„Wenn Stephanie Lottermoser und ihre Band den Saal mit einer feinen Melange aus Soul, Pop und Jazz fluten, lässt das Zeit und Raum zur Nebensache werden. Jetzt interessieren nur der Klang und das Bühnencharisma der Sängerin und Saxofonistin.“ So jubelte der Kollege der Süddeutschen Zeitung. Wir trafen die Saxofonistin vor ihrem Konzert im Münchner Bergson und sprachen natürlich über ihre Musik, (Un-)Abhängigkeiten im Musikbusiness und Frauenrechte. Stephanie Lottermoser, aus Bayern stammende und in Hamburg lebende Musikerin hat sich – in gleich mehrfacher Hinsicht – Gehör verschafft.
In erster Linie ist sie natürlich Musikerin. Spätestens, seit sie mit 14 Jahren in der Big Band des Gymnasiums Geretsried den Jazz entdeckte und zum Saxofon wechselte. Sie studierte an der Hochschule für Musik und Theater München, spielte im Landes-Jugendjazzorchester Bayern unter der Leitung von Harald Rüschenbaum, gewann den Wettbewerb »Jugend jazzt« und einen Bayerischen Kulturförderpreis, der sie in Form eines Stipendiums für einen sechsmonatigen Aufenthalt an die »Cité Internationale des Arts« nach Paris führte. Lottermoser hat mittlerweile sechs eigene Alben herausgebracht. Seit 2018 lebt sie in Hamburg. Sie ist Moderatorin, Dozentin, engagiert sich ehrenamtlich für die Jugend und ist Mitglied im Netzwerk FRAUEN100.
Der Titel deines aktuellen Albums »In-Dependence« spielt bewusst mit den Begriffen Unabhängigkeit und Abhängigkeit …
Unabhängigkeit ist das, was sich die meisten Künstler und Künstlerinnen wünschen. Man möchte mit der eigenen Musik seine eigenen Hintergründe und Intentionen ausdrücken. Man will die eigenen Aussagen für sich finden im Laufe des Lebens. Deswegen ist es auch immer schön zu sehen, wie man sich von Album zu Album – im besten Fall – weiterentwickelt. Und sich somit weiter unabhängig macht.
Und trotzdem ist man auch immer abhängig von irgendetwas…
Genau. Zu sagen, ich will alles ganz alleine machen, funktioniert ja nicht. Ich bin abhängig davon, dass ich Musiker habe, die das Programm mit mir auf die Bühne bringen – ich bin ja nun mal nicht Solo-Pianistin geworden. Ich bin abhängig davon, dass Veranstalter mit mir zusammenarbeiten wollen und dass ein Publikum kommt. Es ist ein Geben und Nehmen, so unabhängig ich auch gerne bin, als Künstlerin und als Frau im Jahr 2024. In dem System, mit dem ich ja auch interagiere, will ich mich so frei wie möglich bewegen und meine Meinung nach außen tragen. Das mache ich durch meine Musik.
Muss man Kompromisse eingehen?
Ich denke, ich bin dahin gekommen, wo ich jetzt bin, weil ich wenig Kompromisse eingegangen bin. Ich bin mir selbst sehr treu geblieben und habe vor einigen Jahren ganz bewusst entschieden, nicht in anderen Bands und in anderen Projekten mitzuspielen. Ich wollte das, wofür ich musikalisch stehe, nicht verwässern. Wenn Veranstalter mit mir arbeiten wollen, sollen sie auch wirklich mich buchen. Ich habe mein erstes Album im Jahr 2009 aufgenommen und es hat sich so anders angefühlt, mit meiner eigenen Musik auf der Bühne zu stehen. Ich habe einfach seitdem nie etwas Vergleichbares erlebt, egal wie groß vielleicht die Bühne war und wer da noch mit drauf war. Deswegen bin ich eher sehr kompromisslos gewesen mit anderen Dingen, die von außen kamen. Aber klar, natürlich muss man auf diesem Weg immer Kompromisse eingehen. Mit wem kann ich jetzt arbeiten, was funktioniert, was funktioniert nicht? In welcher Umgebung bin ich gerade?
