Der erste Beitrag der Serie drehte sich um das Geschehen vor dem Mikrofon – im zweiten geht es ans Pult. Bei meinen Workshops predige ich immer wieder, dass der “Gain”, beim Pult der erste Regler des Kanalzugs, der wichtigste Parameter überhaupt ist. Aber was ist der “Gain” und wie wird er richtig eingestellt? Eines vorweg: Es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern unterschiedliche Herangehensweisen. Jeder muss den für sich passenden Weg finden.
Das Audiosignal kommt ins Pult, in unserem Fall meist mono über einen XLR-Stecker. Wenn ich hier von »Pult« spreche, schließe ich auch alle digitalen Stageboxen mit ein. Meist wird die Spannung dieses Signals im Bereich weniger Millivolt liegen und von einem Mikrofon kommen. Hinter dem XLR-Eingang befindet sich ein analoger Vorverstärker, der diese Spannung in einen Spannungsbereich anhebt, der vom Pult verarbeitet werden kann. Im Analogpult läuft dieses Signal dann direkt durch den Kanalzug, wird dort verarbeitet und landet dann zusammen mit den Signalen der anderen Kanäle auf (mindestens) einem Bus. Dieser Bus wird dann – wieder verstärkt und bearbeitet – über einen Ausgang wieder ausgegeben. Im Digitalpult wird das Signal nach dem Vorverstärker direkt in ein digitales Signal umgewandelt, vom Rechner verarbeitet und zum Schluss wieder in ein analoges Signal umgewandelt und ausgegeben.
Der Gain-Regler jedes Eingangs legt fest, ob mehr oder weniger Signal im Pult landet. Ein “heißes” Signal, beispielsweise eines Clipmikros an der Trompete, muss weniger verstärkt werden als ein leises Signal, etwa vom Mikro einer weit entfernten Flöte. Auch die Art des Mikrofons spielt eine Rolle. Kondensatormikrofone liefern höhere Pegel, weil bereits im Mikrofon ein Vorverstärker eingebaut ist. Im übertragenen Sinne ist der Gain-Regler also ein Hahn, mit dem sichergestellt wird, dass aus allen Kanälen, egal wie hoch der Wasserdruck am Eingang ist, ähnlich viel oder zumindest jeweils eine passende Menge Wasser läuft.
Laute Signale
Technisch hat ein Gain-Regler meist einen Regelweg von 40 bis 60 dB und wird noch durch Abschwächer-Schalter ergänzt (Pad / -20 dB), um sehr laute Eingangssignale abdämpfen zu können. Laute Signale in diesem Zusammenhang sind die von direkt abgenommenen elektronischen Instrumenten oder Geräten (Keyboards, Line-Outs von Bassverstärkern, Smartphones usw.). Diese Signale liegen im Pegel bei einigen hundert Millivolt bis Volt und werden als Line-Level-Signale bezeichnet.
Mit dem Gain-Regler bringen wir also alle Signale auf ein ähnliches Niveau und in einen “sauberen” Bereich. Im Hinterkopf haben wir hier wieder die S/N-Problematik vom vorherigen Artikel, hier sogar im wirklichen Sinne. Wir müssen ein Signal aus dem Rauschen des Pults heben. Starke Signale schwächen wir so ab, dass das Pult nicht (nennenswert) verzerrt. Außerdem wird durch den “Gain” beeinflusst, in welchem Bereich letztendlich der Fader steht, also der Schieberegler, mit dem die eigentliche Mischung durchgeführt wird.
Der “Wie-früher-im-Studio”-Weg
Auf dem Weg durch das Pult und diverse Geräte verschlechtert sich der Signal-Rausch-Abstand, weil jede dieser Stufen prinzipbedingt rauscht. Das heißt, am Ausgang ist das Rauschen im Verhältnis höher als am Eingang. Die schlaue Technikerin bzw. der schlaue Techniker hebt also an erster Stelle, am Gain-Regler, jedes Signal so hoch wie möglich an. Der erste Vorverstärker, der vom Gain-Regler gesteuert wird, ist »der beste und teuerste« der ganzen Signalkette, rauscht also am wenigsten. Es kann so hoch ausgesteuert werden, dass es auf dem Weg durchs Pult beim lautesten angenommenen Signal am Eingang zu kaum hörbaren Verzerrungen kommt, also bis kurz vor der »roten Leuchte«.
