Orchestra, Szene | Von Cornelia Härtl

Die Verblecherbande: Das neue Programm von Sonus Brass

Das Sonus Brass Ensemble hat ein neues Programm: »Die Verblecherbande« ist eine Komödie für Kinder ab sechs Jahren. Aber kann man Kinder mit klassischer Musik heutzutage wirklich noch begeistern? Die CLARINO-Redaktion hat sich das einmal genau angeschaut.

Es ist ein sonniger Donnerstagmorgen Ende Juni. In einer Woche beginnen in Vorarlberg die Sommerferien. Vor dem Bregenzer Festspielhaus ist es ruhig. Nur eine Gruppe Jugendlicher sitzt auf dem Vorplatz zusammen und genießt die Sonnenstrahlen. Entlang der Promenade haben zwei Touristen die Kamera gezückt und versuchen, einen Blick auf die Seebühne zu erhaschen.

Gespannte Kinder und große Vorfreude

In den Gängen des Festspielhauses ist es fast schon gespenstisch still. Ganz anders im Seestudio: Direkt vor der Bühne sind gepolsterte Sitzwürfel in verschiedenen Farben aufgestellt, auf denen aufgeregt gestikulierende und fröhlich lachende Kinder Platz genommen haben. Auch auf den Stuhlreihen dahinter plappern Kinder munter miteinander und rutschen gespannt auf ihren Stühlen herum.

Plötzlich: Ein paar Kinder, die in der Nähe des Eingangs sitzen, springen auf und zeigen auf fünf in den Raum schleichende Männer in weiß-gerüschten Hemden und samtig-glänzenden Jacketts, auf dem Kopf eine zur Tolle geformte Perücke. In der einen Hand halten sie ihre Instrumente, in der anderen eine klappernde Dose.

So verteilen sie sich im gesamten Raum und durchstreifen die Stuhlreihen – sichtlich zur Freude der Kinder, die die Musiker, aber auch die Dose neugierig inspizieren.

Zwei Reihen vor uns, ganz außen, sitzt ein Junge in einem blau-weiß-gestreiften T-Shirt, der stur geradeaus auf den Boden blickt. Er hält den Kopf gesenkt und die Arme verschränkt vor der Brust. Die blonde Frau neben ihm beugt sich zu ihm herunter und deutet lächelnd auf den näher kommenden Hornisten, der den Kindern links von ihr mit viel Geklapper eine Dose vors Gesicht hält, um Geld von ihnen zu schnorren. Entnervt verdreht der Junge die Augen, wendet sich ab und schaut auf seine Füße, die er seitlich vom Stuhl baumeln lässt.

Das neue Programm: »Die Verblecherbande«

Das Licht im Raum wird gedimmt, alle Musiker sind nach ihrem Streifzug durch das Publikum mittlerweile auf der Bühne angelangt. Das Stimmengewirr wird leiser und das Sonus Brass Ensemble spielt die ersten Töne – »It don’t mean a thing« von Duke Ellington. »Die Verblecherbande oder der meist knallende Bankraub aller Zeiten« heißt das neue Programm des Blechbläserensembles.

Erzählt wird die Geschichte der Brassboys: Jeder kannte sie, ihre Musik war bei allen beliebt. Aber die Zeiten haben sich ge­ändert und nun sind die Brassboys in Not. Die Kohle, mit der sie sich immer neue ­Musik besorgen, ist weg. Eine Katastrophe bahnt sich an, denn wenn sie weiter als Band auftreten möchten, brauchen sie dringend Nachschub. Die Lösung? Ein Bankraub!

Die Entstehungsgeschichte

Der Bankraub war die Grundidee für das Stück von Regisseurin Annechien Koerselman. Die Geschichte drumherum habe sich dann nach und nach entwickelt. »Ich wusste recht schnell, dass ich die Geschichte ohne Worte erzählen möchte«, verrät sie. Dementsprechend schrieb sie Szene für Szene Unmengen an Regieanweisungen. Die Musikvorschläge steuerte das Sonus Brass Ensemble bei. Die Regisseurin traf daraus eine Auswahl und brachte diese schließlich in eine Reihenfolge.

Im nächsten Schritt folgte die Absprache mit Ausstatterin Nina Ball. Annechien Koerselman erzählt: »Natürlich hat man zum Thema Bankraub verschiedene Bilder im Kopf, zum Beispiel einen Tresor oder eine Laserschranke. Und dann überlegt man, wie man das darstellen könnte.« Es galt also etwas zu finden, das zwar einfach umzusetzen war, aber doch ein gutes Bild ergibt.

Und dann beginnt das Inszenieren. Die Regisseurin erklärt: »Dabei höre ich einfach der Musik zu und denke mir aus, was währenddessen passiert.« Ihr Anspruch sei es, dass nahezu bei jeder Note etwas passiert.

Und tatsächlich passiert in den knapp 50 Minuten, die das Stück dauert, so einiges: Nachdem die Brassboys schließlich herausgefunden haben, dass morgen die neue Stadtbank eröffnet werden soll, entsteht der Plan für den Bankraub und es kommt spürbar Bewegung ins Programm. Auch der Junge im gestreiften T-Shirt wirft nun immer öfters verstohlene Blicke in Richtung Bühne.

