Brass | Von Klaus Härtel

Der Komponist Willi März sucht die Seele der Tuba

Willi Huber
Willi März (Foto: Nela Dorner)

Wir treffen den Komponisten Willi März im Biergarten. Mit Abstand und mit Mundschutz – aber immerhin persönlich. Zwar hat sich seine Arbeitsweise mit Corona nicht wesentlich geändert – Homeoffice ist normal -, doch trotzdem ist der Komponist froh, “mal rauszukommen”. Zumal etwa das Konzert für Tuba, das er für den Musikwettbewerb in Markneukirchen komponiert hat, nicht gespielt werden konnte.

Herr März, im vergangenen Jahr haben sie die “Aubade” für Tuba und Klavier komponiert, eine Auftragskomposition für das Pflichtstück des 55. Internationalen Musikwettbewerbs in Markneukirchen im Fach Tuba. Nun ist dieser Wettbewerb ausgefallen. Ist das das Worst-Case-Szenario für einen Komponisten? 

Nein, das nicht. Denn der Wettbewerb ist nun nach 2022 verschoben worden. Insofern ist auch das Werk “gerettet”. Wäre dem nicht so, dann wäre ich schon traurig gewesen. Allerdings habe ich schon jetzt einen kleinen Gewinn aus der Sache. Ungefähr 70 Wettbewerbsteilnehmer haben dieses Stück schon bei mir bestellt – und sind damit mit mir, meinem Namen und meiner Webseite vertraut. Das ist zwar ein schwacher Trost, aber für mich ist es schön zu wissen, dass es eben in 2022 weiter geht.

Also ist auch hier aufgeschoben nicht aufgehoben. Und bis dahin dürften ja auch noch mehr Tubisten das Werk kennen gelernt haben. Wie ist es dazu gekommen?

Es war eine Auftragskomposition. Der Tubist Siegfried Jung, für den ich auch schon einige Werke geschrieben hatte, hat mich empfohlen. Vom Veranstalter war der Wunsch da, ein anspruchsvolles Werk zu bekommen, das aber eben nicht so schräg ist, dass man es nicht anhören kann. Damit haben sie offene Türen bei mir eingerannt. Man darf die Zuhörer zwar fordern, aber eben nicht überfordern. Es soll Spaß machen zum Zuhören. 

Also soll das Werk nicht nur eine Herausforderung für den Instrumentalisten darstellen, sondern es soll auch das Publikum etwas davon haben? 

Genau, beides. Es soll dem Instrumentalisten die Gelegenheit geben, alles zu zeigen. Und auf der Tuba ist viel möglich. Sie kann ein zartes, lyrisches, fast schon zerbrechliches Instrument sein im piano in der hohen Lage. Da benötigt der Spieler Kraft und Technik. Und auch der Hörer soll seine Freude daran haben. Denn die Tuba ist als Soloinstrument ja noch nicht so etabliert, da geht es auch immer darum, etwas Werbung für das Instrument zu machen. 

Durch Siegfried Jung haben sie viele Impulse bekommen. Aber allein, dass man sich kennt, ist ja noch nicht ausschlaggebend. Was ist denn nun so faszinierend für sie als Nicht-Tubist an der Tuba?

Der Hauptgrund ist tatsächlich Siegfried Jung. Denn bis dato war ich fasziniert von der Harfe. Ich schreibe viel für die Harfe. Nun ist die Harfe aber ein sehr kompliziertes Instrument, was bedeutet, dass man jemanden benötigt, der es einem erklärt. Seit 25 Jahren arbeite ich daher mit einer Harfenistin zusammen. Damals war sie noch Studentin in München. Sie berät und korrigiert mich. Eines Tages hat sie dann an ihrer Arbeitsstelle als Aushilfe den Siegfried Jung kennen gelernt. Die beiden haben bald geheiratet und Johanna sagt dann immer, sie hätte mich in die Ehe eingebracht (lacht). So bin ich zur Tuba gekommen. Die Kombination Harfe Tuba hat mich sehr fasziniert und ich weise auch darauf hin, dass Tuba und Harfe auch in der Partitur direkte Nachbarn sind. 

Siegfried Jung
Willi März (Mitte) mit Siegfried und Johanna Jung (Foto: privat)
Also eine Kombination, die gar nicht so weit hergeholt ist.

Ich lerne immer Neues hinzu, ich liebe die Vielseitigkeit. Was mich manchmal ein wenig traurig stimmt, dass immer nur die Spezialisten nachgefragt werden. In der Welt der Harfe wird die Frage gestellt, wie ich für Harfe schreiben kann, wenn ich doch selbst gar nicht spiele. Wenn ich fürs Blasorchester schreibe, heißt es: “Wie kann man für Blasorchester schreiben, wenn man doch selbst nie ein Blasinstrument gespielt hat?” Ich habe eben einen anderen Zugang. Ich versuche, die Seele der Instrumente zu erfassen. Es ist ja sowieso nahezu unmöglich, dass man alle Instrumente spielt.