Du hast die »Unabhängigkeit als Frau im Jahr 2024« erwähnt. Muss man als Frau kompromissloser sein, um da anzukommen, wo man hinkommen möchte? Ich weiß, dass das eigentlich kein Thema mehr sein sollte …
Es ist immer noch ein Thema. Ich glaube aber auch, dass ein Wandel eingesetzt hat, und ich sehe ja, dass sich viel tut. Immer mehr Musikerinnen und Instrumentalistinnen tauchen in der Szene auf. Als ich mit der Musik angefangen habe – sei es im Landesjugendjazzorchester, sei es in der Musikhochschule, sei es bei den ersten Konzerten –, ich war zu 90 Prozent immer von Männern umgeben.
Ich kann erste heute, mit einigen Jahren Abstand sagen, dass ich einige Situationen toleriert habe, die nicht in Ordnung waren. Damals wusste ich nicht, wie ich damit umgehen soll, weil niemand darauf reagiert hat. Ich habe bisweilen Kritik geübt an Dingen, die mir falsch vorkamen. Das hatte aber nie Konsequenzen für die Personen, die da von mir oder auch von den drei anderen Frauen, die da waren, kritisiert wurden. Das hat mich stellenweise ein bisschen überfordert, es gab keine Anlaufstellen dafür. Heute drücke ich mich aus der Position heraus, die ich mir erarbeitet habe, sehr oft gegen solche Strukturen aus. Die Leute hören mir zu und lächeln das nicht einfach so weg …
Früher habe ich das vielleicht dann auch weggelächelt – heute bin ich die Erste, die laut etwas sagt, wenn ich da irgendwas sehe oder erfahre. Und ich habe mittlerweile in Hamburg an der Musikhochschule sogar eine Stelle als Beraterin für den Bereich Awareness und Kommunikation.
Inwiefern prägen und beeinflussen solche Lebenserfahrungen deine Musik?
Für mich ist das alles eng miteinander verbunden und nicht voneinander zu trennen. Alle Phasen – Wohnorte, Lebenslagen, negative Einflüsse oder ganz tolle Ereignisse – inspirieren mich zum Musikschreiben. Ich spreche bei meinen Konzerten auch darüber und erläutere, was dahintersteckt. Nicht bei allen Titeln, denn bei manchen soll sich das Publikum auch selbst seinen Teil vorstellen. Gerade Instrumentalmusik hat oft den Zauber, dass sich jede Person im Publikum etwas anderes darunter vorstellt. Alles, was ich bisher erlebt habe, ist in irgendeiner Form in meine Musik übergegangen. Das hat bisweilen schon therapeutische Züge. Musik ist da auch ein Ausgleich. Ich würde verrückt werden, wenn ich das nicht machen könnte.
Aber du hast ja nicht aus therapeutischen Gründen angefangen, Saxofon zu spielen …
Nein, sondern aus Faszination am Klang. Am Gymnasium in Geretsried gab es eine sehr gute Bigband und das Saxofon hatte es mir angetan. Es gab ein Solostück in einem Konzertprogramm damals, ein Schularrangement von »Harlem Nocturne«. Das fand ich so schön, dass ich unbedingt dieses Instrument spielen wollte. Aber für mich war das anfangs sehr exotisch, das beruflich zu machen. So gerne ich Saxofon gespielt habe, nach dem Abitur habe ich mich erst einmal für etwas Geisteswissenschaftliches entschieden.
