Orchestra | Von Klaus Härtel

Der Komponist Marco Pütz und das Thema Naturschutz

Nachhaltigkeit

Schon 1987 stand Marco Pütz vor den Toren des Kernkraftwerks Cattenom, um gegen Atomkraft zu demonstrieren. Das hatte damals gute Gründe: Ein Jahr zuvor erst war das Kernkraftwerk Tschernobyl “in die Luft geflogen”. Auf die Straße geht Marco Pütz nicht mehr so oft – er macht vielmehr musikalisch auf Missstände aufmerksam. Der Natur­schutz nimmt dabei eine nicht un­er­hebliche Rolle ein. 

Herr Pütz, 2009 wurde “Four Earth Songs” für Solo-Sopran und Blasorchester urauf­geführt, 2011 folgte die reine Blasorchesterversion. Erzählen Sie doch einmal kurz, wie das Werk entstanden ist, was war der Anlass dafür? 

Die Enstehung des Werks geht zurück auf das Jahr 2008. Damals plante das Frysk Fanfare Orkest mit seinem Dirigenten Jouke Hoekstra – mit dem ich seit 2001 gut befreundet bin – seine Teilnahme an der WASBE-Konferenz in Cincin­nati. Ich wollte ein Werk für Solo-Gesang und Fanfare-Orchester schreiben (also Saxhörner, Saxofone, Hörner, Posaunen, Trompeten und Schlagwerk).

Da mich das Thema “profitgier­gesteuerte Zerstörung der Natur” seit jeher umtreibt, stand diese Thematik auch für das Stück recht bald fest. Im Internet suchte ich nach entsprechenden englischen Texten – wegen der Uraufführung in den USA – und wurde fündig bei Graeme King, einem australischen Dichter und Aussteiger, der damals in der Nähe von Auckland in einem Mobile Home im Urwald lebte. Ich suchte mir vier Texte aus, erbat mir die Erlaubnis des Urhebers, die Texte für meine Komposition benutzen zu dürfen und schrieb das 26-Minuten-Stück in rund drei Monaten. Es gab damals ei­nige Vorkonzerte in den Niederlanden und in Luxem­burg, bevor wir dann alle gemeinsam die Reise nach Cincinnati antraten. Dort fand dann am 7. Juli 2009 im Corbett-Center die offizielle Uraufführung statt. Solistin war Janny Zomer aus den Niederlanden.

Welche Aspekte spielten inhaltlich eine ­Rolle?

An erster Stelle stand natürlich mein musikalischer Kampf gegen die Ausbeutung unseres Plane­ten durch profitgierige Großkonzerne – Rodung der Urwälder, Fracking, Überfischung sowie Verschmutzung der Ozeane und so weiter. Weil ein Kampf mit beziehungsweise durch Musik aber auch immer ein Kampf mit stumpfen Waffen ist, mag ich es, meine Musik hin und wieder mit einer gewissen Portion Sarkasmus zu unterlegen, um auf diese Art und Weise vielleicht noch ein wenig mehr Ausdruckskraft zu erlangen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich die Welt, so wie sie ist, durch meine Musik nicht ändern kann. Gemessen an der großen Zahl von positiven Reaktionen über all die Jahre darf ich aber doch sagen, dass meine Musik – besser: ein Teil meiner Musik – mit ihren Themen die Zuhörenden bewegt und zum Denken anregt. Mehr kann ich nicht erwarten – aber immerhin…

Mit welchen Klangfarben, Effekten und musikalischen Stilmitteln vermitteln Sie, Herr Pütz Ihre Botschaft?

Bei mir gilt die Maxime: Wenn ich schon Musik nach Texten schreibe, dann halte ich mich auch sehr genau an den Text und versuche wirklich, das Gelesene Zeile um Zeile in Musik um­zusetzen. Und dazu gibt es eben mehrere Möglichkeiten.

Mit den Klangfarben versuche ich, mit möglichst treffenden Klängen die Aussage des Textes zu untermalen. Effekte sind ein probates Mittel, um Klänge noch deutlicher zu zeichnen und um bestimmte dichterische Akzente noch genauer zu markieren, manchmal punktgenau. Dabei muss man allerdings aufpassen, sich nicht in Klischees zu verirren. Das Angebot an Effekten ist hier so groß wie die Gefahr, in die Klischeefalle zu tappen. Ich setze da lieber einzelne “Stiche”, konzentriere mich aber im Wesentlichen auf die allgemeine Atmosphäre, die eben zu einem bestimmten Text passt.

Bei rein orchestraler Musik fällt das Parameter Stimme (Text) natürlich weg und muss durch Melodik, Harmonik, Orchestration (Dramatik) aufgefangen werden, eine Herausforderung, die ich sehr spannend finde und der ich mich gerne stelle.

Neben den “Four Earth Songs” machen Sie mit Ihren Werken immer wieder auf Missstände aufmerksam. Sie protestieren gegen Atomkraft, Umweltzerstörung, von Menschen gemachte Katastrophen. Warum liegt es Ihnen am Herzen, dies zu tun?

Um es mal vorwegzusagen: Meine Proteste sind nicht rein politischer Natur. Sie sind das Ergebnis meiner durch Lebenserfahrung und Lektüre entstandenen persönlichen Überzeugung. Ich ge­höre keiner politischen Partei an, habe nie ein Parteibuch besessen. Im Gegenteil: Der Fakt, dass gerade in letzter Zeit nicht mehr nur die dafür bekannten Parteien, sondern fast jede politische Partei die Rettung der Umwelt für sich zu entdecken scheint, löst in mir keinesfalls Beruhigung aus, sondern bestärkt mich eher in meiner Überzeugung, dass in dieser Hinsicht nicht viel passieren wird. Eben weil Politik auch immer wieder umweltunfreundliche Lobbys hofieren muss, um an Gelder und Wählerstimmen zu kommen. 

