen zur Vorklassik ging auch die Kunst des virtuosen Trompeteblasens scheinbar verloren. Die ansatztechnischen Voraussetzungen des dauernden Spielens im Clarinregister waren so kompliziert, dass es nur wenige ­Bläser gab, die diese Kunst beherrschten. Und nur im unteren Bereich Naturtöne zu spielen, war auf Dauer für die Bläser unbefriedigend. 

Es hat nicht an Versuchen gemangelt, auch die hohen Blechbläser mit chromatischen Möglichkeiten auszustatten. Zu nennen wäre die “Stopftrompete”, auf der der ­Bläser durch schleifende Veränderung der Lippenspannung und der Handstellung im Schallstück versuchte, Obertöne into­na­torisch anzupassen beziehungsweise zwischen zwei Obertöne hineinzublasen, um Skalen zu erzeugen. Klanglich blieben ­diese Versuche unbefriedigend. Auf dem Waldhorn werden die Klangverfremdungen durch das Stopfen noch heute gern ­genutzt. Man gewinnt zusätzliche Klangfarben. 

Auch die sogenannte Inventionstrompete schuf die Vergrößerung der Tonumfänge. Durch unterschiedlich lange U-Bögen hatte der Spieler mehr Töne zur Verfügung. An den “Spätfolgen” leiden noch heute die transponierenden Blechbläser. Man schrieb immer in “C” und gab nur die verschiedenen Stimmbögen an, die eine neue Obertonreihe ermöglichten. 

Klappentrompeten besaßen im Korpus des Instruments Grifflöcher, die durch Klappen geöffnet oder geschlossen wurden. Durch die damit verbundene Veränderung der Luftsäule konnten unterschiedliche Ton­höhen erreicht werden. 

Alle diese Experimente brachten letztlich keine befriedigende Klanglösung. Erst mit der Erfindung der Ventile bekam die Kunst des Blechblasens wieder entscheidende Leistungsimpulse.

Pumpen oder Drehen – das ist hier die Frage

Nahezu zeitgleich wurden die verschiedenen Ventilformen erfunden. François Périnet entwickelte 1838 das Pumpventil, auch Périnet-Ventil genannt. Das bereits 1818 von Friedrich Blühmel gebaute und 1835 von Joseph Riedl in Wien weiterentwickelte Drehventil blieb vor allem im deutschsprachigen Raum das Ventil der Wahl. 

Über Vorzüge und Nachteile soll im Rahmen dieses Artikels nicht näher resümiert werden. Obwohl das Pumpventil heute die weltweit am häufigsten verwendete Ventilform bei Trompeten ist, wird in deutschen und österreichischen Traditionsorchestern die sogenannte Deutsche Trompete mit Drehventilen verlangt. Die Gesamt­bau­weise der Instrumente ist in klanglicher Hinsicht vielfältiger und ergiebiger, obwohl dies von vielen Bläsern gern bestritten wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die großen amerikanischen Orches­ter heute zumindest bei der klassischen Musik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ebenfalls Deutsche Trompeten benutzen. 

“Klang ist Leben” (Daniel Barenboim)

Das 19. und 20. Jahrhundert ist in der europäischen Orchesterkultur die Zeit der Verlebendigung des Tones und des Klangs. Auch absolute Musik wurde und wird als menschliche Sprache empfunden, die insbesondere seelische Empfindungen auszudrücken in der Lage ist. Diese Denkungs- und Empfindungsart förderte den unglaublichen Klang- und Farbenreichtum unserer Kulturorchester. Die Folge der permanenten Suche nach Timbrierung war die stetige verbessernde Arbeit an den Instrumenten. Die Trompeten bewahrten sich den strahlenden, sieghaften Klang und gewannen ein seidiges Pianissimo und eine be­rückende sonore Feierlichkeit hinzu. Wagner und Bruckner wiesen den Blechbläsern völlig neue künstlerische Aufgaben zu. Es konnten sich parallel zur musikalischen Klangerweiterung Orchestervirtuosen entwickeln, die ihrerseits die Komponisten beflügelten, immer höhere Anforderungen an die Bläser zu stellen. Hier sei nur an Richard Strauß und Igor Strawinsky erinnert. 

