Brass, News, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Das Musikzentrum Baden-Württemberg: Ein Leuchtturm

Musikzentrum
Foto: Roland Halbe

Einen Ort der Aus- und Weiterbildung sowie der Kommunikation stellt das neue Musikzentrum Baden-Württemberg in Plochingen (Landkreis Esslingen) dar. Seit Anfang September sind die Pforten geöffnet. Wir sprachen mit Heiko Schulze, dem Direktor für Musik und Bildung im Blasmusikverband ­Baden-Württemberg, über die ersten Reaktionen, Herausforderungen und das Signal, das von Plochingen ausgeht.

Herr Schulze, seit Anfang September ist das Musikzentrum Baden-Württemberg in Plochingen geöffnet für die Musikerinnen und Musiker, Vereins- und Verbandsverantwortlichen. Mit welchen Worten beschreiben Sie Ihre Gefühlswelt?

Große Freude! Wir freuen uns, dass wir das Musik­zentrum Baden-Württemberg endlich in Betrieb nehmen konnten. Mit der Freude ist natür­lich auch viel Arbeit verbunden. Wer ein neues Haus in Betrieb nimmt, weiß, was es bedeutet, es so funktionstüchtig zu machen, dass sich alle wohlfühlen und dass alle Abläufe wie geplant auch stattfinden können. Diese Arbeit aber macht man gern, weil man sieht, wie das Haus angenommen wird

Können Sie uns einen kurzen historischen Abriss zum Bau des Musikzentrums geben? 

Dem Neubau voraus ging ein mehrjähriges Planungsverfahren. Im Fokus stand zunächst, dass die eigene Verbandsakademie des Blasmusikverbandes Baden-Württemberg in Kürnbach aufwendig hätte renoviert werden müssen. Eine Kosten/Nutzen-Abschätzung ließ dann bei den Verbandsverantwortlichen die Entscheidung reifen, ein neues Gebäude zu bauen. Darauf folgte dann ein mehrstufiges Verfahren zur Standort­suche, ein Architektenwettbewerb wurde international ausgeschrieben. 

Musikzentrum

Musikzentrum Baden-Württemberg

Mit dem Zentrum ist ein Kompetenznetzwerk der Amateurmusik entstanden, das unter seinem Dach regionale und überregionale Verbände beheimatet. Die Förderung von 11,8 Millionen Euro durch das Land Baden-Württemberg unterstreicht dabei den hohen Stellenwert, den das Musikzentrum innerhalb der Musiklandschaft ­Baden-Württembergs zukünftig einnehmen soll.

Kontakt: Eisenbahnstraße 59, 73207 Plochingen
service@bvbw-online.de, Telefon 0 71 53 / 9 28 16 10
www.musikzentrum-bw.de

Wie ist die Entscheidung für Plochingen zustande gekommen? 

Viele Akademien sind in historischen Gemäuern untergebracht oder in landschaftlich reizvollen Gegenden, wo es sich wunderbar arbeiten und auch ausruhen lässt. Oft ist aber die fehlende ­Erreichbarkeit ein Problem. Manches Haus ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlichtweg schwer zu erreichen – zumindest die letzten Kilometer. Der Standort Plochingen ist verkehrstechnisch ideal gelegen. Plochingen ist ein Eisenbahnknotenpunkt, auch der ICE hält hier. Der Stuttgarter Hauptbahnhof und der Flughafen sind in der Nähe. Die verkehrstechnische Lage hat sich jetzt schon bewährt, weil viele Teilnehmende bewusst nicht mit dem Auto, sondern mit der Bahn angereist sind. 

Die ersten Kurse sind bereits absolviert. Wie sind die ersten Reaktionen? Wie kommt das Musikzentrum an?

