Es ist die Horrorvorstellung jedes Trompetenlehrers und jeder Trompetenlehrerin: Der Schüler betritt den Unterrichtsraum, lächelt, und auf seinen Zähnen glitzert eine brandneue feste Zahnspange. „Die habe ich vorgestern bekommen. Bleibt nur 18 Monate drin, sagt der Kieferorthopäde“, kommentiert unser Schüler. Ein Moment, in dem uns Trompetenlehrkräften schon einmal der Mund offen stehen bleibt, weil wir wissen: 18 Monate mit einer festen Zahnspange können sowohl für unseren Schüler als auch für uns selbst der Härtetest in Sachen Motivation werden.
Was passiert in den allermeisten Fällen, wenn so ein „Ding“ erst einmal auf den Zähnen klebt? Der Ansatz fühlt sich für unseren Schüler oder unsere Schülerin komplett anders an. Durch den größeren Radius, den die Lippen nun zu bewältigen haben, um aufeinander zu liegen, müssen die Muskeln anders benutzt werden, damit sie den Ansatz wie gewohnt formen können. Die Luft strömt häufig nicht ungehindert ins Instrument, sondern zirkuliert zwischen den Lippen und den Schneidezähnen mit den Brackets. Zusätzlich sorgt das Mundstück häufig für Schmerzen, selbst wenn man es mit sehr druckschwachem Ansatz spielt.
„Der Kieferorthopäde hat gesagt, dass man sich Wachs auf die Brackets kleben kann. Dann tut es nicht mehr so weh!“, beharrt die Mutter des Schülers, die ihren Filius heute in die Stunde begleitet hat. „Ich habe auch gleich mal ein Päckchen davon gekauft, aber so richtig hat es noch nicht funktioniert. Das klingt alles so komisch und mein Sohn sagt, es fühlt sich beim Spielen schrecklich an.“ Von uns als Fachperson verspricht sich die Mutter aber natürlich eine Lösung dieses Problems.
Wie behalten Schülerinnen und Schüler trotz Zahnspange die Freude am Musizieren?
Fast milde müssen wir lächeln, denn wir wissen: Dieses Wachs kann zwar die empfindliche Mundschleimhaut vor dem Druck der Brackets schützen, aber das Formen des Ansatzes wird dadurch noch schwieriger als vorher. Als Blechbläserlehrende – und hier insbesondere als Lehrkraft der hohen Blechblasinstrumente Trompete und Horn – müssen wir uns also eine gute Strategie zurechtlegen, damit Schülerinnen und Schüler, die sich einer Zahnkorrektur unterziehen, trotzdem Freude am Musizieren behalten.
In Deutschland trägt fast jeder zweite Heranwachsende eine „Zahnklammer“. Die kassenärztliche Bundesvereinigung empfiehlt den Beginn einer Zahnspangenbehandlung erst zwischen dem 10. und 13. Lebensjahr, trotzdem beginnen viele Kinder bereits früher mit der Zahnkorrektur. Lose Zahnspangen, die zum Essen (und natürlich zum Trompete spielen) herausgenommen werden können, müssen in der Regel 12 bis 16 Stunden täglich getragen werden, um einen Erfolg zu erzielen. Doch da viele Heranwachsende diese Zeit nicht (freiwillig) schaffen und sich auf diese Weise nur ein langsamer Erfolg der Behandlung einstellt, klebt man häufig Brackets. Fakt ist: Wer die „feste Klammer“ erst einmal auf den Zähnen sitzen hat, wird eine Weile damit leben müssen.
Wir Trompetenlehrerinnen und Trompetenlehrer haben zwei Möglichkeiten, mit einer Zahnkorrektur unserer Schülerinnen und Schüler umzugehen und ihnen trotzdem Fortschritte beim Spielen ihres Instruments zu ermöglichen.
Strategie 1: Vorbeugen
Seit einigen Jahren frage ich in der Schnupperstunde nicht nur nach dem musikalischen Umfeld der Schülerin bzw. des Schülers, der Motivation zum Trompete spielen und den Zielen; ich frage die Eltern des potenziellen Neuschülers auch nach körperlichen Einschränkungen ihres Kindes wie Fehlhaltungen, logopädischen Problemen, Verhaltensauffälligkeiten, ADHS und einer eventuell anstehenden Zahnkorrektur (siehe Elternfragebogen in „Ganz schön wild. Besondere Schüler entspannt unterrichten“, um5026, üben & musizieren Spezial, Schott Music 2021).
Wenn sich herausstellt, dass eine Zahnspange droht, komme ich sehr schnell zum Punkt und eröffne den Eltern, was in vielen Fällen beim Tragen einer festen Zahnspange passiert: Das Kind kann kaum oder gar nicht mehr an die Leistungen anknüpfen, die es sich bis dahin erarbeitet hat und zusätzlich kann das Spielen Schmerzen verursachen. Wenn eine Schülerin bzw. ein Schüler im Unterricht keine Fortschritte macht oder seine selbstgesteckten Ziele, wie etwa das Spiel eines bestimmten Musikstücks, in weite Ferne rücken, leidet die Motivation extrem. Ich informiere die Eltern über alternative Behandlungsmöglichkeiten, die ebenfalls zu der gewünschten Zahnstellung führen:
Die linguale Zahnspange

Diese klebt man auf die Innenseite der Zähne, womit sie den Sitz des Ansatzes nicht beeinflusst. Lediglich der Anstoß fühlt sich ungewohnt an und kann zu Beginn Schwierigkeiten machen.
