Brass, Orchestra, Wood | Von Christian Schick

Die Wim-Hof-Methode – Ein Erfahrungsbericht

Wim Hof

Fit sein, die Immunabwehr steigern, sich selbst in Schuss halten: Der Trend zur Selbstoptimierung ist ungebrochen. Trompeter Roman Rindberger ist zertifizierter Wim Hof Instructor und arbeitet überwiegend mit Musizierenden. Der Fokus liegt ­dabei auf der Überwindung von Angst, Panik und Stress – Dingen, denen Berufs­musikerinnen und -musiker oft ausgesetzt sind. Christian Schick ist während der Woodstock Academy auf die Wim-Hof-Methode gestoßen – und wagt den Selbstversuch.

Erster Teil: Theorie

Es ist Dienstag, kurz vor 9 Uhr. In einer Hotel­lobby im österreichischen Westendorf umgeben von den Kitzbüheler Alpen finden sich nach und nach die Teilnehmenden für den Kurs “Wim Hof Method” ein. Insgesamt sind wir zu neunt. Einigen sieht man das Unbehagen an, denn allen ist klar: Hier wird es gleich kalt. Sehr kalt. Von Anfang 20 bis Mitte 50 sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – doch so richtige Begeisterung oder Vorfreude verspürt irgendwie noch niemand.

Roman Rindberger – der von Mnozil Brass – begleitet uns in einen leeren, lichtdurchfluteten Raum. Alle suchen sich einen Platz am Boden, breiten ihre Yoga-Matten aus und setzen sich. Als Rindberger mit seinem Vortrag beginnt, überträgt sich seine entspannte und ruhige Art sofort auf uns alle. Der Kurs gliedert sich in drei Einheiten: den theoretischen Teil, die Atemübung und schließlich das Eisbaden.

Die fachliche Kompetenz Rindbergers ist ihm bereits im ersten Satz anzumerken

Die fachliche Kompetenz Rindbergers ist ihm bereits im ersten Satz anzumerken. Der komplette theoretische Teil ist hochspannend, kritisch durchdacht und sehr angenehm gestaltet. Man kann dem Vortrag gut folgen und auch häufige Zwischenfragen bringen ihn nicht aus der Ruhe. Er erklärt uns, wie sich die Wim-Hof-Methode auf Körper und Geist auswirkt und auf welcher wissenschaftlichen Grundlage all das geschieht. 

Rindberger

Roman Rindberger 

studierte in Salzburg, Mainz, Basel und Karlsruhe und war Stipendiat bei den Berliner Philharmonikern und der Oper Zürich. Zu seinen Lehrern zählen Hans Gansch, Reinhold Friedrich, Malte Burba, Tamas Velenczei, Laurent Tinguely, Bill Nulty, Martin Kretzer und Klaus Schuhwerk. Er war Trompeter in der Staatsoper München und Solotrompeter in der Hessischen Staatsoper Wiesbaden. Seit 2004 ist er Mitglied der Gruppe Mnozil Brass. Seit 2012 hat er eine Professur für Trompete und Kammermusik an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien inne. Roman Rindberger ist zertifizierter Wim Hof Instructor, Oxygen Advantage Instructor und Wingwave Coach. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Bei einer holländischen Studie des Radboud University Medical Centre aus dem Jahr 2011 wurden Wim Hof tote Bakterien gespritzt, um zu beweisen, dass er sein autonomes Immunsystem kontrollieren kann – was eigentlich nicht gehen sollte. Doch er konnte es. 2014 wurde dann an Probanden, die er zuvor trainiert hatte, das Gleiche versucht – mit gleichem Ergebnis.

Zweiter Teil: Atmen

Beim zweiten Teil – der Atemübung – legen wir uns alle auf unsere Yoga-Matten und achten auf genügend Abstand zueinander, denn diese Übung hat es gewaltig in sich. Im Vorfeld mussten alle Teilnehmenden Herzerkrankungen oder andere gesundheitlich relevante Themen offenlegen, da die Übung für Erkrankte nicht ganz ungefährlich werden kann. Für körperlich gesunde Menschen besteht aber keinerlei Gefahr. Im Wasser oder an Orten, von denen man herunterfallen könnte, sollte man sie aber keinesfalls ­machen, da kurze Blackouts oder dergleichen durchaus vorkommen können. 