Wir freuen uns über das überwältigende positive Feedback! Das Landesblasorchester Baden-Württemberg etwa soll ja hier seine Heimstätte finden. Und wenn man ein neues Heim bezieht, schaut man besonders kritisch darauf. Die Orchestermitglieder haben sich wohlgefühlt und gute Probenbedingungen vorgefunden. Auch die Übernachtungsmöglichkeiten und das Catering sind positiv bewertet worden. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir mit unseren Partnern und mit viel Herzblut diesen Aufenthalt hier vorbereiten und durchführen konnten. 

Jetzt sind wir dabei, die letzten Kleinigkeiten zu klären und weitere Details zu schärfen. Aber das erste Feedback aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist überaus positiv und das macht uns sehr stolz!

Die Kosten für die Akademie belaufen sich auf etwa 24 Millionen Euro. Das ist damit im Rahmen dessen, was vorher kalkuliert worden war. Ist das der schwäbischen Mentalität geschuldet? 

So sieht es aus! (lacht) Wir sind voll im Kostenrahmen geblieben und es gab keine Ausreißer nach oben. Der Bau verlief erstaunlich plan­mäßig, was auch wegen der Fachleute so gekommen ist, die man sich für diesen Prozess mit an Bord geholt hat. Bei Planung und Bau wurde immer scharf darauf geachtet, dass es zu keiner finanziellen Schieflage kommt. Und wer heute baut, weiß, wie dynamisch sich die Baupreise entwickeln, was es für Probleme bei Material­lieferungen geben kann. Wir sind wirklich heilfroh, dass alles so gut gelaufen ist und wir wirklich am 3. September die Türen aufschließen konnten!

Welches Signal geht vom Musikzentrum in Plochingen aus? Auch gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie? Schließlich war die Kultur nicht auf Tagesordnungspunkt 1 der Politik…

Beim Festakt wurde sehr deutlich, dass von der Öffnung des Hauses eine wichtige Botschaft ausgeht: Wir investieren in musikalische Bildung! Wir investieren in die Amateurmusik, weil sie einen kulturellen, künstlerischen, pädagogischen und sozialen Faktor in unserem gesellschaftlichen Miteinander einnimmt. Und wir brauchen dieses Signal zur Aufbruchsstimmung! Wir wollen mit dem Haus und mit unseren Angeboten genau für diese Aufbruchstimmung sorgen! Aber auch für eine Nachhaltigkeit, die sich durch viele Prozesse an unserer Basis wiederfindet. Ich wünsche mir Plochingen als eine Art Leuchtturm, der zwar hier verortet ist, aber weit ins Land ausstrahlt. 

Inwiefern profitieren die Kursteilnehmenden vom “Kompetenznetzwerk” aus mehreren Verbänden, als das das Musikzentrum beworben wird?

Es ist ganz wunderbar, mit den Kolleginnen und Kollegen “an der Kaffeemaschine” über gemeinsame Projekte zu sprechen. Man spricht beim Mittagessen über etwaige Probleme und kann sich auf derselben Verwaltungsetage ganz eng abstimmen oder nachfragen: “Wie löst ihr das? Welche Probleme habt ihr? Was können wir ­gemeinsam anbieten?” Allein dieser Nutzen, Syner­gien zu schaffen, ist schon wunderbar. Wir arbeiten zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen des Schwäbischen Chorverbandes, des Landesmusikverbandes, der Stiftung “Singen mit Kindern” und der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände. Da helfen die kurzen Wege! Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer werden davon profitieren. So bieten wir zum Beispiel im außermusikalischen Bereich Kurse zum Thema “Vereinsmanagement” an. Denn warum soll man nicht versuchen, die Probleme, die Gesangs- und Musikvereine gemeinsam haben, auch gemeinsam zu lösen? Hier wollen wir mit einem guten Bildungsansatz Kurse anbieten, die eine große Tiefe erreichen.

Was zusätzlich die Leuchtturm-Idee unterstreicht, oder? Wenn alle mit einer Stimme sprechen, kann man mehr erreichen.

Genau. Erst kürzlich hatte ich Besuch von Christian Höppner, dem Generalsekretär des Deutschen Musikrates. Wir können das ein bisschen auch als Laborprojekt sehen: Was funktioniert und was lässt sich von diesen Ergebnissen auch außerhalb von Baden-Württemberg anbieten?