Aligner-Therapie
Hier wird eine durchsichtige Schiene aus Plastik angefertigt, die über den Zähnen getragen wird. Ein Computer berechnet, wie viele Schritte und welche Schienen zur Zahnkorrektur notwendig sind. Ober- und Unterkieferzähne erhalten jeweils eine separate Schiene. Diese kann bei Bedarf herausgenommen werden – zum Beispiel beim Essen oder Trompete spielen. Mit der Aligner-Therapie können leichte bis schwere Zahnfehlstellungen korrigiert werden.
Brackets sind nicht gleich Brackets
Auch bei der Form der Brackets gibt es einige Unterschiede: Interessant für Kinder und Jugendliche, die ein Blechblasinstrument spielen, sind natürlich Brackets, die durch ihre geringe Größe etwas bequemer für den Ansatz sind. „Fastbrackets“ oder „Speed-Brackets“ sind hier die Stichworte, die man mit dem Kieferorthopäden diskutieren kann. Viele herkömmliche Brackets haben eine Tragedauer von 15 Monaten bis zu drei Jahren, wohingegen die Speed-Variante laut Werbeversprechen mit etwa der Hälfte der Tragezeit auskommt.
Strategie 2: Unterricht trotz fester Zahnspange
Wenn Schülerinnen und Schüler für die Strategie 1 (Vorbeugen) zu spät dran sind oder sich keine der Alternativen eignet, müssen wir Trompetenlehrerinnen und -lehrer versuchen, trotzdem einen spannenden und motivierenden Unterricht zu leisten.
Um die Motivation aufrechtzuerhalten, brauchen Schülerinnen und Schüler ein gutes Ziel, welches für sie eine schöne Herausforderung ist und sie speziell in dieser Situation mit der neuen festen Zahnspange nicht überfordert. Ein Motivationsknick ist vielfach, wenn einfachere Stücke erarbeitet werden und die Schülerin bzw. der Schüler spürt, dass sie oder er nun nicht mehr so leistungsfähig ist wie vorher. Kein kompetenter Mensch fühlt sich mit einer „Beschäftigungstherapie“ dauerhaft motiviert. Eine gute Strategie kann es sein, sehr ehrlich zu sagen, dass natürlich mit der Zahnspange erstmal der Weg in Richtung Klang und Höhe nicht weitergegangen werden kann, dass es jedoch eine fantastische Chance ist, nun den Fokus auf so nützliche Fähigkeiten wie Anstoßarten (Doppel- und Triolenzunge), Jazz-Stilistik, Improvisieren, Komponieren oder die Arbeit mit Loop-Apps gelegt werden kann.
Um hier die Motivation neu zu wecken, gilt es, dem jungen Menschen einige Impulse verschiedener Möglichkeiten zu geben und herauszufinden, wo seine größte Neigung ist. Wenn man dann noch ein geeignetes Ziel herausarbeitet und die Wut, nicht mehr wie vorher Trompete spielen zu können, in ein „Jetzt zeige ich euch, was in mir steckt“ umwandelt, kann hier viel Gutes vollbracht werden, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Übrigens: Meine „Zahnspangen-Schülerinnen und -Schüler“ haben bereits eine Vielzahl von Kompositionen zur Doppel- und Triolenzunge geschrieben, die nun als Unterrichtsmaterial innerhalb meiner Musikklasse dient.
„Motiviert ist er trotzdem nicht…“
Ein Trompetenlehrer, der regelmäßig Coachings bei mir besucht, meldete mir nach dem Versuch, ein neues Ziel mit seinem Schüler zu definieren, Folgendes zurück: „Ich habe dem Luis gesagt, dass wir nun, wo Klang und Höhe nicht mehr gehen, eben verstärkt musikalisch arbeiten. Motiviert ist er aber trotzdem nicht!“
Das wundert mich nicht! Denn was denkt Luis, wenn er hört, dass nun musikalisch gearbeitet wird? Wurde vorher „unmusikalisch“ gearbeitet? Dieses „Vorher“ hat ihm Spaß gemacht und er war mit seinen Leistungen sehr zufrieden. Ich habe dem Trompetenlehrer vorgeschlagen: „Sag doch Luis, dass ihr die Zeit nutzen könnt, um mit Loop-Apps herumzuexperimentieren und biete ihm ein einfaches Harmonieschema an, das du ihm auf dem Klavier beibringst. Die Akkordfolge C – a – F – G können die meisten Kinder ohnehin spielen.
