Drei umjubelte und ausverkaufte Konzerte fanden Anfang Juni im Bregenzer Festspielhaus statt. Gegeben wurde die Blasmusikshow “Zirkus Luft-i-Kuss”. Aus dem Vorarlberger Blasmusikverband hat sich ein Blasorchester zusammengefunden, das in einem szenischen Konzert die vielfältige Farbenpracht eines Zirkus präsentiert. Was es damit genau auf sich hat, erzählt uns Komponist und Dirigent Martin Schelling
Martin Schelling, was war eigentlich der Anlass der Blasmusikshow “Zirkus Luft-i-Kuss”?
Die Anlässe waren einerseits Corona und andererseits das 30-jährige Bestandsjubiläum der Jugendkapelle Lauterach, die ich ebenso lange leite und mit der ich beim österreichischen Bundeswettbewerb bereits einen zweiten und einen vierten Platz erreichen konnte. Unseren Nachwuchs rekrutieren wir durch Instrumentenpräsentation in den beiden Elementarschulen der Gemeinde. Da es coronabedingt nicht möglich war, die Schulen zu besuchen, lancierten wir im Gemeindeblatt eine zweiseitige Exkursion in die Tierwelt der Blasinstrumente, für die das zeichnerisch begabte frühere Jugendkapellenmitglied Erin Bereuter sämtliche Blasinstrumente als Tiere zeichnete. Dann kam mir Weihnachten 2020 die Idee, mit diesen Tieren eine Zirkusgeschichte zu schreiben, in der jedes Instrumententier eine Zirkusrolle übernimmt, die in stilistisch adäquatem Stil musikalisch umgesetzt wird. Der Obmann des Vorarlberger Blasmusikverbands und die Intendanz der Bregenzer Festspiele fanden die Idee und Qualität der Partituren und des Textes interessant genug, sie anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums des Vorarlberger Blasmusikverbands in das Programm der jungen Bregenzer Festspiele aufzunehmen.
Was ist die Story der Show? Worum geht’s?
Die Geschichte erzählt von einem Zirkus, der auf der Bahnfahrt von München nach Zürich im Grenzort Lustenau entgleist, weil hungrige Eichhörnchen zwecks Bergung der im Herbst vergrabenen Nüsse eine Bahnweiche verstellen. Der Geiger bricht sich dabei den Arm und der Rest der Zirkus-Band verlässt den Zirkus aus unterschiedlichen persönlichen Motiven kurz vor dem zur Sanierung der Zirkuskassa so wichtigen Auftritt im Bregenzer Festspielhaus. Die kluge Zauberin des Zirkus verzaubert die Artisten des Zirkus in Instrumententiere, die so musikalisch die verschiedenen gängigen Zirkuskunststücke realisieren: Feuerschlucker, Messerwerfer, zersägte Jungfrau, Trapezkünstler usw. Letztendlich gelingt unter der kundigen Leitung des Affen Manfredo il pavone eine umjubelte Aufführung.
Dreimal wurde die Show nun in Bregenz aufgeführt. Wer waren die Protagonisten der Aufführung?
Realisiert wurde das Projekt mit dem blinden Sprecher, Jazzsänger und Pianisten George Nussbaumer, 130 Blasmusikanten aus ganz Vorarlberg, die als Qualitätskriterium Mittel- und Oberstufenniveau nachweisen mussten. Dirigiert wurde das Ganze von mir und Mathias Schmidt, einem hervorragenden Schlagzeuger, Dirigent und gutem Freund, der zu meinen Bläsersätzen die Schlagzeugstimmen kongenial hinzufügte, die Schlagzeug-Präsentations-Nummer als Komponist beisteuerte und mir auch sonst in computertechnischer Umsetzung eine unersetzliche Hilfe zur Entstehung des Projekts war. Für Organisation und Schulmaterial waren Johannes Hinteregger, Julia Fink und seitens der Festspiele Jana Linzmeier federführend in ständigem Austausch mit mir ein wunderbares Team.
Sie sind aber nicht “nur” der Dirigent der Blasmusikshow, sondern auch der Komponist …
Ich bin ein Anlasskomponist. Als Klarinettenpädagoge, durch dessen Schule sogar ein Wiener Philharmoniker gegangen ist, schrieb ich zumeist für Schüler, deren Engagement mich inspirierte. Ein Trio für Querflöte, Oboe und Klarinette »Hallo-Wien«, ein Klarinettentrio »Der Hahn im Korb«, die Profiversion davon für Querflöte, Klarinette, Fagott und zugespielten Sounds, die morgens um halb sechs beim Erwachen der Hühner in einem Bio-Hühnerstall aufgenommen wurden. Ein Bläserquintett, zahlreiche Kompositionen und Arrangements für meine Band Die Schurken, für Blasorchester den ersten österreichischen Anti-Alkoholikermarsch »Kennidi-Marsch«, Theatermusik zum Jugendtheaterstück »Wie werden wir Schneewittchen wieder los« der deutschen Literaturpreisträgerin Inge Methfessel (UA 2016) und für Klarinette Solo zwei Wettbewerbsstücke und nicht zuletzt für die Klarinettenschulen »Klarinettenfuchs eins« und »Klarinettenfuchs zwei« als Co-Autor mit Stefan Dünser. Und jetzt eben den »Zirkus Luft-i-Kuss« …
Wie ist das Werk musikalisch und dramaturgisch aufgebaut?
