Er ist gerade viel beschäftigt. Vor allem mit der Jazzrausch Bigband, die einerseits gerade ihr Zehnjähriges feiert und andererseits auch im neuen Münchner Kultur-Hotspot Bergson ziemlich fest eingespannt ist. Und genau in dieser Phase erscheint das erste eigene Album des Saxofonisten Moritz Stahl: Traumsequenz heißt es. Wir treffen den Musiker im Bergson vor dem Soundcheck der Jazzrausch Bigband.
So manche Musikerin, so mancher Musiker hat mit Anfang 30 schon so viele Alben aufgenommen, dass man sich bisweilen fragt, was da noch kommen mag. Und es ist nicht so, dass Moritz Stahl noch nie ein Studio von innen gesehen hätte. Ganz im Gegenteil: Auf seiner Website zählt man sage und schreibe 18 Tonträger, auf denen der 33-Jährige mit seinem Saxofon zu hören ist. Angefangen beim BuJazzO, über das Luca Zambito Quartett, Fiona Grond Interspaces, Ark Noir bis hin zur Jazzrausch Bigband.
Moritz Stahl nennt sich selbst einen »Tagträumer, der ziemlich in Gedanken versinken kann. Ich bin schon ein Grübler …« Das ist nichts Negatives. Das ist für einen kreativen Menschen sicherlich nicht das Schlechteste. Ein bisschen nachzudenken, bevor man losschlägt, kann nie wirklich schaden. Aber dass man ihn hier nicht falsch versteht: Er ist durchaus selbstbewusst, selbstsicher und er weiß vor allem, was er kann. Und Saxofon spielen gehört garantiert zu seinen Fähigkeiten – und auf dem aktuellen Album eben diese zahlreichen Gedanken, mal lautstark, mal zurückhaltend – zu Gehör zu bringen.
Träume werden wahr
Mit dem Album »Traumsequenz« wird einer von Moritz Stahls Träumen wahr. Vorne stehen, nicht mehr »nur« Sideman sein, die eigene Musik verbreiten. Schon seit einer geraumen Zeit trug er sich mit dem Gedanken, ein Album aufzunehmen. Nicht nur, weil Menschen aus seinem Umfeld dies forderten, sondern auch, weil er selber merkte, dass die Zeit gekommen war. Er habe damals, mit Mitte 20 schon einmal einen Versuch gestartet, erzählt er. »Da habe ich noch studiert und habe mich sehr an amerikanischen Jazzkünstlern orientiert. Natürlich trage ich die immer noch im Herzen, aber mit Beginn meines Kompositionsstudiums habe ich vermehrt nach meinem eigenen Sound gesucht.« Er habe ein Album herausbringen wollen, hinter dem er 100 Prozent stehe. Die Musik musste »authentisch aus meinem Inneren kommen.« Moritz Stahl macht eine kurze Pause. »Ich glaube, das hab ich jetzt irgendwie hingekriegt.« Er lacht.
Der Saxofonist findet es »wirklich superspannend, auf der Suche zu sein«, zu grübeln eben. Viele Musikerinnen und Musiker haben sich auch nach Jahrzehnten noch immer nicht wirklich gefunden. Der Weg ist ja oft das Ziel. »Ich habe mich jetzt auf einen Weg begeben und ich habe große Lust, diesen weiter zu gehen.« Wo geht eine Tür auf und vor allem: Was befindet sich dahinter? Natürlich ist Moritz Stahl auch bei allen anderen Projekten zu 100 Prozent dabei, aber so ein wirklich eigenes Projekt, auf dem der eigene Name prangt, ist noch einmal etwas anderes. »Diesmal kommen alle 17 Kompositionen von mir, ich leite die Proben, habe Organisatorisches zu tun – ich bin der Bandleader.« Man merkt, dass er diese Rolle genießt, doch trotzdem will er seinen Mitmusikern ihren Freiraum lassen.
