Orchestra | Von Jürgen K. Groh

Der gelungene Vortrag. Üben üben!

Auftrittsort Üben Vortrag

Die turbulente Umgebung eines Auftrittsortes kann einen Vortrag gründlich misslingen lassen! Aber was können Musikerinnen und Musiker dagegen tun? Das ist das Thema des 14. Beitrags von “Üben üben!”. Die Serie befasst sich mit der Gestaltung bzw. Planung des Übens. Zu Beginn des Artikels steht der Grundgedanke, es folgen ­nähere Er­läu­terungen dazu. Selbst beim schnellem Überfliegen wird die Kernaussage erfasst. 

Zum öffentlichen Vorspiel in der Musikschule, dem Verein oder im privaten Bereich wählt man wohl meistens nicht das Musikstück, das nur mit höchster Konzentration und unter optimalen Bedingungen gelingt, sondern eher eine gleichsam unverkrampft zu spielende Komposition.

Denn wohlwissend, dass der gelungene Vortrag eines musikalischen Werks in der Abgeschiedenheit und mönchischen Einsamkeit einer privaten Übezelle perfekt gelingen mag, kann es in der viel turbulenteren Umgebung eines Auf­trittsortes zu ei­ner Art von nervlicher Überlastung kommen und die Aufführung des Werks gründlich misslingen: direkter Blickkontakt zu einem höchst erwartungsvollen Publikum, ein striktes Zeitmanagement während der Veran­staltung und eventuelle klimatische Besonderheiten.

Aber wie kann man sich auf eine solche Live-­Situation vorbereiten?

Lösungsidee 1: Den “Auftrittsort” nachbauen und dann dort üben

Man kann sich zum Beispiel seinen “Auftrittsort” nachbauen. So haben es etwa die südkoreanischen Bogenschützen in ihrem Heimatland vor den diesjährigen olympischen Sommerspielen getan. Alles entlang der 70 Meter zwischen Schusslinie und Zielscheibe war wie später in ­Tokio: die Position der TV-Kameras, die Banner der Veranstalter, dazu das simulierte Klicken der Fotoapparate und unvorhersehbare Luftbedingungen durch Windmaschinen.

Aber wer kann sich schon einfach einen Konzertsaal nachbauen?

Lösungsidee 2: Mehr Aufführungssicherheit durch bewusste Verkomplizierung beim Üben

Um Aufführungssicherheit zu erlangen, besteht auch die Möglichkeit, das Musikstück komplizierter und vielschichtiger zu gestalten, als es dann in der Live-Situation beim Vortrag aufgeführt werden wird. Möglichkeiten dazu wären zum Beispiel das Werk in so viele Gewänder wie möglich zu kleiden und Herausforderungen an der Schwelle dessen zu konstruieren, was gerade noch zu schaffen ist, wie:

a) Tempovariationen (übertrieben langsam, übertrieben schnell, mit übermäßigem Ritardando oder Accelerando etc.)

b) Dynamikvariationen (deutlich übertriebenes Piano und Forte, heftig gesteigerte Akzente etc.)

c) Klangfarbenvariationen (übermäßig rau und unbeherrscht bzw. extrem romantisch etc.)

d) “Ablenkung” künstlich aufbauen, beispielsweise Freunde zum Zuhören einladen, Venti­lator einschalten etc.

Übertreiben Sie also ganz bewusst verschiedene musikalische Parameter und erinnern bzw. durchdenken Sie dabei das vom englischen Dichter, Mystiker und Maler William Blake (1757 bis 1827) überlieferte Zitat: “Man weiß nicht, was genug ist, bevor man weiß, was mehr als genug ist.”

Der Autor Jürgen K. Groh ist Master of Arts, Dirigent, Moderator und Vizepräsident der WASBE Sektion Deutschland. Er ist unter der E-Mail Adresse juergenkgroh@brawoo.de zu erreichen.