Brass | Von Hans-jürgen Schaal

Der Trompetenflüsterer: Zum 90. Geburtstag von Chet Baker

Er war einer der größten Stars des Cool Jazz – das kalifornische Pendant zu Miles Davis. Doch die Karriere des Trompeters Chet Baker kannte nicht nur Sternstunden.

Ein verstecktes Talent

Seine Begabung war anfangs nicht leicht zu erkennen. Der 22-jährige Chesney Baker wirkte an der Trompete unsicher, seine Technik wackelte, beim Improvisieren kriegte er kaum einmal einen fehlerlosen Chorus hin. Als Teenager hatte er einen oberen Schneidezahn verloren – deshalb musste er auf hohe und laute Trompetentöne ganz verzichten.

Baker schien nur ein paar vorsichtige, leise, tiefe Klänge hervorzubringen, nichts Nennenswertes, weit entfernt von Virtuosität. Noten lesen konnte er übrigens auch nicht und wusste kaum, in welcher Tonart er sich gerade befand.

Doch als der Bebop-Star Charlie Parker (Altsaxofon) 1952 in Los Angeles einen Trompeter suchte, entschied er sich ausgerechnet für diesen unscheinbaren Newcomer Chet Baker. Bei seiner Rückkehr nach New York sagte Parker zu Dizzy Gillespie und Miles Davis, den führenden Bop-Trompetern der Ostküste: »Nehmt euch in Acht, da gibt es einen jungen Weißen an der Westküste, der wird euch an die Wand blasen.«

Chet Baker machte aus der Not eine Tugend und kultivierte das ruhige, tiefe Spiel auf der Trompete. Was ihm an Dynamik und Kraft fehlte, ersetzte er durch romantisches Gefühl und melodische Fantasie.

Bach und Dixieland: Die Geburt des Westcoast-Jazz

Der Cool-Jazz-Pionier Gerry Mulligan (Baritonsaxofon) spürte – wie Charlie Parker – dieses besondere Talent des jungen Trompeters und holte Baker in seine Live-Band. Als im Jazzclub »The Haig« in Los Angeles einmal kein Klavier zur Verfügung stand, erfand Mulligan 1952 eine besondere Spielstrategie für sich und Baker: Die beiden Bläser begleiteten einander mit Pedaltönen oder Ostinato-Figuren, improvisierten simultan oder umspielten einander kontrapunktisch.

Jazzkritiker sprachen von einer Mischung aus »Bach und Dixieland«. Mit der kühlen Polyphonie des Mulligan-Baker-Quartetts war der Sound des Westcoast-Jazz geboren. Die Auftritte dieser Band wurden Kult, selbst Hollywood-Stars standen vor dem Club Schlange, und der sanfte Nachwuchsbläser Chet Baker eroberte die Trompeter-Polls.

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