Wie stark das Signal ist, kann am Pult an einem VU-Meter, also Signalstärkemessgerät oder Aussteuerungsanzeige, abgelesen werden. Manche Pulte haben je Kanal nur eine rote LED, die Verzerrung anzeigt, manche eine zweite grüne, bei den meisten kann man mittels PFL (pre fade listen) den Kanal im Kopfhörer vorhören und das Signal auf einer größeren LED-Kette optisch begutachten. Digitalpulte haben Aussteuerungsanzeigen je Kanal, eine Meterbridge (Übersicht über die Aussteuerung aller Kanäle), mehrfarbige LEDs oder eine Kombination. Allgemein: “Dauerrot” ist zu viel.
Sind alle Signale so gepegelt, schiebt man die Kanalfader hoch und versucht so, die Kanäle ins richtige Verhältnis zu bringen. Als Ergebnis hat man das höchstmögliche Signal je Kanal und technisch so das niedrigste S/N. Die Fader stehen für eine gleichmäßige Mischung alle unterschiedlich. Da es dabei auch Fader gibt, die sehr niedrig stehen, ist ein »feinfühliger Eingriff« nicht leicht möglich, da wenige Millimeter Fader einen großen Pegelunterschied ausmachen. Im unteren Bereich macht der Fader je Millimeter Weg viel mehr Verstärkung.
Der “Heute-ist-die-Technik-ja-viel-besser”-Weg
Die zweite anzustrebende Möglichkeit ist, einen richtigen Mix zu erreichen, wenn alle Fader auf gleicher Höhe sind – als Standard gilt die 0-dB-Marke. Der Mix wird hier also mit dem Gain-Regler gemacht. Man verzichtet auf die letzten dB S/N, hat aber ein aufgeräumtes Faderbild. Trotzdem sollten alle »Gains« so stehen, dass das Signal in einem verarbeitbaren Bereich ist und nicht zum Schluss noch mal alles angehoben werden muss oder alles übersteuert. Letztendlich werden bei dieser Vorgehensweise “wichtige” Signale auch höher gegained als unwichtigere, bei ansonsten gleichen Umständen. Also Solo-Singende haben im Verhältnis mehr “Gain” als Background-Singende.
Vorteil: Alle Fader gleich bedeutet richtiger Mix und man findet – sollte man doch mal etwas nachschieben müssen – schnell wieder zum alten Mix zurück und alle Fader sind in einem Bereich, in dem fein gemischt werden kann (weil der Pegelunterschied je Millimeter klein und bei allen Kanälen gleich ist). Außerdem passt der pultinterne Pegel auch für alle Monitorwege. Man kann leicht einen Monitormix machen, da auch hier nur alle nötigen Kanäle mit gleicher Reglerstellung auf den jeweiligen Monitor geschickt werden.
Lichtblicke des Monats
- Zitat Mischer- und Musikerkollege Martin “Botze” Bottlinger: “Schimpfe als Band nicht über den Techniker, sorge lieber dafür, dass er gute Signale bekommt.”
- Eine professionelle Moderatorin, die erstens ein “fettes” Signal liefert, ohne laut sprechen zu müssen (Stimmbildung ist sinnvoll) und die eine Diskussionsrunde so führt, dass man als Techniker genau weiß, wer als nächstes sprechen wird.
- Eine professionelle Veranstaltungsplanerin, die sich Gedanken macht, wer in der Diskussionsrunde wo sitzt und dem Techniker vorab ein DIN-A4-Blatt mit aktuellen Bildern der Teilnehmer in die Hand drückt. Das kann dann noch händisch mit den Kanalnummern ergänzt werden, sodass fast nichts mehr schieflaufen kann.
