Wood | Von Klaus Härtel

Das Selmer Mark VI

Das Selmer Mark VI: Dieses Saxofon umgibt eine Aura des Besonderen und Heiligen. Es ist das beliebteste und begehrteste aller Saxofonmodelle – und viele halten es noch immer für unübertroffen.

Geschichte eines Saxofonmodells

Es war im Jahr 1954, als der Pariser Saxofonhersteller Selmer ein neues Saxofonmodell auf den Markt brachte. Bei der Entwicklung des Prototyps hatte Marcel Mule, der »Patron« des klassischen Saxofons, mitgeholfen. Das Mark VI (Mk6), das in sechs Größen gebaut wurde (von Sopranino bis Bass), ersetzte ab der Seriennummer 55201 das Super (Balanced) Action, Selmers Vorgängermodell. 

In den folgenden 20 Jahren hat Selmer in Frankreich etwa 180.000 Mark­VI­Saxofone hergestellt, bis zu 1000 Stück pro Monat. Der Saxofonreparateur Steve Crow schätzt, dass ca. 50.000 Altsaxofone und etwa ebenso viele Tenorsaxofone gebaut wurden. 

Für den Markt in Übersee wurden die Instrumente von Paris aus in Einzelteilen versandt. Erst vor Ort – in Großbritannien, Kanada, den USA – hat man sie montiert und ihnen eine je nach Land spezielle Lackierung und Gravur verpasst. 

Erst 1974 wurden das Alt­ und das Tenorsaxofon durch ein neues Modell abgelöst, das Mark VII. Der Übergang vollzog sich allmählich zwischen den Seriennummern 230000 und 260000. Die anderen Baugrößen wurden noch bis 1981 als Mark VI hergestellt, das Sopranino sogar bis 1985.

Überzeugende Argumente für Jazz und Klassik

Als das Mark VI auf den Markt kam, überzeugte es vor allem durch seine Tasten­ und Klappenmechanik. Das Instrument lag ergonomisch besonders gut in der Hand. Viele lobten auch die Intonation und den ein wenig »nasalen« Klang, der ein bisschen altmodischer wirkte als bei damals aktuellen amerikanischen Instrumenten, weshalb das Mark VI sowohl für Jazz wie Klassik geeignet schien. 

Ein wichtiges Argument war zudem der Preis. Bei den damaligen Wechselkursen (1 US­Dollar = ca. 3,50 bis 5 Francs) unterbot das Modell aus Paris vergleichbare amerikanische Instrumente deutlich. 

Wie auch immer: Das Mark VI wurde das Saxofon der amerikanischen Jazzcracks. Ob Stan Getz, John Coltrane, Sonny Rollins, Dexter Gordon, Ornette Coleman, Michael Brecker – Jazzstars aller Richtungen spielten das Mark VI. Und weil die Großen es spielten, wurde es das begehrteste Saxofon der Szene und setzte Selmers Konkurrenten mächtig zu. Zahlreiche Hersteller haben das Mark VI später zu ihrem Vorbild gemacht.

Legenden und Geschichten

Die Preisangebote für ein echtes Mark VI erreichen zeitweise fantastische Höhen. Das Instrument gilt geradezu als Statussymbol und um seine Geschichte ranken sich diverse Legenden.

Eine der beliebtesten erzählt davon, dass die Mark­VI­Saxofone anfangs aus umgeschmolzener Weltkriegs­Artillerie hergestellt worden seien. Jedenfalls sollen die frühen Instrumente besonders gut klingen. Die sogenannten »Five­Digits«, die Saxofone mit Seriennummern unter 100000, erfreuen sich daher eines besonderen Kults. Sie wurden bis etwa 1962 hergestellt und besaßen in der Regel noch nicht die Hoch­Fis­Klappe.

Ein Modell im Wandel

Richtig ist, dass es beim Mark VI Unterschiede gibt. Das Modell wurde nämlich ständig weiterentwickelt. Man veränderte im Lauf der Baujahre die Form des Bogens und der Klappendeckel, versetzte die Daumen­ und Gurthaken, fügte Klappen hinzu oder ließ sie wieder weg. 

Auch der Sound der Instrumente hat sich im Lauf der Baujahre gewandelt, ist heller und strahlender geworden. Außerdem ist jedes Mark VI handgemacht und daher ohnehin individuell verschieden. 

Qualitätsunterschiede

Es gibt gute und weniger gute Instrumente. Angeblich hat schon der Hersteller die Mark­VI­Saxofone nach drei verschiedenen Qualitätsstufen unterschieden. Da die Instrumente nicht jünger werden, hängt ihre Qualität heute aber vor allem vom Reparaturstandard ab.

Um ein Mark VI toll zu finden, genügt inzwischen schon sein Nimbus. Der Saxofonreparateur Steve Crow sagt: »Ich persönlich verliebte mich zuerst in den Anblick und die Legende des Mark VI. Sich vorzustellen, was so ein schönes, altes Horn schon erlebt hat, macht es für mich lebendig. Selbst der Geruch, wenn man den Koffer öffnet, ist großartig.«