Brass, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Der Mentaltraining-Stammtisch. Noten & Neuronen

Mentaltraining

Das Lexikon weiß: “Mentaltraining wird eine Vielfalt von psychologischen Methoden bezeichnet, die das Ziel verfolgen, die soziale und emotionale Kompetenz, die kognitiven Fähigkeiten, die Belastbarkeit, das Selbstbewusstsein, die mentale Stärke oder das Wohlbefinden zu steigern.” So weit, so vage… Deshalb also herzlich willkommen zu unserem neuen Mentaltraining-Stammtisch! Wir wollen Licht ins Dunkel bringen und aufklären. Gemeinsam werden wir diskutieren und Mythen entlarven – ganz ohne Stammtischweisheiten. 

An unserem Stammtisch sitzen die Experten Mona Köppen, Peter Laib und Leonhard Königseder, die mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung wertvolle Einblicke geben werden und aus unterschiedlichen Winkeln auf die Materie schauen. Seien Sie dabei, wenn wir in die faszinierende Welt des Mentaltrainings eintauchen und praxisnahe Tipps und Techniken vorstellen, die helfen, das volle Potenzial zu entfalten. In jeder Ausgabe wollen wir eine drängende Frage erörtern, zur Diskussion stellen, Tacheles reden – und zwar ganz ohne Stammtischparolen. 

Was ist Mentaltraining? Und was versteht ihr in eurer Arbeit darunter?

Peter Laib

Ganz grundsätzlich ist Mentaltraining eine unfassbar große Chance und Investition für Musikerinnen und Musiker, um das volle musikalische Potenzial auf den Punkt genau abzurufen und langfristig mit viel Freude, Leichtigkeit und Erfolg die Herausforderungen auf und neben der Bühne zu meistern.

Nach dem mentalen Coaching-Ansatz, wie ich ihn in meinem Studium am Mentalcollege Bregenz und an der Universität Salzburg gelehrt bekommen habe, geht es im übergeordneten Sinne beim Mentaltraining darum, durch mentale Interventionen die sogenannte internale Kontrollüberzeugung – die Überzeugung, dass man eine Situation aufgrund des eigenen Verhaltens selbst kontrollieren kann – zu stärken. Wer diese Überzeugung besitzt, kann sich als selbstbestimmt wahrnehmen, in schwierigen Situationen geeignete Problemlösestrategien anwenden und entwickelt mehr Optimismus, Selbstwirksamkeit und Lebenszufriedenheit. In der Praxis setzt man das durch das Anwenden von verschiedenen mentalen Techniken um und arbeitet mit suggestiven, imaginativen und konfrontativen Interventionen.

Der “unsichtbare Werkzeugkoffer”

Mentaltraining bedeutet für mich in meiner Arbeit, dass ich meinen Kunden aus dem Amateur- und Profibereich passende fundierte mentale Tools an die Hand gebe, damit sie ihre individuellen Ziele, wie zum Beispiel ganz allgemein »mehr Leistungsfähigkeit«, »mehr mentale Stärke« oder auch sehr konkret wie zum Beispiel »mehr Leichtigkeit im Konzert« erreichen können. Als Mentalcoach übe ich die dafür ausgewählten Mentaltechniken für die Zielerreichung dann mit den Musikerinnen und Musikern über mehrere Termine ein, sodass sie diese dann selbstständig durchführen können. Danach schaffen wir direkt Routinen und schauen, wie wir die Techniken in den Alltag und in das tägliche musikalische Üben integrieren können.

Dies ist tatsächlich ein sehr wichtiger Punkt, denn mit dem Mentaltraining verhält es sich ähnlich wie mit dem Üben eines Musikinstrumentes: nur wenn man regelmäßig übt … ihr wisst schon. Man könnte sagen, durch Mentaltraining erarbeitet man sich nicht nur für die Musik, sondern kontextübergreifend einen unsichtbaren Werkzeugkoffer mit mentalen Techniken, die man immer zur Verfügung hat, um seine aktuelle Situation positiv zu verändern. So kann man mehr Leistung abrufen, besser performen und dadurch wiederum das Konzertpublikum begeistern.

Mona Köppen 

Mentaltraining ist kein nettes Add-on, sondern sollte eine fundamentale Säule in der musikalischen Ausbildung sein. Mentaltraining bedeutet für mich, die Arbeit an »sich selbst«. Wir sind unser eigenes Instrument und müssen gut auf uns achten, um unsere volle Leistung abrufen zu können. Keiner käme auf die Idee, wissentlich mit einem blockierten Ventil auf die Bühne zu gehen. Doch wenn wir selbst nicht gut beisammen sind – mental/seelisch – dann denken wir, es wird schon irgendwie funktionieren – was es dann oftmals nicht tut.

In meiner Arbeit betone ich die Wichtigkeit eines guten Emotionsmanagements. Musiker sollten verstehen, was Emotionen sind, wie sie sich zeigen und wie man sie reguliert, um in ein »gutes Gefühl« zu kommen. Emotionen haben Funktionen und weisen auf Bedürfnisse hin. Der Emotionsdreiklang umfasst Auslöser, Funktion und Bedürfnis. Beispielsweise signalisiert Angst eine gefährdete Sicherheit und bleibt bestehen, bis das Bedürfnis nach Sicherheit erfüllt ist. Emotionen können funktional oder dysfunktional sein. Objektive Angst vor einem herannahenden Bus ist funktional, da sie überlebenswichtig ist. Dysfunktionale Angst entsteht, wenn sie unbegründet ist, etwa Angst vor Straßen ohne Gefahr. Emotionsregulationstechniken können helfen, dysfunktionale Emotionen in funktionale umzuwandeln. 