Das Werk beginnt mit einer schwungvollen Ouvertüre, in der alle Themen der Zirkusartisten mehr oder weniger versteckt aufmarschieren, dann folgt die Geschichte, die von einem wunderschönen Schlaflied des Direktors in hochromantischer Harmonik unterbrochen wird, und dann erfolgen die Verzauberungen der Zirkusartisten in Instrumententiere, da geht’s dann Schlag auf Schlag zur Sache.
Was waren Herausforderungen beim Komponieren?
Herausfordernd war, die kindgerechte Länge der Stücke, die bei einem Musikvermittlungsstück nicht über zweieinhalb Minuten dauern sollte, mit intensivem, fesselnde musikalischem Inhalt zu füllen. Dabei sollen möglichst viele Facetten des jeweiligen Blasinstruments präsentiert und in Summe mit Text die für Kinder zumutbare Gesamtlänge von einer Stunde nicht überschritten werden. Die Themen und Ideen sind mir meist nachts eingefallen, ich hab sie dann aufgeschrieben und in einer musikalischen Hirnschwangerschaft von neun Monaten untertags verarbeitet.
Und welche Herausforderungen gibt es für die Interpreten zu meistern?
Die Kompositionen verlangen von den ersten Stimmen eine sichere Intonation in hohen Lagen und spieltechnische Versiertheit, von den zweiten und dritten Stimmen gute und klare Intonation und Artikulation. Und von allen sicheren Umgang mit ungeraden Takten und das Erfassen der vielfältigen musikalischen Stile, die von Klassik Jazz, Afro, Funk auch über moderat moderne Musik mit Vierteltönen reichen.
Und wie war’s? Welche Reaktionen gab es – vom Publikum, aber auch von der Intendanz?
Das Interesse des Publikums an den beiden im Großen Saal des Bregenzer Festspielhauses angesetzten Konzerten – ein Familienkonzert am Sonntag und ein Schulkonzert für Schulklassen am Montag – war so groß, dass zwei Wochen vor den Aufführungsterminen am 2. und 3. Juni alles ausverkauft war und die Festspiel-Intendanz das Risiko einging, ein Zusatzkonzert anzusetzen, das nochmals 800 Kinder mit ihren Eltern besuchten. Alle drei Aufführungen endeten mit Standing Ovations und selbst das Schulkonzert wurde von den Kindern mit großer Aufmerksamkeit und mucksmäuschenstill – abgesehen von Szenen-Applaus nach den einzelnen Musikstücken – miterlebt.
Was ist das Ziel und der pädagogische Hintergedanke?
Das Ziel ist es, einerseits Kinder spielerisch mit der Welt der Blasinstrumente vertraut zu machen und somit die Lust auf das Erlernen eines solchen zu wecken, andererseits Musikkapellen ein Material zum Bewerben von Mangelinstrumenten an die Hand zu geben. Aus Rückmeldungen teilnehmender früherer Schüler haben sich einige Kinder aus ihrem Bekanntenkreis, die einem der Konzerte beiwohnten, zum Erlernen ihres Lieblingsinstruments entschlossen.
Das nachhaltige Ziel ist es allerdings, Text und Musik in einem Hörbuch in Kindergarten-, Volksschulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken und Buchläden zu bringen, um Kinder über diesen Weg in Kontakt mit dem wichtigen europäischen Kulturgut Blasmusik zu bringen. Die Suche nach einem großen Verlag gestaltet sich leider bislang als steiniger, weil sehr kostenintensiver Weg.
Wie geht’s weiter mit dem Zirkus Luft-i-Kuss? Wäre ja schade, wenn das eine einmalige Sache bliebe …
Neben der Suche eines geeigneten Buchverlags steht noch die Suche eines international präsenten Noten-Verlags an, der den Erwerb des vollständigen und annähernd fehlerfreien Noten-Materials für Musikvereine möglich machen soll, um den Blasmusik-Zirkus Luft-i-Kuss als Gesamt-Instrumentenpräsentation mit literarischer Geschichte oder zur Bewerbung einzelner Mangelinstrumente ermöglichen soll. Sollte kein Verlag interessiert sein, erwägen wir den Eigenverlag. Der Umstand, dass in jedem Kinderbuchregal eines Buch-Geschäfts mehrere Bücher mit Fußball-Bezug, aber keines mit Blasmusik-Bezug steht, sollte uns Musiker die Frage an uns selbst stellen lassen, ob wir da nicht bislang was verschlafen haben. Und ja: Es wäre schade, wenn es bei den drei umjubelten Festspielkonzerten bleiben würde …