Durchgeplant von Anfang bis Ende

Apropos Bewegung: Eine besondere Herausforderung für die Musiker ist die Verbindung von Musik und Bewegung. Man muss sehr lange üben, bis alles passt. Tubist Harald Schele erklärt: »Alles ist geskriptet, im Sekundentakt. Für Improvisation gibt es keinen Platz. Timing ist alles!«

Das weiß auch Annechien Koerselman: »Nach etwa zweieinhalb Minuten fangen Kinder an, sich zu langweilen. Dann muss wieder etwas Neues passieren.« Prinzipiell sei das bei Erwachsenen genauso, hier spiele aber die Erziehung eine entscheidende Rolle.

Harald Schele ergänzt: »Erwachsene haben im Laufe der Jahre gelernt haben, wie man sich in einem Konzertsaal verhält. Kinder sind diesbezüglich einfach noch nicht so erzogen und zeigen viel offensichtlicher, wenn ihnen etwas nicht gefällt oder wenn sie sich langweilen. Dem versuchen wir natürlich entgegenzuwirken.« Und somit sei das Zeitmaß von zweieinhalb Minuten ein wesentlicher Faktor bei der Konzeption eines Kinderkonzerts.

Kindgerechte Musikauswahl?

Claude Debussy, Johann Sebastian Bach, John Cheetham, Enrique Crespo… Allein anhand der Komponisten, die im Rahmen des Programms gespielt werden, kommen vermutlich die wenigsten Zuhörer auf die Idee, dass hier gerade ein Kinderkonzert gespielt wird. Wie wurde also ausgewählt? »Wir haben Musik ausgesucht, die uns selbst wahnsinnig gut gefällt«, verrät Harald Schele. Tatsächlich habe man sich dabei nicht explizit an den Kindern orientiert.

Sowohl die Musiker als auch die Regisseurin sind sich einig, dass dies auch gar nicht so wichtig sei. Schele erläutert: »Kinder sind wie eine leere Festplatte – und es ist unsere Aufgabe, sie zu bespielen. Nun kann man auf eine Festplatte lauter Schund packen oder ganz hochwertige, tolle Sachen. Und darin sehen wir unsere Aufgabe – zumal wir an dieser Art von Musik auch den größten Spaß haben, was wir wiederum mit den Kids teilen wollen.«

Trompeter Stefan Dünser sagt mit ernster Miene: »Viele spielen den Kindern nur noch platte Unterhaltungsmusik vor und glauben, die Kinder so begeistern zu können. Aber Kinder lieben Bach! Und zwar viel mehr als jeden Unterhaltungs-Schmarrn, weil sie Geschmack haben.«

Annechien Koerselman teilt diese Auffassung: »Man sollte vielleicht gar nicht so viel darüber nachdenken, welche Musik speziell für Kinder geeignet ist. Viel wichtiger ist das Zeitlimit von zweieinhalb Minuten. Und in dieser Zeit kann man alles spielen, egal ob Barock, Klassik oder zeitgenössische Musik. Kinder machen da keinen Unterschied.«

Eine humorvolle Geschichte…

Natürlich brauchen die Brassboys für den Einbruch eine Tarnung – eine Verkleidung muss her! Die Kinder lachen laut auf, während die Musiker sich der Reihe nach in einen Blumentopf, eine Dame im schicken Kleid oder einen Storch verwandeln. Und auch die Erwachsenen im Publikum haben nun ein breites Grinsen im Gesicht. »Die Verblecherbande« ist eine Komödie für die ganze Familie.

…und gute Musik

Aber passt zu einer Komödie denn auch diese »ernste« Musik? Stefan Dünser glaubt: »Der Humor fehlt heute ganz oft den Musikern, nicht der Musik!« Auch Harald Schele ist davon überzeugt: »Die Menschen haben vermutlich die Sensibilität für diese Art von Humor verloren. Der Humor ist vielleicht etwas tiefsinniger oder feinsinniger, aber er fehlt auf keinen Fall.«

Zaubermittel Begeisterung

Stefan Dünser weiß: »Das Zaubermittel ist Begeisterung. Alles, was man mit Geist erfüllt, ergibt Sinn im Leben. Und Musik ist ein ganz wichtiger Sinngeber. Wenn wir den Kindern unsere Begeisterung für Musik vermitteln können und sie somit auf etwas Zauberhaftes, etwas Wunderbares aufmerksam machen, dann bringen wir sie auch zur Kultur. Das ist ein Bildungsauftrag, und diesen nehmen wir sehr wohl wahr.«

Wie die Begeisterung der Musiker auf das Publikum überging, war an diesem Donnerstagmorgen im Seestudio deutlich zu spüren. Auch den Jungen im gestreiften T-Shirt zog das Sonus Brass Ensemble schließlich völlig in seinen Bann:

Schon während der Verkleidungsszene rutscht er immer weiter an den Stuhlrand und reckt neugierig den Kopf. Schließlich steht er sogar ganz auf, um zu sehen, ob es den Musikern gelingt, durch die Laserschranke zum Tresor zu gelangen. Ein Erfolg auf der ganzen Linie.