Zum 23. Mal finden in Innsbruck die Promenadenkonzerte statt (3. bis 30. Juli). Alois Schöpf, künstlerischer Leiter, ist überzeugt davon, die Freunde der Bläsermusik von nah und fern auch heuer wieder begeistern zu können. Wir sprachen mit ihm. Über das Essen…
Über Geschmack »lässt sich nicht streiten« heißt es. Nach welchen Kriterien – außer Ihrem Geschmack – stellen Sie die »Speisekarte« der Innsbrucker Promenadenkonzerte zusammen?
Soweit ich weiß, wird das Zitat meist unvollständig wiedergegeben. Vollständig lautet es nämlich: Über Geschmack lässt sich nicht streiten, denn man hat ihn oder hat ihn nicht. Daraus ergibt sich schon die einzig richtige Antwort: Je höher das Niveau und die Qualität eines Orchesters ist und je profilierter der Dirigent ist, der es leitet, desto schneller erübrigen sich Debatten über den Geschmack.
Es ist geradezu ein Zeichen von Professionalität, dass jemand weiß, was substantielle und was lediglich marktschreierische und in Wahrheit triviale Musik ist. Diskussionen ergeben sich höchstens über die Frage, ob gewisse Stücke und ihre Dauer für die Aufführung im Rahmen eines Freiluftkonzerts geeignet sind.
Denn naturgemäß macht man nicht nur als Dirigent, sondern leider auch als Veranstalter immer wieder den Fehler, innerlich von optimalen Rahmenbedingungen auszugehen. Im konkreten Fall bedeutet dies: Lauer Sommerabend! Unter solchen Bedingungen kann die Aufführung eines 25-minütigen Posaunenkonzerts durchaus ein Genuss sein.
Wenn es allerdings regnet oder die Verhältnisse unsicher sind, kann sich eine derartige Zeitdistanz sehr rasch zum dramaturgischen Horrortrip entwickeln.
Fast Food auf der einen, Haute Cuisine auf der anderen Seite. Gibt es dafür Entsprechungen in der Musik? Und wie machen sich diese im Programm bemerkbar?
Fast Food kann manchmal ganz hervorragend schmecken. Die meisten Leute schimpfen darauf, weil es aus Amerika kommt, und langen kräftig zu, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Und so hervorragend andererseits die Haute Cuisine auch sein kann, meine Schwester leitet noch immer den elterlichen Betrieb, einen berühmten Fresstempel: Nach einigen Tagen kann einem dieses hochgezüchtete, perfekte Essen so auf die Nerven gehen, dass man ein Stück Brot als größeren Genuss empfindet.
Ich würde sagen, beim Kochen ist es wie bei der Kunst überhaupt: Es gibt kein Rezept, welche Wege zu dem Ziel führen, die Menschen zu überzeugen und zu begeistern. Wenn es das nämlich gäbe, könnte jeder den Künstler und den Spitzenkoch spielen.
In diesem Sinne lautet die Antwort: Wenn man Fast Food mit Unterhaltungsmusik und Haute Cuisine mit Kunstmusik gleichsetzt, liegt das Problem weniger beim Konsumenten, der beides zu schätzen weiß, als vielmehr bei den Köchen, die, wenn sie auf Haute Cuisine machen, keinen Marsch mehr spielen können, oder die, wenn sie gewohnt sind, Fast Food zu servieren, sich sogar noch gebildet vorkommen, wenn sie so tun, als habe noch nie jemand eine Sinfonie komponiert.
Fehlt nur ein winziges Gewürz oder ist zu viel Salz am Gericht, schmeckt es schon nicht mehr… Welche Zutat darf bei der Musik nicht fehlen? Und welche darf man nicht im Überfluss benutzen?
Die Komplexität der Aufgabe ist in der Musik sicherlich viel größer, was sich schon allein daraus ergibt, das der Koch mit dem Material, das er einkauft, mehr oder weniger tun kann, was er will. Das ist für einen Dirigenten, der mit einem Orchester arbeitet, zum Glück nicht möglich. Irgendwo endet der Vergleich mit der Küche.
Was ist für Sie qualitätsvolle und was weniger qualitätsvolle Musik? Und wer entscheidet das eigentlich?