Der “Der-Fader-von-dem-was-im-Mix-vorn-ist, ist-weiter-oben”-Weg
Bei dieser Herangehensweise repräsentiert die Faderstellung die Lautstärke im Mix. Es ist in gewisser Weise ein Kompromiss aus obigen Wegen. Man stellt die Fader so ein, dass sich optisch ein richtiges Bild der Fader ergibt, Fader der Solisten weiter oben, Fader der “Hintergrundsignale” weiter unten. Vorteil ist, dass an der Faderstellung der Mix gelesen werden kann. Der Nachteil ist, dass man unter technischen Gesichtspunkten das schlechteste S/N erhält. Das ist der Weg vieler Kolleginnen und Kollegen, man erkennt an der Stellung der Fader sehr gut das Voicing, also das Verhältnis der Stimmen innerhalb eines Registers.
Der “bemische” Weg
Diesen Weg habe ich nicht erfunden, ich habe ihn mir abgeschaut und angeeignet. Zugute kommt mir dabei, dass ich hauptsächlich Darbietungen mische, bei denen alle Kanäle zumindest ähnlich wichtig sind. Dieser Weg kombiniert die letzten beiden Herangehensweisen.
Mein Ausgangspunkt ist der Fader bei -5 dB. Ich regle alle Signale so laut, dass sich dort ein ausgewogener Mix ergibt. Bin ich dort, ist alles gleich wichtig, aber das Voicing innerhalb der Register ist schon berücksichtigt. Solisten jedoch schiebe ich händisch nach oben. Meist passen 5 dB, der Solofader steht also bei 0. Die Nachteile aller vorherigen Wege sind alle vereint, aber ich gewinne dafür ein absolut stabiles System. Selbst wenn bei jedem Song der Solist wechselt, hinterher bin ich sicher und schnell wieder »zu Hause«. Dieses stabile System geht für mich so weit, dass ich im Notfall auch fast ungehört oder an unmöglicher Stelle im Saal (oder von der Bühne, wenn ich selbst spiele) einen halbwegs brauchbaren Mix erstellen kann und vor allem schnell zum Ziel komme. Alle Mixe, auch die der Monitorwege, sind »gerade«.
Wo der Wohlfühlpunkt ist, muss man für sich selbst herausfinden. Auch gibt es heute fast keine so schlechten Pulte mehr, dass aus technischer Sicht einer der obigen Wege dringend erforderlich wäre. Wo der richtige pultinterne Pegel liegt, ist weiterhin vom Musikstil, der Größe der Veranstaltung (wieviel “Krach” kommt von der Bühne) und vom Pult selbst abhängig. Manche Pulte fühlen sich “kalt” gefahren besser an, manche “heiß”. Als weiterer Vorteil hat sich für mich herausgestellt, dass diese Arbeitsweise trotzdem universell für alle Veranstaltungsgrößen funktioniert.
Top “Fails” des Monats
- Das Pult steht an einer Stelle, an dem die PA nicht mehr ankommt (viel zu schlechtes S/N – mehr Publikumslärm als Darbietung). Gern genommen: in großen Venues »gaaaanz« hinten außen. Dito, nur ohne Publikum, dafür kommt da die PA gar nicht hin: das Pult steht im Eck hinter der Bühne. Es gibt überhaupt keinen FOH. Gut, wenn man für sich ein »stabiles System«, eine gute Gainstruktur gefunden hat.
- Die PA ist total unausgewogen. Eine DJ-Anlage für Blasmusik. Viel zu viel Bass und zischelnde Höhen und viel zu wenig warme Mitten (zu kleine Tops).
- Es gibt eine tolle Lichtanlage, aber der Lichtkollege hat kein Gespür für die Musik und die Musizierenden können ihre Noten nicht lesen, weil das Licht von oben vergessen wurde. Nur weil eine Lichtanlage 65 000 Farben kann, muss man die noch lange nicht nutzen, vor allem nicht gleichzeitig und immer.
- Das mir übergebene Pult hat interne Routing-Fehler, interne Rückkopplung. Tritt im ungeschicktesten Moment beim ersten Gesangstitel auf, führt zu Totalabbruch und man braucht gute Nerven und schnell die passende Idee, wo der Fehler liegen könnte.
- Irgendjemand verändert das System, ohne vorher Bescheid zu geben. Krassester Fall: Der lokale Ausrüster greift per WLAN ins Pult ein, nur um zu beweisen, dass er technisch versiert ist. Welchen (musikalischen) Blödsinn und welchen Stress er damit verursacht hat, hat er leider nicht verstanden.