Wie ist denn ihr Zugang zu all den Instrumenten?

Mein Zugang zu den Instrumenten, ist wie der eines guten Kabarettisten. Kabarettisten sind gut, wenn sie Politiker nicht nur dümmlich nachahmen, sondern versuchen, den Gestus der Politiker einzufangen, seine Sprache, seine Denkweise usw. Und ich suche den Klang, den Charakter, die Sprache, die Seele der Instrumente. Die meisten Instrumente haben zwei Seiten oder Charaktere. Das Klischee einer Oboe ist immer diese schmerzerfüllte, fast weinerliche, einsame und lyrische Art. Aber sie kann eben auch unheimlich lustig und ordinär klingen. Die Klarinette kann wahnsinnig lustig in der hohen Lage sein, aber in der Tiefe sehr bedrohlich klingen…

Und so ist es auch bei der Tuba? 

Ja, absolut. Für mich war das die neue Erkenntnis das mal neu zu erleben, wie die Tuba im pianissimo in der hohen Lage klingt und man dann merkt, dass das nicht mehr dieses kraftstrotzende Bassinstrument ist. Mit einer vorsichtigen Instrumentierung wirkt sie plötzlich zart. 

Sind diese Werke auch für die Interpreten überraschend?

Es gibt natürlich Musiker, die ganz genau wissen, was ihr Instrument kann. Ich wollte die lyrischen Seiten der Tuba zeigen. Die meisten Tubisten können schnell spielen und können laut spielen. Aber eine schöne Melodie zu gestalten, eine schöne Kantilene, das können wenige. Dort wollte ich mein Augenmerk darauflegen. 

Wird denn die Tuba heute mehr als Soloinstrument wahrgenommen, als noch vor 25 oder 30 Jahren? 

Ich bin mir nicht sicher. Zum einen gibt es den Trend zur Perfektionierung am Instrument, ähnlich wie im Sport. Man braucht immer anspruchsvollere Werke und da gibt es noch einen Mangel. Zum anderen braucht auch der Musikmarkt neue Eindrücke. Letztendlich ist Musik auch immer ein Modeprodukt. Es braucht immer wieder einmal die Erneuerung. 

Dabei geht es ja dann auch darum, was das Publikum hören will, oder?

Ja. Wenn ein Effekt zum Beispiel dem Werk selbst dient, dann ist das wie eine Unterstreichung. Wenn ich aber nur Effekte und Geräusche verlange, dann ist das eine Mogelpackung. Und das spüren die Leute. Grundsätzlich bin ich bekennender Unterhaltungsmusiker. Ich mache etwas, was den Leuten gefällt und was die Menschen glücklich macht. Mein größtes Ziel ist es, dass die Menschen aus dem Konzert kommen und sagen, dass die Komposition durchaus anspruchsvoll war – und trotzdem schön zu hören. 

Kommt es bei Uraufführungen vor, dass sich Stücke ganz anders anhören, als Sie es sich vorgestellt haben?

Es kommt leider viel zu oft vor, dass es nicht richtig vorbereitet wurde. Aber wenn man sich mit dem Werk seriös auseinandersetzt, gibt es eigentlich keine Probleme. Ich versuche immer so zu schreiben, dass es plausibel ist. Und wenn sich der Interpret die Mühe macht und überlegt, wie ich mir das gedacht habe, dann kommt auch das heraus, was ich mir vorgestellt habe. Mein “Divertimento”, einer Komposition für Tuba, Harfe und Orchester wurde mit dem Orchester des Mannheimer Nationaltheaters unter der Leitung von Walter Hilgers eingespielt. Für mich war das ein wunderschönes Erlebnis. Walter Hilgers ist ein unglaublicher Perfektionist. Allein wie er die Partitur vorbereitet, ist unglaublich. Bei der Aufführung dachte mir: ja, er dirigiert es so, als würde ich in seinem Kopf sitzen. Es war perfekt. Und vor allem deshalb, weil er sich die Mühe gemacht hat, es vorher zu studieren. 

Orchester des Nationaltheater Mannheim mit Prof Walter Hilgers (Foto: privat)
Woher kommt ihre Motivation zu schreiben? Woher holen sie sich die Inspiration?