Das Musikzentrum ist demnach keine reine baden-württembergische Angelegenheit? 

Die Projekte, die wir hier im Haus entwickeln, müssen natürlich in und für Baden-Württemberg funktionieren. Aber in meiner Funktion in den anderen Bundesverbänden (Anm. d. Red.: unter anderem als Bundesmusikdirektor Blasmusik in der Bundesvereinigung Deutscher Musikver­bände) kann ich diese natürlich auch mit den ­anderen Kolleginnen und Kollegen reflektieren, abgleichen und Impulse geben. Wir werden auch Impulse von außen aufnehmen und hier umsetzen. Unter den Nägeln brennt uns zum Beispiel die digitale D-Reihe. An der arbeiten wir. Hier soll das digitale Handwerkszeug der Ausbildung gemeinsam geschaffen werden. Das wird ideell und konzeptionell an verschiedenen Standorten gedacht, dann hier umgesetzt und erprobt. Außerdem sind wir eine Beleg-Aka­demie. Das Haus steht auch unter einem gewissen wirtschaftlichen Erfolgsdruck und deshalb freuen wir uns natürlich über Gäste aus allen ­anderen Bundesländern. 

Als Direktor für Musik und Bildung im Blasmusikverband Baden-Württemberg sind Sie auch für das Programm der Bläserakademie verantwortlich. Wie ist dieses entstanden und wie entsteht es im “laufenden Prozess”? Welche Erwartungen werden an Sie bzw. das Akademieprogramm herangetragen?
Schulze
Heiko Schulze (Foto: Isabelle Arnold)

Auch das hat eine kleine Geschichte. Ich wurde im Jahr 2017 gebeten, eine Evaluierung des Bildungs­bedarfs des Blasmusikverbandes vor­zunehmen. Man wollte sozusagen eine innere, eine programmatische Architektur für das Haus erstellen. Es wurde ein umfassender Befragungsbogen erstellt, es fanden viele Gespräche hier in der Region statt und mit viel Zeitaufwand entstand dann ein Exposé, das uns drei ganz ­klare Aufgaben vorgegeben hat. 

Erstens: Die Vereine haben klar artikuliert, dass sie gut ausgebildete Dirigentinnen und Dirigenten brauchen. Diese müssen künstlerisch und sozial kompetent sowie in der pädagogischen Arbeit fachkundig sein. Sie sollen im Amateur­bereich und in der Breite im ländlichen Raum aktiv werden können.

Zweitens: Wir brauchen Angebote, um das Ehren­amt – und hier vor allem das Vereins­manage­ment – zukunftsfähig zu machen, damit die Vereinskultur auch zukünftig der Hauptträger der Blasmusik sein kann. Es geht also um Ehrenamtsqualifizierung im Vereinsmanagement. 

Und drittens: Es gibt eine große Wunschliste, dass man zu tagesaktuellen Dingen ein Jahresprogramm entwickeln möge. Da geht es aktuell um Themen wie Hygienekonzepte in der Co­rona-Pandemie. Aber auch viele andere Themen fordern uns aktuell heraus: Künstlersozialkasse, GEMA, allgemeine Versicherungsfragen oder auch pädagogische Themen wie Bläserklassen-Kooperationen.

Mein Ziel für die ersten beiden Punkte war nun, eine Stringenz aufzubauen, die sich über meh­rere Phasen erstreckt – und dann aber hier verortet ist. Ziel ist es, nicht nur eine einmalige Veranstaltung anzubieten, bei der es hinterher die Urkunde gibt. Wir brauchen einen Ausbildungsprozess, denn ich bin überzeugt, dass wir zwischen Ausbildung und Weiterbildung unter­scheiden müssen. Wenn ich eine Ausbildung aufbauen will, braucht es Zeit, Kontinuität und ein internes Curriculum, das von der D- bis zur B-Schiene durchgängig ist. Wir haben das dann auf Regionalkonferenzen diskutiert, wo es begrüßt wurde und wir ermutigt wurden, es um­zusetzen. Wir haben zusätzlich einen eigenen Bildungsausschuss im Verband, in dem gemeinsam Dinge beraten, verabschiedet und letztlich auch umgesetzt werden. 

