Die Serie „Die Klangschönheit der Klarinetten“ beschreibt „mannigfaltige Aspekte über die vielseitige Verwendung des Klarinettenregister“ und ist inspiriert durch das Online-Seminar mit Prof. Alex Schillings auf der Plattform Blasmusik.Digital. Zusammengestellt wurde die Serie von Stefan Kollmann.
Im ersten und zweiten Teil des Artikels „Die Klangschönheit der Klarinetten“ (BRAWOO 7-8/2022 und 9/2022) lag der Schwerpunkt auf den geschichtlichen Hintergründen und dem klugen Einsatz des Klarinettenregisters anhand vielfältiger bekannter Beispiele der Blasorchesterliteratur. In diesem dritten Teil folgen weitere Beispiele, die den geschickten und optimalen Klarinetteneinsatz erkennen lassen, allerdings auch solche, die sehr deutlich die Problematik einer ungünstigen Instrumentation des Klarinettenregisters aufzeigen.
Historische Situation
Zuvor aber soll noch einmal durch einen Blick in die Historie die Funktion und Klangschönheit der Klarinetten im heutigen Blasorchester verdeutlicht werden. Es geht dabei um ideale Klangvorbilder, um Klangideale, die aber zu einem besseren Gesamtverständnis für eine optimale Instrumentation des Klarinettenregisters führen können. Ein sehr beeindruckendes Beispiel findet man in den Aufnahmen der »Belgian Guides«. In dem Werk „Rhapsodie Dahoméenne“ ist es dem flämischen Komponisten August de Boeck (1865 bis 1937), durch den Einsatz der Saxhörner in verblüffender Weise gelungen, eine wunderschöne, weiche Klangfarbe (sogenanntes weiches Blech) hinter der Klangfarbe der Klarinetten und der Saxofone zu installieren.
Dies ist eine Blechbläsergruppe (alle mit drei Pumpventilen), die von Adolphe Sax entwickelt wurde und dazu beitragen sollte, eine komplette Blechbläserfamilie im Blasorchester zu installieren. Die Entwicklung dieser sogenannten Saxhörner führte sogar zu einer eigenständigen Orchesterform, aus der später die heutigen „Brass Bands“ entstanden sind.
Mit dieser umfangreichen Weiterentwicklung im Instrumentenbau, insbesondere der Saxhörner, aber auch der Erfindung des Saxofons, hatte Adolphe Sax einen bis heute nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Blasorchester in Europa, wahrscheinlich auch weltweit. Beide Instrumentengruppen stellen einen großen Mehrwert dar, wenn es darum geht, eine neue Klangdimension zu erschaffen oder zu erhalten. Sie sind bis heute ein enorm wichtiges klangliches Bindeglied zwischen den Holz- und Blechbläsern und können wie oben erwähnt die Klangfarben des Klarinettensatzes hervorragend unterstützen.
In Berlin arbeitete Wilhelm Friedrich Wieprecht in den 1830er-Jahren ebenfalls an verschiedenen Erneuerungen im Bereich der Blechblasinstrumente. Er ließ unter anderem Tenorhörner, Tenorbasshörner, Klappenhörner klanglich und technisch verbessern. 1835 gelang ihm zusammen mit dem Berliner Hofinstrumentenbauer Johann Gottfried Moritz die Entwicklung und Patentierung der ebenfalls mit Drehventilen versehenen Basstuba. Durch seine vielfältigen Engagements und Aufgabenbereiche auch als Komponist und Arrangeur gilt er bis heute als der große Reformer der deutschen Militärmusik.
Aktuelle Situation
Übertragen auf unsere Situation heute gehören zu dieser weichen Blechbläsergruppe Instrumente wie Flügelhorn, Kornett, Horn, Tenorhorn, Bariton, Eufonium und Tuba – und alle werden immer wieder mit der extrem wichtigen Aufgabe versehen, das Klarinettenregister als Hauptklangfarbe im modernen Blasorchester zu unterstützen. Damit diese Unterstützung auch gewährleistet werden kann, sollten allerdings alle diese Instrumentengruppen immer extrem vorsichtig und behutsam eingesetzt werden.