Der Körper reagiert auf Stress immer gleich, ob ein Tiger vor uns steht, wir extremen Temperaturen ausgesetzt sind – oder eben auf einer Bühne stehen. Die körperliche Reaktion ist dieselbe. Und die Atemübung macht sich genau das zunutze. Durch sie wird der Organismus in eine ­extreme Stresssituation versetzt und quasi »kampfbereit« gemacht. Auch im Sport kann man den Zugang über diese Atmemarbeit nutzen und die Leistungsfähigkeit ungemein steigern. Hypoxietraining arbeitet mit ähnlichen Effekten.

Die Übung beginnt mit intensivem Ein- und ­Ausatmen. Anschließend hält man die Luft mit leerer Lunge an, bis der Atemreflex nicht mehr kontrollierbar ist. Danach hält man sofort wieder die Luft mit voller Lunge an, solange es geht. Dann geht das Ganze von vorne los. Insgesamt drei Runden lang. 

Kribbeln in den Händen, Rauschen in den Ohren

Bei der ersten Runde der Übung spüre ich beim Atmen schnell ein ausgeprägtes Kribbeln an den Händen. Kurze Zeit später weitet es sich extrem auf meine Lippen aus. Beim Luftanhalten mit leerer Lunge fangen meine Ohren langsam an zu rauschen, bis ich (bewusst) fast gar nichts mehr von meinem Umfeld mitbekomme. Als ich den Atemreflex nicht mehr kontrollieren kann und schließlich einatme, ist das Rauschen aber schon wieder weg. Beim Luftanhalten mit voller Lunge kommt es jedoch wieder schwach zurück und leichte Kopfschmerzen gesellen sich hinzu.

Die Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterscheiden sich teilweise gravierend. Zwar spüren während der Übung alle sehr intensives Kribbeln an Händen, Beinen und Gesicht, manche aber sehen Formen oder Gesichter. Das ist aber alles gewollt und normal, denn diese Atemübung soll den Körper bewusst aus der Komfortzone herausreißen. Anschließend merke ich, dass ich total entspannt und ausgeglichen bin. Ich bin absolut fokussiert auf das Hier und Jetzt. 

Dritter Teil: Eisbad

Als Abschluss kommt das Eisbaden. Rindberger hat uns die Dinge eingeschärft, die hierbei sehr wichtig sind. Da wäre zum einen die Bewegung vor dem Baden, um den Organismus in Schwung

zu bringen, dann das Pausieren kurz vorher, um wieder den Ruhepuls zu erreichen. Den unbedingt erforderlichen inneren Fokus vor, während und nach dem Eisbaden. Und schließlich – nach dem Baden – Bewegung, um den Körper wieder auf Temperatur zu bringen.

Wim-Hof-Methode
Roman Rindberger gibt Instruktionen (Foto: Klaus Mittermayr)

Mehrmals ermahnt er uns: “Fokus, Fokus, Fokus! Wer im Eiswasser hockt und dabei an das gemütliche Bier am Abend denkt, hat keine Chance mehr, in den Flow zu kommen.” Das nehmen sich alle sichtlich zu Herzen, denn vor dem gefährlich aussehenden aufblasbaren Pool haben alle ordentlich Respekt. Rindberger bemerkt fröhlich, dass es schön kühl sei und wir uns deshalb keine Sorgen machen müssten, dass das Eis zu schnell schmelzen könnte. Wir sind allesamt ganz schön froh.

Wir machen unsere Fitnessübungen und ver­suchen, ruhig zu bleiben. Liegestütze, Hampelmänner, Kniebeuge, kurze Sprints. Alles ist erlaubt. Nach und nach steigen die Teilnehmenden in das Eiswasser und wieder heraus. Ihre Körper werden nach dem Baden knallrot. Das motiviert eher weniger. Einige Minuten vor dem Eisbad beende ich die Übungen, beruhige meine Atmung und achte darauf, normalen Puls zu bekommen. 

“Gedanken fokussieren und ausschließlich auf die Atmung konzentrieren.”

