Brass, Wood | Von Klaus Härtel

Der Growl: Bläserklang mit animalischer Note

Entlockte Sidney Bechet seinem Sopransaxofon »knurrende« Töne, nannte er das »Goola« – so hieß nämlich sein Hund. Der Growl gibt dem Bläserklang eine wilde, animalische Note.

Der Einsatz der Stimme

Der Motor brummt, der Hund knurrt, der Sänger growlt. Wenn Bessie Smith, eine der großen Blues-Sängerinnen der 1920er Jahre, ihre Stimme rau machte, dann hatte das etwas von einer aggressiven erotischen Verführung. Der Bläser, der sie begleitete, antwortete dann mit einem entsprechenden »Growl« auf dem Instrument.

Erzeugt wird der Growl, indem man zum geblasenen Ton noch einen zweiten Ton dazusingt – am besten im Quintabstand, sagen die Saxofonisten. Die Trompeter empfinden das oft gar nicht als Singen, sondern als Summen, da sie ihre Lippen beim Blasen ja beinahe geschlossen halten. Oder sie bevorzugen überhaupt das »rollende R«, die sogenannte Flatterzunge.

Neuerdings ist »Growling« auch im Death Metal populär geworden. Dort knurren die Sänger gerne so tief und rau, als wären sie Dämonen aus der Unterwelt.

Growling im Ellington-Orchester

Bubber Miley (1903 bis 1932) hat das Growlen auf dem Kornett berühmt gemacht. Neben dem geraden Dämpfer verwendete er den Plunger-Dämpfer – die Gummi-Saugglocke eines Abflussstampfers oder »Pümpels« – und ergänzte die dabei erzielten Wah-Wah-Effekte mit knurrigem Growl. Das klingt kreatürlich, wenn auch mehr nach Tier als nach Mensch.

»Bubber growlte immer den ganzen Abend lang«, erzählt Duke Ellington. »Da beschlossen wir, die ›sweet music‹ einfach zu vergessen.« Es war der Beginn des wilden Jungle-Sounds, mit dem das Ellington-Orchester den Cotton Club der Harlem-Gangster rockte. Da fauchten und stöhnten die Growls über afrikanisch anmutenden Trommelrhythmen.

Diese schwül brütenden, langsamen Mood-Stücke im Stil eines Blues oder Trauermarschs hießen »East St. Louis Toodle-Oo«, »The Mooche«, »The Black and Tan Fantasy«, »Creole Love Call« – oder ganz direkt »Jungle Nights in Harlem«. Joe Nanton übertrug Mileys Spieltechniken auf die Posaune und verdiente sich damit den Ehrennamen »Tricky Sam«.

Auch in späteren Jahrzehnten hatte Ellington immer Growl- und Wah-Wah-Spezialisten in der Band, z. B. Ray Nance, Cootie Williams und Quentin »Butter« Jackson.

Growling auf dem Saxofon

Im frühen Rhythm & Blues machte das Growling dann bei den Saxofonisten Karriere. Louis Jordan, der »Vater« des R&B, würzte seine Jive-Songs gerne mit einem growlig schnarrenden Altsaxofon. Der Einsatz der Stimme, der die Saxofontöne so richtig »schreien« lässt, gehörte bald schon zur Basis-Grammatik der zügellosen Saxofon-Honker. Berühmte Aufnahmen sind Earl Bostics »Harlem Nocturne«, Illinois Jacquets »Flying Home« oder Jimmy Forrests »Night Train«.

Bei Saxofoneinlagen in Funk und Rock, die in acht Takten zum Höhepunkt kommen müssen, sind Growl-Töne zur expressiven Steigerung noch heute beliebt. Auch in den heißen Jahren des Free Jazz gab es Verwendung für die kreischende Qualität des Growl.

Saxofonisten wie Gato Barbieri und Pharoah Sanders machten den atonalen, lautstarken Stimmeinsatz beim Spielen zu einem ihrer wichtigsten Ausdrucksmittel. Sanders’ Growling auf dem Tenorsaxofon wird gelegentlich als »kreischend« und »bestialisch« beschrieben.

Growling auf der Flöte

Am einfachsten ist der Growl auf der Flöte zu bewerkstelligen. Der »vokalisierte« Flötenklang, der in manchen nicht-klassischen Flötentraditionen zu Hause ist, kam durch Musiker wie Rahsaan Roland Kirk auch in den Jazz. Kirks Album »I talk to the Spirits« fiel 1967 dem englischen Musiker Ian Anderson in die Hände und bestärkte ihn in der Absicht, die Flöte als Rock-Instrument durchzusetzen.

»Kirk sang und scattete durch seine Flöte hindurch. Das gab diesem kultivierten klassischen Instrument etwas Rohes und Humanes. Es brachte die Erdigkeit zurück, diese raue, subversive Qualität.« Nachdem Ian Anderson die growlende Querflöte bei der Band Jethro Tull etabliert hatte, tauchten Flöten bald in zahlreichen Rockgruppen auf.