Im erwähnten Werk von August de Boeck und vielen anderen Kompositionen, die insbesondere auch bei den umfangreichen Aufnahmen der „Belgian Guides“ oder auch dem „Musikkorps der Bundeswehr“ (mit den Kompositionen von Guido Rennert) zu finden sind, ist dieses wichtige Instrumentationsprinzip immer wieder festzustellen: Die Klarinettenfamilie wird durch viele andere Register wie Flöten, Oboen, Fagotte, besonders durch die Saxofone und manchmal auch durch sensibel eingesetzte Blechblasinstrumente in ihrer bedeutsamen Funktion verstärkt. Insbesondere das weiche Blech kann einen wunderbaren klanglichen Einfluss nehmen auf die Sonorität, die Klangstärke und Klangvielfalt des kompletten Holzregisters. Sie können dem Klang des Holzregisters, wenn sie in unterstützender Funktion eingesetzt werden, eine unbeschreiblich beeindruckende Klangdimension geben und somit den Gesamtklang des Blasorchesters immens bereichern und verschönern.
Leider wird dieser Instrumentationsstil in deutschsprachigen Ländern kaum mehr berücksichtigt. Es scheint vielmehr in der europäischen Blasorchesterszene eine gewisse Globalisierung, eine Vereinheitlichung in der Instrumentierung von Blasorchestern zu geben. Man könnte den Eindruck gewinnen, es entstünde eine bestimmte Uniformität in den Instrumentierungen bzw. Arrangements und somit auch leider im Klang der Blasorchester.
Dadurch drängen sich Fragen auf:
- Muss man die Globalisierung des Einheitsklangs auch in Europa akzeptieren oder sich anpassen?
- Sollen wir nicht viel mehr versuchen, den schönen, vielseitigen Klarinettenklang mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten zu unterstützen?
- Können wir dafür geeignete Literatur einsetzen?
Hier der Versuch, direkt Antworten zu geben:
- Nein, man muss sich dem Einheitsklang und dieser Uniformität im Klang, die durch die aktuellen und mitunter sehr beliebten Instrumentierungen vorgegeben sind, nicht anpassen.
- Ja, wir müssen immer wieder versuchen, die Klangvielfalt in einem modernen Blasorchester optimal ausnutzen. Dabei sollten wir die Hauptklangfarbe des Orchesters – die Klarinetten – immer unterstützen.
- Ich versuche in diesem Beitrag aufzuzeigen, dass wir sehr wohl viele großartige Werke in fast allen Schwierigkeitsgraden besitzen, die dann auch noch die großartige Klangvielfalt und Möglichkeiten der Klangmischungen unserer Blasorchester darstellen.
Erklärungsversuch
Ein Grund für diese Klang-Uniformität vieler neuerer Werke für Blasorchester könnte der US-amerikanische Einfluss auf den Notenmarkt sein. Der dort für die vielen tausenden Elementary-, Middle- und Highschool-Bands sehr erfolgreiche Schreib- und Komponierstil beeinflusst sicherlich auch viele Komponisten und Verlage in Europa. Dieser funktionelle Komponier- und Arrangierstil beruht – besonders für die unteren Klassenstufen – im Grunde darauf, dass viele Stimmen verdoppelt werden, die Tonumfänge der Instrumente häufig nicht viel mehr als eine Oktave umfassen und dass somit die einzelnen Register sich im Klang und den Klangfarben überlagern. Für die vielen unterschiedlichen (small) School Bands in den USA mag das gewiss eine gute und vor allem funktionelle Lösung sein, aber sie ist mit der Situation der Blasorchester hier in Europa nicht wirklich vergleichbar.
Im Jahr 2006 gab es in den USA offenbar lediglich 100 sogenannte »Community, Municipal oder Civil Bands«, also Amateur-Blasorchester. Diese Anzahl ist im Vergleich mit Europa oder nur mit Deutschland sehr gering. Allein in der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände (BDMV) gibt 18 000 Ensembles in 11 000 Mitgliedsvereinen in 22 Mitgliedsverbänden.
Die Appelle an uns alle sollten lauten:
- Suchen und spielen wir gute Literatur, besonders auch in den Jugend- und Schülerorchestern, die möglichst viele unterschiedliche Klangfarben umsetzen.
- Spielen wir mehr Werke, die die Klangvielfalt unserer heutigen Orchester optimal darstellen.
- Wählen wir Programme aus, die auch die Klangschönheit des Klarinettenregisters als Hauptklangfarbe im Orchester überzeugend präsentieren.
Diese Appelle sind in der Praxis gut umsetzbar, auch mit amerikanischen Komponisten wie zum Beispiel Alfred Reed („A Little Concert Music“) oder den im Teil 2 (BRAWOO 9/2022) erwähnten Komponisten und vielen mehr. Diesen sehr positiven Werkbeispielen sollen einige Varianten gegenübergestellt werden, die zeigen, wie ungünstig es sein kann, wenn das Klarinettenregister klanglich nicht bestmöglich eingesetzt wird.
