Brass, Wood | Von Klaus Härtel

Die Harmoniemusik

In einem Musiklexikon von 1802 heißt es: »Eine schöne Blasmusik besteht anjetzt gemeiniglich aus 2 Hoboen, 2 Clarinetten, 2 Hörnern und 2 Fagotten.«

Die Anfänge der Harmoniemusik

Um das Jahr 1760 wurde die sogenannte Feldmusik zur Harmoniemusik – oder kurz: »Harmonie«. Der Grund war die Klarinette, die im 18. Jahrhundert eine so erstaunliche Karriere machte, dass sie von der kleinen Blasmusik nicht länger ausgeschlossen werden konnte. Zur Standardbesetzung der Feldmusik – zwei Oboen, zwei Hörner, zwei Fagotte – kamen daher noch zwei Klarinetten hinzu. 

Dieses Oktett-Format wurde als »Harmoniemusik« für würdevoll-gediegene kleine Bläserkonzerte obligatorisch – im öffentlichen Park, beim Militär oder als Tafelmusik an den europäischen Höfen. Gelegentlich hat man das Oktett noch durch Flöte, Posaune oder Trompete ergänzt. 

1763 verordnete König Friedrich II. die »Harmonie« verpflichtend für alle preußischen Militärkapellen. 1782 ließ auch Kaiser Joseph II. in Wien eine »Kaiserliche und königliche Harmonie« einrichten, für die bis 1837 nahezu 200 Werke komponiert wurden. Im 2. Akt von »Don Giovanni« (1787) hat Mozart die damals weit verbreitete Funktion der »Harmonie« als Tafelmusik verewigt.

Harmoniemusik als Brennpunkt der europäischen Musikentwicklung

Auch wenn uns die Harmoniemusik heute etwas fremd geworden ist – diese Besetzung stand eine Zeit lang ganz im Brennpunkt der europäischen Musikentwicklung. Denn zusammen mit dem Streichquartett symbolisiert die Harmoniemusik den Übergang vom Barock (Generalbass) zur Frühklassik (durchbrochener Satz). 

Die »Harmonie« emanzipierte die Bläserfarben als solche und bereitete damit den Weg zur klassischen Sinfonie, in der die Bläser endlich ihre eigenen Melodien bekamen. Darüber äußerte sich Mozart 1778 in einem Brief an seinen Vater ganz begeistert: »Sie glauben nicht, was eine Sinfonie mit Flöten, Oboen und Klarinetten einen herrlichen Effekt macht.« 

Mozart, Haydn, Pleyel, Reicha, Beethoven, Schubert und viele andere komponierten für die blasende Oktett-Besetzung. Um 1810 sollte aus ihr – durch Hinzunahme der Flöte – auch das klassische Bläserquintett entstehen.

Musik fürs Volk zugänglich machen – der Beruf des Arrangeurs

Gleichzeitig spielte die Harmoniemusik eine entscheidende Rolle, wenn es darum ging, Melodien aus den Konzert- und Opernhäusern unter die Leute zu bringen und populär zu machen. Ganze Sinfonien und Opern wurden »auf die Harmonie gesetzt«, das heißt: für das Bläseroktett-Format eingerichtet. 

Vor allem Potpourris aus Opern – etwa Mozarts »Zauberflöte«, Webers »Freischütz« oder Beethovens »Fidelio« – erfreuten sich großer Beliebtheit. Die Bearbeitungen regten Fachdiskussionen über Fragen der Instrumentierung an und schufen eigentlich erst den Beruf des »Arrangeurs«, in dem schon damals viel Geld zu verdienen war. 

Zu den erfolgreichsten Arrangeuren von Harmoniemusik gehörten Karl Flachs, Joseph Heidenreich, Wenzel Sedlák, Joseph Triebensee oder Johann Nepomuk Wendt – allesamt virtuose Bläsersolisten. Im »Handbuch der musikalischen Literatur« (Erstauflage: 1815) macht die Harmoniemusik mehr als die Hälfte aller gelisteten Stücke aus. 

Mozart hat seine Oper »Die Entführung aus dem Serail« noch selbst für die »Harmonie« eingerichtet, um sich den Zusatzverdienst zu sichern – »sonst kommt mir einer bevor«, so schrieb er an seinen Vater. Beethoven gab die Bearbeitungen seiner 7. und 8. Sinfonie speziell in Auftrag und überwachte die Ausführung.

Die Anfänge der Unterhaltungsmusik

Mit der Harmoniemusik begann im Grunde das Genre der Unterhaltungsmusik. Die geblasenen Potpourris der schönsten Opern- und Marschmelodien erklangen in unzähligen Bürgergärten, auf Promenierplätzen und Jahrmärkten – das Publikum konnte kaum genug bekommen von den mobilen Hit-Bläsern. Sie brachten die Musik damit erstmals in die Sphäre des bürgerlichen Vergnügens und Konsums. 

Man hörte die »Harmonie« meist unter freiem Himmel als klingenden Hintergrund beim Trinken, Essen, Rauchen, Spielen und Flirten. Die zünftige Bierzeltkultur mit Blasmusik nahm hier ihren Anfang. Auch die Kaffeehaus-Ensembles, etwa die Wiener Walzerorchester, entsprangen den sonntäglichen Platzkonzerten der »Harmonie«.