Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Die Saxofonistin Swantje Lampert

Swantje Lampert
Foto: Maria Frodl

Eigentlich war eine Jura-Karriere vorgesehen – doch die Österreicherin entschied sich stattdessen fürs Saxofon. Swantje Lampert studierte den Jazz in Graz, Wien und schließlich in Boston (Berklee). Dort erhielt sie 2009 eine besondere Auszeichnung für “outstanding musicianship”.

In Österreich kennt man Swantje Lampert schon länger. Sie komponiert und arrangiert für diverse Bigbands und spielt ihr Saxofon in vielen Formationen, etwa zusammen mit Gina Schwarz oder Herwig Gradischnig. Doch ihr Trioalbum “Now!” (2020) war auch in Wien “die Entdeckung des Jahres” (Der Falter). Die karge Besetzung – nur Tenorsaxofon, Bass und Schlagzeug – wurde als “Trapezakt ohne Netz” gefeiert. Sogar die US-amerikanische Jazzpresse vergleicht Swantje Lampert mit dem großen Sonny Rollins, dem Meister in der Saxofon-“Königsdisziplin” des klavierlosen Trios.

Inzwischen gibt es ein zweites Trio-Album. Es heißt “Phönix”, und der Titel verrät, dass Swantje Lampert nach ihrer MS-Diagnose ihr Leben neu in Angriff nimmt. “Mein Weg zur Selbstheilung wurde ein Weg der spirituellen Suche”, sagt sie. “Fest steht, dass die Spiritualität in mein nächstes Album wieder einfließen wird. So gesehen stehe ich einem John Coltrane sicherlich näher als einem Sonny Rollins.” 

Das Interview mit Swantje Lampert führte Hans-Jürgen Schaal.

Was waren deine ersten Schritte in der Musik? Wie fing es an? 

Swantje Lampert: Mit sieben Jahren habe ich begonnen, privaten Klavierunterricht zu nehmen. Ich war aber nie in einer Musikschule. Mir ist dabei vieles leicht gefallen, ich hatte offensichtich ein besonderes Gespür für Harmonien. Sehr schnell habe ich deshalb auch zu komponieren begonnen – dabei wusste ich nichts über Harmonielehre oder Notation. Ich sah mich also bald als Komponistin, zwischendurch auch als Schriftstellerin. Mit der Pubertät war diese superkreative Zeit aber fürs Erste vorbei. Eine andere Leidenschaft zog sich jedoch bis zum Erwachsenenalter durch: das Ballett. 

Dann hast du aber begonnen, Jura zu studieren. Wie kam es dazu?

Um meine Eltern zu ­beruhigen, habe ich mich an der Uni in Graz für Jus inskribiert. Ein Hauptargument war für mich, dass es (damals!) bei diesem Studium kaum Anwesenheitspflicht gab. So konnte ich weiterhin zweimal täglich fürs Ballett trainieren. Irgendwann realisierte ich dann aber, dass der Zug zur Balletttänzerin endgültig abgefahren war und ich mich tatsächlich auf dem Weg zur Juristin befand. Ich wurde depressiv – und das Leben schien völlig sinnlos zu sein. 

Aber dann kam glücklicherweise das Saxofon in dein Leben. Wie ist das passiert?

Irgendwann kam ich mit Erasmus (dem Studentenprogramm) nach Triest. Im Nebenhaus dort war eine Musikalienhandlung mit Saxofonen in der Auslage. So ist eines Tages der Gedanke erwacht, dass es doch cool wäre, dieses Instrument zu spielen – mit Klangvorstellungen hatte das wenig zu tun! Wieder zurück in Graz lernte ich durch Zufall den Saxofonisten Uli Drechsler kennen. Der war bereit mir Stunden zu geben, und er borgte mir auch sein Altsaxofon. Ich erinnere mich, wie ich nach der allerersten Saxofonstunde mit dem geborgten Sax nach Hause marschiert bin und beschloss, Saxofonistin zu werden. Von dieser verrückten Idee – ich war bereits 22 – erzählte ich niemandem. Pro forma habe ich noch hin und wieder eine Jus-Prüfung gemacht – hauptsächlich aber stundenlang Saxofon geübt.

Hast du da schon Jazz gehört?

Ich bin rein mit Klassik aufgewachsen, aber damals habe ich den Jazz entdeckt. Ich war fasziniert von Improvisation. Also habe ich zeitgleich Jazzklavierstunden genommen und mir im Eigenstudium Jazztheorie angeeignet. Die CD »The Best of Blue Note« habe ich ein Jahr lang jede Nacht zum Einschlafen gehört. Ziemlich verrückt eigentlich – aber ich kann es nachträglich nur empfehlen. Eine gute Platte reicht für Monate aus. Erst wenn man jedes Solo mitsingen kann, hat man die Musik wirklich internalisiert. Inzwischen bekam ich auch eine Klangvorstellung bezüglich des Saxofons – da war für mich sofort klar, dass das Tenor und nicht das Alt mein Instrument ist. Ich hatte zuerst ein Yamaha-Einstiegsmodell und dann bald ein Selmer Mark VI. Das spiele ich heute noch.