„Third Suite“ – Robert Jager
Bereits 1966 komponiert, zählte die »Third Suite« über einen langen Zeitraum zu einem der am meisten gespielten Werke in den USA und zumindest bei den ambitionierten Amateurorchestern auch in Europa. Das Beispiel soll nur aufzeigen, wie schwierig es sein kann, das Klarinettenregister wirklich günstig zu instrumentieren. Die 1. Klarinette ist extrem hoch notiert (mehrfach g3), dazu eine Oktave höher noch die Piccoloflöte. Die Es-Klarinette und die Flöten unterstützen zwar die 1. Klarinette, aber das ist eine für die Intonation gefährliche Lage. Wenn man die Notation der Klarinetten aufmerksam untersucht, wird man feststellen, dass es im Klarinettenregister zu einem regelrechten Schnitt kommt und zwar genau zwischen der 1. und der 2./3. Klarinette. Die 2. und 3. Klarinetten sind total von der 1. Klarinette getrennt und spielen in einer tiefen Lage, zusammen mit den Altsaxofonen.
Werden öfters Werke mit solchen Instrumentationen einstudiert und aufgeführt, wird der Klang des Klarinettenregisters regelrecht auseinandergenommen, zerschnitten oder zumindest deutlich getrennt. Außerdem ist das auch aus psychologischer und pädagogischer Sicht nicht sonderlich günstig, da man offensichtlich mit den Flöten, der Es-Klarinette und der 1. Klarinette immer wieder intensiv üben muss, um diese schwierigen Stellen in so hoher Lage, im sogenannten „Diskant-Register“, gut zum Klingen zu bringen. Erstaunlicherweise ist die Oboenstimme sehr tief, in vielerlei Hinsicht eigentlich zu tief notiert.
Hinzu kommt die Tatsache, dass die 2. und 3. Klarinetten hier ständig mit den Altsaxofonen und sogar teilweise mit den Kornett- und Trompetenstimmen mitlaufen und so ihre klangliche Eigenständigkeit komplett verlieren. Ein gesunder Klangausgleich mit dem Aufbau einer Klangpyramide ist so nicht möglich. Besonders diese Mittelstimmen, also 2. und 3. Klarinetten, Alt- und Tenor-Saxofone bilden das Herzstück des Holzsatzes eines gut klingenden Blasorchesters und das muss transparent und überzeugend klingen. Natürlich darf solch eine Notation bzw. Instrumentierung schon mal vorkommen, es sollte aber eine Ausnahme bleiben.
„An American Elegy“ – Frank Ticheli
Auch Frank Ticheli gehört zu den sehr bekannten Komponisten aus den USA. In der Partitur zu „An American Elegy“ passiert beinahe das Gegenteil vom vorher erwähnten Beispiel. Die Klarinetten (etwa Takt 47 bis 53) spielen fast nur in der ungünstigen Mittellage, ab und an im „Chalumeau-Register“. Es fehlt die Brillanz der höheren Lagen. Es ist alles zu dicht in der Mitte instrumentiert. Die Idee zum Werk wird in der Partitur durch den Komponisten erklärt. Zitat: „[…] das Werk beginnt in den tiefsten Lagen des Ensembles […]“, was dann in den einzelnen Stimmen auch sehr gut zu erkennen ist.
Gewiss können auch in dieser Instrumentation schöne Klänge entstehen, allerdings alle in der mittleren Lage der Instrumente, was die Gefahr in sich birgt, dass sich schnell ein indifferenzierter Klang einstellt und die Intonation leidet. Hier fehlt eindeutig die Instrumentierung in den höheren Lagen der Instrumente. Die bereits erwähnte Klangpyramide kann so nicht entstehen, die oberen Klangfarben werden einfach verflacht oder sie sind nicht vorhanden (Diskant fehlt komplett). Auch wenn der Komponist das so gewollt hat, wird es hier sehr schwierig, einen guten, tragfähigen und ausgewogenen Klang entstehen zu lassen.
Bei sehr vielen Partituren, die heute verlegt werden, findet man eine ähnliche Vorgehensweise:
- Zu viele Stimmen werden verdoppelt und überlagern sich.
- Zu viele Instrumente spielen in ungünstigen Lagen und Tonbereichen.
- Zu oft wird das Klarinettenregister als Hauptklangfarbe nicht gut eingesetzt, nicht berücksichtigt oder schlecht instrumentiert.
