Bereits in drei Beiträgen für die Zeitschrift CLARINO konnte ich Ihnen, meine verehrten Leser, über die Geheimnisse guten Dirigats berichten. Heute möchte ich über das Wunderbare eines rhythmisch präzisen Dirigierbilds nachdenken, das neben rhythmisch verbindlichen Bewegungsabläufen musikalische Interpretation einschließt.
Junger Mann, was stricken Sie denn da? (Musikerfrage an den blutjungen Karajan)
Wie oft musste ich in meinem künstlerischen Leben Dirigenten ertragen, deren Bewegungen entweder diffusen Kurvenbildungen glichen oder dem zackigen Winkeralphabet (Semaphore), der mit Fähnchen kommunizierenden Matrosen zwischen zwei Schiffen zu gleichen schienen!
Erstere »grapschen« mit Vorliebe ohne Taktstock in den musikalischen Linien einzelner Instrumente oder Gruppen herum; die zweiten stehen oft als Zuchtmeister vor dem Orchester und reduzieren ihr interpretatorisches Innenleben auf hackende Impulse. Selbst bei Talent blieb dieses im Innenleben der Maestros verborgen. Mittelmäßige Dirigenten möchte ich allerdings hier nicht namentlich nennen.
Hohe Schule des Dirigierens – alla breve (Alois Melichar)
Einer der größten Dirigenten war der Komponist Richard Strauss, der in alten Filmaufnahmen noch zu sehen ist. Er führte das Orchester nahezu ausschließlich über die rechte Hand und realisierte dabei insbesondere im Alla breve Tempomodifikationen und Lautstärkegrade, die ein zwingendes Maß an Verbindlichkeit aufwiesen. Mein Berliner Lehrer, der noch unter Strauss musizieren durfte, schwärmte mir oft über die absolute rhythmische Verlässlichkeit und musikalische Lesbarkeit seiner Dirigierkunst vor.
Auch heutzutage gibt es noch wirkliche Dirigenten, die auch großen Weltorchestern ihre Intentionen deutlich machen können und sich nicht nur an das Orchester »dranhängen«. Mariss Jansons oder Daniel Barenboim sind ebenso zu nennen wie Claudio Abbado oder Wolfgang Sawallisch. Wir erleben gegenwärtig in Dresden mit Christian Thielemann musikalische Sternstunden vor allem mit Werken von Brahms oder Wagner, die das Publikum live in der digital »verseuchten« Medienmusik so nicht mehr für möglich gehalten hätte.
Der erste Mensch? – Ich!
Was zeichnet diese und andere Dirigenten aus? Zunächst eine überdurchschnittliche Musikalität. Dann ein überragendes Formbewusstsein gepaart mit umfassenden Kenntnissen der instrumentalen Möglichkeiten. Sie verlangen von den Musikern zum Beispiel dynamische Abstufungen, die das Musizieren sehr unbequem machen können. Thielemann, aber auch Daniele Gatti erzielen bei Wagner ein atemberaubendes, blutvolles Pianissimo, das den Musikern den kalten Schweiß auf die Stirn treibt und das Publikum in atemlose Bewunderung versetzt.
Erfahrungsgemäß wollen Orchestermusiker möglichst »in Ruhe« gelassen werden. Deshalb müssen große Klangmagier glänzende Psychologen sein und darüber hinaus über einen gewissen »künstlerischen Despotismus« verfügen. Sergiu Celibidache war ein solcher Dirigent! Diese Meister werden allerdings gern von halbwissenden, überheblichen Instrumentalisten als Vertreter einer »Old School« abgetan, da man in Zeiten unreflektierter individualistischer Autonomie glaubt, selbst alles lösen und leisten zu können.