Marco Pütz

Hörbar 


Alle beschriebenen Werke (außer “Of Fear and quiet Hope”) können über die Website des Komponisten Marco Pütz gehört werden. Dort gibt es Links zu YouTube sowie über SoundCloud-Streams. 

www.marcopuetz.lu

Unter www.brawoo.de/puetz finden Sie weitere Werkbesprechungen, Notenbeispiele und ein Porträt über Marco Pütz.

Daher glaube ich auch nicht daran, dass es in ­absehbarer Zeit den Großkonzernen – also den Großverschmutzern – politisch an den Kragen gehen wird. Hier vergreift man sich viel lieber am kleinen Bürger, der auch noch gerne mitmacht, aber global gesehen doch nicht sehr viel ändern kann. Deshalb darf ich sagen, dass meine Proteste (hoffentlich!) ehrliche Proteste sind, die sich nicht nach Verboten und unbezahlbaren Rettungshysterien richten, sondern an den ge­sunden Menschenverstand appellieren und die Menschen zum Denken bzw. Umdenken be­wegen sollen. Das ist es, was mir prioritär am Herzen liegt. Mehr erwarte ich mir von meinen musikalischen Beiträgen nicht.

Aber was ist Ihre Forderung an “die Menschen”? Was kann und was sollte jede und jeder Einzelne tun?

Es steht mir nicht zu, etwas zu fordern. Wenn man fordert, muss man auch strafen, wenn den Forderungen nicht Folge geleistet wird. Das wäre etwa bei Großverschmutzern die Aufgabe der Politik. Das steht mir als Privatperson nicht zu. Ich möchte mit Musik darauf aufmerksam machen, dass es Zeit ist, etwas zu ändern, sei es in unserem täglichen Verhalten oder aber auch in unserer Mentalität, in unserer Sicht auf die ­Dinge. Jede und jeder sollte das tun, was sie oder er persönlich zu leisten imstande ist, aber man sollte es aus Überzeugung tun. Musik kann da vielleicht einen zusätzlichen emotionalen Schub in diese Richtung geben, Emotionen, die es ja sonst in Sonntagsreden oder Pressetexten kaum gibt.

1990 bereits erschien Ihr Werk “Prae Monitio”. Was würden Sie sagen: Hat sich in den letzten 30 Jahren in Sachen Nachhaltigkeit etwas getan? Hat der Mensch gelernt? Oder ist der Mensch nicht mehr zu retten?

Ob der Mensch noch zu retten ist, wird die Zukunft zeigen. Ich habe keine Glaskugel zu Hause und alle Glaskugelleser sind mir per se suspekt. Wenn ich bedenke, dass die berühmte Rede Chief Seattles an den amerikanischen Präsidenten Franklin Pierce – die ich auszugsweise in “Prae Monitio” vertont habe – aus dem Jahre 1855 stammt, also vor nunmehr 166 Jahren gehalten wurde, kann ich mir schwer vorstellen, dass der Mensch jetzt auf einmal in 20, 30 Jahren lernen soll, was er in den vergangenen 166 Jahren versäumt hat zu lernen – nämlich dass der Mensch nur als Gast auf dieser Erde ist und eigentlich dazu verdammt sein müsste, die Erde mindestens in dem Zustand zu verlassen, indem sie war, als er sie betreten hat. Das war in groben Zügen die weise Message von Chief Seattle…

Es ist aber auch eine politische Illusion, zu glauben, man könne die Welt jetzt mit einem Hagelsturm an Verboten bis 2050 retten. Dazu müsste man den gesamten Lebensstil der jetzigen Weltbevölkerung zu drastisch ändern. Meines Erachtens muss man den goldenen Mittelweg wählen, also versuchen, mit machbaren Regulierungen, Innovation und Forschung, Einsparungen, Aufklärung usw. versuchen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Mit unbezahlbaren Verboten wird das nichts.

Im März 2022 wird “Of Fear and quiet Hope” in Luxemburg uraufgeführt. Sind die Ängste unserer Zeit die gleichen geblieben? Und was veranlasst Sie, Herr Pütz, immer noch “leise Hoffnung” zu haben?

Auf diese Uraufführung am 12. März in unserer akustisch perfekten Philharmonie freue ich mich natürlich riesig. Das Stück “Of Fear and quiet Hope” habe ich im Sommer 2021 in meinem Wochenendhaus geschrieben, nach vielen längeren Spaziergängen durch die schöne Natur, die es dort in direkter Umgebung noch gibt. 

Ich denke, dass die Ängste, die die Menschen auf ihren Wegen begleiten, sich sehr wohl mit der Zeit ändern – Kriege, Naturkatastrophen, Seuchen… Die einen verschwinden, andere kommen hinzu. Es gibt aber auch eine Anzahl von Ängsten, die es schon immer gab – diese werden auch bleiben. Sie begleiten den Menschen seit Urzeiten: persönliches Unglück, Angst vor Verlust der Angehörigen, vor Leiden, vor dem Tod…

Die “leise Hoffnung” schöpfe ich aus der Freude am Leben, der Musik und dem Glauben an die Vernunft der Menschen. “Die Hoffnung stirbt zuletzt!”. Und meine fünf Kompositionen – “Prae Monitio”, “Meltdown”, “Four Earth Songs“, “Time for Outrage!” und “Of Fear and quiet Hope” – sollen mein musikalischer Beitrag zu dieser Hoffnung sein.