Vermutlich ist diese Frage in Ihrer Funktion als Direktor für Musik und Bildung schwer zu beantworten, aber gibt es Highlights, auf die Sie sich besonders freuen?

Ich würde mich natürlich freuen, wenn alle Kurse so ausgebucht sind, dass die Leute sagen: Tolles Angebot! Eine zentrale Frage ist für uns: Wie erreichen wir unsere Teilnehmenden, also unsere Kundschaft? Reichen soziale Medien und das Internet aus? Braucht es das Printmedium? Braucht es andere direkte Ansprachen? Ich persönlich denke, dass die Mundpropaganda die beste Werbung ist. Wenn alle Teilnehmenden sagen: “Es lohnt sich, nach Plochingen zu fahren!”, ist das die beste Werbung, die wir bekommen können.

Ich würde mich freuen, wenn gerade diese C-Schiene der Neukonzeption funktioniert, für die wir eine enge Kooperation mit der Stuttgarter Musikhochschule aufgebaut haben. Ich bin sehr gespannt, wie unsere neuen Konzepte ankommen, etwa die Internationale Dirigentenakademie mit Jan Cober. Diese findet in Zusammenarbeit mit dem Landespolizeiorchester als Lehrgangsorchester statt. Wir werden also auch in die Profiwelt hinausblicken. Einzelne Veranstaltung zu benennen, ist aber tatsächlich schwer, weil mein Herzblut an allen Projekten hängt. 

Welche Aufgaben stehen für Sie jetzt persönlich an?

In der Umsetzungsphase sind wir dabei, das gesamte Haus- und Kursmanagement anzugleichen. Wir lernen da natürlich auch noch. Das beginnt bei der Ansprache unserer Teilnehmenden, geht über die Registrierung bis zur Kontaktpflege mit den Dozentinnen und Dozenten. Wir werden ständig prüfen, wo wir besser werden und wo wir noch schärfen müssen. Es wird sicher Klärungsbedarf im logistischen oder organisatorischen Bereich geben, es wird Reibungspunkte im Team mit den neuen Kolleginnen und Kol­legen geben. Das aber ist logisch, wenn man ­etwas Neues aufbaut. Mir geht es darum: Wie schaffen wir es, langfristig Kurse zu etablieren, die nicht nur einmalig stattfinden. Die Leute sollen in Zukunft etwa nachfragen: Wann sind die Plochinger Blechbläsertage? Wer ist diesmal Dozent? Wann muss ich mich wieder anmelden? Diese Regelmäßigkeit will ich aufzubauen und da denke ich bereits bis 2023, 2024 und sogar bis 2025. Ich bin jedenfalls nicht unterfordert. (lacht)

Gibt es eine Art “100-Tage-Plan”? 

Ich denke, so etwas kann nicht konkret an Tagen oder Stunden festgemacht werden. Das ist ein fließender Prozess. Wenn wir sagen würden “Jetzt sind wir perfekt” – dann hätten wir ver­loren. Wir müssen uns immer wieder auf neue Dinge einstellen und schauen, welche Bedürfnisse die Basis hat. Wir müssen uns ständig hinterfragen: Sind unsere Ideen richtig? In 100 Tagen würde ich mich freuen, wenn die “Kinderkrankheiten” abgebaut sind, wenn wir uns auf das Konzeptionelle, Inhaltliche konzentrieren können. Denn es ist wirklich eine große, positive Botschaft, wenn ein Land wie Baden-Württemberg für die Amateurmusik ein solches Inves­titions­programm umsetzt. Dieses inhaltlich auszugestalten, ist uns wirklich eine große Verantwortung, aber vor allem eine große Freude.

Musikzentrum
Foto: Roland Halbe