Darauf baut ihr auf und fügt Loops hinzu, die ihr zunächst gemeinsam erfindet und später der Schüler alleine. Auch ist es möglich, eine Bodypercussion hinzuzufügen oder mit Alltagsgegenständen ein Schlagzeug zu imitieren. Am Ende kann man die fertige Musik sogar aus der App exportieren und als Klingelton nutzen.“ (Näheres zu Arbeit mit Loop-Apps und zur Produktion von Klingeltönen im Musikunterricht findet sich in meiner neuen Publikation „Digital jetzt! Wie Sie Ihren Unterricht medial bereichern“; um5030, üben & musizieren Spezial, Schott Music 2022).
Um Musiktheorie schmackhaft zu machen, sollte sie immer einen praktischen Bezug haben
Auch die Idee, verstärkt Musiktheorie zu „pauken“, kann bei unserem Gegenüber Frust auslösen: Unsere Schülerin bzw. unser Schüler spürt vielleicht, dass Musiktheorie ein billiger Ersatz für die Inhalte ist, die nun nicht mehr gehen. Um Musiktheorie schmackhaft zu machen, sollte sie immer einen praktischen Bezug haben. Beispielsweise als Grundlage, um sich über Musik zu unterhalten, um Musik besser zu verstehen, um sich Musik zu merken, um selbst Stücke zu schreiben oder zu transponieren. Wer möchte, dass Musiktheorie einen neuen Charme bekommt, muss also entweder den Weg gehen und Musiktheorie als Spiel „verkaufen“ und etwa mit Gamification-Elementen arbeiten (siehe ebenfalls „Digital jetzt! Wie sie Ihren Unterricht medial bereichern“) oder alternativ den praktischen Bezug sehr stark herausstellen.
Wechsel auf ein verwandtes Instrument
Wer weder mit dem Vorbeugen der festen Zahnspange noch mit dem Fokus auf andere Unterrichtsinhalte erfolgreich arbeitet, kann noch einen weiteren Weg wählen: Besprechen Sie mit der Schülerin oder dem Schüler, ob sich während der Zeit der Zahnkorrektur der vorübergehende Wechsel auf ein anderes Instrument lohnt. In den Fokus rückt hier sehr schnell etwa das Eufonium, da sich viele Schülerinnen und Schüler trotz fester Zahnspange mit dem größeren Mundstück leichter tun. Zudem besteht beim Eufonium die Möglichkeit, mit dem gleichen Unterrichtsmaterial zu arbeiten, das bereits aus dem Trompetenunterricht bekannt ist. Auch die Griffe sind größtenteils gleich und wir Trompetenlehrkräfte haben – wie auch Posaunisten und Tubisten – durchaus eine gewisse Kompetenz beim Unterrichten dieses Blechblasinstruments. Wenn unser Schüler spürt, dass er auf diesem zunächst völlig fremden Instrument sehr schnell vorankommt, stellt sich häufig rasch eine große Motivation ein und nicht wenige Schülerinnen und Schüler sind auf diese Weise schon hervorragende Eufoniumspieler geworden.

Auch das Spiel auf einem Alphorn oder einer Barocktrompete, wobei selbst mit geringem Können und zunächst nur einigen wenigen Tönen durchaus gut in einem Schülerensemble gespielt werden kann, wäre eine denkbare Alternative. Natürlich sind Leih-Alphörner für Musikschüler nicht so leicht aufzutreiben wie eine Leih-Trompete, es kann aber durchaus lohnenswert für eine Musikschule sein, hier einige Instrumente anzuschaffen und als Variantinstrumente anzubieten. Auch lässt sich mit geringen finanziellen Mitteln (derzeit um die 20 Euro) ein Alphorn aus Abflussrohren und Zubehör bauen, das zwar nicht so leicht zu spielen ist wie ein richtiges Alphorn, für Schüler aber durchaus ein erster Einstieg sein kann. (Hier gibt es eine Anleitung zum Alphornbau aus Abflussrohren)
Alphorn oder Barocktrompete
Eine Barocktrompete zunächst auszuleihen ist weit verbreitet und manche Firmen bieten zudem einen Mietkauf an. Natürlich ist das eigentlich Schöne an der Barocktrompete das Spielen in hoher Lage, doch bis es so weit ist, bewegen sich viele Lernende ohnehin eine Zeitlang im Prinzipalregister. Mit dem Exkurs zum Barocktrompetenspiel haben Schülerinnen und Schüler gleich mehrere Vorteile: Es ist eine fantastische Gehörschulung, das oftmals vernachlässigte Naturtonspiel rückt in den Fokus und sie können in die spannende Musikgeschichte der Trompeterwelt eintauchen.
Fazit
Es ist nicht entscheidend, dass wir alle Steine aus dem Lernweg unserer Schülerin bzw. unseres Schülers räumen. In vielen Fällen lässt sich aus diesen Steinen etwas sehr Schönes bauen, was zunächst gar nicht beabsichtigt war, sich im Nachhinein aber als Glücksfall herausstellt.