Welche Saxofonisten haben dich besonders beeindruckt? 

Anfangs habe ich besonders viel Dexter Gordon gehört. Sein kraftvoller Sound hat mich sehr beeindruckt. Sein Solo über “Cheesecake” auf der Platte “Go!” war das allererste Saxofonsolo, das ich transkribiert und nachgespielt habe. Auch John Coltrane war lange Zeit einer meiner Favoriten. Besonders berührt hat mich immer “Central Park West” vom Album “Coltrane’s Sound”. Auf meinem neuen Album “Phönix” durften daher Coltrane-Changes nicht fehlen: Die Nummer “Step Back” ist eine Hommage an Coltranes “Giant Steps”. Außerdem haben mich sicherlich Stanley Turrentine und Hank Mobley sowie Charles Lloyd beeinflusst. Wie die meisten Tenorsaxofonisten hatte ich auch meine Michael-­Brecker-­Phase. Sein Album “Two Blocks from the Edge” habe ich wohl tausendfach gehört. Zurzeit höre ich wieder vermehrt Joshua Redman.

Nach deinem Jazzstudium in Wien bist du nach Berklee gegangen. Wie war das so?

Ich war fasziniert von den dortigen Möglichkeiten, den Studios, den Lehrveranstaltungen. Ich konnte für verschiedenste Besetzungen komponieren und arrangieren, meine Kompositionen mit Studenten-Ensembles aufnehmen, musste die Projekte dann auch noch selbst editieren, mischen und mastern und so weiter. Vier Semester lang habe ich auch Dirigieren belegt, was mir jetzt sehr zugutekommt, da ich seit einigen Monaten eine Bigband leite.

Du hast in Berklee auch Saxofon bei George Garzone und Frank Tiberi studiert. Was hast du davon mitgenommen?

Das »advanced free ensemble« ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Das hat George jeden Montagmorgen abgehalten. Es fand in den fensterlosen Katakomben des Berklee College in einem Ensembleraum statt. George pflegte zu Beginn das Licht abzudrehen, ein Notlicht gab es nicht, und so spielten wir in absoluter Dunkelheit zwei Stunden lang »free«. Ein guter Start in die Woche!

Oft werden dein Tenorton und dein Triokonzept mit Sonny Rollins verglichen. 

Der Vergleich ehrt mich natürlich sehr. Ich hatte aber nie eine Phase, in der ich Rollins extensiv gehört hätte.

Ich mag an deiner Musik das Nüchterne, Klare und Kompakte. Steckt dahinter eine bewusste Ästhetik?

Ich versuche, beim Spiel alles Bewusste auszublenden. Es steht kein Konzept dahinter, ich versuche vielmehr, einfach authentisch zu sein. Wenn »es« aus mir spielt, dann spiele ich gut.

Magst du etwas über deine Mitspieler im Trio sagen?

Karol Hodas [Kontrabass] ist immer der Fels in der Brandung und strahlt eine große Ruhe aus. Auf der Bühne fühle ich mich einfach wohl mit ihm. Und Christian Eberle ist wohl einer der besten Schlagzeuger, die ich kenne. Er schüttelt die ausgefuchstesten Grooves aus dem Ärmel. Der Input der beiden in der Probenarbeit war absolut essenziell für das Endergebnis der Produktion.

Wie empfindest du die Reaktionen von Publikum und Journalisten auf deine Trio-Aufnahmen?

Ich war sehr überrascht und natürlich erfreut. Speziell die erste CD entstand eigentlich ohne jede große Absicht. Ich hatte zwei Jahre zuvor die Diagnose “MS” erhalten und hatte zeitweise schon mit dem Musikerdasein abgeschlossen. Zugleich ist dadurch wohl auch ein Druck von mir abgefallen: Ich wollte einfach – außer Konkurrenz – meine Nummern aufnehmen, die schon jahrelang in der Schublade gelegen hatten. Ich dachte mir: »Wenn es jemand hören möchte – gut. Wenn es keinen interessiert – genauso gut!« Entsprechend relaxt bin ich an das Projekt herangegangen und umso größer war dann die Überraschung über die Reaktionen. Das wiederum hat mir wieder Auftrieb gegeben. Ich habe beschlossen, die Krankheit hinter mir zu lassen und mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.

Swantje Lampert
Foto: Wimberger