“Wer nennt die Namen?” (frei nach Schiller) 

An dieser Stelle sei gestattet, einige Namen großer Trompeter zu nennen, die ­heute kaum noch jemand kennt und die trotzdem unsere Orchesterkultur mitgeprägt haben. 

Da ist zuerst Richard Stegmann (1889 bis 1982) zu nennen, der nicht nur als Trompeter und Kornettist wirkte, sondern dessen Schulwerke noch heute beim klassischen Musizieren Verwendung finden. Einer der ersten großen Bachtrompeter im 20. Jahrhundert war Adolf Scherbaum. Er war ein “Ansatzartist”, der das 2. Brandenburgische Konzert zu seinem Markenzeichen gemacht hat. 

Der große russische Trom­peter Timofei Dokschizer (1921 bis 2005) war in der Sowjetunion nicht nur ein großer Solist, sondern auch ein phänomenaler Orchestermusiker. Eine ebenso faszinierende Musikerpersönlichkeit war der gleichaltrige Amerikaner Adolph Herseth, der noch mit 75 Jahren sämtliche große Mahler-Sinfonien blies.

Aus Berlin möchte ich gleich mehrere ­große Musiker nennen, die alle etwa zur gleichen Zeit in dieser Stadt wirkten: Horst Eichler und Fritz Wesenigk von den Berliner Philharmonikern, die den typischen Karajan-Klang verkörperten, sowie Willy Krug und Franz Witecki vom Berliner Rundfunksinfonieorchester. Krug war zusätzlich ein begnadeter Solist und spielte das 2. Brandenburgische Konzert phänomenal gut auf der F-Trompete. Außerdem Helmut Sturm und Helmut Riede von der Staatsoper Berlin. Beide hatten einen “riesigen” klassischen Ton auf ihrem Instrument und es war eine Freude, mit ihnen die großen Strauß-Werke zu musizieren. 

Vom Leipziger Gewandhausorchester möchte ich noch Armin Männel nennen, der unzählige Bach-Kantaten aufgenommen hat, herrlich Bruckner spielte und auch als Solist einen großen Namen hatte. Alle diese Trompeter und viele andere, die ich hier nicht aufführen kann, hätten ein klingendes Denkmal verdient. Diese Musiker spielten nicht “nur” in einem Orchester, sondern erhielten über viele Jahre unsere unglaublich schöne Orchesterkultur! 

Steigern nach der Steigerung

Die Trompeter haben eine wichtige Rolle im Orchester. Sind die großen Steigerungen erfolgt, kommt der 1. Trompeter und setzt den dramatischen i-Punkt auf das musikalische Geschehen. Als Kuriosum sei noch angemerkt, dass sich an den 1. Trompeter im Orchester kaum ein Dirigent “herantraut”. Dirigent und Trompeter “kämpfen immer mit ungleichen Waffen”. Selbst ausgesprochene “Raunzer” wie Hermann Scherchen oder Karl Böhm gingen den Trompeten lieber aus dem Wege. Diese ­haben sich ihre mittelalterlichen Privilegien zumindest mental bis heute bewahrt. 

Flügelhorn schmeckt wie Kompott (frei nach Erich Kästner)

Über die Süße eines Flügelhorns in der böhmischen Blasmusik kann ich an dieser Stelle nur schwärmen. Die einfache Beseeltheit dieser Musikanten ist geeignet, Herzen zu öffnen und viele Menschen mit einer Terzenseligkeit zu verzücken. Nicht umsonst erfreut sich die traditionelle Blasmusik breitester Beliebtheit. 

Auch Philip Jones und die von ihm ange­stoßene Entwicklung wären einen eigenen Aufsatz wert. Ebenso möchte ich German Brass, das Rennquintett oder Mnozil Brass hier nur namentlich nennen. Alle großen Musiker dieser Formationen haben die Kunst des Blechblasens enorm vorangebracht. 

Abschließend sei mir gestattet, Hermann Scherchen nochmals zu widersprechen, der die Blechbläser für minderintelligent ge­halten hat. Wir, verehrte Leser, verkörpern das edle Gold im Orchester und bezahlen immer mit “klingender Münze”,

Dieser Beitrag von Stefan Fritzen ist der Nachdruck eines Beitrags, der vor vier Jahren in der Vorgänger-Zeitschrift CLARINO erschien.