„Doch dies gelingt in der Praxis oftmals nicht…“
Im erwähnten Abschnitt sind fast alle Holzbläserstimmen auch im Blechregister verdoppelt. Wenn es jetzt permanent gelingt, in dieser Instrumentation das Holz zu unterstützen, dann wäre das noch ein akzeptabler Kompromiss. Doch dies gelingt in der Praxis oftmals nicht: Vielmehr wird der Klang der Holzblasinstrumente, insbesondere des Klarinettenregisters, überlagert oder sogar dynamisch weggedrückt.
Konkret spielt die 1. Klarinette zu oft in schlechter Tonlage, wobei sie die Funktion einer 2. Klarinette hat, die wiederum die Melodielinie ebenfalls in schlechter Lage mit den Flöten, die auch tief notiert sind, übernimmt. Wenn die 1. Oboe in Takt 50 dazukommt, spielt sie in einer guten Lage und kann leicht die zu tief notierten Flöten überdecken. Man bräuchte sicherlich sehr viele zusätzliche dynamische Anweisungen und sehr viel Mühe, um hier die verschwommenen Linien zu einem guten, ausgewogenen Klang zu führen. Eine solche Instrumentationspraxis führt zwangsläufig zu Balanceproblemen – sie produziert viel zu oft Undeutlichkeit und lässt eine schöne, transparente Klangentwicklung mit vielen verschiedenen Klangfarben nur schwer entstehen.
„The Witch and the Saint“ – Steven Reineke
Sicherlich ist es für eine gelungene Komposition, auch in den unteren Schwierigkeitsgraden, von großem Vorteil, wenn sie so etwas wie eine eigene Identität, eine besondere Struktur oder kreative Signatur besitzen. Es gibt heutzutage zu viele Kompositionen, denen diese wesentlichen Eigenschaften einer außergewöhnlichen Komposition fehlen. Man könnte fast behaupten, es gibt zu viel „Massenware“ ohne besondere Instrumentationen oder musikalisch reizvolle Aspekte.
Die Takte 83 bis 88 aus Komposition „The Witch and the Saint“ – mittlerweile gibt es auch Ausgaben mit dem deutschen Titel „Die Hexe und die Heilige“ – liefern ein weiteres Beispiel für die getroffenen Aussagen. Bisweilen sind hier die Lagen der Flötenstimmen ungünstig tief notiert, die Klarinetten, in Quinten gesetzt, spielen auch nicht in guten Tonhöhen. Die Oboen dagegen – wie so oft – liegen in idealer Lage und spielen eine gute Stimme.
Natürlich können auch solche Kompositionen gespielt werden, aber es wird dann sehr aufwendig…
Leider sind zu viele Register verdoppelt, die Trompeten spielen fast das Gleiche wie die Klarinetten, der Ton e1 ist in der Oktave verdoppelt, wobei die 1. Trompetenstimme über der 1. Klarinettenstimme liegt. Die Hörner werden unisono geführt mit 1. Trompete und 1. Posaune, zusätzlich spielen die Hörner und Posaunen auch noch mit der 2. und 3. Klarinette. Dies zeugt von zu vielen Verdoppelungen und Überschneidungen, als dass hier eine gute Klangbalance möglich wäre. Darüber hinaus ist hier noch ein einheitliches „forte“ notiert, was so nicht umzusetzen ist.
Mit solchen Instrumentierungen wird es schwer möglich sein, eine gute Klangentwicklung und Klangformung eines Blasorchesters anzustreben, ganz zu schweigen von der so wichtigen Hauptklangfarbe, dem Klarinettenregister. Natürlich können auch solche Kompositionen gespielt werden, aber es wird dann sehr aufwendig, die Klangbalancen, die notwendig sind, zu erreichen. Mittlerweile gibt es aber sehr viel gute Literatur, selbst für ein kleines Orchester, wie etwa von Adam Gorb: „Little Tango Music“ bzw. „Little Salsa Music“. Dies sind klug komponierte kleine Musikstücke, geschickt und differenziert instrumentiert, einfach strukturiert, aber dennoch ein musikalischer Zugewinn für alle.
Deshalb abschließend nochmals der Appell:
Spielen Sie bitte, wann immer es geht, gut instrumentierte, auf gute Balance ausgelegte Werke, die zudem die Hauptklangfarbe eines heutigen Blasorchesters, nämlich das Klarinettenregister, berücksichtigen. Hier wären Komponisten wie Alfred Reed, Gustav Holst, Percy A. Grainger, Jan van der Roost, Bert Appermont zu nennen. In der nächsten Ausgabe werden Werke der Komponisten als weitere wichtige positive und auch letztlich für alle Beteiligten gewinnbringende Beispiele beleuchtet.