Ich habe an der LMU München meinen Magister in Kulturanthropologie, Interkultureller Kommunikation und Germanistik gemacht. Das war ein wahnsinnig tolles und interessantes Studium. Ich war dann schon mehr oder weniger zur Promotion angemeldet. Weil ich aber während meines Studiums immer viel Musik gemacht habe, war der Gedanke »Berufsmusikerin« nie aus der Welt. Als ich meinem Doktorvater abgesagt habe, war der gar nicht überrascht. Denn der war ein totaler Jazz-Fan und der fand das eigentlich toll, dass ich Jazz spielen kann. Und ich habe das auch tatsächlich seitdem keine Sekunde bereut – mit allen Aufs und Abs, die so eine Musikkarriere durchaus in sich tragen …
Was war denn dein Ziel als Saxofonistin? Klarinettisten oder Posaunisten beispielsweise haben ja immer auch das Orchester im Hinterkopf.
Ich glaube, es gibt sechs oder acht Stellen für Tenorsaxofon in Deutschland bei den Radiobands. Aber das war tatsächlich nie meine Intention. Ich habe mich nie für eine offene Stelle bei einer Rundfunk-Bigband beworben, weil ich mich da nie gesehen habe. Ich wollte Musik studieren, weil ich mehr über Musik wissen wollte und weil ich in Musik so gut wie möglich werden wollte. Das Saxofon ist eben meine Ausdrucksweise dafür … Und dann ist natürlich die große Hoffnung – vielleicht auch der naive Gedanke –, davon leben zu können. Das treibt ja fast alle Leute an, die an eine Hochschule gehen. Die meisten wollen auf einer Bühne stehen und Musik machen.
Und ich glaube auch, dass das der Antrieb sein muss, um diesen Weg zu gehen. Wenn man da nicht ein Stück weit mit diesem großen Optimismus oder diesem Willen rangeht, kann man es auch sein lassen. Ich denke, dass das Menschen auch noch andere Inhalte und Werte vermittelt, als sich aus einem reinen wirtschaftlichen Interesse sich für einen Beruf zu entscheiden – was natürlich völlig in Ordnung ist. Ich glaube, die Gesellschaft braucht beides.
Gibst du angehenden Musikerinnen und Musikern, Tipps?
Ich werde tatsächlich sehr oft nach Tipps gefragt. Oft kann man es runterbrechen auf »dranbleiben« und »geduldig sein«. Alles andere – »Wie schreibe ich eine Bewerbungs-E-Mail an den Veranstalter?«, »Wie pflege ich eine Instagram-Seite?«, – kann man natürlich irgendwie erklären. Aber ich finde, es steht und fällt mit der Bereitschaft, sich kompromisslos dem Thema zu widmen und dabei geduldig zu sein. Es geht immer mal irgendwas schief. Das ist einfach »part of the game«. Diese Geschichten, die einem von Fernsehshows vorgemacht werden, ist nicht die Realität.
Siehst du Musikstudentinnen und Musikstudenten, die heute allesamt gut ausgebildet sind, auch als Konkurrentinnen und Konkurrenten?
Mir ist es damals mit Lehrern passiert, bei denen ich studiert habe. Anfragen an mich wurden nicht weitergegeben und sie haben selber gespielt. Ich hatte in meinem Leben Situationen, wo ich mehr oder weniger gemobbt worden bin. Und das war fürchterlich. Ich wollte ja mit der Musik, die ich mache, niemandem was Böses. Ich denke, man muss lernen, sich frei davon zu machen, dass das kein Gegeneinander ist. Klar, es gibt mehr Musiker, als es Plätze gibt. Ich freue mich, wenn ich mal auf Saxofonistinnen treffe, weil wir so selten etwas miteinander zu tun haben.
Frustrationstoleranz ist unbedingt ein Thema, mit dem man sich gerade als Solo-Künstler oder -Künstlerin auseinandersetzen muss. Das kann Leute fertig machen. Das nimmt dir so viel Energie, wenn du dich die ganze Zeit mit anderen Leuten beschäftigst… Es bringt ja auch niemandem etwas. Das klingt jetzt so leicht gesagt, und ich weiß, dass es für viele ein Thema ist, aber ich glaube, man muss sich damit auseinandersetzen, wie man mit sowas umgeht.