Das sind oft ganz spontane Entscheidungen mit einer Idee. Zum Teil sind es auch Auftragskompositionen. Zurzeit habe ich noch einen Auftrag für eine Harfenistin. Und für Mai 2022 ein Musical in Auftrag für Bern. Völlig unterschiedliche Sachen. Bei den Arrangements ist es oft eine Idee, dass man ein Werk hört und sich denkt: Mensch, das würde für die und die Besetzung passen. Ich habe einmal zufällig im Radio eine Salonpolka für Klavier von Smetana gehört. Unglaublich intelligent und mit diesem böhmischen Schmelz. Da dachte ich mir, das wäre ideal für Holzbläser. Zwei Jahre später hat mich Kilian Herold, Klarinettist in Freiburg, gebeten etwas für ein Abschlusskonzert der Klarinettentage zu schreiben. Und dann habe ich diese Polka für Klarinetten-Septett arrangiert. 

Es sind also oft zufällige Begegnungen musikalischer Art. 

Ich habe mittlerweile eine ganze Schublade oder Datensammlung von Stücken, die ich irgendwann mal für die passende Besetzung arrangieren werde. Es scheitert oft an der Zeit, weil ich ein eher langsamer Arbeiter bin. Und ich mache alles mit der Hand… 

Aber warum? Kann man die Gedanken nicht direkt in den Computer geben?

Nein! Wir sind schlichtweg analoge Menschen! Ich finde es schlimm, dass man sich heutzutage nicht mal mehr die Hand geben kann. Wir gestikulieren mit der Hand, alle Emotionen fließen durch die Hand. Kreative Gedanken müssen durch die Hand fließen. Ich lass mir das nicht nehmen. Ich muss konservativ arbeiten und zum Bleistift greifen. Meine Blätter sehen manchmal aus wie ein Schlachtfeld, spätestens wenn ich das dritte Mal radiert habe. Aber ich muss das Material kneten, ich muss es am Klavier ausprobieren und reinhören. Und dann muss man es einfach mit der Hand notieren. Bei Vielschreibern und auch bei Studenten in Workshops merke ich immer schnell, wenn mit Copy und Paste gearbeitet wird. 

Im vergangenen Jahr war ich in Arizona an eine Universität eingeladen. Und erkläre 20-jährigen einmal, dass sie den Laptop zur Seite legen sollen. Sie schauen Dich an als käme man aus der Steinzeit. Ich habe sie aufgefordert, sich daran zu erinnern, wie aufregend es war, das erste Mal Händchen zu halten. Eigentlich etwas ganz Banales – aber dieses Herzklopfen…! Die Emotionen gehen durch die Hand! Also ich bin Handschreiber aus Überzeugung. 

Liegt da der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk. 

Vielleicht. Wenn ich für ein Salonorchester etwas verkleinere, habe ich auch Erfahrungswerte, wie so etwas funktioniert. Das muss man nur noch einrichten und arrangieren. In der Regel geht das dann schon am PC. Aber wenn es darum geht, dass man ein Schlagermedley mit drei alten Foxtrott-Melodien schreibt, dann ist Kreativität gefragt. Man hat zwar eine Vorgabe, aber dann bin ich wieder beim Papier. 

Thomas Edison hat einmal sinngemäß gesagt, Genie seien 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration… 

Ja, das würde ich unterstreichen. Man muss schon erst einmal das Handwerk beherrschen, weil das das Werkzeug ist, mit dem ich meine Gedanken sortiere. Ich habe da tatsächlich Bedenken, wenn heutzutage alles in Richtung “frei” und “superkreativ” geht. Eine Ausbildung könnte ja hinderlich sein… Die großen Maler aber waren alles große Handwerker. Bevor deren Gemälde entstanden, gab es erst tausend Einzelskizzen. Sie haben es zunächst regelrecht geübt. Ich bin da sehr konservativ.

Werksauswahl:

Tuba:

  • Divertimento für Tuba, Harfe und Orchester /alternativ Windensemble
  • Aubade für Tuba und Klavier (Pflichtstück des Intern. Musikwettbewerb Markneukirchen, verschoben auf 2022)
  • Divertimento für Tuba, Harfe und Orchester /alternativ Windensemble 
  • Suite bavaroise für Tuba und Harfe

Blasorchester:

  • Jasmin-Song, chin trad., arrangiert für Blasorchester
  • Little River, chin. trad, arrangiert für Blasorchester
  • Rachmaninov: Prelude op 23/5, arr für Blasorchester
  • Entrada bavarica, zum Neujahrsempfang des bayr. Ministerpräsidenten 2002

Holzbläseroktett

  •  Franz Schubert: Moments musicaux

Harfe

  • Zahlreiche Bearbeitungen und Kompositionen für Harfenquartett
  • Internationale Volkslieder, arrangiert für gemischten Chor und Harfenquartett

Und sonst

CD “Neue Wege”, Alexander Wurz, Tenorhorn und das Salonorchester Baden-Baden

www.willi-maerz.com