Traumsequenz von Moritz Stahl
Mit von der Partie sind auf »Traumsequenz« Philipp Schiepek (Gitarre), Julius Windisch (Klavier), Lorenz Heigenhuber (Bass) und Leif Berger (Schlagzeug). Diese Musiker brachte Moritz Stahl im Sommer 2022 für mehrere Konzerte im Münchner Jazzclub Unterfahrt zusammen. Ohne Probe legte der Saxofonist seinen Mitspielern am ersten Abend das komplexe Material vor, aus dem sich auch das Repertoire des Albums zusammensetzt und der Traum nahm auf der Bühne Kontur an. Obwohl die Aufnahmen dann über ein halbes Jahr später erst stattfanden, dürfen diese Konzerte in der Unterfahrt durchaus als Generalprobe für die Aufnahme gelten. »Die Konzerte haben sehr, sehr viel geholfen, dass wir uns musikalisch und menschlich kennenlernen konnten«, erklärt Moritz Stahl. »Bei so einer Art der Musik, die so frei ist – da muss man sich vertrauen und einfach loslassen können.«
Im Mai 2023 trafen sich die fünf wieder, ohne ein einziges Konzert in der Zwischenzeit, aber Moritz Stahl hatte zwischenzeitlich wieder viel Gedankenarbeit in die Kompositionen gesteckt. An die Magie der Live-Konzerte konnte direkt im Kyberg Studio in München angeknüpft werden. Der Traum von einer sehr persönlichen, aufregenden, anregenden und Horizont erweiternden Musik wurde Wirklichkeit für Moritz Stahl. Dabei beeindruckt »Traumsequenz« durchwegs in klanglicher und gestalterischer Hinsicht.
“Ich hatte ein bisschen Schiss”
»Nach der Aufnahme habe ich das Album erst einmal vier Monate weggelegt, weil ich mir nicht sicher war, wie es geworden ist und auch ein bisschen Schiss hatte.« Moritz Stahl lacht – heute weiß er, dass seine Angst und seine Zweifel unbegründet waren. In den Liner Notes heißt es zutreffend: Moritz Stahls »Tenorsaxofonton ist präsent, aber nie dominant. Niemals ist der Saxofonist oder ein anderer Beteiligter auf Wirkung bedacht, die Musik entwickelt in rhythmischer und harmonischer Hinsicht einen leidenschaftlichen Sog. In jeder Note spürt man die Erfahrung dieser zwar noch jungen, aber trotzdem immens ausdrucksstarken Improvisatoren. Das ist kein überhastetes Erstlingswerk eines emporrasenden Talents, das ist durchdachte und ausgefeilte Musik eines Musikers.«
Wie arbeitet der Komponist Moritz Stahl?
Und wie arbeitet der Komponist Moritz Stahl? Inspiration oder Transpiration? Beides, gibt er zu. »Ich habe hier relativ kurzfristig geschrieben. Ich kann gut unter einem gewissen Druck arbeiten, gleichzeitig braucht man aber auch Freiraum und Zeit, um sich wirklich in so ein Mindset zu begeben, um äußere Einflüsse ausschalten zu können und wirklich zu hören: Was ist gerade in meinem Kopf?« Moritz Stahl nimmt sich für die Zukunft vor, regelmäßig zu schreiben, konstanter.
Seine Inspiration zieht er aus Büchern oder Filmen – oder schlichtweg aus seinen Gedanken. Der Weltschmerz spielt eine Rolle »und auch das Weltgeschehen kann ich als Künstler nicht außen vorlassen. Selbst wenn da nichts konkret im Titel auftaucht oder konzeptionell erscheint, ist Musik immer auch ein Zeitdokument und spiegelt die Zeit, in der man lebt, wider.« Mit »Traumsequenz« erschafft Moritz Stahl Welten und Räume, die eine gewisse Stimmung haben. Man ist – auch als Hörer – in einer Welt und kann etwas anderes damit assoziieren.
Die Karriere von Moritz Stahl startete übrigens mit der Blockflöte, bevor er dann in der Stadtkapelle Bobingen das Saxofon erlernte. Vom Sinfonischen Blasorchester gings in die Bigband – »da spielten die ›Coolen‹ des Musikvereins«. Er lacht. Vor etwa 15 Jahren war dem Saxofonisten klar, dass er nach dem Fachabi die Musikerlaufbahn einschlagen wollte. Langfristig planen könne man solch eine Karriere zwar nicht, weiß Moritz Stahl, doch »ich möchte, dass ich in 15 Jahren immer noch super offen bin für das, was passiert. Ich möchte als Komponist und als Saxofonist wachsen, möchte selbstkritisch in einer gesünderen Art sein. Und ich hoffe, dass ich mich mit dem Album ein bisschen auch befreit habe. Ich möchte auch in 15 Jahren ein Suchender bleiben und mir meine Neugier behalten.« Da ist er wieder, der Grübler und Tagträumer…