Ein weiterer Punkt ist die Stärkung der eigenen individuellen Ressourcen wie zum Beispiel Mut, Sicherheit oder Selbstvertrauen, die besonders in der stressigen Musikerwelt essenziell sind. Ein Aufbau von einem guten Ressourcennetzwerk befähigt mich dann, auf der Bühne eine gute Resilienz zu entwickeln. Auch die Aufmerksamkeit auf Körpersprache und Mimik gehört zum Mentaltraining, da Emotionen sichtbar sind und das Verhalten beeinflussen. 

Nur wenige Musiker fragen sich »Wie geht es mir gerade?« – weder beim Üben noch vor dem Auftritt. Ein mentales Warm-Up ist demnach genauso wichtig wie ein körperliches oder technisches. Die schlechte Nachricht: Mentaltraining ersetzt leider das Üben nicht, schafft aber optimale Voraussetzungen für effektiveres und nachhaltigeres Lernen und Abrufen des Gelernten in stressigen Situationen.

Leonhard Königseder 

Die Gründe, Mentaltraining in Anspruch zu nehmen, sind vielfältig, doch meistens gibt es den Wunsch zur Veränderung. Für mich bedeutet Mentaltraining daher in erster Linie das Analysieren von Abläufen und Mustern sowie deren Veränderung und Optimierung. Es könnte zum Beispiel sein, dass es unerwünschte Gefühle oder Gedanken gibt, die man bearbeiten möchte. Oder aber auch Trainingsabläufe und Überoutinen, die optimiert werden sollen. Für manche Menschen ist es auch einfach das Interesse an den eigenen Funktionsweisen, das sie zum Mentaltraining bringt. 

Im Rahmen einer Betreuung auf Einzel- oder Teamebene analysieren wir daher zum einen innere Abläufe wie zum Beispiel Denkmuster, Emotionen oder auch Reaktionen. Zum anderen schauen wir uns äußere Abläufe an. Wie verhalte ich mich, wie kommuniziere ich? Wie übe ich, wie ist unsere Teamdynamik? Im ersten Schritt fragen wir uns also, was da ist. Erst dann können wir uns im zweiten Schritt überlegen, ob gemeinsam Veränderungen oder Anpassungen erarbeitet werden sollten. 

“Immer positiv sein”

An dieser Stelle ist wichtig zu sagen, dass es nicht darum geht, immer positiv zu sein. Auch nicht, nie negativ sein zu dürfen oder nicht dort hinzuschauen, wo es vielleicht nicht so gut läuft. Alles darf sein! Mit diesem Status Quo, der auch manchmal Überraschungen in sich trägt, Frieden zu schließen ist vielleicht der wichtigste Teil des mentalen Trainings. Falls wir gemeinsam feststellen, eine Veränderung ist gewünscht und könnte Alltag oder Berufsleben positiv beeinflussen, versuchen wir, diese durch Gespräche und einfache Übungen (»Tools«) zu erzielen und ganz wichtig: auf den Alltag zu übertragen. Das ist vielleicht der größte Unterschied zur Psychotherapie.

Im mentalen Training versuchen wir immer mit konkreten Übungen und Werkzeugen zu helfen. Hier ist jedoch Geduld gefordert! Abhängig von den Themen, die von Prüfungsangst, über Lampenfieber, bis hin zu Zeitmanagement reichen können, kann die gewünschte Veränderung einen Tag, manchmal aber auch Monate dauern. Für den Erfolg von mentalem Training erlebe ich bei den Menschen, mit denen ich arbeite, den Willen zur Veränderung sowie eine kräftige Portion Mut als mit am Wichtigsten. Denn auch wenn sich neue Verhaltens- und Denkmuster zu Beginn nicht immer als Teil von dir anfühlen, lohnt es sich, daran festzuhalten!

Haben Sie Fragen an unsere Experten? Allgemein zum Thema Mentaltraining oder auch ganz konkret zu einem Problem? Immer her damit – die Fragen werden natürlich vertraulich behandelt: mental@brawoo.de

Mona Köppen

In ihrer Akademie bildet Mona Köppen schwerpunktmäßig und spezialisiert Musiklehrer zum »Mentaltrainer für Musiker« aus. Im 1:1 Training bereitet sie Musikstudentinnen und -studenten mental auf Probespiele, Prüfungen und Auftritte vor und arbeitet mit ihnen an einer authentischen Wirkung beim Auftritt. Ihre Erfahrung als Metallblasinstrumentenmacherin und Musikerin runden ihr Spektrum für ein tiefes Verständnis über die Bedürfnisse der Musikerinnen und Musiker ab. Sie ist Therapeutin für Psychotherapie. (Foto: Eilert Akademie)

www.ichbinmusik-akademie.de

Peter Laib

Mentalcoach (MSc.) für Musikerinnen und Musiker, Diplom-Musiklehrer, Sousafonist bei »Moop Mama« und Tubist bei »Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten – Das Original«. (Foto: Jonas Becker)

www.peterlaib.de

Leonhard Königseder

Leonhard Königseder unterrichtet Schlagwerk und Drumset an der Musikuniversität Graz, sowie Mentaltraining an der Musikuniversität Wien. Er ist Psychologe, Sportpsychologe sowie Dipl. Mentaltrainer und Dipl. Fitnesstrainer. (Foto: Stefan Sukic)

www.leonhard-koenigseder.com