Bei bereits aufgeführten Werken, deren Entstehung in etwa schon 50 Jahre zurückliegt, entscheiden nicht Einzelpersonen darüber, ob es sich hier um qualitätsvolle Musik handelt oder nicht, sondern es sind weltweit hunderte, wenn nicht tausende Fachleute, die sich die Frage stellen: Ist es dieses Werk wert, wieder aufgeführt zu werden?
Dass dabei sicherlich viele Kompositionen zu Unrecht vergessen werden, ist anzunehmen. Dennoch, wenn ich allein an die überaus verdienstvolle Initiative unseres Tiroler Landesmuseums denke, Werke bereits verstorbener heimischer Komponisten in einer inzwischen sehr umfangreichen CD-Sammlung den Musikinteressierten zugänglich zu machen, so würde ich schon die Behauptung wagen, dass zumindest in Bezug auf Tirol so ziemlich alles, was einen kompositorischen Wert besitzt, in Evidenz gehalten wird.
Schwieriger wird es, wenn es um Werke der Gegenwart geht, die noch nicht durch diesen Befragungsprozess der Wiederaufführung gegangen sind. Hier, glaube ich, sollte schlicht und einfach viel und ausführlich darüber debattiert, ja sogar gestritten werden, wie es um den Wert dieser Kompositionen bestellt ist. Das schärft die Geschmacksnerven aller Beteiligten und verankert das zeitgenössische Schaffen im Bewusstsein der Öffentlichkeit.
»Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht!« Wie mutig sind die Promenadenkonzerte bzw. wie mutig dürfen/sollen sie sein?
Unser Mut endet dort, wo wir voraussehen können, dass das Publikum zu Hunderten den Innenhof der kaiserlichen Hofburg verlässt. Um dies zu verhindern, müssen bei schwierigen zeitgenössischen Werken Orchester und Dirigent schlicht und einfach hervorragend sein, dann können Sie sich bei schönem Wetter und nicht allzu langen Stücken fast alles leisten.
Wie ja die Akzeptanz zeitgenössischer Musik von allem Anfang an in der Geschichte stark darunter gelitten hat und immer noch leidet, dass neue Werke oft lieblos und schlampig einstudiert werden, was niemand in gleicher Weise kontrollieren kann, wie es etwa bei einer Beethoven-Sinfonie möglich ist.
Besteht die Gefahr, sich bei der Vielfalt und vor allem Vielzahl der »musikalischen Speisen« den Magen zu verderben? Was raten Sie dem Gast, der »auf seine Linie achten will?« Oder protegieren Sie die Völlerei?
Einer der Gründe, warum wir den Orchestern relativ strenge dramaturgische Vorgaben machen, besteht schlicht darin, dass viele Dirigenten nicht das Gespür für die Ausgewogenheit eines musikalischen Menüs mitbringen. Sie sind in eine spezielle Art von Musik derart verliebt, dass sie glauben, dass verschiedene Komponistennamen und verschiedene Genrebezeichnungen bereits für Vielfalt garantieren.
Wenn dann bei solchen Konzerten dennoch unerträgliche Langeweile aufkommt, wird man meist feststellen, dass sich der ganze Abend auf die Formensprache etwa der Spätromantik oder der gemäßigten Moderne reduziert hat. Um es krass zu formulieren: Fünf Brassband-Pflichtstücke hintereinander sind nicht auszuhalten.
Welche »Innsbrucker« Musik passt am besten zu einem Bier? Einem schweren Rotwein oder einem Prosecco?
Ohne irgendjemandem seinen Alkoholkonsum und das dazugehörige Universum aus köstlichen Getränken madig zu machen: Im Gegensatz zur Musik, von der ich mich nicht satt hören kann, konsumiere ich sehr wenig Alkohol. Ich halte ihn nicht aus, er schränkt meine Leistungsfähigkeit ein.
Für mich ist der Alkohol eine wunderbare Droge, die ich ganz gezielt einsetze, um in gewissen Situationen, etwa beim Moderieren der Promenadenkonzerte, eine gewisse Lockerheit zu erreichen. Small Talk zum Beispiel strengt mich extrem an und ist nur unter Alkoholeinfluss zu bewältigen.
In diesem Sinne trinke ich also mehr oder weniger alles nur zu dem Zweck, um die Wirkung der Droge zu spüren. Mit welchem Gesöff ich das erreiche, ist nachrangig.
Das komplette und umfangreiche wie äußerst schmackhafte Programm gibt es unter www.promenadenkonzerte.at.