In den Momenten des Wartens fällt mir die ­Hecke auf, die den Hotelgarten begrenzt. Sie sieht nicht sehr hoch aus. Dieser Fluchtweg erscheint mir absolut logisch und sehr vernünftig. Doch bevor ich länger darüber nachdenken kann, werde ich schon an den Pool gewunken. Rindberger schaut mich an und sagt mit ruhiger ­Stimme ein letztes Mal, was ich tun muss: “Gedanken fokussieren und ausschließlich auf die Atmung konzentrieren.”

Ich steige ins Eiswasser. In einer fließenden Bewegung setze ich mich hinein und bin augenblicklich völlig im Tunnel. Für ein paar Sekunden ist die Kälte spürbar. Dann ganz plötzlich nicht mehr. Mein Kopf ist völlig leer und nur noch auf die Atmung fixiert. Immer wieder will sie ausbrechen und panisch schneller werden, aber ich ­lasse es nicht zu und zwinge mich mit all meiner Willenskraft, langsam und tief zu atmen. Ich ­frage mich, warum ich so gar keine Kälte spüre.

Roman Rindberger fordert mich auf, den Wärmefilm auf der Haut abzuschütteln, indem ich Arme und Beine bewege. Und da ist sie, die Kälte. Aber sie ist einfach nur da. Sie stört mich nicht. Denn der Fokus steht und die Atmung bleibt ­ruhig. Dann soll ich wieder still ausharren, der Wärmefilm kehrt an den meisten Stellen meines Körpers augenblicklich zurück, nach einiger Zeit ist die Kälte nicht mehr spürbar. Mir geht mein komplettes Zeitgefühl verloren.

Eine großartige und intensive Erfahrung

Ich steige schließlich aus dem Pool. Sofort beginne ich mit den Fitnessübungen. Auch bei mir wird die Haut knallrot und ich muss lachen. Voller Energie und Glückshormone mache ich noch einige Zeit die Aufwärmübungen. 

Vom Aufwärmen bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich wieder angezogen bin, sind vielleicht 40 Minuten vergangen. Nicht ein einziges Mal war mir kalt. Und so geht es ausnahmslos allen anderen Teilnehmenden auch. Frauen wie Männern. Ich bin völlig fasziniert, wie simpel und effektiv das alles funktioniert hat. Den ganzen Tag über fühle ich mich topfit, wach und fokussiert. Es bleiben ausschließlich positive Erinnerungen an diesen Kurs.

Die Wim-Hof-Methode ist eine Technik, die den Körper an seine Grenzen bringt, aber auch sehr gut aufzeigt, dass diese meist viel weiter liegen als man vielleicht denkt. Eine derart großartige und intensive Erfahrung sollte sich niemand entgehen lassen.

Wim Hof

Die drei Säulen der Wim-Hof-Methode

Atmung

Die erste Säule der Wim-Hof-Methode ist das Atmen. Wir atmen immer, sind uns aber seines enormen Potenzials meist nicht bewusst. Eine erhöhte Vitalkapazität birgt eine wahre Schatzkammer an Vorteilen und die spezielle Atemtechnik der Wim-Hof-Methode bringt sie alle zutage: mehr Energie, weniger Stress und eine verstärkte Immunantwort, die Krankheitserreger schnell bekämpft.

Kältetherapie

Die Kälte ist eine weitere Säule der Wim-Hof-Methode. Richtig angewandt löst sie eine Kaskade von gesundheitlichen Vorteilen aus: etwa den Aufbau von braunem Fettgewebe und dem daraus resultierenden Fettabbau, reduzierte Entzündungen, die ein gestärktes Immunsystem fördern, einen ausgeglichenen Hormonspiegel, verbesserte Schlafqualität und die Produktion von Endorphinen.

Geistige Haltung

Die dritte Säule der Wim-Hof-Methode bildet das Fundament der beiden anderen: Sowohl Kälteexposition als auch ­bewusstes Atmen erfordern Fokus und Konzentration, um vollständig gemeistert werden zu können. Fokussiert und entschlossen ist man bereit, den eigenen Körper und Geist zu erforschen und schließlich auch zu beherrschen.

www.wimhofmethod.com